Dienstag, 11. September 2018




Ein Plan B für Libyen

 Libyen. Durch den Einmarsch der Tarhouna-Miliz und mit ihr verbündeter Milizen in Tripolis wurden die Karten neu gemischt. Die Menschen schöpfen wieder Hoffnung.


Nach der unter der Vermittlung von UN-Sondergesandten für Libyen Ghassen Salamé zustande gekommenen Waffenruhe, an die sich die meisten Milizen halten, wurde aus den hauptsächlich umkämpften südlichen Stadtgebieten eine gespenstische Ruhe vermeldet, keine Fußgänger und kein Autoverkehr. Im Großen und Ganzen scheint der Waffenstillstand zu halten.
Am 5. September hielt Ghassan Salamé vor dem UN-Sicherheitsrat eine beachtenswerte Rede über die jüngsten Vorgänge in Tripolis und die Situation in Libyen.[1]  Erstmals gab er zu, dass die Ruhe, die vor dem Angriff der Tarhouna-Miliz und ihrer Verbündeten am 26. August geherrscht hatte, nur Fassade gewesen sei.
Seiner Einschätzung nach sei Libyen von einer Notsituation in die nächste geraten. Salamé nannte in diesem Zusammenhang den Angriff auf den Ölhalbmond im Juni 2018 und den Überfall auf das Tawerga-Flüchtlingslager in Tripolis vom 10. August. Die Tawerganer könnten immer noch nicht in ihre Heimat zurück, da die Voraussetzungen dafür wie eine funktionierende Infrastruktur nicht gegeben seien. Weiter führte er den Anschlag auf die Hohe Wahlkommission vom 2. Mai und der auf Polizisten bei Zliten durch den IS am 23. August an. Er vermerkte kritisch, dass tschadische Oppositionskräfte und die tschadische Regierung von Südlibyen aus operierten. Außerdem machte er auf die unsägliche Lage in den Gefängnissen und Gefangenenlagern aufmerksam sowie auf den schlechten Lebensstandard, unter dem die libysche Bevölkerung leide. So weit, so schlecht und bekannt.
Brisant wurde Salamés Rede, als er zugab, dass die bisher in Tripolis herrschenden „Sicherheitskonfigurationen“ die Einwohner, den Staat und die Institutionen ausgeraubt hätten. Es sei entführt, gefoltert und gemordet worden. Die Libyer hätten es satt, „an der Armutsgrenze zu leben, während ihre nationalen Ressourcen von bewaffneten Banditen geplündert werden.“
Die UN-Mission werde sich bemühen, Grundlagen für die Stabilisierung des Landes „durch die Vereinigung der Institutionen des Sicherheitssektors zu schaffen“.
Laut Salamé habe sich die libysche Öffentlichkeit entschieden, dass der Wandel friedlich und demokratisch durch Wahlen vonstatten gehen soll. Allerdings würde das Parlament seine  diesbezüglichen Aufgaben nicht erfüllen.
Und dann drohte Salamé: Sollten die politischen Kräfte wie Parlament und Präsidialrat nicht endlich in die Gänge kommen, um einen friedlichen Wandel zu bewerkstelligen, gebe es auch andere Wege. „Wir werden sie nicht nur ohne zu zögern, sondern sogar mit Begeisterung beschreiten.“

Plan B
Mit diesen anderen Wegen könnte der neue Plan B der UN-Sonderbeauftragten für Libyen, Stephanie Williams, gemeint sein. Der LibyaObserver [2] legt in einem Kommentarbeitrag Einzelheiten des Plans offen. So soll in Libyen ein Nationalkongress abgehalten werden, der die Anerkennung aller politischen Institutionen aufhebt, die ihre Legitimität aus der UN-Resolution 2259[3], in der es um das Skhirat-Abkommen und die Einsetzung der sog. 'Einheitsregierung' geht, beziehen. Dieser Kongress soll dann den UN-Sicherheitsrat bitten, innerhalb von sechs Monaten Parlamentswahlen auf der Grundlage der bestehenden Wahlgesetze abzuhalten. Die letzten Vorbereitungen für diesen Plan B sollen auf der im November in Italien geplanten Libyen-Konferenz getroffen werden.
Im Moment werde die Teilnehmerliste diskutiert. Der Einfluss der derzeitigen Machthaber wie 'Einheitsregierung', Parlament und General Hafter soll begrenzt und dafür Stammesführern und politischen Aktivisten größeres Gewicht gegeben werden, ebenso wie Pro-Gaddafi-Gruppen.
Als Problem würden sich vermutlich die Milizenführer in Tripolis erweisen, da sie von dem momentanen Chaos profitieren. Auch Khalifa Hafter, der von vielen als CIA-Mann betrachtet wird, könnte ein Störfaktor werden.
Der Wahlprozess würde schrittweise erfolgen. Wahlen sollen sukzessive in als sicher eingestuften Gebieten durchgeführt werden. Ein souveränes und voll arbeitendes Parlament soll daraus gebildet werden, das eine Regierung unabhängig von der Anzahl der schon gewählten Mitglieder ernennen könnte.
Außerdem müssten die konkurrierenden internationalen Agenden gestoppt werden, insbesondere die von Frankreich. Die Verfolgung krimineller Finanzaktionen von korrupten Politikern, Milizenführern und Schmugglern müsse oberste Priorität haben.
Die religiöse Gruppe der Madkhalis, deren geistiges Zentrum in Saudi Arabien liegt, werde als Bedrohung eingestuft. Bestimmte Milizen im Westen Libyens sollten dazu ermutigt werden, gegen die Madkhalis vorzugehen.
Abschließend heißt es, dass der UN-Plan B für Libyen nicht den Vorstellungen der libyschen Revolution entspricht, da er Anhänger von Gaddafi an die Macht bringen wird. Es würde sich nur um eine oberflächliche Demokratie handeln, die aber Stabilität brächte, nicht unbedingt Freiheit: „Doch solange keine pro-demokratischen Käfte in Libyen in der Lage sind, eine brauchbare Alternative zu bieten, haben sie keine andere Wahl, als sich mit Plan B zufrieden zu geben.“

General Hafter schießt quer
Lange hat man nichts mehr von General Hafter gehört. Doch nun sagte er, er habe einen Plan, wie er Tripolis befreien wolle. Den Milizenführern bot er seine Hilfe an, wenn sie sich ins Ausland absetzten würden. General Hafter scheint dabei übersehen zu haben, dass es die Stämme sind, die gerade dabei sind, Tripolis zu befreien.
Laut Hafter sei der aktuelle Verfassungsentwurf eine Katastrophe. Dies dürfte zumindest für ihn persönlich zutreffen, denn nach dem Verfassungsentwurf dürfen die Präsidentschaftskandidaten keine zweite Staatsbürgerschaft haben. Hafter besitzt neben der libyschen auch die US-amerikanische und ist somit zu den Wahlen nicht zugelassen.
Der alte und kranke General Hafter dürfte sich als Störfaktor erweisen, da er schon jetzt damit drohte, die Wahlen nicht anzuerkennen, sollten sie sich als „unfair“ erweisen. Und er wird jede Wahl, die er nicht gewinnt, als „unfair“ bezeichnen.

Nichtsdestotrotz ist die Bevölkerung angesichts der Vorgänge in Tripolis voller Hoffnung, dass in nicht allzu langer Zukunft wieder der Frieden in Libyen einkehrt.

A. Gutsche




[1]    https://www.libyaherald.com/2018/09/06/salame-talks-tough-in-his-latest-libya-brief-to-unsc/
[2]    https://www.libyaobserver.ly/opinions/can-plan-b-save-libya-here-are-obstacles-it-must-overcome
[3]    http://www.un.org/depts/german/sr/sr_15/sr2259.pdf

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