Mittwoch, 6. Dezember 2017



Sklavenmärkte in Libyen – was wirklich dahintersteckt

Sklavenmärkte, fake news und der Wunsch des französischen Präsidenten, militärisch in Libyen einzugreifen – Zustimmung Libyens zu den Vorschlägen Europas auf dem AU-EU-Gipfel in Abidjan

Der französische Präsident Macron sagte es in einem Interview mit Franc 24 ganz deutlich: „Wir schlagen vor, polizeiliche und militärische Maßnahmen zu ergreifen. Wir führen keinen Krieg, aber dieses Land befindet sich in einem politischen Übergang.“[1] Macron erklärte, entsprechende Maßnahmen mit Angela Merkel und dem italienischen Premierminister Paolo Gentiloni diskutiert zu haben. Und auf dem Gipfeltreffen zwischen EU und AU am 29. und 30. November in Abidjan kündigte er an: „Wir brauchen ganz dringend eine entschlossene Notfalloperation. Wir müssen alle Menschen evakuieren, die in ihre Heimat zurückkehren wollen und können.“[2] Die Operation in Libyen soll schon in den nächsten Tagen beginnen. In die ‚Rettungsaktion‘ der Migranten würden Geheimdienste und Polizeibehörden eingebunden.
Geheimdienste waren wohl schon vorher eingebunden, nämlich beim Produzieren eines CNN-Berichts über sogenannte Sklavenmärkte in Libyen. Und wie brave Hündchen schnappten weltweit Medien jeder politischen Couleur die Vorwürfe auf. Die medialen Wellen schlugen hoch: In Libyen werden Sklaven auf öffentlichen Märkten versteigert! Mochte da auch der Botschafter des Niger in Libyen diese Berichte für komplett gefälscht halten und in einer Stellungnahme bestreiten, dass Bürger des Nigers in Libyen als Sklaven gehalten werden[3] und mochte der Außenminister von Sambia sagen, ihm sei nicht bekannt, dass Sambier auf angeblichen Sklavenmärkten verkauft würden und mochte auch der ghanaische Außenminister dementieren, dass man Ghanaer als Sklaven handelt. Es half alles nichts, die Medien überschlugen sich in der Anprangerung der skandalösen Zustände in Libyen. So als hätte man zum ersten Mal von den schlimmen Zuständen gehört, die seit der Ermordung Gaddafis in Libyen herrschen, allerdings nicht nur in den Gefangenenlagern für schwarze Migranten, sondern in abgeschwächter Form auch fast für die gesamte libysche Bevölkerung.
Es war gutes Timing, den CNN-Bericht wenige Tage vor einer Grundsatzrede Macrons in Ouagadougou, der Hauptstadt Burkina Fasos, und vor Beginn des EU-AU-Gipels in Abidjan zu lancieren. Die dumm-dreiste Meinungsmanipulation schien schon wieder zu funktionieren: Um Menschen zu schützen, muss der Westen in Libyen militärisch intervenieren. Diesmal sind es allerdings nicht wie 2011 die Libyer, die man vor Gaddafi schützen muss, sondern diesmal sind es Schwarzafrikaner, die man vor Libyern schützen muss. Viele libysche Medien widersprachen und beriefen sich in diesem Fall auf Trump, der twitterte: CNN produziert fake news![4]
Keine Frage, die Zustände in den libyschen Gefangenenlagern sind skandalös. Doch warum wurde gerade hier und jetzt dieses Thema auf diese Weise weltweit gepusht? Und warum wird in keinem der aufgeregten Presseberichte erklärt, warum Libyen ein failed state mit einer desaströsen Sicherheitslage ist? Nirgendwo wird die Rolle der Nato 2011 bei der wissentlichen Zerstörung sämtlicher libyscher Staatsstrukturen erwähnt. Ben Norton schreibt: „Teil des Problems ist der fehlende Wille der internationalen Organisationen darzulegen, welche Verantwortung die mächtigen westlichen Regierungen tragen.“[5] Es seien politische Regierungsentscheidungen gewesen, die beschlossen, „die stabile Regierung in Libyen zu stürzen, die ölreiche nordafrikanische Nation zu einen failed state zu machen, regiert von konkurrierenden Warlords und Milizen, von denen einige in das Sklaven- und Schmuggelgeschäft verwickelt sind und daraus Profit schlagen.“ Doch nicht nur die internationalen Organisationen, auch die Medien breiteten seit 2011 den Mantel des Schweigens über die katastrophalen Zustände, die die Nato in Libyen herbeibombte.
Vor einer Woche kam es im Europäischen Parlament beinahe zu einem Eklat, als zur Vorbereitung des EU-AU-Gipfels der malische Außenminister geladen war und in einer Rede „den Nato-Krieg gegen Libyen als Ursache des aktuellen Chaos‘ in Libyen scharf kritisierte.“[6] Das wollte man nun gerade nicht hören.
Um die Sklaven in Libyen zu befreien, beantragte Macron eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats und drohte mit Sanktionen. Wen bitte will er denn sanktionieren? Das am Boden liegende Libyen, das in Wahrheit keine legitime Regierung hat, sondern nur eine sogenannte ‚Einheitsregierung‘, die vom Westen eingesetzt wurde und ihr Verbündeter ist? Oder wollte er die Menschenschmuggler sanktionieren? Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht, es hieße nämlich, radikal-islamistischen Milizen kein Geld, keine Waffen, keine Ausbildung und auch keine geheimdienstliche Unterstützung mehr zur Verfügung zu stellen. Nur, um die Hilfen für fragwürdige Milizen zu stoppen, dazu braucht es keinen UN-Sicherheitsrat. Wahrscheinlicher ist, dass Macron der Öffentlichkeit für sein angedrohtes militärisches Vorgehen in Libyen eine nicht vorhandene Legalität vorgaukeln wollte.
In Libyen selbst wurden die Stimmen immer lauter, die behaupteten, der CNN-Bericht werde von europäischen Ländern dazu benutzt, von libyschen Behörden Zusagen zu erpressen. Ziel wäre es, libysche Politiker dazu zu bringen, bestimmte Wünsche der Europäer zu erfüllen. Der libysche UN-Botschafter erklärte, sein Land sei Opfer einer großangelegten Kampagne irreführender Medien, die es diffamierten und als rassistisches Land porträtierten.[7] Und so wirkte der Vertreter Libyens auf dem EU-AU-Gipfel schon fast verzweifelt, als er sagte, es gebe keine Beweise für Sklavenhandel in Libyen. Salah Ali Abourgigha erklärte, Sklavenhandel werde schon aus religiösen Gründen in der libyschen Gesellschaft nicht akzeptiert. Aus anderen libyschen Quellen verlautete, Teile des auf CNN gezeigten Fotomaterials seien alt und stamme aus vergangenen Jahren.
Nichtsdestotrotz erhält Macron für seinen Plan, unter dem Deckmäntelchen humanitärer Hilfe die Intervention ausländischer Truppen voranzutreiben, viel Unterstützung aus Europa. So sagte der französische UN-Botschafter Francois Delattre zu den Berichten über libysche Sklavenmärkte: „Das darf nicht ungestraft bleiben.“ Und: „Wir müssen weiter, viel weiter gehen im Sinne von Nein zu einer unhaltbaren Situation.“[8] Und der stellvertretende britische Abgeordnete Jonathan Allen meinte, dass nur durch nachhaltige und vereinte Aktionen der Sklavenhandel und die Ausbeutung von Migranten ausgerottet werden könnten. Schützenhilfe kam auch von dem italienischen Vertreter Sebastiano Cardi. Seine Aussage, wenn die Probleme Menschenhandel und illegale Einwanderung gelöst seien, würde dies die Stabilität stärken und eine politische Lösung in Libyen herbeiführen, kann man getrost ins Land der Phantasie verbannen. Interessant ist, wie sich die alte Bomben-Koalition wieder für eine neue Invasion zusammenrottet.
Es handelt sich dabei wohl um Wahlvorbereitungen der besonderen Art. Der Westen will boots on the ground, um im Falle eines Falles unverzüglich eingreifen zu können. Falls – wie vom UN-Sondergesandten Salamé angekündigt – Anfang nächsten Jahres in Libyen Wahlen stattfinden, zu denen auch Saif al-Islam Gaddafi mit besten Chancen antreten würde, müsste der Westen – sollte nicht die ganze NATO-Aktion des Jahres 2011 umsonst gewesen sein – Libyen militärisch fest im Griff haben, um Saif al-Islam, der auch die meisten Stammesmilizen und das Militär hinter sich hätte, handlungsunfähig zu machen. Saif al-Islam geht gerade erfolgreich gegen Anschuldigungen, die in der Vergangenheit gegen ihn erhoben wurden, juristisch vor. Er will unbescholten sein politisches Comeback starten.
Es geht um viel in Libyen. Nicht nur um das Land selbst, sondern auch darum, inwieweit es dem Westen gelingt, ganz Afrika zu beherrschen. Die libyschen Ressourcen an Erdöl und Wasser oder die Gold- und Uranminen im südlichen Fessan sind nur ein Teil des afrikanischen Reichtums. Und so hat Libyen auch hohen strategischen Wert. Über Libyen können die reichen Bodenschätze des afrikanischen Kontinents aus dem Niger, aus Mauretanien und aus dem goldreichen Mali an die Küste des Mittelmeers zur Verschiffung nach Europa gebracht werden. So wie einst die Karawanen Gold, Elfenbein und Sklaven transportierten. Zur Absicherung der kostbaren Fracht braucht es Militär. Das wussten schon die alten Römer, deren südlicher Limes mit seinen Militäranlagen am nördlichen Rand der Sahara verlief. Und so steckt heute Europa viel Geld in die afrikanischen Grenzsicherungen, die gleichzeitig Migranten abhalten sollen.
Allerdings scheint Macron schon wieder etwas zurückgerudert zu sein. Frankreich wolle nun nur noch mit technischer und nachrichtendienstlicher Hilfe der AU und Libyen zur Seite stehen. Doch ist bekannt, dass französische Soldaten im Osten Libyens General Heftar beim Kampf gegen Dschihadisten unterstützen und etwa 3.000 Franzosen in der Sahelzone im Einsatz sind.
Sicher ist, dass das Schicksal von Schwarzafrikanern den Politikern der westlichen Länder herzlich egal ist. Sonst hätten sie schon im Jahr 2011 genügend Gelegenheit gehabt, gegen Misshandlungen und Morden an Schwarzen vorzugehen. So empört sich Gerald A. Perreira über die von den westlichen Medien vergossenen Krokodilstränen wegen angeblicher Sklavenmärkte in Libyen. Er nimmt Bezug auf einen Artikel, den er im Dezember 2011 geschrieben hatte und in dem es heißt: „Eine schwarze Haut zu haben und als Afrikaner zu gelten, ist in Libyen zum Verbrechen geworden. Die ethnische Säuberung geht unvermindert weiter. Jeden Tag werden Schwarze aus Libyen und anderen Teilen Afrikas gejagt. Tausende wurden brutal gefoltert und hingerichtet. Vergewaltigung von schwarzen Frauen ist eine bevorzugte Waffe der NATO-Islamisten. Viele der gefundenen weiblichen Körper zeigen Anzeichen von Vergewaltigung, Schlägen und Folter.“ Und: „Diese Rebellen nennen schwarze Libyer abd, das heißt Sklave. Sie treiben sie zusammen, nur weil sie schwarz sind.“[9] Nur erfolgte 2011 wegen dieser Verbrechen kein westlicher Medienaufschrei, denn diese Verbrechen wurden von den Verbündeten des Westens begangen. „Diese Verbrechen gegen schwarze Afrikaner und Gaddafi-Getreue, egal welcher Hautfarbe, begannen in Libyen im Jahr 2011 und halten bis heute unvermindert an.“
Auch ein Artikel des Guardian im Oktober 2011 befasste sich mit Lynchaktionen gegen Schwarze, zu denen es nach der Übernahme von Bengasi durch die ‚Rebellen‘ kam. Unzählige schwarzhäutige Libyer und subsaharische afrikanische Arbeiter wurden in den Straßen der Stadt gelyncht.[10]
Doch zurück in die Gegenwart. 2017 könnte man auch in Europa die Menschenrechte von Afrikanern schützen, indem man gegen Zwangsprostitution von schwarzen Frauen in Italien vorgeht oder gegen die unhaltbaren Zustände in griechischen Flüchtlingslagern. Bis jetzt ist nicht bekannt, dass Frankreich deshalb Italien oder Griechenland mit einer Intervention gedroht hat.
Griechenland würde wohl auch kaum einem solchen Plan zustimmen, so wie es am 30. November Libyen auf dem AU-EU-Gipfel in Abidjan tat. Libyen erklärte sich einverstanden, dass tausende Migranten ‚evakuiert‘ und in ihre Heimatländer zurückgebracht werden. Laut Sarradsch sollen sich etwa 500.000 Migranten in Libyen aufhalten, von denen allerdings nur etwa 22.000 in Flüchtlingslagern untergebracht sind. In Tripolis sollen Transit- und Ausreiseeinrichtungen geschaffen werden, die unter ‚internationalem Schutz‘ stehen. Internationaler Schutz, das heißt wohl ausländisches Militär. Die Vereinten Nationen begrüßten den Plan.
Sarradsch war am 1. Dezember zu Gast bei Donald Trump im Weißen Haus. Der wird ihm schon erklärt haben, wie die Sache in Libyen künftig zu laufen hat. Es steht zu befürchten, dass sich die desaströse Libyenpolitik Europas, diesmal unter Federführung von Emmanuel Macron, im Schulterschluss mit den USA fortsetzen wird.


Angelika Gutsche, 2.12.2012



[1] https://sputniknews.com/middleeast/201711301059556424-macron-proposing-libya-military-action/
[2] http://www.tagesschau.de/multimedia/video/video-352069.html
[3] www.libyaobserver.ly/news/niger-embassy-denies-slave-markets-nigeriens-libya
[4] https://www.theguardian.com/world/2017/nov/28/libya-slave-trade-cnn-report-trump-fake-news
[5] www.informationclearinghouse.info/48307.htm
[6] www.imi-online.de/2017/11/30/eu-afrika-gipfel/
[7] http://www.libyanexpress.com/un-security-council-libya-must-close-all-migrants-detention-centers/
[8] https://www.libyaherald.com/2017/11/28/un-security-council-condemn-reported-slave-trading-in-libya-as-icc-says-it-may-investigate-allegations/
[9] https://libyadiary.wordpress.com/2011/12/08/demons-unleashed-in-libya-natos-islamists-continue-program-of-ethnic-and-ideological-cleansing/
[10] https://www.theguardian.com/commentisfree/2011/oct/26/libya-war-saving-lives-catastrophic-failure

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen