Skandal: Schleuser offizieler Gast in Italien
Libyen/Küstenwache. Obwohl sich die Beweise
häufen, dass al-Bidscha in Libyen sein Unwesen als Menschenschmuggler treibt,
ist er immer noch Kommandant der Libyschen Küstenwache in Zawiya.
Al-Bidscha als Gast der italienischen Regierung
Die libysche Online-Plattform
AlMarsad veröffentlichte die
Teilnehmerliste und die Tagesordnung einer Tagung, die vom 8. bis 12. Mai 2017
in Rom und auf Sizilien stattfand und den Titel „Schulungsbesuch der libyschen
Delegation in Italien“ trug. Organisiert hatte die Tagung das italienische
Innenministerium in Zusammenarbeit mit der EU, der
Internationalen
Organisation für Migration (IOM) sowie des
Regionalen Entwicklungs-
und Schutzprogramms (RDPP) für Nordafrika. Die Tagung fand im Rahmen des
„See- und Wüstenmigrationsmanagements für libysche Behörden zur Rettung von
Migranten“ (SEA DEMM) statt.
Skandalös dabei: Auf der Teilnehmerliste findet sich auch der Name des
sanktionierten Schleusers, Menschenhändlers und Warlords Abd al-Rahman Salem
Ibrahim Milad, auch al-Bidscha (Bija)genannt. Milad beziehungsweise al-Bidscha
wurde als Mitglied der Delegation der Libyschen Küstenwache geführt.
In dieser Funktion war al-Bidscha zu Gast im Hauptquartier der IOM in Rom
sowie im italienischen Innenministerium, in der Abteilung „Bürgerrechte und
Einwanderung“, sowie im italienischen Außenministerium. Gesprächsthemen waren
die italienisch-libyschen Beziehungen und die afrikanische Migration über das
Mittelmeer.
Al-Bidscha war auch eingeladen zu einem Treffen mit
European Union Naval
Force – Mediterranean (EUNAVFOR MED)
Operation Sophia, um über
vergangene und zukünftige Ausbildungsprogramme der libyschen Behörden zu
sprechen, ebenso wie zu einem Treffen auf Führungsebene der Abteilung
Immigration
und Grenzpolizei des Innenministeriums, um bewährte Verfahren der
italienischen Polizei zur Bekämpfung illegaler Migration an den Grenzstationen
zu erörtern. Zu dem Programm gehörte auch ein Besuch im italienischen
Koordinierungszentrum für Seenotrettung der Küstenwache in Rom, wo al-Bidscha
einem Vortrag über ein EU-finanziertes Projekt zur Einrichtung einer Zentrale
für Seenotrettung und -koordination (MRCC) in Libyen lauschen durfte.
Laut den italienischen Journalisten Nello Scavo und Nancy Porsia fand am
Donnerstag, den 11. Mai 2017, ein Treffen zwischen der libyschen Küstenwache
und italienischen Geheimdienstbeamten in Cara di Mineo statt, wo sich eines der
größten Migranten- und Asylantenlager Europas befindet.
Fotos von diesem Treffen in Sizilien wurden erst letzten Monat in der
italienischen Zeitung
Avvenire veröffentlicht. Sie zeigen al-Bidscha
im Gespräch mit italienischen Geheimdienstbeamten. In den Diskussionen ging es
um mögliche Restriktionen, um den Zustrom von Migranten aus Libyen einzudämmen.
Wie Scavo und Porsia berichten, nahm al-Bidscha in seiner Funktion als
Kommandant der Libyschen Küstenwache an dem Treffen teil.
Al-Bidscha – von den Vereinten Nationen wegen Menschenschmuggels
sanktioniert
Wie
Avvenire weiter berichtete, ist bekannt, dass al-Bidscha und
andere Mitglieder der Küstenwache mit Waffengewalt gegen Migranten-Boote
vorgingen und diese auch versenkten. Deshalb wurde im UN-Sicherheitsrat
gefordert, das Vermögen al-Bidschas einzufrieren und gegen ihn ein Reiseverbot
zu verhängen.
In dem UN-Bericht wird Bidscha als „blutrünstiger Menschenschmuggler“
beschrieben, der nicht nur für Schießereien im Mittelmeer verantwortlich sei,
sondern auch verdächtig werde, „für das Ertrinken dutzender Menschen“ die
Verantwortung zu tragen. Und er gilt als Kopf einer kriminellen Vereinigung,
die in Zawiya, einer Küstenstadt etwa 45 Kilometer westlich von Tripolis, ihr Unwesen
treibt.
Behörden in Italien wollen von nichts gewusst haben
Der Menschenhändler al-Bidscha wurde auf der Tagung in Italien im Mai 2017
als Kommandant und Vertreter der libyschen Küstenwache vorgestellt, entsandt
von der in Tripolis ansässigen ‚Einheitsregierung‘. Angeblich hätten die
Verantwortlichen in Rom nichts von seiner wahren Identität gewusst.
Wie sowohl britische als auch italienische Zeitungen berichteten, stammten
die von den Zeitungen veröffentlichten Fotos von einem Teilnehmer des Treffens.
Warlord und Menschenschmuggler al-Bidscha sei mit einem Ausweis nach Italien zu
dem Treffen eingereist, an dem auch eine nordafrikanische Delegation
internationaler Menschenrechtsorganisationen teilnahm, denen wohl kaum bewusst
gewesen sein dürfte, neben wem sie da zu sitzen kommen.
Der italienische Journalist Nello Scavo sagte dem
Guardian: „Es war
in der Vergangenheit immer wieder die Rede gewesen von einer mutmaßlichen
Beteiligung von Schleusern an der libyschen Küstenwache. Aber jetzt haben wir
die Beweise. Es ist wirklich seltsam, dass der italienische Geheimdienst die
Identität von al-Bidscha nicht kannte. Es ist schwer zu glauben, dass sie so
unaufmerksam waren.“
Eine weitere Frage, die sich stellt: Wer war in Libyen dafür verantwortlich,
dass al-Bidscha als Repräsentant der Küstenwache auf die Besucherliste für
Italien kam? Dort dürfte man ja gewusst haben, mit wem man es zu tun hat.
Bidscha von Migranten erkannt
Bidscha wurde auf Sizilien während einer Minibus-Tour auch von einer Reihe
Migranten identifiziert, die ihn wiedererkannten.
Der britische
Guardian hatte im Oktober 2019 berichtet, dass auf
Sizilien drei Männer festgenommen worden waren, die beschuldigt wurden,
dutzende von Migranten in einem Internierungslager im Nordwesten Libyens
vergewaltigt und gefoltert zu haben. Dazu liegen bei der Staatsanwalt der
sizilianischen Stadt Agrigento zahlreiche Zeugenaussagen von Asylbewerbern vor,
die ihre ehemaligen Peiniger erkannt hatten, als diese in einem
Registrierungscenter in Messina auf Sizilien aufgetaucht waren.
Bei den drei Verhafteten handelte es sich um einen jungen Mann aus Guinea
und zwei junge Ägypter. Sie wurden der Folter, Entführung und des Schleusertums
beschuldigt. Alle drei arbeiteten im Flüchtlingslager von Zawiya – das
Hauptquartier von al-Bidscha.
In einigen Zeugenaussagen fand ein Mann Erwähnung, der sich „Abd al-Rahman“
genannt hatte und für die Überstellung der Migranten an die Küste
verantwortlich war. Er soll darüber entschieden haben, wer auf die Boote darf:
„Er war gewalttätig und bewaffnet. Wir alle haben ihn gefürchtet“, so ein
Zeuge.
Laut
The Guardian „liegen der Staatsanwaltschaft in Agrigento
Zeugenaussagen von zahlreichen Asylbewerbern aus Nordafrika vor, die angeblich
ihre ehemaligen Entführer in einem Migrantenregistrierungszentrum in Messina,
Sizilien, wiedererkannt haben: „Als al-Bidscha eintrat, erkannten ihn einige
Flüchtlinge und fingen an ‚libysche Mafia!‘ zu rufen.“
Trotz all dieser Anschuldigungen erfreut sich al-Bidscha immer noch des
lukrativen Postens als Kommandant der Küstenwache von Zawiya, die der
‚Einheitsregierung‘ in Tripolis untersteht. Diesen Posten soll er der
Protektion durch Mohammed und Walid Kachlaf verdanken, die demselben Stamm wie
er angehören.
Abkommen zwischen Italien und libyscher Küstenwache verlängert
Wie der britische
Guardian berichtete, hatten im Februar 2017 „der
damalige italienische Innenminister Marco Minniti (Partito Democratico/PD) und
der Vorsitzende der von den Vereinten Nationen anerkannten libyschen Regierung,
Fayez as-Sarradsch, ein Memorandum unterzeichnet, in dem die Zusammenarbeit
zwischen der libyschen Küstenwache und Italien auf einem neuen Niveau
vereinbart wurde. Darunter falle auch die Bereitstellung von vier
Patrouillenschiffen.“ Das umstrittene Abkommen, so der
Guardian,
„befähigte die libysche Küstenwache, Boote von Migranten auf See abzufangen und
nach Libyen zurückzubringen. Laut Hilfsorganisationen sind Migranten und
Flüchtlinge dort Folter und Misshandlung ausgesetzt.“ Das damalige Abkommen sah
vor, dass Italien Geld und Ausrüstung zur Verfügung stellt, um mit Hilfe der
libyschen Küstenwache den Zustrom von Migranten an die italienische Küste zu
reduzieren.
Die jetzige italienische Innenministerin Luciana Lamorgese hat Ende
September 2019 dieses Abkommen bei einem Treffen in Malta mit ihren
Amtskollegen aus Frankreich, Deutschland und Malta bekräftigt. Auch Italiens
Außenminister Luigi Di Maio (M5S) erklärte, dass Italien das mit Libyen
getroffene Abkommen aus dem Jahre 2017 aufrechterhalten werde. Am 2. November trat
eine automatische Verlängerung des Abkommens um weitere drei Jahre in Kraft.
Dies wurde von Menschenrechtsorganisationen heftig kritisiert, auch wenn die
italienische Regierung versprach, das Abkommen „unter besonderer
Berücksichtigung der Migrationszentren und der dort herrschenden Bedingungen“
zu überarbeiten.
Al-Bidscha bedroht Journalisten
Die beiden Journalisten, Nello Scavo und Nancy Porsia, deren Artikel im
Avvenire
so viel Staub aufwirbelte, stehen mittlerweile unter Polizeischutz, da sie nach
dem Erscheinen des Artikels massiv von al-Bidscha bedroht wurden. Bidscha
drohte auch mit Klagen gegen die Journalisten. Mittlerweile hat die
italienische Journalistengemeinschaft ihre Solidarität mit Scavo und Porsia
erklärt und gefordert, dass die Ermittlungen bezüglich der Teilnahme des
Menschenschmugglers Bidscha an dem Treffen in Italien im Jahre 2017 von den
italienischen Behörden weiter verfolgt werde.
Enge Zusammenarbeit zwischen ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis und
Italien
Währenddessen nutzt al-Bidscha bis heute die Großzügigkeit der EU, die unter
dem Deckelmäntelchen der ‚Einheitsregierung‘ agiert, und al-Bidscha weiterhin
ungestraft sein kriminelles und lukratives Schlepper-Geschäft in Zawiya
betreiben lässt – trotz der gegen ihn verhängten UN-Sanktionen.
Der Innenminister der libyschen ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis Fathi
Bashagha sagte, dass nach al-Bidscha gefahndet werde und der Küstenwache ein
entsprechender Haftbefehl übermittelt worden sei. Dem widersprach der für den
westlichen Küstenabschnitt Verantwortliche Mohammed Saqer: Bei der Küstenwache
sei kein Haftbefehl gegen al-Bidscha eingegangen.
Und wie glaubwürdig ist es, dass die italienischen Geheimdienste jede
Kenntnis über die kriminellen Umtriebe von Abd al-Rahman Milad lias al-Bidscha
bestreiten und ihn die italienischen Behörden sogar nach Italien eingeladen
haben?
Al-Bidscha bestreitet alle Vorwürfe
Trotz der erdrückenden Beweise und der gegen ihn vom UN-Sicherheitsrat
verhängten Sanktionen, erschien al-Bidscha in seiner Marinekapitänuniform vor
den Kameras des italienischen Nachrichtensenders
La7 zu einem
Interview mit der Journalistin Francesca Mannocchi. Die Sendung wurde im
Hauptquartier der Küstenwache in Zawiya aufgenommen. Al-Bidscha sagte, dass er
weiterhin innerhalb der libysche Küstenwache für die von den Vereinten Nationen
anerkannte ‚Einheitsregierung‘ tätig sei. Dass sein Name auf den
Sanktionslisten des UN-Sicherheitsrats geführt werde, sei ein Irrtum und beruhe
auf falschen Presseberichten und feindseligen Facebook-Posts.
Forderung nach Stopp der Zusammenarbeit mit libyscher Küstenwache
Die italienische Ärztin Valeria Alice Colombo sagte, es sei zutiefst
unmoralisch, mit Schleusern, Milizen und Menschenschmugglern
zusammenzuarbeiten, um Menschen, die aus der libyschen Gefängnishölle
entfliehen konnten, wieder dorthin zurückzubringen: „Es gibt wichtige Gründe,
warum wir nicht mit der libyschen Küstenwache zusammenarbeiten werden.
Migranten nach Libyen zurückzubringen, stellt keine Rettung dar, sondern ist
illegal – geht man nach dem Völkerrecht und grundsätzlichen humanitären
Prinzipien aus. Dies ist ein Verbrechen gegen die Menschenrechte, das wir nicht
tolerieren können. Egal was es kostet.“
https://almarsad.co/en/2019/11/07/exclusive-more-evidence-that-trafficker-al-bija-attended-training-in-italy/
https://www.avvenire.it/attualita/pagine/dalla-libia-al-mineo-negoziato-boss-libico
https://www.theguardian.com/world/2019/oct/04/human-trafficker-at-meeting-italy-libya-migration-abd-al-rahman-milad
https://www.facebook.com/ObservatoryLY/videos/885586651876691/?_rdc=1&_rdr