Libyen: Protestbewegung dreht Italien den Gashahn zu
Vor der Hintergrund eines drohenden Milizenkrieges in Libyens Hauptstadt kommt es zu Protesten in Tripolis und Dschanzur sowie zur Blockade des Mellitah-Öl- und Gaskomplexes.
Das Zentrum von Tripolis – Schauplatz von Massendemonstrationen
Am Freitag, den 20. Juni 2025, versammelten sich bereits in der sechsten Woche tausende von Demonstranten zu einer Protestveranstaltung gegen die Regierung von Abdulhamid ad-Dabaiba auf dem Märtyrerplatz in Tripolis, unterstützt von Anhängern des Fußballclubs der Hauptstadt. Zu den Protesten aufgerufen hatte die Suk-al-Dschumaa-Bewegung, die gemeinsamen mit libyschen Vorstädten erklärte, ihre friedlichen Proteste fortsetzen zu wollen. Die Hauptforderungen bestehen darin, die seit 2011 andauernden Übergangsphasen zu beenden, die Spaltung des Landes zu überwinden und eine einheitliche Regierung zu bilden.
Demonstranten drangen auch zum Sitz der Dabaiba-‚Regierung‘ vor, die von hochgerüsteten, Dabaiba-loyalen Milizen geschützt wurde. Als einer der dort eingesetzten Milizenführer den Befehl erteilte, scharf auf die Demonstranten zu schießen, eskalierte die Situation.
Die Suk-al-Dschumaa-Bewegung rief bereits für nächsten Freitag, den 27. Juni, nach dem Nachmittagsgebet zu erneuten Demonstrationen auf dem Märtyrerplatz auf, um ihrer Forderung nach dem Sturz der Dabaiba-‚Regierung‘ Nachdruck zu verleihen. „Die Regierung der Korruption hat uns unserer Rechte beraubt und unsere Träume platzen lassen“.
Proteste auch vor dem Regierungssitz und der UN-Mission
Ab dem 22. Juni fanden Protestkundgebungen vor der UN-Mission in Dschanzur statt, bei denen nicht nur der Sturz der Dabaiba-‚Regierung‘ gefordert wurde, sondern auch der Abzug der UN-Mission. Zu den Protesten hatte auch die Bewegung Wille des Volkes aufgerufen, da die UN-Mission ihren Auftrag gegenüber der libyschen Bevölkerung nicht erfüllt habe.
Zu den Teilnehmern zählten die Stämme der westlichen Region, die sich zutiefst enttäuscht über den mageren Bericht der UN-Sondergesandten Hannah Tetteh zeigten, den diese am 24. Juni dem UN-Sicherheitsrat vorgelegt hatte. Angeprangert wurden die vielen falschen Versprechungen und die Unterstützung der zutiefst korrupten Dabaiba-‚Regierung‘, die nun versuche, mit Gewalt in Tripolis ihre Macht zu sichern. Die Vereinten Nationen wollten weder Wahlen, noch Stabilität für Libyen oder eine Wiederauferstehung des libyschen Staates, sondern allein die Aufrechterhaltung des Status quo. Die UN-Mission habe kläglich versagt.
Gefordert wurde, dass die UN-Mission, und damit die ‚internationale Gemeinschaft‘, die Anerkennung der Dabaiba-‚Regierung‘ als legitime Vertretung des libyschen Volkes unverzüglich zurückziehe. Libyen werde keine Geisel kolonialer Hegemonie und es nicht zulassen, dass das Land in koloniale Einflusssphären aufgeteilt wird. Die Treuhänderschaft der UN über Libyen müsse aufgehoben werden.
Als wütende Demonstranten versuchten, das UN-Gebäude zu stürmen, kam es zu Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften. Als sich die Sicherheitskräfte zurückzogen, sicherten gepanzerte UN-Fahrzeuge das UN-Gebäude.
Der Sozialrat der westlichen Region rief das Parlament und den Staatsrat dazu auf, ihrer Verantwortung gerecht zu werden und sich dem Volksaufstand anzuschließen. Die Geduld der Libyer sei zu Ende. Das Schweigen der UN-Mission zu ausländischen Militärstützpunkten im Land sei Verrat und bedrohe die Einheit des Landes.
Für Montag, den 30. Juni, wurde zu erneuten Demonstrationen in Dschanzur aufgerufen. Die UN-Mission müsse das Land verlassen.
Der Mellitah Erdöl- und Gaskomplex wird geschlossen
Im Laufe der Woche breiteten sich die Proteste weiter aus. Schauplatz waren nicht nur der Märtyrerplatz und der Sitz der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis sowie das Gebäude der UN-Mission in Dschanzur, sondern auch der Mellitah Erdöl- und Gaskomplex.
Der Mellitah-Komplex ist das einzige Drehkreuz für den Export von libyschem Gas über die Green Stream-Pipeline nach Italien. Italien erhält jährlich bis zu 10 Milliarden Kubikmeter libysches Gas durch diese Pipeline, welche die libyschen Gasfelder mit Sizilien verbindet. Das Öl- und Gasterminal Mellitah befindet sich an Küste, etwa 85 Kilometer westlich von Tripolis.
Am 26. Juni versammelten sich Bewohner von az-Zawiya, um als Protest gegen die Dabaiba-‚Regierung‘ den Mellitah Komplex zu schließen. Sie skandierten: „Das Volk will die Regierung stürzen!“ Scharf verurteilt wurde die italienische Einmischung in libysche Angelegenheiten. Das Volk werde sich weder einschüchtern lassen, noch ausländischen Diktaten unterwerfen. Die Zawiya-Jugendbewegung schloss sich den Demonstranten vor dem Mellitah-Komplex an.
Die Schließung werde solange anhalten, bis die italienische Regierung ihre Unterstützung für die Dabaiba-‚Regierung‘ aufgebe. Es wurde ihr dafür eine Frist von 72 Stunden eingeräumt. Italien wurde aufgefordert, sich dem libyschen Volk anzuschließen und nicht eine korrupte Regierung zu unterstützen, die gerade eine Schlacht um Tripolis vorbereite und den Krieg in die libysche Hauptstadt tragen wolle. Mellitah gehöre dem libyschen Volk.
Nervöse Spannung in Tripolis steigt
Der Ahly-Fußballclub aus Tripolis steht fest an der Seite der Protestierenden, die in Tripolis und dem Umland den Rücktritt der Dabaiba-‚Regierung‘ fordern. Bei Protesten am 18. Juni wurden al-Alhy-Fans mit Militärfahrzeugen durch die Stadt gejagt, bis zu ihrem Vereinssitz verfolgt und mit scharfer Munition beschossen.
Anders der Ittihad-Club aus Misrata, dessen Präsident Mohammed Ismail ein Strafverfahren gegen die Ahly-Fans forderte und auch den Fußballverband kritisierte, der nach Meinung des Ittihad-Vorstands nicht gegen die Fans von Ahly vorgehe.
Dieser Meinung scheinen sich nicht alle Fans von Ittihad anzuschließen. In der Nacht vom 26. auf den 27. Juni kam es in Tripolis zu Straßenblockaden und es loderten Feuer, nachdem es zwischen dem Ittihad-Präsidenten Mohammed Ismail und einem Fan von Ittihad zu einer verbalen Auseinandersetzung gekommen war, in dessen Verlauf Ismail seine Waffe zog und dem Fan in den Fuß schoss. Daraufhin setzten die Fans von Ittihad ihre Proteste fort und forderten nicht nur den Rücktritt des gesamten Vorstands, sondern auch der Dabaiba-‚Regierung‘.
Aufhorchen lässt auch eine Nachricht, dass am frühen Morgen des 26. Juni der aus drei Fahrzeugen bestehende Konvoi der britischen Botschaft bei der Fahrt vom Mitiga-Flughafen zum Botschaftsgebäude zunächst von einem weißen Toyota Land Cruiser, der einer Dabaiba-Miliz zugehörig ist, gerammt und anschließend beschossen wurde. Der Botschaftskonvoy konnte entkommen, verletzt wurde niemand.
In Tripolis herrscht hochnervöse Spannung, auch nachdem am Flughafen von Tripolis eine Kommandozentrale der Dabaiba nahestehenden Milizen ihre Arbeit aufgenommen hat, um von hier aus den Angriff gegen die Deterrence Force von Abdel Rauf Kara zu starten.
A. Gutsche
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