Montag, 28. August 2023

Frankreich und seine Kolonialträume

22. August 2023 / gelanews 

Der ostlibysche General Khalifa Haftar hilft Frankreich, seine Kolonialstrukturen wiederaufzubauen und überlässt Paris den Militärstützpunkt al-Wig im Südwesten Libyens.

Al-Wig ist ein strategischer Militärstützpunkt mit Flughafen im südwestlichen Libyen, in der tiefsten saharischen Wüste gelegen. Die nächstgrößere Stadt nördlich von al-Wig ist die etwa 150 Kilometer entfernte Oasenstadt al-Qatrun. Von der Hauptstadt Tripolis sind es knapp tausend Kilometer nach al-Wig, bedeutend näher sind in südlicher Richtung die Grenzen zu Niger und Tschad. Die Entfernung von al-Wig zum nigrischen Grenzort Tumu dürfte nur rund 200 Kilometer betragen.[1]

Schon während des letzten Weltkriegs war Frankreich an den Saharagebieten im Westen Libyens, die 1942 von General Leclerc besetzt wurde, das heißt an einem „französischen Fessan“, interessiert. Es hätte damit die Grenzen von Libyen zu Algerien, Niger und Tschad kontrolliert, alles Staaten, in denen Frankreich seine Kolonialmacht sichern wollte. Ein riesiges Territorium wäre somit Teil des französischen Kolonialreiches in Afrika geworden. Obwohl bei Kriegsende das gesamte Libyen unter britischer und französischer Verwaltung stand, wurde Frankreich im Friedensvertrag mit Italien vom 10. Februar 1947 gezwungen, die Eingliederung des Fessan in den neuen monarchischen Staat „Vereinigtes Königreich Libyen“, der am 24. Dezember 1951 proklamiert wurde, anzuerkennen. Frankreich konnte seine Interessen in Libyen allerdings durch ein im August 1955 mit König Idriss geschlossenes Abkommen, das ihm die Ausbeutung der Bodenschätze für einen Zeitraum von zwanzig Jahren erlaubte, aufrechterhalten. Erst Muammar al-Gaddafis Revolution im Jahr 1969 beendete die koloniale Ausbeutung.

Frankreich hatte sowohl im I. Weltkrieg in Absprache mit Großbritannien seine Kolonialmachtansprüche in Afrika durchsetzen können (Sykes-Picot-Abkommen) als auch nach dem II. Weltkrieg gemeinsam mit Großbritannien und Italien seine Stellung als Kolonialmacht, die an Stelle des Osmanischen Reiches trat, in Afrika gefestigt. Durch die al-Fatah-Revolution im September 1969 wurden Frankreichs Kolonialansprüche in Libyen beendet, bis es 2011 im Nato-Krieg gegen Libyen, zu dem Paris einen Gutteil beigetragen hatte, zum Sturz der Dschamahirija und der Ermordung von Oberst Gaddafi kam. In dem darauffolgenden Chaos in einem Land, dessen Staatsstrukturen zerstört waren, versuchte Frankreich, sich seinen Beuteanteil zu sichern. Den Kolonialträumen wurde neues Leben eingehaucht.

Frankreichs Doppelspiel

Zu diesem Zweck spielt Frankreich ein Doppelspiel. Zum einen erkennt sie die Regierung in Tripolis unter ‚Premierminister‘ Dabaiba an – die mit Unterstützung durch die sogenannte ‚internationale Gemeinschaft‘ und mit Hilfe der von ihr finanzierten Milizen immer noch Tripolis kontrolliert – und unterhält zu dieser Tripolis-‚Regierung‘ gute Beziehungen, zum anderen unterstützt das französische Außenministerium im östlichen Libyen den Oberkommandierenden der Libyschen Nationalarmee (LNA), den 80-jährigen Khalifa Haftar, der sich inzwischen heimlich mit Dabaiba über einen gemeinsamen Machterhalt geeinigt zu haben scheint.

Schon 2011 war es das Ziel des Nato-Kriegs, Libyen in drei Teile zu zerschlagen: der nordwestliche Teil, genannt Tripolitanien, an Italien, der östliche Teil, die Kyrenaika einschließlich der südsaharischen Gebiete, an Großbritannien, und der südwestliche Teil, genannt Fessan, an Frankreich. Allerdings traten neue Mitspieler auf den Plan, die bei der Verteilung des Landes auch nicht abseitsstehen wollten. Gerade hat Tripolis-Premier Dabaiba die Militärstützpunkte im Nordwesten Libyens an die Besatzungsmacht Türkei übergeben, während dank Haftar in den zentral-saharischen Gebieten die russische Wagner-Gruppe das Sagen hat, im Nordosten Ägypten und die VAE den Ton angeben und der Südwesten jetzt an Frankreich übergeben wurde.

Seit 2020 wird die Zerschlagung Libyens wieder verstärkt vorangetrieben[2]. Grund für das Engagement der französischen Regierung war mit die Vertreibung Frankreichs aus Mali, später auch aus Burkina Faso, wo im Gegenzug, ebenso wie in der Zentralafrikanischen Republik, Russland Fuß fassen konnte. Mit der militärischen Kontrolle der libyschen Grenzgebiete zu Tschad und Niger sollte wenigstens dort der Einfluss auf diese verbliebenen Staaten gesichert bleiben und ein militärisches Vorrücken in den Sahel möglich werden. Natürlich könnten in guter alter Kolonialmanier die libyschen Ressourcen gleich mitausgebeutet werden.

Der im Osten, trotz des dortigen Parlaments, machtpolitisch tonangebende LNA-Kommandant Khalifa Haftar, der immer noch beste Beziehungen zu den USA und der CIA pflegt, übergab nun nach einem Blitzbesuch eines französischen Gesandten die libysche Militärbasis al-Wiq an das französische Verteidigungsministerium. Schon im Januar dieses Jahres war CIA-Direktor William Burns höchstpersönlich zu Gesprächen mit Haftar in das libysche Bengasi gereist. Dabei soll Haftar gedrängt worden sein, die Liaison mit der russischen Wagner-Gruppe, die vor allem zur Sicherung der Öl- und Gasfelder im Osten und Süden des Landes eingesetzt wird, umgehend zu beenden.

Die Stationierung französischer Militärkräfte in al-Wig bedeutet, neben einem gewaltigen Souveränitätsverlust für Libyen, dass sich in den saharischen Gebieten die Kriegsgefahr stark erhöht. Es könnte zu direkten Auseinandersetzungen zwischen russischen Wagner-Kämpfern und französischen Soldaten, aber auch zum Eindringen von Kampftruppen aus Niger und Tschad auf libysches Territorium kommen. Die Sicherheit Libyens wird somit weiter gefährdet.

Von al-Wig aus könnte der Weg für die französischen Streitkräfte über die alte Bornu-Straße, seit über tausend Jahren die berüchtigtste Sklavenroute durch die Sahara, direkt in den Süden nach Niger führen. Beidseitig der Grenze siedelt der Tibu-Stammes, dessen Siedlungsgebiet bei der alliierten Grenzziehung einfach durchteilt wurde.

Auf den Spuren von Heinrich Barth, der diese Straße in den Niger auf den Weg nach Agadez schon um 1850 entlang zog und der ein strikter Gegner des Sklavenhandels war und als großer Freund der saharischen Völker gilt, wandeln die heutigen Franzosen mit Bestimmtheit nicht. Ihnen dürfte es darum gehen, den kurzen Weg über die nigrische Oasenstadt Dirkou nach Agadez zu nehmen, um ihren Einfluss im Niger und den schmutzigen Urananbau in Arlit zu sichern.

Frankreichs Bemühen, wieder in Libyen Fuß zu fassen, nachdem es eine Position nach der anderen in Afrika räumen musste, wird scheitern, hauptsächlich aufgrund der großen Ablehnung, auf die es insbesondere im westlichen Libyen stößt. Hinzu kommt, dass auch die USA, die in inniger Absprache mit der jeweiligen Tripolis-Regierung handeln, Frankreich langfristig eher als lästigen Eindringling in ihrem vom AFRICOM beherrschten nordafrikanischen Einflussgebiet sehen dürften.

 

A. Gutsche

 

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