Dienstag, 7. März 2017



Waffen für Libyen: Kampf um den ‚Erdölhalbmond‘

Das Waffenembargo, das nie eines war.

Zum dritten Mal wurde von den dschihadistischen Bengasi Defense Brigades (BDB) versucht, Ras Lanuf und Sidra, also wichtige Erdölanlagen des libyschen ‚Erdöl-Halbmondes‘, von der libyschen Nationalarmee (LNA) zurückzuerobern. Nach kurzer Zeit startete die LNA einen Gegenangriff und konnte Ras Lanuf wieder unter eigene Kontrolle bekommen. Die LNA flog auch verstärkt Angriffe auf BDB-Ziele.
Laut dem Sprecher der LNA, Ahmed Mismari, war es den BDB mit einem Überraschungsangriff zunächst gelungen, Teile der Stadt Ras Lanuf unter ihre Kontrolle zu bringen. Inwieweit auch das 16 Kilometer entfernte Sidra von BDB-Milizen besetzt werden konnte, ist umstritten. Die LNA beklagt 15 tote Soldaten und zehn Verwundete. Wie Fotos belegen, sind verwundete LNA-Soldaten nach der Eroberung des Krankenhauses von BDB-Milizen mit Kopfschuss getötet worden.
An dem Angriff waren auch Milizen der ehemaligen Petroleum Facilities Guard von Ibrahim Dschedhren[1] beteiligt. Bilder in den sozialen Netzwerken zeigen Ibrahim Dschedhren und seinen Bruder Osama Dschedhren, einen Hardcore-Islamisten, neben BDB-Kommandanten Mustafa Scharksi. Unklar ist, wie sich Ibrahim Dschedhren, der mit der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis unter Sarradsch verbündet war und dem immer gute Kontakte zu Dschihadisten nachgesagt wurden, gegenwärtig verortet. Vermutlich immer dort, wo Macht und Geld locken.
Die BDB haben nach ihrer Vertreibung aus Bengasi ihren Hauptstandort in der Militärbasis Dschufra, die unter Verwaltung von Misrata steht. Die Stadt Misrata ist Hauptverbündeter und festes Standbein der Türkei in Libyen.
Die LNA beschuldigen die Türkei und Katar, die dschihadistische und mit Terrormethoden kämpfende BDB erneut ausgestattet und bewaffnet zu haben. Auch ein neuerliches Aufflackern von Unruhen in Bengasi durch dschihadistische Schläfer soll durch die von der Türkei und Katar gelieferten Waffen, Munition und Fahrzeuge ermöglicht worden sein.
Das 2011 durch die UN-Resolution 1970 verhängte Waffenembargo gegen Libyen ist eine Farce, denn zwei Zusatzresolutionen erlauben die Versorgung mit nicht-tödlichen Waffen, technische Hilfe, Ausbildung und finanzielle Unterstützung. Wer aber Geld hat, der kann sich in Libyen jede Waffe besorgen. Die Küste ist ebenso wenig zu überwachen wie die saharischen Grenzgebiete. Und schon seit Jahren ist bekannt, dass zum Beispiel die Türkei per Luftfracht Waffen und Ausrüstung nach Misrata fliegen lässt, von wo sie an dschihadistische Milizen weiterverteilt werden.
Der Präsidialrat und die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis waschen ihre Hände in Unschuld und behaupten, sie hätten mit dem Angriff der BDB auf die Erdölanlagen nichts zu tun. Kaum hatten die BDB jedoch Ras Lanuf besetzt, forderte der Präsidialrat einen sofortigen Waffenstillstand, das heißt, die LNA sollte darauf verzichten, Ras Lanuf von den Dschihadisten zurückzuerobern. Sollten die Kämpfe anhalten, drohte ihr ‚Verteidigungsminister‘ al-Bargathi, eigene Milizen zu schicken. Bargathi hatte immer beste Kontakte zu den dschihadistischen BDB. Als diese im Dezember 2016 schon einmal einen militärischen Versuch unternahmen, die Kontrolle über Erdölanlagen zu erlangen, unterstützte er sie.
Inwieweit der streng islamistische ‚Ministerpräsident‘ Khalifa Gweil (Tripolis) und sein National Salvation Government (NSG) in die Militärangriffe auf den Ölhalbmond verstrickt sind, bleibt undurchsichtig. Seine Leute hatten den Hauptstandort der Nationalen Ölgesellschaft in Tripolis gestürmt und von dort per Rundfunk verbreiten lassen, dass die Ölgesellschaft jetzt dem NSG unterstellt sei. Dies wurde umgehend vom Chef der nationalen Ölgesellschaft (NOC), Mustafa Senella, scharf dementiert.
Der neuerliche Angriff erfolgte nicht nur, nachdem der Stadtteil Ganfouda in Bengasi quasi komplett von der LNA erobert und so gut wie alle dschihadistischen Kämpfer aus der Stadt vertrieben wurden, sondern auch, nachdem der Chef der Ölgesellschaft, Senella, bekannt gegeben hatte, dass die neuen Fördermengen im Februar die Zielmarken von 700.000 Barrel pro Tag erreicht hatten. Letzte Woche erst unterzeichnete Senella mit der staatseigenen russischen Ölgesellschaft Rosneft einen Vertrag in der Hoffnung, dies würde auch andere internationale Ölgesellschaften anspornen, wieder mit Libyen Geschäfte zu machen.
Vor dem NATO-Krieg und dem Sturz der Regierung im Jahr 2011 hatten russische Erdgasunternehmen mit Libyen etliche Konzessionen abgeschlossen. Der Bau der Sirte-Bengasi-Eisenbahnstrecke durch das russische Bahnunternehmen liegt seit dem Krieg 2011 auf Eis. Es heißt, Libyen schulde Russland auch noch vier Milliarden Dollar für Militärausrüstung.
Es ist also kein Wunder, dass Faiez Sarradsch, Vorsitzender des Präsidialrats und sein Stellvertreter Ahmed Maetig am 2. März zu Gesprächen mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow in Moskau waren. Es sollte Russland wohl versichert werden, dass seine Interessen in Libyen auch gesichert bleiben, falls die von der ‚Einheitsregierung‘ geförderten dschihadistischen Kräfte, sprich Libyan Islamic Fighting Group (LIFG) und die Moslembrüder von Libyan Dawn die Macht übernehmen würden. Mit dieser Zusicherung wollte man Moskau das Abrücken von General Hefter erleichtern und die Sorgen Moskaus hinsichtlich des bevorstehenden militärischen Vorgehens gegen die LNA im libyschen ‚Erdölhalbmond‘ zerstreuen.
Lawrow hielt sich bedeckt und stellte bei den Gesprächen klar, dass Moskau ausnahmslos zu allen politischen Parteien in Libyen Kontakt halte. Jede den Libyern von außen aufgezwungene Lösung sei zum Scheitern verurteilt. Eine Lösung für das Land müsse auf der Grundlage der Resolution des UN-Sicherheitsrates getroffen werden, d.h. in Übereinstimmung mit dem Skhirat Abkommen von Dezember 2015. Weiter meinte Lawrow, nur die Libyer selbst könnten die gegenwärtige Krise überwinden. Dem libyschen Volk, das vielleicht gerade den schlimmsten Prozess seiner Geschichte durchmache und dessen Einheit und territoriale Integrität angegriffen werde, versicherte er seine Solidarität.
Erst im Januar hatte General Hefter auf dem Flugzeugträger „Admiral Kusnezow“ eine Videokonferenz mit dem russischen Verteidigungsminister Schoigu abgehalten, bei der es unter anderem um den Kampf gegen den Terrorismus ging. Klar ist, dass die libysche Nationalarmee schwere Waffen wie Panzer, Artillerie und moderne Kampfflugzeuge braucht, die nicht so leicht über den Schwarzmarkt zu bekommen sind. Moskau könnte bei der Schulung für den Gebrauch dieser Waffen und deren Instandhaltung behilflich sein. Tatsächlich scheint Russland vermehrt auf General Hefter, die LNA und deren Verbündete, also auf ein säkulares Libyen, zu setzen. Ob das Gerücht stimmt, Russland hätte der LNA eine in Einzelteile zerlegte MiG-23 geliefert, um deren Reichweite zu erhöhen, darf allerdings bezweifelt werden.
Wo die USA zukünftig stehen, ist noch nicht absehbar. Trump kämpft im eigenen Land, sogar im eigenen Lager darum, sich an der Macht zu halten.[2] Für größere außenpolitische Manöver bleibt im Moment kein Spielraum. Kann sich Trump im Sattel halten und werden im Verhältnis zu Russland versöhnliche Wege eingeschlagen und wird der Kampf gegen die Dschihadisten ernsthaft betrieben, bleiben den Kriegskräften in den USA, in Europa, in der Türkei und in Katar nur ein schmales Zeitfenster, um ihre Proxy-Regierungen an die Macht zu bringen. Dieses Zeitfenster versuchen sie im Moment zu nutzen.
Der in Europa und insbesondere Deutschland so verfemte türkische Präsident ist in Libyen ein geschätzter Mitstreiter gegen Hefter, die LNA und dessen Verbündete. Denn nichts wird von diesen Kräften mehr gefürchtet als ein souveränes und unabhängiges Libyen.

A. Gutsche






[1] https://www.freitag.de/autoren/gela/libysche-nationalarmee-uebernimmt-erdoelanlagen
https://www.freitag.de/autoren/gela/ibrahim-dschedhren-und-seine-pfg
[2] http://www.voltairenet.org/article195529.html

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