Die Libysche Nationalarmee übernimmt Erdölanlagen
Libyen. Die Sarradsch-‚Einheitsregierung‘ verliert die
Kontrolle über die wichtigen Erdölanlagen und Verladehäfen im Golf von Sirte.
Am 11. September eroberte die
Libysche Nationalarmee (LNA) in nur wenigen Stunden die an der Küste gelegenen
Häfen Sidra und Ras Lanuf[1]
mit ihren Erdölverladeterminals von den Petroleum Facilities Guards (PFG), die
unter dem Kommando Ibrahim Dschedhren[2]
stehen, zurück. Ebenso konnten von der LNA die südlichen und östlichen Zufahrten
zu Adschdabija, einer weiteren Erdölanlage, eingenommen werden.
Die Aktion, die um fünf Uhr
morgens ihren Anfang nahm, war gut geplant und unterstand dem direkten Befehl
von Generalmajor Khalifa Hefter. Der Magharba-Stamm in Adschdabija rief alle Stammesangehörigen
dazu auf, die LNA zu unterstützen. Scheich Saleh Alatjosch ermahnte die
Angestellten, bei der friedlichen Übernahme der Anlagen mit der LNA zu
kooperieren.
Bereits am 12. September konnte
der Sprecher der LNA bekannt geben, dass nun alle Ölterminals von Sidra, Ras
Lanuf, Brega und Zuweitina unter der Kontrolle der libyschen Armee stehen.
Premierminister Thinni von der Tobruk-Regierung[3]
dankte den Kämpfern der PFG dafür, dass sie der LNA keinen Widerstand geleistet
haben. Bis auf Brega wurden vormals alle Ölterminals von Ibrahim Dschedhrens
PFG beherrscht.
Bei ihrem Vormarsch stieß die
LNA auf so gut wie keine Gegenwehr. Die PFG-Milizionäre flohen unter
Zurücklassung all ihrer Waffen, sowie zweier Panzer und anderer Fahrzeuge und
Ausrüstungsgegenstände. Während auf LNA-Seite keine Verluste zu verzeichnen
waren, gab es auf Seiten der PFG einen Toten. Schon vor einiger Zeit hatten die
Stämme des Ostens die jungen Milizionäre der PFG dazu aufgerufen, Dschedhren
und der PFG den Rücken zu kehren und zu ihren Familien und in ihr ziviles Leben
zurückzukehren. Einmal mehr erwiesen sich Stammesloyalitäten als stärker, denn
die jungen PFG-Kämpfer scheinen den Seitenwechsel ihres Warlords Dschedhren von
der Tobruk-Regierung zur Sarradsch-‚Einheitsregierung‘ nicht mitvollzogen zu
haben.
Dschedhren, der 20.000
Kämpfer unter seinem Befehl hatte, soll sich sein Überlaufen zur
‚Einheitsregierung‘ von dieser mit mehr als 100 Millionen Dollar bezahlt haben
lassen. Offiziell hieß es, diese Gelder seien für ausstehenden Sold
seiner Miliz verwendet worden, andere sprachen von Erpressungsgeldern. Das Haus
von Dschedhren wurde ebenfalls am 11. September angegriffen. Wo sich Dschedhren
gegenwärtig aufhält, ist unbekannt. Von seinem Stamm soll er aufgefordert worden
sein, sich der LNA zu ergeben.
Das Tobruk-Parlament gratulierte
der Armee und dem libyschen Volk zu ihrem Erfolg. Sowohl General Hefter als
auch der Präsident des Abgeordnetenhauses, Agila Saleh, sprachen sich für eine
baldige Öffnung der Terminals und für eine Wiederaufnahme der Ölexporte aus.
Zunächst zeigte der Präsidialrat
in Tripolis keine Reaktion auf die Übernahme der Ölanlagen durch die LNA. Erst
spät gab es eine Stellungnahme, in der gegen die ‚Besetzung‘ protestiert wurde.
Der UN-Sondergesandte für Libyen, Martin Kobler, schloss sich dem an und
meinte, die Besetzung bedrohe die Stabilität und könne zu einer weiteren
Spaltung Libyens führen. Weitere, sich widersprechende Reaktionen von
Mitgliedern des Präsidialrats erfolgten zu späteren Zeiten. Der ‚Premierminister‘
der ‚Einheitsregierung‘, Sarradsch, befindet sich zurzeit mit seiner Familie
auf Urlaub.
Die westliche Reaktion auf
diesen Überraschungscoup, der eine Demütigung für den von den UN installierten
Präsidialrat und das von ausländischen Nationen gestützte ‚Einheits‘-Regime
darstellt, kam prompt. Die USA, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien und
Großbritannien verurteilten in einer nur als absurd zu bezeichnenden
gemeinsamen Presseerklärung die Angriffe der LNA auf Zueitina, Ras Lanuf, Sidra
und Brega und forderten alle Parteien zu einem sofortigen Waffenstillstand und
der Unterlassung weiterer Feindseligkeiten auf. Das libysche Militär wurde zur
bedingungslosen Aufgabe des sogenannten ‚Erdölhalbmonds‘ aufgefordert. Die
Regierungen sprachen weiter der ‚Einheitsregierung‘ ihre volle Unterstützung
als einzige Exekutivautorität aus.
Diese völlig an den libyschen
Realitäten vorbeigehende Erklärung zog einen wütenden Aufschrei der Libyer nach
sich und führte im ganzen Land zu Protesten. In Tobruk und Zinten kam es zu
Kundgebungen, Zinten-Milizen drohten mit der erneuten Schließung der
Küstenstraße. Soziale Netzwerke verbreiteten Aufrufe zu Anti-EU- und
US-Aktionen. Überall in den Straßen von Bengasi machten sich die Freude über
die Rückeroberung der Erdöleinrichtungen durch die LNA und der Unmut gegen den
Westen Luft.
Der Ältestenrat der Stämme aus
der Kyrenaika verurteilte die Stellungnahme der Westmächte als unakzeptable
Einmischung in die inneren Angelegenheiten Libyens und warf ihnen vor, nicht
gegen die Öl-Diebeszüge des Ibrahim Dschedhren vorgegangen zu sein. Die Stämme
des Fessan bekannten sich zur Libyschen Nationalarmee und feierten deren
Erfolg, ebenso wie die Rischvanas.
Auch der frühere
Premierminister Mahmud Dschibril und der Chef der LNA-Einsatzzentrale in
Tripolis, Oberst Idris Madi, kritisierten die Stellungnahme der westlichen
Staaten als unakzeptable Einmischung in libysche Angelegenheiten. Madri
bezeichnete die Übernahme der Erdölterminals als großen Sieg der Libyer und als
Anfang des Endes des libyschen Elends.
Das Oberkommando der libyschen
Armee erklärte in einer Stellungnahme, dass sowohl die Produktion als auch der
Export von Erdöl weiterhin der Kontrolle der National Oil Corporation (NOC)
unterstellt seien und dass sich die Rolle der LNA darauf beschränke, die
Anlagen vor terroristischen Milizangriffen zu schützen, die aus dem Verkauf des
Öls unrechtmäßig Profit schlagen wollten. Die Anlagen von Zueitina, Ras Lanuf,
Brega und Sidra stünden jetzt alle unter dem Schutz der LNA, die dafür
verantwortlich sei, die Menschen vor Übergriffen und Korruption zu bewahren.
Mit den Aktionen wolle man dem libyschen Volk die Kontrolle über seine
Ressourcen und seine Würde zurückgeben, das Leiden der Bevölkerung solle
endlich beendet werden und es solle ihm wieder der gesamte Reichtum aus seinen
Ressourcen zu Gute kommen.
Der Vorsitzende der
wiedervereinigten National Oil Corperation (NOC), Mustafa Senella, ein
Intimfeind von Ibrahim Dschedhren und seiner PFG, besuchte drei der
Ölterminals, um sich über deren Zustand zu informieren. Er sagte, Ölexporte aus
Zueitina würden unverzüglich wieder aufgenommen werden, in Ras Lanuf und Sidra
benötige es dazu etwas mehr Zeit, jedoch hätten Techniker bereits die
Vorarbeiten für die Durchführung von Reparaturen aufgenommen. Er begrüßte das
Statement der LNA, die mit dem Tobruk-Parlament und deren Präsidenten, Agila
Saleh, in Einklang stünden, dass die Häfen unter der Kontrolle der NOC stehen
sollen. Die Wiedereröffnung der Anlagen markiere den Anfang einer neuen Phase
der Kooperation und Koexistenz zwischen den verschiedenen libyschen Fraktionen.
Die Abmachungen zur Wiedervereinigung der beiden NOC[4]
sehen vor, dass die oberste Exekutive bei Präsidialrat und die oberste
Legislative beim Tobruk-Parlament liegen sollen.
Vor den Vereinten Nationen in
New York erläuterte derweil Martin Kobler den aus seiner Sicht üblichen Stand
der Dinge in Libyen. Er meinte, Khalifa Hefter müsse innerhalb einer vereinten
libyschen Armee eine Rolle spielen. Der Frage eines Journalisten, wie er denn
General Hefter dazu bewegen wolle, mit dem Präsidialrat Gespräche aufzunehmen,
die dieser bisher strikt verweigert habe, wich Kobler aus. Derweil wurde
Generalmajor Khalifa Hefter zum Generalfeldmarschall befördert.
Das Blatt hat sich gewendet.
Die LNA soll inzwischen etwa achtzig Prozent des libyschen Territoriums unter
ihre Kontrolle gebracht haben. Dass dieser Coup der LNA für die westlichen
Staaten völlig überraschend kam, wirft ein bezeichnendes Licht auf die
angebliche Allmacht der in Libyen tätigen ausländischen Geheimdienste. Die
neokolonialen Ambitionen haben kaum noch Anhänger im Land und weit weniger
Macht und Einfluss als gemeinhin angenommen.
Die neokolonialen und
globalstrategischen Pläne der USA und ihrer Verbündeter gingen nicht auf, weder
in Libyen, noch in Syrien oder in der Ukraine. Inzwischen geht es dem Westen
nur noch um Schadensbegrenzung und darum, den Gesichtsverlust möglichst gering
zu halten.
[1]
Ras Lanuf und Sidra mit ihren 25.000 Einwohnern verfügen nicht nur über
Erdölterminals, sondern auch über Raffinerien, petrochemische Anlagen, einen
Militär- und Zivilflughafen und Gebäude der Ölgesellschaft.
[2]
www.freitag.de/autoren/gela/ibrahim-dschedhren-und-seine-pfg
[3]
Die 2014 in den Osten Libyens geflüchtete Regierung wird nach dem Sitz ihres
Parlaments in der Stadt Tobruk als ‚Tobruk-Regierung‘ bezeichnet, die Regierung
selbst sitzt aber inzwischen in Baida. Abdullah Theinni ist der
Premierminister, Agila Saleh der Präsident.
[4] Es
gab bis dahin zwei konkurrierende National Oil Corperations, eine in Tripolis
und eine zweite in der östlichen Stadt Baida neu angesiedelte.
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