Donnerstag, 31. August 2017

Was wurde aus der libyschen Wasserversorgung, welche die NATO 2011 mutwillig zerstörte?

Gaddafis Great-Man-Made-River-Projekt, das größte Wasserprojekt der Welt, sollte Libyen und andere afrikanische Staaten in einen fruchtbaren Garten verwandeln. Was ist daraus geworden?


 http://www.gegenfrage.com/great-man-made-river-projekt/

 

Dienstag, 29. August 2017



LIBYEN-KURZMELDUNGEN


Die Kurzmeldungen zu Libyen sind der Website www.welt-im-blick.de entnommen und laufen dort unter der Rubrik "Kurz und knapp in zwei Sätzen".
Der Libyen-Krieg stellte den Beginn einer neokolonialen Offensive des Westens gegen Afrika dar. Ihm vorangegangen war 2011 bereits der französische Kampfeinsatz gegen die Elfenbeinküste. Nun ist Syrien das nächste Opfer. Deswegen werden wir auch über diese Konflikte und die westliche Destabilisierungspolitik in Afrika berichten.

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Nach Entführung: Ex-Marionettenpremier Ali Zeidan verläßt Libyen wieder
29.8.2017. Der frühere pro-westliche Marionettenpremierminister Ali Zeidan, der 2012-14 Libyen anderthalb Jahre „regierte“, hat Libyen wieder verlassen, nachdem er dort seinen Sohn besuchen wollte und von einer unbekannten bewaffneten Gruppe entführt wurde und neun Tage in Geiselhaft gehalten wurde. Karam Chaled, ein Freund Zeidans, machte Anhänger der „Einheitsregierung“ in Tripolis für die Entführung von Zeidan verantwortlich, der während seiner Amtszeit als Regierungschef schon einmal verschleppt und verprügelt worden war.



Tschad bricht Beziehungen zu Katar ab, wegen dessen Unterstützung der Islamisten in Libyen
29.8.2017. Die Regierung des Tschad hat die diplomatischen Beziehungen zu Katar abgebrochen und sich damit auf die Seite Saudi-Arabiens gestellt, welches versucht, Katar politisch und wirtschaftlich zu isolieren. Die Entscheidung ist ein typisch taktische Kehrtwende des tschadischen Präsidenten Idriss Déby, verdankt er doch den Friedensschluß mit dem Sudan dem Geld und der Vermittlung aus Katar – doch nun hat sich das kleine Scheichtum am Golf zu einem Risiko entwickelt, da es im benachbarten Libyen die radikalen Islamisten finanziert – offenbar im Gegensatz zum noch konservativ-religiöseren Saudi-Arabien.



Venezuela demonstriert mit Militärmanöver Abwehrbereitschaft gegenüber den Kriegsdrohungen aus Washington
29.8.2017. Mit einem militärischen Großmanöver und der Mobilisierung von 200.000 Mann hat Venezuela am Wochenende seine Verteidigungsbereitschaft gegenüber den Drohungen des US-Regimes klar demonstriert. Die USA versuchen seit mehreren Jahren die demokratisch-sozialistische Regierung zu destabilisieren und zu stürzen, um sich der gewaltigen Erdölvorkommen zu bemächtigen – Beobachter befürchten ein ähnliches Szenario wie in Libyen 2011, wo der Westen zunächst gewalttätige Proteste gegen die Regierung unterstützte und anheizte, um damit einen Grund für eine „humanitäre Intervention“ selbst zu fabrizieren.



Die Beziehungen Khalifa Heftars zu Israel

Libyen. Israels heimliche militärische Unterstützung für Khalifa Heftar und die LNA.

Ein Artikel in al-Araby zeigt die Beziehungen zwischen Khalifa Heftar, dem Befehlshaber der Libyschen Nationalarmee, und Israel auf. Darin heißt es, Israel liefere Waffen an die LNA und gebe Khalifa Heftar militärische Unterstützung.[1] Dieser Deal sei nach geheimen Treffen mit dem israelischen Geheimdienst, vermittelt durch die VAE, zustande gekommen. Kontakte Heftars mit dem israelischen Mossad sollen bereits seit über zwei Jahren bestehen, so sei es 2015 und 2016 zu geheimen Treffen in Jordanien gekommen.
Bei den Waffen handle es sich Präzisionsgewehre, made in Israel. Die Verbindungen seien durch gehackte E-Mails des VAE-Botschafters in den USA, die er mit einem Pro-israelischen Think-Tank tauschte, aufgedeckt und durch einen hohen Militär der LNA bestätigt worden.
Bereits 2012 habe es in New York auch zwischen dem israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu und dem VAE-Außenminister Scheikh al-Nahjan geheime Treffen gegeben.
Algerische Medien berichten zwischenzeitlich, die algerische Regierung hätte nach dem Bekanntwerden der Kontakte Heftars zu Israel an Heftar ernste Warnungen gesandt.
Außerdem hat sich Omar al-Gawairi,  ein Minister der libyschen Übergangsregierung (Beida) mit zwei bekannten israelischen Politikern bereits letzten Monat auf der griechischen Insel Rhodos getroffen, um über die Rückkehr libyscher Juden zu verhandeln.
Und schon vor längerer Zeit wurden sechs Millionen US-Dollar für die Dienste der kanadischen Lobby-Firma Dickens and Madson bezahlt, die von einem Ari Ben-Menasche geführt wird. Ben-Menasche ist ein israelischer Geschäftsmann, der zehn Jahre lang für den israelischen Geheimdienst gearbeitet hat.[2] Auf libyscher Seite unterzeichneten Agila Saleh (Parlamentspräsident Tobruk), Khalifa Heftar, Abdul al-Nadhouri und Murad al-Scharif. Dieser Vertrag wurde vom US-amerikanischen Justizministerium veröffentlicht.
Bereits in einem Artikel des Israel Defense[3] vom Februar dieses Jahres wird Khalifa Heftar zum starken Mann in Libyen erklärt. Nur er wäre fähig, Libyen vor den Islamisten und anderen Bewegungen zu retten, die eine Bedrohung für Israel darstellen. Demnach soll es auf eine Übereinkunft mit Sarradsch hinauszulaufen, bei der Heftar den Posten des Oberkommandierenden der vereinten libyschen Streitkräfte bekommt, die Regierung in Tripolis aber ihre Funktion behält.
Der Autor plädiert für ein geteiltes Libyen, zwar mit einer Armee unter Heftar, aber zwei Regierungen, eine im Osten und eine im Westen des Landes. Die beiden Landeshälften sollen durch eine Grenze getrennt und durch die Nachbarländer kontrolliert werden. Daneben soll im Land eine multinationale Truppe unter UN-Mandat stationiert werden.[4]
Da sollen Israel, die USA, Frankreich und Großbritannien nur mal schön weiter träumen! Zwar ist es ihnen gelungen, die libyschen Staatsstrukturen mit geballter Bombenkraft zu zerschlagen, aber es wird ihnen nicht gelingen, Libyen seiner Souveränität zu berauben. Libyen und seine Menschen werden selbst über die zukünftige politische Gestaltung ihres Landes bestimmen und dies nicht fremden Mächte, die in alter Kolonialmanier ihrem Größenwahn frönen, überlassen! Haben die USA, Großbritannien und Frankreich wirklich ein so kurzes historisches Gedächtnis? Die ganzen Kolonialkriege des vorigen Jahrhunderts, alles vergessen? Das Selbstbestimmungsrecht der Völker, abgehakt? Dafür Morden und Zerstören und Unterdrücken im Namen von Demokratie und Menschenrechten!

A. Gutsche


[1] https://www.alaraby.co.uk/english/news/2017/7/24/libyas-haftar-provided-with-israeli-weaponry-following-uae-mediated-meetings
[2] https://libyaagainstsuperpowermedia.org/2017/08/26/israels-mossad-replaces-cia-as-handler-of-libyan-strongman-khalifa-haftar/
[3] http://www.israeldefense.co.il/en/node/28458
[4] http://www.israeldefense.co.il/en/node/28458


Die Zerstörung Libyens im Spiegel der sich ändernden geopolitischen Machtverhältnisse

Libyen. Ohne Rücksicht auf die betroffenen Völker und deren Menschen werden rücksichtslose und gefährliche Weltmachtspielchen ausgetragen.

Wie bekannt, standen Gaddafis Bemühungen um die Schaffung einer afrikanischen Währungsunion und der Einführung eines goldgedeckten afrikanischen Dinars bei seinem Sturz 2011 kurz vor der Vollendung. Afrika sollte aus seiner finanziellen Abhängigkeit gegenüber dem Westen mit Hilfe der Schaffung dreier Institutionen befreit werden: der African Investment Bank im libyschen Sirte, den African Monetary Fund (Afrikanischer Währungsfonds/AFM) mit 42 Milliarden US-Dollar Einlagen in Yaoundé (Kamerun) und mit der Afrikanische Zentralbank im nigerianischen Abuja. Die Guthaben der libyschen Zentralbank in Höhe von rund 30 Milliarden US-Dollar standen zu diesem Zweck zur Verfügung. Daneben besaß Libyen Gold im Wert von sechs Milliarden US-Dollar und ebenso viel Silber, die seit dem Sturz Gaddafis verschwunden sind und in den USA vermutet werden.

Frankreich wollte den Sturz Gaddafis

Diese für 2011 geplanten Vorhaben hätten voraussichtlich das Ende des westafrikanischen CFA-Franc bedeutet, mit dem Frankreich seine dreizehn ehemaligen afrikanischen Kolonien eng an sich bindet. Der von der französischen Zentralbank kontrollierte CFA-Franc (Franc de la Communauté Financière d’Afrique) war das Ergebnis der Verhandlungen von Bretton Woods, bei denen 1944 das Weltwährungssystem neu geordnet wurde. „Dieses System sichert Frankreich einen ungehinderten Zugang zu den afrikanischen Märkten und die Versorgung mit billigen und strategisch wichtigen Rohstoffen (Öl, Uran, Diamanten, Gold). Der freie Kapitalverkehr sorgt für die ungehinderte Repatriierung von Profiten und Korruptionsgeldern.“[1] Und weiter: „Das Regime des CFA ist die Grundlage für das Fortbestehen jenes ‚Francafrique‘ genannten Systems der Ausplünderung Afrikas und der kriminellen Praktiken französischer Konzerne, die, flankiert von der Politik, von Korruption bis zu Waffenschmuggel und Mord reichen. Abgesichert wird die Dominanz Frankreichs durch Militärbasen in zahlreichen seiner ehemaligen Kolonien.“ Die Abkommen, die diesbezüglich mit den aus den Kolonien hervorgegangenen Staaten getroffen wurden, sind größtenteils immer noch geheim.
Nur zwei Monate, nachdem die afrikanischen Länder eine Beteiligung Frankreichs am AFM abgelehnt hatten, begannen die Aufstände gegen Gaddafi in Libyen. Am Ende des Krieges stand das Einfrieren von 30 Milliarden Dollar auf westlichen Konten, die dem libyschen Staat gehört hatten und zur Finanzierung eben dieser drei Projekte gedacht waren.
Rückblickend frage man sich, was geworden wäre, hätte Gaddafi seine Politik verwirklichen können. Hätte dann nicht der heute so viel beschworene wirtschaftliche Aufschwung und damit einhergehend die verbesserten Lebensgrundgrundlagen der afrikanischen Bevölkerung dafür gesorgt, dass nicht mehr unzählige Migranten den Weg nach Europa suchen? Hat nicht der Sturz Gaddafis genau die Lösung, die heute händeringend gesucht wird, verhindert, nämlich eine allgemeine Anhebung der Lebensverhältnisse in weiten Teilen Afrikas?
Von Anfang an setzten die USA, Frankreich und Großbritannien auf Krieg und den Sturz Gaddafis. Um erst gar nicht die Möglichkeit für Verhandlungen aufkommen zu lassen, wurden unverzüglich die Botschafter aus Tripolis abgezogen. Vermittlungsangebote, unter anderem von der Türkei und der Afrikanischen Union, wurden abgelehnt. Joschka Fischer erklärte, die südliche Gegenseite des Mittelmeers gehöre zur unmittelbaren Sicherheitszone der EU.[2]
Am 1. Mai 2011 sagte Moussa Ibrahim in der BBC: „Wir haben immer wieder unsere Verhandlungsbereitschaft erklärt. Wir sind bereit für einen Friedensplan, für eine politische Übergangszeit, bereit für Wahlen, bereit für ein Referendum“.
Doch daran hatten Frankreich, Großbritannien und die USA natürlich kein Interesse. Es galt, die postkolonialen Einflusszonen zu schützen und Libyen zu zerschlagen.

Der arabische Frühling: Moslembrüder an die Macht

Die Vorarbeit dazu war bereits in Tunesien und Ägypten geleistet worden. Dort war die Moslembruderschaft als der neue Verbündete der amerikanischen Außenministerin Clinton mit massiver Unterstützung der USA an die Macht gekommen und die alten Regierungen, die sich geweigert hatten als Aufmarschgebiet gegen Libyen zu dienen, gestürzt. Die Moslembrüder erfreuten sich auch der uneingeschränkten Unterstützung der Türkei und Katars. In Libyen wurden die aufständischen Islamisten finanziert, ausgebildet und mit Waffen versorgt, so dass die Proteste sofort in Gewaltexzesse umschlugen.
Allerdings bestanden nicht nur zwischen den westlichen Regierungen, sondern auch innerhalb von Regierungen Meinungsverschiedenheiten über das Vorgehen in Libyen. So war Verteidigungsminister Robert Gates strikt gegen die militärische Intervention, die Hillary Clinton gegen seinen Willen bei Barak Obama durchsetzte. Auch die NATO-Länder waren gespalten: Nur 14 der insgesamt 28 NATO-Staaten beteiligten sich am Krieg gegen Libyen und die Befehlsgewalt konnte erst am 31. März, also zwei Wochen nach Beginn der Bombardierungen, an die NATO übergeben werden. Deutschland mit Außenminister Guido Westerwelle enthielt sich im UN-Sicherheitsrat sogar der Stimme als es um die Einrichtung der Flugverbotszone ging.
Hillary Clinton fand ihren Plan sicher genial: Mit Hilfe von arabischen Staaten die Regierungen anderer arabischer, nämlich der arabisch-sozialistischen Staaten zu stürzen und Vertreter des politischen Islams, sprich Moslembrüder und al-Kaida, an die Macht zu bringen. Deren Interessen deckten sich, zumindest vordergründig, mit denen des Westens: alle sozialistischen Ideen ausmerzen, neoliberale Wirtschaftsvorstellungen durchsetzen und die Bevölkerung in Dummheit und Armut halten. Vorwärts in den Frühkapitalismus.
Nachdem in Tunesien und Ägypten die Moslembrüder an die Macht gebracht waren und Libyen zerstört, konnten die Waffen aus den libyschen Militärbeständen den islamistischen Kräften in Syrien weitergereicht werden, um den nächsten Brocken zu schlucken: Die Regierung des ebenfalls säkular-arabisch-sozialistischen Syriens, die noch dazu ein Verbündeter Russlands war, musste weg. An dschihadistischen Kämpfern fehlte es dank guter Bezahlung nicht. Die arabische Welt ist voll von armen Schluckern, die bereit sind, für wenig Geld in den heiligen Krieg zu ziehen.
Soweit der Plan. Die Realität entwickelte sich allerdings etwas anders. Libyen war zwar zerstört, doch bisher gelang es weder, eine Marionettenregierung zu installieren, noch Libyen in drei Teile zu spalten. In Syrien hält sich die Regierung Assad bis heute und ist dabei den Krieg zu gewinnen.
Die Zerschlagung des Staates Libyens hatte die Destabilisierung der gesamten Sahelzone zur Folge. Die Sahara ist Kriegsgebiet und Deutschland wird nun auch in Mali verteidigt.
Libyen dient auch nicht mehr als Pufferzone für Migranten auf ihrem Weg über das Mittelmeer nach Europa. Libyen ist nicht mehr das gelobte Land, das Schwarzafrikanern Arbeit verspricht, sondern es wurde über Nacht zu einem für Leib und Leben höchst gefährlichem Land, das ein Migrant schnellst möglich durchqueren sollte. Hunderttausende Schwarzafrikaner nehmen nun die Chance wahr, über die libysche Küste nach Italien zu gelangen.

Alles läuft aus dem Ruder

Bereits mit der Ermordung von US-Botschafter Stevens in Bengasi im Jahr 2012 war abzusehen, dass sich Clintons Pläne nicht nur in Libyen zu einem Desaster entwickeln werden, sondern ihr später sogar die Präsidentschaft kosteten.
Auch die Unterstützung aus den Nachbarländern brach weg. Der Moslembruder Mursi, im Juni 2012 zum ägyptischen Präsidenten gewählt, wurde schon im Juli 2013 nach tagelangen Massenprotesten durch einen Militärputsch abgesetzt. Besonders übel war ihm angerechnet worden, dass er den Suez-Kanal an Katar verscherbeln wollte. Der säkular ausgerichtete Militär al-Sisi und Feind aller Moslembrüder trat im Juni 2014 sein Amt als ägyptischer Präsident an.
Auch in Tunesien wendete sich das Blatt. Gegen die mit massiver US-Unterstützung nach dem Sturz Ben Alis an die Macht gekommene islamistische Ennahda-Bewegung kam es im Juli 2013 nach der Ermordung oppositioneller Politiker zu Massendemonstrationen und die Islamisten mussten 2014 einer sogenannten ‚Technokraten-Regierung‘ Platz machen.
In Libyen verloren die islamistischen Kräfte 2014 krachend die Wahlen. Als sie sich weigerten, die Macht an das neu gewählte Parlament und deren Regierung abzutreten, kam es zum Bürgerkrieg, in dessen Verlauf das gewählte Parlament und die Regierung aus Tripolis in den Osten des Landes flüchten mussten. Islamistische Milizen wie Libya Dawn und die Libyan Islamic Fighting Group LIFG errichteten unter Führung des al-Kaida-Mannes Abdelhakim Belhadsch in der Hauptstadt eine Schreckensherrschaft. Allein schon die weitere Unterstützung dieser islamistischen Tripolis-Regierung durch den Westen, insbesondere durch den UN-Sonderbevollmächtigen Martin Kobler, führt die Behauptungen des Westens, in Libyen Demokratie und Menschrechte verankern zu wollen, ad absurdum. Auf die sogenannte ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch sei an dieser Stelle nicht weiter eingegangen, da es sich dabei von vornherein um eine Totgeburt handelte.
Die al-Sisi-Regierung Ägyptens, die nichts mehr fürchtete als einen islamistischen Staat an ihrer östlichen Grenze, unterstützte nun massiv – ebenso wie die VAE, die in Gegnerschaft zu Katar standen – das nun in Tobruk tagende Parlament und die Übergangsregierung im Osten des Landes. Das Parlament ernannte General Heftar, der mit seinen Milizen im Osten, insbesondere in Bengasi, die Dschihadisten und al-Kaida bekämpfte, zur offiziellen Libyschen Nationalarmee. Dabei bekam er mit Duldung der USA Unterstützung von Frankreich, das – anders als Italien – nicht die Islamisten in Tripolis und deren Hochburg Misrata, sondern Heftar unterstützte. Heftar, ein Mann der CIA, der 2011 aus den USA herbeieilte, um Gaddafi stürzen zu helfen, begann nun, auch die Kontakte nach Russland zu intensivieren. Daneben werden Heftar Kontakte nach Israel nachgesagt, von wo er auch mit militärischer Unterstützung rechnen konnte.[3] Aufgrund der militärischen Hilfe von all diesen Mächten konnte Heftar die Islamisten zurückdrängen und größere militärische Erfolge erringen.
Einen Beitrag dazu leisteten auch die libyschen Stämme, die im Süden das Sagen haben und ohne deren Unterstützung sich keine Regierung wird behaupten können. Muamar al-Gaddafis Sohn Saif al-Islam Gaddafi ist dabei der große, rosarote Elefant, der in jedem Bild steht, von dem aber jeder so tut, als ob er ihn nicht sähe und es ihn nicht gebe.

Russland greift militärisch in Syrien ein

Das nächste Fiasko für die US-Strategie und den Westen kündigte sich im September 2015 an, als Russland mit Kampfeinsätzen auf Seiten der syrischen Regierung in den von außen gesteuerten Bürgerkrieg eingriff. Es zeigte sich, dass die von den USA gesponserten sogenannten gemäßigten Islamisten keine gemäßigten Islamisten waren, sondern nach Erhalt von Waffen und Geldern zu al-Kaida überliefen. Es waren ganz echte Islamisten, die Andersgläubige verachteten und bekämpften. Der Westen hatte sich Nattern am eigenen Busen gezüchtet. Die alten Verbündeten entwickelten sich immer mehr zu den neuen Feinden, so wie man das ja schon aus Afghanistan kennt. Syrien ist aber nicht Afghanistan und die Russen hatten auch nicht mehr so viel mit der alten geschlagenen Sowjetmacht gemein, sondern führten ihre neuen militärischen Muskeln vor. Und so ist der syrische Präsident Assad mit Unterstützung Russlands, des Irans und auch Chinas auf dem besten Weg, den Krieg gegen die Islamisten zu gewinnen. Nebenbei: Diese erfreuen sich in der Bevölkerung keinerlei Beliebtheit, weder in Syrien noch in Libyen, was sicher auch zu ihrem Untergang beiträgt.

Die Rolle der Türkei

Auch die Türkei, einer der wichtigsten Unterstützer der islamistischen Milizen in Libyen und Syrien, hat inzwischen gemerkt, dass sich der Wind gedreht hat. Vor allem aus wirtschaftlichen Gründen musste die Türkei die Annäherung an Russland suchen, was dem Westen und Europa überhaupt nicht gefällt. Erdogan verspricht sich auch in der Kurdenfrage mehr Entgegenkommen von Russland und Syrien als von Europa und den USA. Wenn Erdogan aus Menschenrechtsgründen und sonstigen vorgeschobenen edlen Motiven von Europa kritisiert wird, kann man das getrost unter ‚Heuchelei‘ abhaken. Wenn die türkischen Menschenrechtsverletzungen im Sinne des Westens begangen werden, schweigt man sie schön tot, wenn Erdogan allerdings versucht, sich mit Russland und Syrien zu verständigen, ist es ein ganz schlimmer Finger, aber natürlich nicht deswegen, sondern weil er  Regierungskritiker wegsperrt. Friedensbemühungen stehen nur dem guten Westen zu und Menschenrechtsverletzungen begehen immer nur die bösen anderen, und zwar gerade dann, wenn es ins politische Kalkül passt.

Trump wird US-Präsident

Das gesamte Projekt „Neuer Naher Osten“ schien also bereits aus der Spur zu laufen als mit der Wahl Trumps zum neuen US-Präsidenten im November 2016 der totale GAU eintrat. Trump vertrat jene Sicht der Militärs und Geheimdienste, die sich von vornherein gegen den Sturz Gaddafis und den Plan, al-Kaida als Proxi-Kämpfer in arabischen Ländern anzuheuern, ausgesprochen hatten.
Diese Ablehnung geschah bestimmt nicht aus edlen Motiven, sondern in der nicht unbegründeten Angst, dass diese Kriege die USA in den finanziellen Ruin treiben und auf lange Sicht den Einfluss und das Prestige Russlands in der Welt nachhaltig fördern könnten. 

Makron lässt Frankreichs koloniale Afrika-Ambitionen wieder aufleben

Da Frankreich schon seit längerem General Heftar und seine LNA beim Kampf gegen die Islamisten unterstützt, fuhr Trump kurz nach dem G20-Gipfel in Hamburg, wo er sich mit Putin getroffen hatte, zu Gesprächen mit dem neugewählten, smarten französischen Präsidenten Macron nach Paris. Dieser lud daraufhin nicht nur den Einheits-Sarradsch aus Tripolis, sondern auch den LNA-General Heftar nach Paris zu sogenannten Friedensgesprächen ein. Nach dem Treffen gab es zwar ein Bla-Bla-Zehn-Punkte-Papier, das aber niemand unterzeichnen mochte.
Allerdings war nun klargestellt, dass in Sachen Libyen innerhalb Europas ab jetzt Frankreich das Sagen hatte. Macron konnte sich als Friedensstifter – allerdings ohne Frieden – präsentieren, und seine Möchtegern-Bedeutung in Afrika zur Schau stellen. Anstatt wie früher mit Katar arbeitet Frankreich nun eng mit Ägyptens al-Sisi zusammen, dem es 2015 noch unter Hollande 24 Rafale-Kampfflugzeuge, zwei Mistral-Hubschrauberträger, eine Fregatte und Raketen, alles im Wert von 5,2 Milliarden Dollar, lieferte. Damit darf Ägypten auch mal Islamisten in Libyen bombardieren.[4] Frankreichs Wunschvorstellung dürfte es sein, General Heftar als Chef einer neuen Militärregierung à là Ägyptens al-Sisi zu installieren. Da sei Saif al-Islam Gaddafi vor!
Es ist ziemlich eindeutig, dass Frankreich an seine koloniale Vergangenheit anknüpfen will und eine Afrika-Politik fährt, die seinen Macht- und Wirtschaftsinteressen dient. Allerdings kam diese Politik Frankreich im letzten Jahrhundert am Ende der Kolonialzeit schon einmal ziemlich teuer zu stehen.

Saudi-Arabien, Katar und die Türkei

Saudi Arabien wurde von Trump dank Waffengeschäften und Verbalattacken gegen den Iran auf Linie gebracht, Katar, das weiterhin auf die Moslembrüder setzte, von den arabischen Bruder-Ländern isoliert. Die Moslembrüder waren Saudi-Arabien schon immer ein Dorn im Auge und von den Dschihadisten in Tripolis und Misrata auf Heftar im Osten umzuschwenken, war deshalb leicht. Nur die Türkei muss Katar wegen seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit im Moment noch die Treue halten, wobei ihm dies aus ideologischer Sicht nicht schwer fallen dürfte.
Die IS-Kämpfer haben sich immer mehr in den Süden Libyens zurückgezogen und machen nun in der Sahara und den Sahelgebieten die Grenzgebiete zu Tschad, Niger und Algerien unsicher.

Der Tschad

In den letzten Jahren unterstützt Frankreich auch den südlich von Libyen gelegenen, bitterarmen Tschad und seinen Präsident Déby immer stärker. Déby war gegen den Sturz Gaddafis und gegen den Libyen-Krieg. Heute stellt der Tschad, der wirtschaftlich komplett von Frankreich abhängig ist, Kämpfer zur Unterstützung von Heftars LNA. Dafür operieren mit Unterstützung libyscher Islamisten, vor allem Misrata-Milizen und al-Kaida-Kämpfern aus Bengasi, oppositionelle tschadische Gruppen von Libyen aus gegen Déby. Da diese Gruppen von Katar unterstützt werden, hat der Tschad am 23. August die Schließung der Botschaft von Katar in seiner Hauptstadt Dschamena angeordnet.

Die Rolle Israels

Die Träume Israels scheinen ein geteiltes Libyen zu sein, zwar mit einer Armee unter Heftar, aber zwei Regierungen, eine im Osten und eine im Westen: die beiden Landeshälften durch eine Grenze getrennt, kontrolliert durch die Nachbarländer und mit der Stationierung einer multinationalen Truppe unter UN-Mandat.[5] Israels Träume und libysche Albträume!

Und Russland

Russland wird wohl von allen Mitspielern eine kleine Rolle im zukünftigen Libyen eingeräumt, weitere Waffengeschäfte mit Libyen – im Moment scheinen die Deals über Algerien zu laufen, das neunzig Prozent seiner Waffen von Russland bezieht – und vielleicht ein Marinestützpunkt in der Kyrenaika? Russland ist sich durchaus bewusst, dass Heftar ein schillernder CIA-Mann ist und trauert bestimmt den guten alten Gaddafi-Zeiten nach. Der Kontakt zu den libyschen Stämmen scheint nach wie vor zu stehen.

Italien – der große Verlierer

Ein großer Verlierer bei dem ganzen Spiel ist Italien. Nach der grauseligen Kolonialgeschichte, die Italien mit Libyen verbindet, entstanden eigentlich recht gute und für beide Länder fruchtbare Beziehungen, die nun restlos dahin sind. Seit Italien den Franzosen, Briten und der USA seine Militärbasen für Flüge zur Bombardierung Libyens trotz des zwischen beiden Ländern geschlossenen Freundschaftsvertrags zur Verfügung stellte, offen die islamistischen Kräfte in Tripolis und Misrata unterstützte und seine Kriegsmarine wieder in Tripolis einläuft, dürfte sich Italien alle libyschen Sympathien verscherzt haben. Dafür hat jetzt bei Verhandlungen Frankreich das Sagen und Italien stattdessen ein riesiges Flüchtlingsproblem, das vermutlich bei den nächsten Wahlen das Land zerreißen wird.
Alle Versuche Italiens und der EU, die Flüchtlingswelle aus Schwarzafrika einzudämmen, werden nicht wirklich erfolgreich sein, auch nicht durch den Einsatz der italienischen Marine, dem Aufbau einer dubios-mafiös-kriminellen libyschen Küstenwache oder den lachhaften Versuch, Grenzzäune durch die libysche Sahara zu ziehen. Italien hat beim Libyen-Abenteuer einfach die Arschkarte gezogen.
Der Nahe Osten sollte wieder einmal in guter alter Kolonialmanier von den Globalplayern aufgeteilt werden. Doch könnte das Projekt „Neuer Naher Osten“ noch ganz anders enden als in der von den Strippenziehern gedachten Weise.
Die große Frage bleibt: Wie sind nachhaltig die rücksichtslosen Machtspiele zu stoppen, die so viel Leid und Schmerz über die davon betroffenen Völker bringen?

Angelika Gutsche
27.08.2017






[1] https://www.jungewelt.de/artikel/316520.westliche-politik-der-zerst%C3%B6rung.html
[2] SZ vom 22.3.2011
[3] https://www.alaraby.co.uk/english/news/2017/7/24/libyas-haftar-provided-with-israeli-weaponry-following-uae-mediated-meetings
[4] https://deutsch.rt.com/afrika/56259-frankreich-afrika-macron-libyen-kolonialismus-vormacht-mali-krieg/
[5] http://www.israeldefense.co.il/en/node/28458

Dienstag, 22. August 2017



Libyen – Innenansichten aus dem Widerstand

Miriam al-Fatah. Eine Libyerin, die den täglichen Horror in ihrer Heimatstadt Tripolis erlebt und für den Widerstand arbeitet, beurteilt die aktuelle Situation.

Miriam al-Fatah ist Libyerin, 58 Jahre alt und lebt in Tripolis. Ihr Vater war libyscher Geschäftsmann, ihre Mutter kam aus Europa. Al-Fatah machte ihren Abschluss an der London Economic School. Sie arbeitete in Europa und in Libyen. Die Computerfachfrau beherrscht fünf Sprachen. Als 2011 der Westen und seine Verbündeten Libyen angegriffen, bot sie ihre Dienste dem libyschen Geheimdienst an und ging in den Untergrund. Heute ist sie für den Grünen Widerstand aktiv.
Auch wenn man nicht jede Meinung von Miriam al-Fatah teilen mag, sollte man anhören, was sie zu sagen hat und wie ihre Sicht auf Libyen, Gaddafi, Krieg und Religion ist. Es hilft uns allen zu verstehen, was gerade in Libyen passiert und mit welcher Bitternis und welchem Zorn die libysche Bevölkerung der Zerstörung ihres Landes zusehen muss.
Vor wenigen Wochen schrieb al-Fatah auf ihrem Blog: „Die vielen vergossenen Tränen haben auf meinem Gesicht Narben hinterlassen. Plötzlich fühle ich mich alt und müde. Ich spreche mit Leuten in ganz Europa und in den USA und ich sehe, dass sie keine Ahnung haben, warum es in Libyen einen Krieg gab und einige wissen nicht einmal, dass der Krieg immer noch fortdauert. Ich glaubte, ich könne nicht mehr von der Unwissenheit der Leute überrascht werden, aber ihre Haltung wie „Shit happens“ oder „Warum beschwerst du dich? Reicht es nicht, dass wir dich von einem Diktator befreit haben?“ machen mich fassungslos. Ich muss den Leuten erklären, wie Libyen vor dem Krieg war und wie es jetzt ist: Die Hauptstadt befindet sich immer noch in der Hand von Milizen, ständig werden Menschen entführt, Morde sind an der Tagesordnung, Frauen werden belästigt, es gibt kein Gesetz. Unsere Kinder wurden entführt und in fremde Länder verkauft. Unsere Frauen wurden entführt, vergewaltigt und verkauft. Das passierte alles im ‚befreiten‘ Libyen. Wir haben jetzt westliche Demokratie, vorher hatten wir unsere Demokratie, das war eine Demokratie des Volkes!
Wenn Ihr Euch schreckliche Videos aus Libyen anseht, dann sitzt Ihr bequem im Wohnzimmersessel und könnt die Stopp-Taste drücken, wenn es zu viel wird. Ich bin seit sechs Jahren gezwungen, dies alles immerfort zu ertragen. Und ich sehe noch immer kein Licht am Ende des Tunnels! Und das Gleiche passiert auch in Syrien, im Irak und im Jemen…
Warum unternimmt niemand etwas? Nicht wegen mir, sondern aus Menschlichkeit![1]
Im Folgenden finden sich Auszüge aus verschiedenen schriftlichen und mündlichen Interviews und Gesprächen mit Miriam al-Fatah, die zu Themenblöcken zusammengefasst sind. Miriam al-Fatah hat den Text in seiner deutschen Übersetzung autorisiert.
Libyen vor 2011: Als ab 1997 das Embargo gegen Libyen langsam beendet wurde, nahm das Land einen großen Aufschwung. Es konnten sich unabhängige Geschäftsleute etablieren, der Tourismus kam ins Land.
Vor dem Krieg 2011 konnten nur etwa drei Prozent der Libyer als arm bezeichnet werden. Aber auch sie hatten eine Wohnung. Alle anderen hatten keine finanziellen Probleme. Jeder Libyer konnte frei aus- oder einreisen.
Die Sicherheitslage war ausgezeichnet. Als Frau konntest du nachts allein unterwegs sein, bis zum Morgen, niemand hielt einen auf. Man fühlte sich beschützt.
Ab 2008 verfolgte Gaddafi den Plan, Libyen in ein zweites Dubai zu verwandeln, in das Millionen Touristen strömen sollten. Es sollte Bars geben, in denen auch Alkohol erlaubt war. Zwischen 2008 und 2011 war ganz Libyen eine Baustelle. Es gab unglaublich viele Bauprojekte: Eisenbahnverbindungen, U-Bahnen, Konzertsäle, Hotels, Wohnungen. 2012 sollte in Tripolis der größte internationale Flughafen Afrikas eröffnet werden.
Muammar al-Gaddafi:      Als ich etwa zwanzig Jahre alt war, habe ich Gaddafi persönlich kennengelernt, am Strand bei Tripolis. Damals habe ich mich für Politik nicht so interessiert. Aber ich war der Meinung, dass Russland und die USA mit den kleinen Ländern Schach spielen.
Gaddafi war ein Mann des Militärs und autoritär. Das liegt mir nicht. Meine persönlichen politischen Ansichten sind demokratisch geprägt. Unbestreitbar ist jedoch, dass Gaddafi große Verdienste um Libyen errang und dass er ein politisches Genie war. Natürlich machte er während seiner langen Regierungszeit auch Fehler. Doch die Menschen liebten ihn. Von den 6,5 Millionen Libyern (die Bevölkerungszahl vor dem Krieg) waren 6,3 Millionen für Gaddafi. Sogar die Washington Post musste widerstrebend eingestehen: „Viele Libyer scheinen Gaddafi zu unterstützen.“ Und: „Aber nach sechs Tagen alliierter Bombenangriffe auf libysche Militärziele ist klar, dass Gaddafi in den weiträumigen Gebieten, die jenseits der von Rebellen beherrschten Enklaven im Osten des Landes liegen, auf die kämpferische Loyalität eines bedeutenden Teils der Bevölkerung zählen kann.“ Weiter: „Sogar Gaddafis Gegner, die sich ihren Unmut nur außerhalb der Hörweite von Regimebefürwortern äußern trauten, räumen ein, dass der Mann, der Libyen für mehr als 42 Jahre regierte, nun wirklich jede Unterstützung bekommen muss.“[2]
Ab 1987 zeigte sich Gaddafi öffentlich nur noch bei Paraden oder ähnlichem. Das Land regierte die Dschamahirija-Regierung, an der er nicht beteiligt war. Doch vor allem bei umstrittenen Entscheidungen wurde er gefragt; er hörte alle Seiten und hatte dann das letzte Wort. Er war das Sinnbild für Libyen.
Im Juli 2011 gab es auf dem Grünen Platz in Tripolis eine Kundgebung. Drei Millionen Menschen – auch ich – waren dort, um Gaddafi zu unterstützen. Es gibt dazu ein Video[3].
Gaddafi verhalf den Libyern auf der ganzen Welt zu Respekt.
Wenn der Westen den Libyern erlaubt hätte, frei zu wählen, hätte Gaddafi einen Erdrutschsieg eingefahren. Wenn wir Gaddafi nicht gewollt hätten, hätten wir ihn schon lange von der Macht entfernt. Wir hätten nicht darauf gewartet, dass die Amerikaner das für uns machen. Wir folgen unseren Stammesführern.
Gaddafi hatte die Eier, sich gegen die USA und Großbritannien zu stellen. Er wurde von ihnen dämonisiert, die Medien stellten ihn als Clown dar. Das war er überhaupt nicht. Er wurde wegen des Lockerbie-Flugzeugattentats 1988 angeklagt, obwohl er damit nichts zu tun hatte. Die USA und Großbritannien hatten Gründe, die Maschine abstürzen zu lassen.[4] Auch für den Tod der Polizistin, die 1984 in London erschossen wurde, war nicht Gaddafi verantwortlich.[5] Zu dem Bombenanschlag in der Berliner Diskothek La Belle 1986 – ich war zu dieser Zeit in Berlin – gibt es eine Dokumentation aus Ostberlin, die besagt, es seien Mudschaheddin in Verbindung mit der CIA und den Libanesen gewesen.[6]
Gaddafi wurde von Hillary Clinton gehasst, weil er im Vorwahlkampf Barak Obama gesponsert hatte und nicht sie. Er musste weg, weil er zu erfolgreich Libyen und ganz Afrika voranbrachte und damit eine Bedrohung für die Vormachtstellung der USA und Frankreich in Afrika war.
Gaddafi war mutig und ehrlich, ich bin froh, dass ich ihn gekannt habe.
Sozialstaat:   Gaddafi tat viel für das Volk. Die Leute bekamen eine gediegene Ausbildung, die kostenlos war, ebenso wie das Gesundheitswesen. Jeder hatte ein Zuhause. Bekam ein Paar ein Baby, wurde der angehenden Familie ein zinsloses Darlehen in Höhe von 50.000 Dollar für eine neue Wohnung gewährt. Wollte jemand im Ausland studieren, finanzierte ihm das der Staat, inklusive Taschengeld. Ein Auto kostete nur halb so viel wie in Europa. Wir waren gut versorgt. Sogar CNN sagte letztes Jahr: „Noch vor fünf Jahren war Libyen eines der wohlhabendsten und stabilsten Nationen in Afrika. Das Land wurde seit über vierzig Jahren von Oberst Gaddafi geführt, seit er in einem Staatsstreich 1969 die Macht erlangt hatte. Und die sechs Millionen Bürger genossen den Wohlstand durch die reichen Ölvorkommen.“[7]
Liebt nicht auch der normale Russe deshalb Wladimir Putin? Ich glaube nicht, dass sich die Russen den Tod von Putin wünschen.
Frauenrechte:          Ab 1970 erhielten die libyschen Frauen ihre Freiheit. Anders als in anderen arabischen Ländern konnten sie Autofahren, ohne Begleitung reisen, Land erwerben usw. Es gab ein Gesetz gegen die Zwangsehe. Eine Frau konnte eine Zwangsehe bei der Polizei anzeigen. Wurde festgestellt, dass ihre Aussage richtig war, wurde die Ehe für ungültig erklärt. Frauen konnten auch in der Politik Karriere machen. In der libyschen Regierung waren mehr Frauen als Männer.
Der Krieg:      2008 hatte Gaddafi die weitere Aufrüstung von Libyen gestoppt. Erst 2011 plante er, wieder Jets zu kaufen. Das war aber noch nicht einmal spruchreif. Wir hatten nur altes Militärgerät und die NATO ließ acht Monate lang abgereicherte Uranbomben auf uns regnen. Ohne die Nato-Bombardements hätten die ‚Rebellen‘ keinen Millimeter in Libyen erobern können. Trotz der Schwäche des libyschen Militärs hielt Libyen acht Monate gegen die geballte Nato-Kraft durch.
Seit dem Fall der Dschamahirija hat Libyen jede politische, finanzielle und sogar soziale Stabilität verloren. Libyen wurde von einem der reichsten und blühendsten Länder der Welt zu einem failed state gebombt. Über 100.000 Zivilisten einschließlich Frauen und Kinder verloren ihr Leben. Insgesamt sind 500.000 Menschen getötet worden, Opfer auf beiden Seiten gerechnet, auch wenn der Westen sagt, es seien nur 100.000 gewesen. In den letzten sechs Jahren haben wir, alles zusammengerechnet, etwa eine Millionen Menschen durch Gewalttaten verloren, getötet durch al-Kaida, IS und andere feine Gruppen, die von Obama und Großbritannien unterstützt, finanziert und ausgebildet wurden.
An die zwei Millionen Libyer haben das Land verlassen. Sie sind nach Tunesien, Ägypten, Algerien und in die Emirate. Die Bevölkerung wurde so auf die Hälfte dezimiert.
Wir hatten den Great-Man-Made-River, ein künstlicher Fluss, gespeist aus fossilen Grundwasserreservoirs unter dem Saharasand, der ganz Libyen mit Wasser versorgte. Wir hatten in jedem Haushalt fließend Wasser. Die NATO hat bei den Bombardierungen die Röhrenfabrik zerstört. Heute ist Trinkwasser knapp.

Der libysche Geheimdienst konnte 2011 viele Leben retten, weil er Informationen hatte, welche Gebäude bombardiert werden sollten. Wir konnten auch einige Schiffe ausfindig machen, die NATO-Materialien an Bord hatten. Man muss sich das mal vorstellen: Die NATO hatte niemanden im Land, der für sie arbeitete. Deshalb fragten sie über Twitter, wo sie bombardieren sollen. Die CIA erhielt über Twitter Daten von Libyern, die in den USA lebten. Diese hatten ihrerseits Kontakt zu Verwandten in Libyen. Es gab nur drei Libyer, die aus Libyen twitterten. Dann gab es noch al-Kaida-Leute, die Informationen gaben. Und unter den Reportern der Medien wie CNN waren CIA-Mitarbeiter, die auch Nachrichten weitergaben. Sie standen unter Beobachtung, wurden aber nicht des Landes verwiesen. Man muss sich das vorstellen: Diese riesige Kriegsmaschinerie mit dem vielen Geld kam blind ins Land. Deshalb gab es so viele zivile Opfer. Und die Franzosen bombardierten versehentlich eine private Söldnermannschaft, die auf ihrer Seite kämpfte.
Es hieß 2011, in Libyen sei eine Revolution ausgebrochen. Das ist totaler Schwachsinn.
Es gibt ein auf Hebräisch geschriebenes Dokument, das von Israel und Abd al-Dschalil[8] unterzeichnet ist und in dem Israel Dschalil seine Unterstützung versichert. Es war eine Militärbasis an der libysch-algerischen Grenze geplant.
Übrigens gab Dschalil dem nationalen saudi-arabischen Fernsehsender 2014 ein Interview, in dem er zugab, dass es in Libyen 2011 keine echte Revolution gegeben habe. Gaddafi habe keine Massaker begangen. Dies sei alles gefälscht gewesen.
Die Toten, die sie damals zeigten, seien als Libyer verkleidete Auslandsagenten gewesen.
Der ursprüngliche Plan der Invasionsmächte war, Libyen in drei Teile aufzuspalten. Tripolitanien sollte den Engländern zugeschlagen werden, die Kyrenaika den USA und der Fessan, an der Grenze zu Algerien gelegen, den Franzosen. Die Stämme und andere Aktivisten versuchen dies unbedingt zu verhindern.

Was mich wirklich interessieren würde: Wie haben sich die amerikanischen, englischen, kanadischen Piloten der NATO gefühlt, als sie, nachdem sie uns mit abgereichertem Uran bombardiert hatten, nach Hause zu ihren Familien gingen? 
Kriegsgründe:          Wir wussten, dass es zu Gaddafis Zeiten etwa 200.000 Personen gab, die im Exil lebten und gegen Gaddafi waren. Die meisten von ihnen waren religiöse Fanatiker und Mistkerle, die dem libyschen Volk das Geld stahlen.
Gaddafi wurde vernichtet, weil er gegen AFRICOM[9] war. Auch wollte Libyen eine goldgedeckte afrikanische Währung einführen, die den französischen Dinar, den CFA, ablösen sollte. Das wollten vor allem Frankreich, aber auch die USA und Großbritannien nicht zulassen. Es waren kurz vor Kriegsbeginn die alten Ölverträge mit den USA, Italien, England und Kanada ausgelaufen. Gaddafi musste weg, bevor die neuen Verträge verhandelt wurden. Denn Gaddafi wollte das Geld zurück, das er den Lockerbie-Angehörigen als Entschädigung bezahlt hatte, obwohl er für den Flugzeugabsturz nicht verantwortlich war.
In Libyen gab es schon oft Invasionen. Es kamen Griechen, Römer, Türken, Spanier und viele andere. Alle wurden sie wieder aus dem Land gejagt.
Bengasi:        Nach 2011 wurden das östliche Libyen und Bengasi zur Hölle: Entführungen, Vergewaltigungen und Schießereien waren an der Tagesordnung – wie eine Art von Videospiel. Al-Kaida übernahm Bengasi.
Tripolis:          In Tripolis waren bis 2014 die Lebensverhältnisse tolerabel. Aber im Moment sind die Probleme in Tripolis schlimmer als im Osten. Selbst wenn man arbeitet, kann man kein Geld auf der Bank abheben, weil es kein Bargeld gibt. Die Leute verkaufen deshalb alles, was sie haben, damit die Familie überleben kann. Allerdings kann man keine Häuser verkaufen, denn wenn bekannt wird, dass man Bargeld hat, wird man entführt und die Familie erpresst. Es kommt zu langen Stromausfällen, manchmal gibt es auch kein Wasser mehr.
Sirte:               Die Stadt wurde vom IS eingenommen. Wir alle wissen, dass der IS von den USA, von Katar und der Türkei und sogar von Israel finanziert wurde.
Bani Walid:   Die Invasoren setzten 2011 in Bani Walid Sarin-Gas ein. Darüber hat keine westliche Presse berichtet.
Libyen heute:           Libyen ist ein komplett anderes Land als 2011. Es ist zerstört, chaotisch, gefährlich. Die Arbeitslosigkeit ist auf einem Höchststand. Wir haben Obdachlose. Wir haben Menschen, die um Essen und ein Almosen betteln. Es gibt kaum mehr medizinische Versorgung und sie ist nicht mehr kostenlos. In Tripolis kommt es täglich zu sechs bis zehnstündigen Stromausfällen bei Temperaturen um die 40° C.
Es ist sehr schlimm. Du kannst auch niemanden mehr trauen, nicht deinem Nachbarn, niemanden mehr. Du erschrickst vor deinem eigenen Schatten. Mein Vater hat große Angst um die Sicherheit der Familie. Ich gehe in Libyen kaum noch aus und wenn, dann nur mit Sicherheitsbegleitung und bewaffnet.
In Tripolis sieht man keine Soldaten, nur Milizen. Wir haben dort die Moslembruderschaft. Viele Männer tragen Bärte, auch Freunde von mir. Sie tragen Bärte, um von den Milizen nicht belästigt zu werden. Ich bitte sie dann, die Bärte abzurasieren. Ich kann keine Bärte mehr sehen.
Wir haben jetzt drei Regierungen: Die 2014 demokratisch gewählte Regierung in Tobruk. Sie musste 2014 aus Tripolis fliehen, weil ihre Mitglieder von den Milizen erpresst und getötet wurden. Dann gibt es in Tripolis noch den GNC[10], eine Art Moslembruderschaft, die niemals gewählt und auch nie von der Bevölkerung akzeptiert wurde. Obama ließ dem GNC die Nachricht zukommen, dass er ihn anerkennen werde, wenn sie alle Ölfelder kontrollieren. Und wir haben die UN-unterstützte Regierung mit Sarradsch, die auch nicht gewählt ist. Die UN-gestützte Regierung und der GNC werden von Milizen beherrscht.
Das Desaster hier ist unsäglich. Seit im Irak und in Syrien der IS auf dem Rückzug ist, kommen die Kämpfer von dort nach Libyen.
Die Stämme:            Die UN und die westlichen Alliierten weigern sich, mit unseren Stammesführern zu sprechen. Gaddafi hatte erfolgreich fast alle Stämme vereinigt. Das war eine kaum lösbare Aufgabe, weil es fast nicht möglich war, all diese Leute an einen Tisch zu bekommen. Manche kämpften sogar gegeneinander.
Es gibt in Libyen etwa 450 Stämme, davon 200 wichtige. Der größte Stamm ist der Stamm der Warfalla, zu dem auch ich gehöre. Er hat über zwei Millionen Mitglieder.

Wir Araber sind Nomaden. Wir möchten von einem Führer regiert werden, nicht von einer Regierung mit Ministern. Wenn es ein schlechter Führer ist, werden ihm die Stammesführer nicht folgen. Wir sind lose organisierte Gruppen, die ihre Ältesten und Weisen respektieren. Auch wenn der Westen die Stammesgemeinschaften auflösen und zerstören wollte, gelang ihm das nicht. Sie haben über Jahrhunderte hinweg funktioniert.
Nach dem Krieg haben wir drei Jahre gebraucht, um die meisten Stammesführer zusammenzubringen. Sie stimmten zu, dass wir Libyen nicht den Ausländern überlassen oder Marionettenregierungen installieren dürfen.
Die westlichen Regierungen müssen mit unseren Stammesführern reden, nicht mit den Regierungen. Wir hören auf unsere Stammesführer. Den Regierungen schenken wir keine Aufmerksamkeit. Wir brauchen sie nicht. Wir sind nicht der Irak. Auch wenn wir nicht mehr allen Stammestraditionen folgen, so gelten für uns immer noch die Stammesgesetze. Folgt man ihnen nicht, wird man aus dem Stamm ausgeschlossen. Ich erhalte dann keine Hilfe mehr.
Saif al-Islam: Saif al-Islam, der Sohn von Muammar als Gaddafi, befindet sich bereits seit einem Jahr in Freiheit, nicht erst seit Juni 2017, wie das der Westen behauptet. Er bereitet die Gründung einer politischen Partei vor und hat sehr gute Chancen, Wahlen zu gewinnen – falls solche jemals durchgeführt werden sollten. Ich glaube, die USA, Frankreich und Großbritannien haben daran kein Interesse. Sie haben auch Angst, Saif al-Islam könnte auspacken. Er weiß sehr viel über diese Staaten, Dinge, die niemals an die Öffentlichkeit gelangen sollen. Saif Gaddafi hat diese Informationen an die Freunde weitergegeben, denen er am meisten vertraut. Es werden bald sehr viele Dinge ans Licht kommen, über die nun mehrere Menschen Bescheid wissen.
Saif wäre ein guter Führer. Er hätte seine Schwester Aischa an seiner Seite.
Das Öl:           1951 wurde Libyen in die Unabhängigkeit entlassen. Es kam König Idris an die Macht. 1956 gab es die ersten Ölfunde, dann dauerte es einige Zeit, bis das Öl auch gefördert wurde. Libyen hatte eine schwache Armee und eine starke Polizei. Bevor 1969 Gaddafi an die Macht kam, profitierten von dem neuen Ölreichtum ganze 15 Familien, alle anderen waren schrecklich arm.
Heute kontrolliert das Parlament in Tobruk das Öl.
Afrika:            Gaddafi half bei der Einrichtung von Fernmeldesatelliten.[11]
Er wollte auch, dass das libysche Volk für die Kolonialzeit von 1911 bis 1945 von Italien entschädigt wird.[12] Italien hatte in Libyen bereits die erste Rate bezahlt. Er forderte die afrikanischen Länder auf, sich ihm anzuschließen. Wenn jedes afrikanische Land, das Kolonie gewesen war, eine Entschädigung gefordert hätte, wären dies Milliarden gewesen. England war die größte Kolonialmacht, die hatten zum Beispiel Kenia, Uganda und Rhodesien, dann kamen die Niederlande, Portugal, Frankreich mit Nigeria und Algerien… Was hätten die zahlen müssen!
Migranten:    Gaddafi hielt die Migranten und Flüchtlinge von Europa fern. Heute haben wir in Libyen Menschenhändler, das sind die Anführer. Dahinter stehen Söldner. Der Menschenhandel ist ein großes Geschäft. Die europäischen Länder verdienen viele Millionen bei Geschäften mit den Sklavenhändlern. Die sind macht- und geldbesessen. Dafür nehmen sie es in Kauf, dass ihre Länder von Schwarzen oder Chinesen oder was auch immer überrannt werden. Wenn man mit Aliens Geld verdienen könnte, würden sie die auch herunterholen.
Religion:        Wir Libyer gehören zu den Sunniten und sind bis auf wenige Ausnahmen keine fanatischen Moslems. Bis 9/11 gingen wir am Freitag in die Moschee und das war‘s. Nach 9/11 hat sich das etwas verändert. Plötzlich trugen in Libyen viele Frauen den Hidschab, der das Haar bedeckt, aber das Gesicht frei lässt. Die Menschen wurden religiöser. Als ich in Europa lebte, wussten bis 9/11 viele meiner Freunde überhaupt nicht, welcher Religion ich angehöre. Religionszugehörigkeit war kein Thema. Doch dann fing ich an, den Islam zu verteidigen, weil so viel Idiotisches über ihn gesagt wurde, wie das der Koran Hass predige, Moslems Andersgläubige töten und die Frauen versklaven wollen.
So um 1978 – die Sowjetunion war zu dieser Zeit noch ein sehr mächtiger Staat – planten die CIA und andere Geheimdienste zusammen mit Israels Mossad die religiösen Kriege und den dschihadistischen Terror. Das war der Plan, um Zwietracht zwischen den Völkern zu säen.
Juden:           1974/75 verließen die libyschen Juden das Land. Sie gingen nach Italien und Israel. 2006 rief die libysche Regierung alle libyschen Juden dazu auf, zurückzukommen. Sie sollten für ihre Verluste aus den 70er Jahren entschädigt werden. Etliche von ihnen kamen tatsächlich zurück. Wir waren mit jüdischen Familien befreundet. Sie konnten das Land besuchen, wann immer sie wollten.
Antisemitismus: Dieses Wort wird völlig falsch gebraucht. Es wird als Propagandamittel missbraucht. Auch ich bin Semitin, denn ich bin Araberin. Deshalb kann ich nicht antisemitisch sein. Auch in Asien leben Semiten. Antisemitisch kann ein Amerikaner sein, der Juden, Araber und Asiaten hasst. Ich habe nichts gegen die jüdische Religion. Es ist jedoch komisch, wenn ein zum Beispiel in Polen geborener Jude sagt, er sei polnischer Jude. Warum setzt er seine Religion an erster Stelle? Ich würde von mir sagen: Ich bin Libyerin, bin in Libyen geboren. Das sagt nichts über meine Religion aus. Sie halten sich für die Meister.
Redefreiheit:            Die freie Meinungsäußerung wird im Westen überschätzt. Es wird sehr viel darüber gesprochen. Aber wir alle wissen, welche Rolle die CIA, das FBI und die NSA spielen, wenn du nicht auf Linie bleibst. Man denke nur an Edward Snowden und andere Whistleblower. Viele würden Snowden gerne tot sehen.
Wir durften auch in Libyen alles frei sagen. Es gab nur ein Tabu: Die Familie Gaddafi durfte öffentlich nicht kritisiert werden.[13] Zuhause konnten wir sagen, was wir wollten.
Demokratie: Wir hatten eine eigene Art von Demokratie. Es war nicht die Demokratie, die sich die Kriegsherren wünschten. Ironischerweise hatten wir Libyer unter Gaddafi mehr Freiheiten als sie die Amerikaner heute haben. Das einzige, was wir nicht durften, war öffentlich die Gaddafi-Familie kritisieren.
Das politische System in arabischen Ländern hat keine Regeln. Alle Araber, auch die Libyer, brauchen einen durchsetzungsstarken Führer, der sein Land und sein Volk liebt. Ich persönlich ziehe einen Idioten dreihundert Idioten vor, die stehlen, lügen und korrupt sind und die fürs Nichtstun bezahlt werden.
Medien:        2011 habe ich mit vielen Pressevertretern, sogar mit der BBC gesprochen. Sie wollten überhaupt nicht wissen, was in Bengasi oder Tripolis wirklich los ist. Es hat ihnen nicht gefallen, dass Gaddafi einer der genialsten Politiker war, egal, ob man ihn mochte oder nicht.
UNO:              Sie versuchten dem Land Ideen überzustülpen, die das libysche Volk ablehnt.
Arabischer Frühling: Der Arabische Frühling war eine Farce. Die arabischen Länder sollten nach dem Plan von Soros[14] gespalten werden. In Libyen hat es nie einen arabischen Frühling gegeben. Bei allen Nachrichten, die man sieht, sollte man sich immer überlegen, wem es nützt.
Khalifa Heftar:          Es ist gut, wenn er die Islamisten bekämpft, aber wir trauen ihm nicht. Heftar versucht, Gaddafi zu imitieren. Er kleidet sich nicht nur wie Gaddafi, sondern bewegt sich auch so und versucht, Gaddafis Gestik und Sprache zu kopieren. Die Bevölkerung mag ihn nicht, aber er ist immer noch besser als die beiden anderen Regierungen in Tripolis.
Heftar ist der verlängerte Arm der USA. Wir halten ihn für einen Verräter und Dieb. Seine beiden Söhne haben in Tripolis die Banken bestohlen. Sie wurden dafür nicht bestraft, sondern konnten ins Ausland ausreisen. Seine Libysche Nationalarmee (LNA) besteht aus aufgelösten Milizen und ist nicht die echte Libysche Nationalarmee.
Abdulhakim Belhadsch: Nach der Invasion Libyens setzte Großbritannien ausgerechnet ihn ein, um Tripolis zu kontrollieren. Er war einer der weltweit meistgesuchten Terroristen. Er hatte sich den Taliban angeschlossen und hatte Verbindungen zu al-Kaida. 2002, nach 9/11, warnte Gaddafi den Westen vor Belhadsch und lieferte auch Beweise. Wikipedia schreibt über Belhadsch: „Aufgespürt von der US-CIA, nach einem Hinweis vom MI6, der von einem Londoner Informanten stammte, wurde Belhadsch 2004 am Internationalen Flughafen von Kuala Lumpur (Malaysia) zusammen mit seiner schwangeren Frau verhaftet. Er wurde mit dem Flugzeug nach Bangkok geschafft, wo er von der CIA in einem Geheimgefängnis am Flughafen verwahrt wurde. Mit Flug N313P wurde er nach Libyen ausgewiesen, wo er sieben Jahre im Abu-Salim-Gefängnis verbrachte.[15] Belhadsch wurde mit dem Anschlag auf die amerikanische Botschaft im Sudan ebenso in Zusammenhang gebracht wie 2004 mit den Zuganschlägen in Madrid[16]. Er arbeitete mit Osama bin Laden zusammen, für die CIA, den MI6, den Mossad und Katar. Er ist in engem Kontakt mit McCaine und anderen Verbrechern, die Libyen ausplündern. Er kam aus dem Nichts und wurde plötzlich in Libyen zum Multimilliardär mit eigener kommerzieller Flugzeugflotte. 2012 reiste er mit zwei Taschen, die mit über einer Million Dollar gefüllt waren, von Tripolis nach Syrien, um dort die Dschihadisten zu finanzieren.
Diesen Typen haben sie in Libyen an die Macht gebracht. Das ist die Art von Demokratie, die sie uns in Libyen verpassen wollten!
Neocons:      Sie[17] betrachten uns alle, einschließlich Libyer, als Subjekte und Untermenschen. Darauf bauen sie ihre Ideologie auf. Für die Neocons war Gaddafi eine Herausforderung. Sie benutzten die USA, um Gaddafi zu entfernen. David Swanson schrieb darüber im Guardian: „Die libysche Regierung kontrolliert das Öl selbst, mehr als jede andere Nation. Es ist Öl, das für Europa am leichtesten zu raffinieren ist. Libyen kontrolliert auch seine Finanzen selbst.“[18]
Die Washington Post betrachtete die Unterstützung des libyschen Volkes für Gaddafi als ein „anhaltendes Mysterium“. Dies ist jedoch nur ein klassisches Beispiel dafür, dass die Ideologie der Neocons immer im Widerspruch zur großen Mehrheit der Menschen auf diesem Planeten steht. Deshalb kann diese Ideologie mit Recht ‚satanisch‘ genannt werden.
CIA:                1969 brachte die CIA Gaddafi ins Land und an die Macht. Vorher hatten wir König Idris. Die CIA hatte nicht erwartet, dass Gaddafi dasselbe machen würde wie Castro auf Kuba: Er schloss zuerst den britischen Luftwaffenstützpunkt in Tobruk, wenig später auch den US-amerikanischen.
Bengasi Gate:          Die Ermordung von US-Botschafter Christopher Stevens 2012 in Bengasi war ein Inside-Job, ein Befehl von der US-amerikanischen Administration, von Clinton. Stümperhaft ausgeführt von Rebellen, al-Kaida-Leute, die von US-amerikanischen Agenten ausgebildet worden waren. Nebenbei, 36-CIA-Agenten wurden in Bengasi von Gaddafis Armee gerettet. Obwohl wir den Krieg verloren hatten, retteten wir die Ärsche von Amerikanern. Was für eine Ironie!
Botschafter Stevens hatte die Waffen aus Gaddafis Armee eingesammelt und an Syrien geliefert. Mit dem ok von Obama wurden auch zwanzig Missiles an die sogenannten ‚moderaten Rebellen‘ in Syrien geliefert. Die Waffen gingen per Schiff nach Syrien. Wir wussten, wer es ausführte und warum es gemacht wurde.
US-Botschafter: Safira Deborah war nach Christopher Stevens die nächste US-Botschafterin. Sie tat alles in ihrer Macht stehende, um den sogenannten Libya Dawn zu finanzieren und zu unterstützen. Der Libya Dawn gehörte zu einer terroristischen Gruppe namens LIFG (Libyan Islamic Fighting Group), ebenfalls von Katar und der Türkei finanziert. Deborah rühmte Belhadsch – bis sie im Juli 2014 um ihr eigenes Leben rennen musste. Sie floh zunächst nach Tunis, später weiter nach Malta. Während ihrer Zeit auf Malta machte sie einige böse Fehler, wahrscheinlich wurde sie deshalb gefeuert. Der nächste Botschafter verhielt sich unauffällig und zeigte sich kaum. Es war kein Zufall, dass zu dieser Zeit libysche Beamte begannen, mit Israel Verträge abzuschließen.
Putin:              2011 war Putin nur der Premierminister und Medwedjew war der russische Präsident. Während einer UN-Konferenz scheint Putin mit Gaddafi gesprochen zu haben. Laut Personen, die mit im Raum waren, sagte Putin Gaddafi zu, dass Russland einer Flugverbotszone nicht zustimmen würde. Meine Quellen sind glaubwürdig. Zunächst schien Medwedjew der gleichen Meinung wie Putin gewesen zu sein. Aber scheinbar haben ihn die politischen Eliten in die Zange genommen und erpresst. Libyen wusste, dass Medwedjew von den Amerikanern gemocht werden wollte. Das Ergebnis war die totale Katastrophe, auch für Russland und China. Die beiden Mächte verloren Milliarden Dollar. Sie machten nicht mobil, obwohl sie wussten, dass die Flugverbotszone eine Farce war.
Russland half Libyen soweit es nur konnte, ohne internationale Regeln zu brechen. Gaddafi war mit Putin in Kontakt.
Iran:                Der Iran ist keine Bedrohung. Persönlich mag ich den Iran nicht. Die haben 2011 beim Krieg gegen Libyen assistiert. Sie mochten Gaddafi nicht, weil sie glaubten, dass er einen ihrer Imame ermorden ließ. Das stimmt aber nicht.
Saudi-Arabien:        Saudi-Arabien ist auch nicht besser als Katar. Beide haben mit ihren Fernsehsendern Katar mit al-Jasira und Saudi Arabien mit al-Arabia – 2011 Lügen verbreitet, um Gaddafi zu stürzen.
9/11:               Wie sollen zwei Flugzeuge in den Luftraum von New York eingedrungen sein, ohne dass die CIA und die Flugraumüberwachung das merken? Man muss kein Genie sein, um zu begreifen, dass da etwas nicht stimmen kann. Es tut mir sehr leid um die Menschen, die in diesem Krieg umkamen. 9/11 waren sie von der eigenen Regierung dazu verdammt, in diesem Krieg zu sterben. Die Eltern meiner Mutter wurden im Bürgerkrieg vor ihren Augen ermordet. Meine Mutter war damals drei Jahre alt. Es ist das Schlimmste, was es gibt: Wenn deine Familie, deine Freunde, deine Kinder, für ein politisches Spiel sterben müssen.


            Soweit Miriam al-Fatah. Einiges was sie zu sagen hat, mag für uns ‚Westler‘ fremd, wenn nicht befremdlich klingen. Doch sollte nicht jedes Land mit seinem spezifischen historischen, kulturellen und geographischen Hintergrund das Recht haben, souverän über seine politische Organisation entscheiden zu können?

A. Gutsche

[1] http://libyaagainstsuperpowermedia.org/2017/06/23/i-am-addressing-to-all-the-world-and-icc-to-learn-the-truth-of-the-holocaust-that-is-happening-in-libya-from-2011-till-today/
[2] Liz Sly: Many Libyans appear to back Gaddafi, Washington Post, 24. März 2011
[3] www.youtube.com/watch?v=COdKmHkPoOo
[4] A.d.Ü.: siehe auch: www.freitag.de/autoren/gela/lockerbie-schmierentheater-reloaded
[5] A.d.Ü.: siehe auch: www.freitag.de/autoren/gela/libyer-geheimdienste-waffenschieber
[6] A.d.Ü.: siehe auch: www.freitag.de/autoren/gela/der-anschlag-auf-die-diskothek-la-belle
[7] Bryony Jones and Anastasia Beltyukova: Libya’s chaos, explained in five graphics, CNN, August 4, 2016
[8] A.d.Ü.: Abd al-Dschalil war unter Gaddafi Justizminister. Er wechselte die Seiten und wurde 2011 Vorsitzender des Nationalen Übergangsrats (NTC) und zeitweise Staatsoberhaupt.
[9] A.d.Ü.: United States Africa Command: Oberkommando über US-amerikanische Militäroperationen auf dem afrikanischen Kontinent; d.h. AFRICOM soll die integrierte Befehls- und Koordinationsstelle für alle militärischen und zivilen Projekte der USA in Afrika sein. Tatsächlich geht es dabei um eine möglichst effektive Kontrolle des Kontinents durch wirtschaftliche, politische und militärische Präsenz. Die Drohneneinsätze werden vom deutschen Ramstein aus koordiniert.
[10] A.d.Ü.: GNC: General National Congress unter Führung von Khalifa Gweil
[11] A.d.Ü.: Gaddafi spendierte 300 Millionen US-$, die Afrikanische Entwicklungsbank legte 50 US-$ dazu und die Westafrikanische Entwicklungsbank weitere US-$ 27 Millionen – und so bekam Afrika am 26. Dezember 2007 seinen ersten Kommunikationssatelliten. Vorher mussten die Afrikaner pro Jahr 500 Millionen $-US an Benutzungskosten an Europa zahlen. Damit waren Gespräche von und nach Afrika eine der teuersten der Welt.
[12] A.d.Ü.: Seit dem 30. August 2008 bestand zwischen Italien und Libyen ein Freundschaftsvertrag. Dieser sah Entschädigungszahlungen in Höhe von mehreren Milliarden Euro für die 30 Jahre währende Kolonialzeit vor. Im Gegenzug verpflichtete sich Libyen, den Flüchtlingsstrom über das Mittelmeer zu stoppen. Seitdem hatten sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern stetig verbessert, Italien wurde zum wichtigsten libyschen Handelspartner.
[13] A.d.Ü.: In Deutschland wurde der Straftatbestand der Majestätsbeleidigung erst im Juni 2017 abgeschafft.
[14] A.d.Ü.: George Soros ist Spekulant und besitzt ein Vermögen von knapp 25 Milliarden Dollar. Durch diverse politische Stiftungen hat er großen politischen Einfluss. Nach eigenen Angaben war er „aktiv an der Revolution beteiligt, die das Sowjetsystem hinwegfegte“: https://de.wikipedia.org/wiki/George_Soros
[15] A.d.Ü.: https://de.wikipedia.org/wiki/Abd_al-Hakim_Balhadsch
    https://en.wikipedia.org/wiki/Abdelhakim_Belhadj
[16] A.d.Ü.: 191 Menschen starben und 2051 wurden verletzt




[17] A.d.Ü.: https://de.wikipedia.org/wiki/Neokonservatismus - Die politische Gruppierung der Neokonservativen unterstützt einen rigorosen Antikommunismus und profilierte sich in den vergangenen 25 Jahren insbesondere durch die Befürwortung einer interventionistischen Außenpolitik und unilateraler Hegemonieansprüche.
[18] David Swanson: Libya: Another Neocon War, Guardian, 21. April 2011