Donnerstag, 19. September 2019



Skandal um libysche Pässe für Tschader

Libyen/Tschad/Aouzou. Der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, Fatih Bashagh, verteilt unrechtmäßig libysche Pässe an Bürger des Tschad. 


Der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ gewährt ohne Rücksprache mit den obersten libyschen Justiz- und Gesetzgebungsbehörden den im Aouzou-Streifen Geborenen libysche Staatsbürgerrechte. Diesen Personen ist es somit möglich, sich libysche Pässe ausstellen zu lassen.
Diese Anordnung Bashaghs wurde nicht über die offizielle Website des Innenministeriums bekanntgegeben, sondern sickerte bei Facebook durch und wurde vom Bürovorsteher des Innenministeriums bestätigt. Die Pass-, Staatsangehörigkeits- und Ausländerbehörden erhielten den Auftrag, die entsprechenden Maßnahmen zur Ausstellung der Dokumente zu ergreifen.
Die meisten Bewohner des Aouzou-Streifens sind Angehörige des Tibu-Stammes, Tibu-Raschada genannt. Sie waren im letzten Monat an den Kämpfen um Murzuk beteiligt, bei der viele Familien aus Mursuk vertrieben wurden.

Der Aouzou-Streifen
Der Aouzou-Streifen ist ein äußerst heikles Thema. Er erstreckt sich entlang der Grenze zwischen Libyen und dem Tschad und ist reich an Bodenschätzen wie Uran und Eisenerzen. Erst in jüngster Zeit wurden dort auch riesige Vorkommen an Gold und Edelsteinen entdeckt. Ursprünglich gehörte laut den von den Kolonialmächten mit dem Lineal gezogenen Grenzen der Aouzou-Streifen zu Libyen, allerdings hatte der 1960 unabhängig geworden Tschad seine Ansprüche daran nicht aufgegeben. Dahinter stand der Wunsch Frankreichs, weiterhin die Kontrolle über die Uranlagerstätten im Tschad zu behalten.
In den 1970er und 1980er Jahren kam es immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen. Frankreich griff in die inneren Konflikte des Tschad ein und mit französischer und US-amerikanischer Unterstützung konnte die damalige tschadische Regierung unter Habré einen Sieg über Libyen erringen. 1981 zog sich Libyen aus dem Aouzou-Streifen zurück.
Doch erst 1994 konnte der Konflikt zwischen Libyen und dem Tschad endgültig beigelegt werden als der Internationale Gerichtshof den Aouzou-Streifen dem Tschad zusprach und Libyen dieses Urteil anerkannte. Seitdem wird der gesamte Aouzou-Streifen, das Gebiet und seine Bewohner, als integraler Bestandteil der Republik Tschad betrachtet. Beide Länder unterzeichneten einen Freundschaftsvertrag unter Anerkennung ihrer gemeinsamen Grenze.

Ab August 1996 wurden vom damaligen Allgemeinen Volkskomitee Maßnahmen ergriffen, die sicherstellten, dass die Bürger des Aouzou-Streifens, egal, ob sie sich im Aouzou-Streifen oder in Libyen aufhalten, ausländische Staatsbürger sind und keinen Anspruch auf libysche Staatsbürgerrechte haben, da sie zu einem anderen Land gehören. Das Allgemeine Volkskomitee bestätigte seine Entscheidung im Jahr 2006. Weder das Allgemeine Volkskomitee noch die Regierungen nach 2011 haben bisher anderslautende Beschlüsse gefasst.
Dies heißt, dass nach geltendem Recht keinem Bürger des Aouzou-Streifens die libysche Staatsbürgerschaft zugesprochen werden kann, genauso wenig wie er berechtigt ist, libysche Nationalidentifikationsnummern zu erhalten.

Es fragt sich, auf welcher Rechtsgrundlage der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ Bashagha entschied, libysche Pässe an Personen zu vergeben, die eine libysche Identifikationsnummer haben, die sie überhaupt nicht haben dürften, da sie nach internationalem Recht keine Libyer sind, sondern tschadische Staatsbürger.
Bezüglich der Klage über die Verweigerung der libyschen Staatsbürgerschaft für die Bewohner des Aouzou-Streifens hatte im August 2016 der Oberste Gerichtshof in Tripolis eine Entscheidung gefällt. Der Oberste Gerichtshof bestätigte, dass der Aouzou-Streifen aufgrund des Urteils des Internationalen Gerichtshofs (IGH) und aufgrund der Zustimmung der Regierungen der beiden Länder zum Staatsgebiet des Tschad gehört und dass somit weder für den Aouzou-Streifen noch für seine Bewohner Bindungen mit dem libyschen Staat existieren. Dementsprechend existiert auch kein Recht auf libysche Ausweispapiere, einschließlich Führerscheine und Personalausweise.

Wie also kann ein Minister, dessen Regierung weder legal durch Wahlen an die Macht gekommen ist, noch dem je das Vertrauen des Parlaments ausgesprochen wurde, sich erdreisten, alle vorherigen Entscheidungen, die bezüglich des Aouzou-Streifens und seiner Bewohner getroffen wurden, außer Kraft zu setzen?
Es drängt sich die Vermutung auf, dass die Bewohner des Aouzou-Streifens für ihr Unruhestiften im südlichen Libyen vom Innenministerium der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis mit libyschen Pässen belohnt werden.
https://almarsad.co/en/2019/09/13/bashagha-violates-the-supreme-court-and-icj-on-a-national-security-case/

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