Der Kampf um Libyens Freiheit geht weiter
von Angelika Gutsche
Informationen über Libyen
erreichen uns nur in homöopathischen Mengen. Und was über die Medien zu uns
durchdringt, klingt in der Regel positiv. Das muss wohl so sein, denn man will
Libyen ja als leuchtendes Vorbild installieren, das auch ein militärisches Vorgehen
in Syrien als geeignetes Mittel erscheinen lässt.
Dieses positive Libyenbild wurde durch die Stürmung der amerikanischen Botschaft in Bengasi und den Tod des Botschafters und dreier US-Marins zum ersten Mal nachhaltig erschüttert. Diese Tat ließ sich nicht mehr verheimlichen und fand als wichtigste Nachricht des Tages Eingang in alle Nachrichtensendungen der Welt.
Dieses positive Libyenbild wurde durch die Stürmung der amerikanischen Botschaft in Bengasi und den Tod des Botschafters und dreier US-Marins zum ersten Mal nachhaltig erschüttert. Diese Tat ließ sich nicht mehr verheimlichen und fand als wichtigste Nachricht des Tages Eingang in alle Nachrichtensendungen der Welt.
Doch war dieser Überfall nur der
Höhepunkt einer ganzen Serie von Anschlägen und Vorkommnissen, die im Laufe des
Juli und August 2012 kumulierten, in der Medienöffentlichkeit aber kaum oder
gar keine Beachtung fanden.
Bereits am 3. Juli 2012 wird auf
das tunesische Konsulat in Tripolis ein Sprengstoffanschlag als Rache für die
Auslieferung des letzten libyschen Premierministers zu Gaddafi-Zeiten an die
neue libysche Regierung verübt. Am 4. Juli 2012 wird die Nationalbank am Grünen
Platz in Tripolis und eine weitere Bank in der Stadt überfallen und
niedergebrannt. Am 23.7. kommt es in Tripolis zwischen Kämpfern des Grünen
Widerstands (Gaddafi-Getreue) und regierungsnahen Sicherheitskräften zu
Gefechten mit etlichen Toten, unter anderem den Al-Quaida nahe stehenden
Kommandanten im Stadtteil Abu Salim durch einen Scharfschützen. Daneben
entziehen sich immer größere Gebiete Libyens der Kontrolle des neuen Regimes,
da sich Gaddafi nahe Stämme nach Konferenzen in Bani Walid und Sabha im Juli zu
Allianzen zusammenschließen.
Anfang August kommt es zu
Demonstrationen in Bengasi, bei denen die Flagge Katars verbrannt wird. Bei
einem Anschlag mit einer Autobombe wird am 6. August das Gebäude des
Militärgeheimdienstes in Bengasi stark beschädigt. Mitte August befreit der
Grüne Widerstand acht Gefangene aus dem Al-Fornaj-Gefängnis in Tripolis,
während es Gefangenen im Ai-Zara-Gefängnis gelingt, die Wärter zu entwaffnen
und das Gefängnis in Brand zu stecken. General Mohammed Hadiya al-Feitouri,
Angehöriger der regimenahen Streitkräfte, wird nach dem Verlassen einer Moschee
in Bengasi erschossen, ebenso Walid Souissi in Jadida. Am 20. August werden in
Bengasi 14 Männer, die ehemals von Gaddafi zur Oppostion übergelaufen waren,
erschossen.
Am 19. August, dem Tag des
Fastenbrechens, erschüttern zwei Bombenanschlägen Tripolis. Nahe des libyschen
Innenministeriums und vor einem Gebäude, das vom Verteidigungsministerium für
Vernehmungen und als Haftanstalt genutzt wird, detonieren Sprengsätze.
Mindestens zwei Menschen sind tot, mehrere verletzt. Am 4. September diesen
Jahres wird der Chef des neuen libyschen Geheimdienstes in Bengasi durch eine
Autobombe getötet.
Obwohl Feiern zum Jahrestag der
Gaddafi-Revolution am 7. September von den jetzigen libyschen Machthabern unter
Strafe gestellt sind, können sie in einigen libyschen Städten wie Bani Walid
nicht verhindert werden. In der Nacht vom 8. auf den 9. September stürmen
Hunderte von Demonstranten das Parlament in Tripolis, das von den
Sicherheitskräften mit Schusswaffen verteidigt wird. Die Parlamentarier konnten
unverletzt aus dem Sitzungssaal geführt werden.
Wegen fortdauernder Angriffe mit
Granaten und Raketen auf Einrichtungen des Roten Kreuzes muss dieses seine
Arbeit in weiten Teilen des Landes einstellen.
Und als Höhepunkt des Ganzen nun
die Stürmung der amerikanischen Botschaft und die Hinrichtung des Botschafters
Chris Stevens sowie dreier Botschaftsangehöriger! Dieser Angriff war für den
Tag „nine-eleven“ vorgesehen, seine Ausführung Teil einer sorgfältigen bis ins
Kleinste geplanten Operation. Laut CBS News brachten libysche Sicherheitskräfte
bei der Erstürmung des Gebäudes den Botschafter in ein anderes Gebäude und
teilten daraufhin der Menge mit, wo sich der Amerikaner befand. Nach dieser
Darstellung waren libysche Sicherheitskräfte für den Schutz der Botschaft
verantwortlich. Bei den drei weiteren Toten scheint es sich um amerikanische
Marinesoldaten gehandelt zu haben. Diese seien aber angeblich erst zum Schutz
an die Botschaft beordert worden, nachdem der Sturm auf das Gebäude eingesetzt
hatte.
Peinlich in jedem Fall! Entweder
die Marines waren nicht in der Lage, die Botschaft zu schützen oder die
libyschen Sicherheitskräfte sind vom Grünen Widerstand unterwandert. Oder auch
beides. Gaddafi-Anhänger hatten bereits 2011 die Unterwanderung der
Sicherheitskräfte des neuen Regimes als Ziel bekannt gegeben. Außerdem wurden
zahlreiche Polizisten und Militärs von der alten Regierung übernommen, wobei
nicht auszuschließen ist, dass etliche angesichts der desaströsen Lagen im Land
wiederum die Seiten gewechselt haben: Die Sicherheitslage ist prekär, die
sozialen Errungenschaften sind abgeschafft. Das Gesundheitssystem liegt
darnieder. Frauen ohne Schleier werden bei Pressekonferenzen der Bühne
verwiesen. Großbritannien plündert Libyens Fischgründe, die mangels
einsatzfähiger Schiffe nicht mehr geschützt werden können. Und die libysche
„Bank für wirtschaftliche Entwicklung“ hat 49 Prozent ihrer Anteile für
lächerliche 170 Millionen US-Dollar an Katar verkauft. Dazu passt, dass bei der
Neuvergabe der Erdöl-Konzessionen die Interventionsländer den Vorrang hatten
und nur noch 20 bis 25 US-Dollar pro Barrel zahlen müssen, während unter
Gaddafi der Weltmarktpreis in Höhe von 80 bis 100 US-Dollar zu entrichten war.
Die aktuellen Ereignisse in Libyen
erinnern fatal an den Irak-Krieg, bei dem nach einer Phase der relativen Ruhe
sich ebenfalls der Widerstand massiv formierte, sich alle Iraker einig waren im
Kampf gegen die USA als Besatzer, sich im Land gleichzeitig ein Bürgerkrieg
entwickelte, in dem sich Sunniten und Schiiten bekämpften, so wie jetzt in
Libyen die einzelnen Stämme um die Macht ringen und sich daneben die Salafisten
zu etablieren versuchen. Die Macht der von den USA installierten
Marionettenregierung reicht nicht in Ermangelung loyalen Militärs und Polizei
über das Parlamentsgebäude hinaus. Der neue Premierminister heißt Mustafa Abu
Schagur, studierte und lebte seit den 80er Jahren in den USA und hat neben dem
libyschen auch einen amerikanischen Pass.
Libyen reiht sich ein in die Reihe
der zerrütteten Länder nach Afghanistan und Irak. Dies ist nach der Erstürmung
der amerikanischen Botschaft und der Ermordung des Botschafters nicht mehr zu
leugnen und passt nun überhaupt nicht ins westliche Konzept. Denn zum einen
braucht man Gründe, um auch Syrien mittels Waffengewalt mit „Demokratie und
Freiheit“ zu beglücken, und zum anderen steht ein amerikanischer, mit dem
Friedensnobelpreis ausgestatteter Präsident, der für das Kriegsdesaster in
Libyen verantwortlich zeichnet, mitten im US-amerikanischen Wahlkampf.
Könnte es da nicht ganz praktisch sein, einen schon vor einem Jahr gedrehten islamfeindlichen Streifen, der den Propheten verhöhnt, öffentlich zu machen? Ihn auch mit arabischer Untertitelung in you-tube zu stellen und ihn von einem amerikanisch-fundamental-christlichen Prediger im US-Fernsehen vorstellen zu lassen? Damit ihn die arabische Öffentlichkeit auch wirklich zur Kenntnis nimmt? Was darauf folgen würde, war seit der Reaktion auf die Mohammed-Karrikaturen unschwer vorherzusagen.
Könnte es da nicht ganz praktisch sein, einen schon vor einem Jahr gedrehten islamfeindlichen Streifen, der den Propheten verhöhnt, öffentlich zu machen? Ihn auch mit arabischer Untertitelung in you-tube zu stellen und ihn von einem amerikanisch-fundamental-christlichen Prediger im US-Fernsehen vorstellen zu lassen? Damit ihn die arabische Öffentlichkeit auch wirklich zur Kenntnis nimmt? Was darauf folgen würde, war seit der Reaktion auf die Mohammed-Karrikaturen unschwer vorherzusagen.
Und die Rechnung geht auf. Nun
soll es die wegen des anti-islamischen Films aufgebrachte Menschenmenge gewesen
sein, die die amerikanische Botschaft in Bengasi angriff. So stellt
Tagesschau.de am 12.9.12 unter der Überschrift „Proteste gegen anti-islamischen
Film: US-Botschafter getötet“ den Zusammenhang zwischen Botschaftserstürmung
und dem islam-feindlichen Film her. Dabei wird völlig ignoriert, dass die
Erstürmung der Botschaft schon lange vor dem Bekanntwerden des Mohammed-Films
genauestens militärisch geplant war und bestens in die Reihe des im Juli/August
aufflammenden neuen Widerstands passt. Nicht zu übersehen ist auch die
Inszenierung der Ermordung des Botschafters, die fatal an den Tod Gaddafis
erinnert: Im Internet finden sich unzählige Fotos, wie der halbnackte, sich
noch am Leben befindliche Chris Stevens – der sich von Anfang als großer
Unterstützer der libyschen Rebellen hervorgetan hat – durch eine aufgebrachte
Menge geschleift und geschlagen wird.
Nach der Erstürmung der Botschaft
und der anschließenden Ankündigung der USA, Drohnen über Libyen einzusetzen,
wurde der Flughafen von Bengasi gesperrt. Grund: Die libysche Flugabwehr wolle
Drohnen über Libyen nicht dulden, sondern abschießen. Um Unfälle mit der
zivilen Luftfahrt zu vermeiden, sei der Flughafen von Bengasi geschlossen
worden. Zwei amerikanischen Kriegsschiffen, die an die Küste Libyens entsandt
wurden, ist es angeblich nicht erlaubt worden, in libyschen Gewässern zu
ankern. Zwar wurden fünfzig Marineinfanteristen zum Schutz von US-Einrichtungen
nach Libyen entsandt, FBI-Agenten, die die Vorgänge rund um die
Botschaftserstürmung ermitteln wollten, können aber aufgrund der
Sicherheitslage nicht in das Land einreisen. Kriegsschiffe und Drohneneinsatz
gegen eine wegen des Mohamed-Films aufgebrachte Menschenmenge?
Nein, die Lage in Libyen muss vertuscht und verharmlost werden. Dafür kann sich die restliche arabische Welt schon ein bisschen empören. Und so verdrängen schon bald die Bilder von Protesten über das Mohamed-Video in über 20 Ländern der Welt die undurchsichtigen Vorgänge in Libyen von den Bildschirmen…
Nein, die Lage in Libyen muss vertuscht und verharmlost werden. Dafür kann sich die restliche arabische Welt schon ein bisschen empören. Und so verdrängen schon bald die Bilder von Protesten über das Mohamed-Video in über 20 Ländern der Welt die undurchsichtigen Vorgänge in Libyen von den Bildschirmen…
Angelika Gutsche ist Landeskennerin und hat Libyen mehrfach und regelmäßig bereist. Sie hat diverse Reiseberichte verfaßt und veröffentlicht.
17.9.2012
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