Dienstag, 20. Juni 2017



Skandalurteil: Libyer werden abgeschoben

Chemnitz/Libyen. Für den Großraum Tripolis besteht angeblich derzeit keine ernsthafte und individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit.

Vor der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Chemnitz wurde am 11.05.2107 asylsuchenden Libyern beschieden, für sie bestehe kein subsidiärer Schutz im Hinblick auf einen möglichen innerstaatlichen Konflikt. Auch für Personen aus anderen Landesteilen Libyens bestehe im Großraum Tripolis eine innerstaatliche Fluchtalternative.[1]
Das Urteil beruft sich auf Hochrechnungen von Opferzahlen, die zum einen auf Zahlen basieren, die nur auf gesichert dokumentierten Vorfällen beruhen, wobei bekannt ist, dass die tatsächlichen Opferzahlen weit höher liegen, zum anderen stützen sie sich auf eine Bevölkerungszahl Libyens von 6,2 Millionen Menschen. Allerdings war dies die Bevölkerungszahl von vor dem Krieg 2011. Neben den geschätzten Kriegsopfern 2011 von 50.000 Menschen und den vielen immer noch Gefangenen, ist mindestens ein Drittel der Einwohner aus Libyen geflohen, die meisten davon nach Tunesien und Ägypten, aber auch in andere arabische Länder und nach Europa, wo sie sich immer noch aufhalten. So ist heute maximal von einer Einwohnerzahl von vielleicht vier Millionen Menschen auszugehen.
Gerade in Tripolis haben sich die Kämpfe in den letzten Wochen wieder verstärkt. Am 12.05.2017 meldete LibyaHerald, dass aus verschiedenen Bezirken der Hauptstadt Tripolis, unter anderem an der Zufahrtsstraße zum Flughafen, Explosionen gemeldet werden[2]. Am 26.05.2017 schreibt LibyaHerald, dass in Tripolis heftige Kämpfe stattfinden, im Süden der Stadt Artilleriefeuer zu hören ist, Panzer aufgefahren sind, Wohnhäuser und Moscheen beschossen werden. [3]  Es kämpfen radikal-islamistische Milizen des ehemaligen GNC (Khalifa Ghweil) gegen verschiedene andere Milizen, darunter solche, die den Präsidialrat unterstützen. Das libysche Parlament hat einen sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug aller Milizen aus der Stadt gefordert. Die Gesamtlage ist unübersichtlich.
Auch ein dem Sicherheitsrat der UN gerade vorgestellter Libyen-Bericht befasst sich unter anderen mit den Milizen, die immer noch Libyen beherrschen und destabilisieren. Erwähnt werden Kämpfe zwischen mit Misrata-verbündeten und mit Tripolis–verbündeten Milizen in der Hauptstadt Tripolis, der viele zivile Opfer fordern, der Kampf um die Kontrolle über Institutionen, die Zusammenarbeit der Milizen mit kriminellen Netzwerken, vor allem entlang der Küste zwischen Tripolis und der tunesischen Grenze beim Menschen- und Treibstoffschmuggel, bei Kämpfen im Süden und im Ölhalbmond.[4]
Und im einem Bericht 2017 von Human Right Watch wird aufgezeigt, wie dutzende Milizen weiterhin Zivilisten missbrauchen und entführen, foltern und töten. [5]
Wer sich über die allgemeine Lage, wie sie sich für die Bewohner Tripolis darstellt, informieren will, sei auf den Blog von Muaad el-Sharif[6] verwiesen, der anschaulich beschreibt, wie Milizen die Bewohner der Hauptstadt Tripolis terrorisieren.
So gut wie alle ausländischen Botschaften haben ihren Sitz aus Sicherheitsgründen nach Tunesien oder Ägypten verlegt. Die "Einheitsregierung" sitzt aus Sicherheitsgründen schwerbewacht auf einem Marinestützpunkt außerhalb von Tripolis. Im Süden des Landes wird gekämpft und finden Bombardements statt, die Versorgungslage in den Ortschaften dort ist katastrophal, in Bengasi im Osten kommt es ständig zu Anschlägen durch Islamisten und viele Städte wie Bani Walid oder Sirte sind ohne Grundversorgung und noch vom Krieg 2011 zerbombt. Fast alle ausländischen Firmen haben ihr Personal aus Sicherheitsgründen abgezogen. Insgesamt wird Libyen als "failed state" angesehen. Es gibt keinerlei Sicherheitsstrukturen, vor allem im Westen des Landes, keine Polizei, bei der Verbrechen angezeigt werden könnten, sondern nur Milizen und Warlords, die um Macht und Einfluss kämpfen.
Die Sicherheitslage in Tripolis dürfte beträchtlich schlechter sein als die in weiten Teilen Syriens, beispielsweise in Damaskus. Alle aus Syrien kommenden Flüchtlinge werden anerkannt. Es hat also mehr politische als sicherheitsrelevante Gründe, in welche Länder Flüchtlinge wieder abgeschoben werden.

Angelika Gutsche
17.06.2017

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