Freitag, 4. Oktober 2019



Neue Entwicklungen in Libyen


Libyen. Militärische Auseinandersetzungen halten an/AFRICOM bombt im Süden/Libyen bei der UN-Generalversammlung/Verlässt Wintershall Libyen?

Fortführung der Luftangriffe durch die LNA
Wie auch die ‚Einheitsregierung‘ bestätigten musste, hat die LNA Luftangriffe auf bestimmte Gebiete in Tripolis intensiviert. Unter anderem wurde das Hauptquartier der Nawasi-Miliz an der Küstenstraße getroffen, wo sich zu diesem Zeitpunkt auch der Kommandant der Tripolis Protection Force, Mohammed al-Fund, aufhielt. Die Nawasi-Miliz ist dem Innenministerium der ‚Einheitsregierung‘ angegliedert.
Von der LNA wurden ebenfalls Luftangriffe auf Positionen von Misrata-Milizen in der Region von Abu Salim geflogen. Ziel war auch ein vom Mitiga-Flughafen bei Tripolis kommender Waffen- und Munitionstransport.
Daneben wird von Luftangriffen auf Gharian südlich von Tripolis und auf ein ländliches Anwesen am Stadtrand von Sebha im Süden Libyens berichtet.
Während der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, as-Sarradsch, bei seiner Rede vor der 74. UN-Generalversammlung sowohl Ägypten als auch der VAE und Frankreich vorwarf, die LNA unter Feldmarschall Haftar zu unterstützen, sagte die LNA, es seien der ‚internationalen Gemeinschaft‘ etliche Beweise für die Einmischung der Türkei und Katars in den innerlibyschen Konflikt vorgelegt worden. Der türkische Präsident Erdogan hatte dies persönlich vor einiger Zeit bestätigt. Zu den Vorwürfen, es seien sogar türkische Truppen vor Ort, schwieg die Türkei bisher.
Auf die Behauptung von Milizen der ‚Einheitsregierung‘, es seien auch russische Söldner in Libyen auf Seiten der LNA im Einsatz, wurde entgegnet, Videos und Fotos, die dies beweisen sollten, stammten nicht aus Libyen, sondern aus Syrien. Auch Russland bestritt derartige Vorwürfe.

AFRICOM fliegt Bombenangriff auf IS-Kämpfer
Zum dritten Mal innerhalb nur einer Woche flogen die USA einen Luftangriff gegen islamistische Kämpfer in Südlibyen. Wie Africom erklärte, versuchten die Terroristen, den Bürgerkrieg in Libyen auszunutzen, um Kämpfer zu rekrutieren.
Das Pentagon gab bekannt, dass der Einsatz von einer Luftwaffenbasis im benachbarten Niger aus geflogen worden waren und 17 IS-Kämpfer getötet wurden.
Laut Africom waren bereits am 19. September acht IS-Kämpfer bei einem Luftangriff nahe der libyschen Stadt Mursuk getötet worden und nur fünf Tage später elf weitere Kämpfer bei einem Luftangriff in der gleichen Gegend.
Viele IS-Kämpfer waren nach ihrer Niederlage in der Stadt Sirte in die südlichen Saharagebiete geflohen, um dort den Wiederaufbau von Kampftruppen zu betreiben. In den unübersichtlichen Gegenden sind die Grenzen zwischen Militanten, Terroristen und Milizen fließend. So bestehe die Gefahr, dass Luftschläge auch ethnische Spannungen oder Konflikte zwischen Stämmen erzeugen könnten.
Frederic Wehrey, Mitarbeiter eines US-amerikanischen Think Tanks warnte, dass in der abgelegenen und politisch zersplitterten Landschaft Südlibyens die Grenzen zwischen Militanten, Terroristen und Milizsoldaten häufig verwischt seien und dass diese Luftschläge möglicherweise ethnische und Stammesspannungen auslösen könnten: „Es hat in der Vergangenheit auch Kollateralschäden gegeben“.

Flucht von Ahmed Maitiq
Wie bekannt wurde, ist die komplette Familie von Ahmed Maitiq, stellvertretender Premierminister der ‚Einheitsregierung‘, vor wenigen Tagen in die Schweiz übersiedelt. Maitiq selbst verließ ebenfalls Libyen. Maitiq gehört der Moslembruderschaft an und war Mitglied der berüchtigten islamistischen Libyan Islamic Fighting Group (LIFG).

Sudan schließt Grenzen zu Libyen
Während eines Treffens in Niyala, der Hauptstadt von Süd-Darfur, befahl der Sudan die Schließung der Grenzen zu Libyen und der Zentralafrikanischen Republik. Grund sei die anwachsende Sorge um die nationale Sicherheit. Zunehmend strömen Kämpfer aus Darfur nach Südlibyen, um sich Milizen anzuschließen, die auch kriminellen Aktivitäten nachgehen.

Libyen-Gespräche am Rande der UN-Generalversammlung
Ein Treffen am Rande der UN-Generalsammlung in New York wird als Auftakt zur bevorstehenden internationalen Libyen-Konferenz in Berlin gesehen. Neben den Außenministern der fünf ständigen Mitglieder im UN-Sicherheitsrat, USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien, erhoben auch Italien, Deutschland, Ägypten und die VAE die Forderung, die militärischen Auseinandersetzungen in Libyen zu beenden.
Die auf Initiative Italiens und Frankreichs zustande gekommenen Gespräche wurden vom Sprecher der Libyschen Nationalarmee (LNA) al-Mismari begrüßt. Mismari betonte, dass das Generalkommando der Armee bei mehreren Sitzungen und internationalen Konferenzen immer wieder für die Abhaltung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen plädiert habe.
Nachdem sich die LNA seit des Beginns der Kämpfe um die Hauptstadt Tripolis am 4. April geweigert hatte, in Gespräche mit der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis einzutreten, signalisiert sie nun erstmals Gesprächsbereitschaft und ließ durch ihren Sprecher erklären: „Der politische Prozess muss seinen Platz haben, ebenso wie ein globaler und nationaler Dialog, der die nationale Einheit Libyens bewahrt.“

Hochrangiger Moslembruder trifft Erdogan
Esam Omeish ist ein libysch-stämmiger US-Amerikaner, der eine führende Rolle im globalen Netzwerk der Muslimbruderschaft spielt. Auf seiner Facebook-Seite gab Omeish bekannt, dass er während eines Treffens der Führer der Moslembruderschaft am Rande der UN-Generalversammlung mit der türkischen Delegation darüber gesprochen habe, dem US-amerikanischen Präsidenten Trump und anderen in die libysche Krise involvierte Regierungen die unmissverständliche Botschaft zukommen zu lassen, dass sie ihre Unterstützung für Feldmarschall Haftar und die LNA aufgeben müssten. Zu der türkischen Delegation zählten auch der türkische Außenminister und der Sonderberater von Präsident Erdogan. Omeish forderte die Türkei auf, den Tripolis- und Misrata-Milizen die notwendige Unterstützung zukommen zu lassen. Es sollte auch ein Verteidigungsabkommen geschlossen werden.
Der Kommentar des Sprechers der LNA, al-Mesmari, hierzu: Wir beobachten gerade die Umwandlung des Milizenterrors in Staatsterrorismus.

Misstrauensvotum gegen die ‚Einheitsregierung‘?
Am 26. September tagte in Tripolis der Hohe Staatsrat, ein vom Politischen Abkommen in Skhirat eingesetztes Gremien mit beratender Funktion. Der derzeitige Vorsitzende und Mitglied der Partei der Moslembruderschaft, Khaled al-Mishri, sagte in seiner Eröffnungsrede, dass der Staatsrat das Recht habe, ein Misstrauensvotum gegen die Regierung durchzuführen sowie über die Befugnisse des militärischen Befehlshabers und anderer Autoritäten zu entscheiden. Der Staatsrat könne auch Referenden zur Verfassung annehmen oder ablehnen.
Einzig dem Staatsrat sei es benommen, mit dem Parlament und dem Präsidialrat Gespräche zu führen. Diese beiden Organe verweigerten allerdings die Zusammenarbeit mit dem Staatsrat.

Wintershall will raus aus Libyen
Der deutsche Öl- und Gaskonzern Wintershall will sich aus Libyen zurückziehen, denn das dortige Engagement sei wirtschaftlich kaum noch zu vertreten. Der Konzern betreibt in Libyen acht Ölfelder. An den Aktivitäten von Wintershall ist auch die russische Gazprom mit 49 Prozent beteiligt.
Wintershall forderte von der Bundesregierung die Auszahlung einer Hermes-Bürgschaft in „beträchtlicher Höhe“, mit der die Bundesregierung die Aktivitäten von Wintershall in Libyen abgesichert hatte. Begründet wird der ins Auge gefasste Rückzug mit Sicherheitsrisiken und entsprechenden Produktionsausfällen wegen politischer Unruhen. Daneben kam es zu größeren Uneinigkeiten zwischen Wintershall und der libyschen Ölgesellschaft National Oil Corporation (NOC), die rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen der Tätigkeiten des Konzerns in Libyen betreffen.
Es sei ein Treffen führender Mitarbeiter des Bundeswirtschaftsministeriums mit Wintershall-DEA-Chef und dem BASF Vizechef geplant. Weitere Einzelheiten sind nicht bekannt.
Wintershall ist eine Tochter von BASF in Kassel, das eine Mehrheit der Anteile hält. Im Mai ging Wintershall mit DEA-Hamburg zusammen. An dem Gemeinschaftsunternehmen hält die Investorengruppe LetterOne um den russischen früheren DEA-Eigner Michail Fridman 33 Prozent.
Wintershall war ab 1958 in Libyen aktiv. Bis 2011 und der Ermordung von Oberst Gaddafi war der deutsche Konzern der zweitgrößte in Libyen tätige Ölkonzern. Schwer vorstellbar also, dass sich Wintershall tatsächlich völlig aus Libyen zurückziehen wird. Spätestens wenn die Ölquellen wieder sprudeln und sich die Lage im Land stabilisiert, wird der Konzern seine Fühler in Richtung der neuen Regierung ausstrecken.
Ebenfalls in der vergangenen Woche nahmen Vertreter der ‚Einheitsregierung‘ aus Tripolis am Libyschen Wirtschaftsforum teil, das in Berlin stattfand. Überprüft wurde dabei der Inhalt eines Handelsabkommens zwischen Libyen und Deutschland, das im letzten Jahr in Tunesien geschlossen worden war. Die deutsche Regierung möche die Zusammenarbeit in den Bereichen Industrie, Energie und technologische Innovation intensivieren. Wie dies mit dem Rückzug und der Stellungnahme von Wintershall zusammenpasst, bleibt Regierungsgeheimnis.


A. Gutsche 
 

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