Mittwoch, 5. Februar 2025

 

Italien ermöglicht libyschem Kriegsverbrecher die Flucht

28. Januar 2025 / gelanews 

Politischer Skandal um Rückflug des wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vom IStGH gesuchten Generals Osama Nadschim von Italien nach Libyen.

Der libysche General Osama al-Masri an-Nadschim (Najim/Njeem) wurde am 19. Januar zusammen mit drei libyschen Begleitern aufgrund eines Interpol-Haftbefehls in Italien festgenommen. Die Libyer hatten vor, das Fußballspiel Juventus gegen AC Mailand zu besuchen. Die Einreise nach Italien war über Deutschland erfolgt.

In Libyens Hauptstadt Tripolis ist Nadschim Kommandeur einer sogenannten Gerichtspolizei und Chef der Rehabilitation and Correction Facility, einem Netzwerk von berüchtigten Haftanstalten. Diese werden von Spezialeinheiten, besser gesagt von Milizen, die eng mit der Regierung verbunden sind, verwaltet. Die Gerichtspolizei ist seit Kurzem das ausführende Organ der Generalstaatsanwaltschaft, die von as-Siddiq as-Sur geleitet wird. Sie untersteht gleichzeitig der Rada-Miliz, die offiziell dem libyschen Präsidialrat angegliedert ist, bestenfalls aber halbstaatlich agiert.

Die libysche Gerichtspolizei und die Rehabilitation and Correction Facility verurteilten die Festnahme unverzüglich als „willkürlich und als ungeheuerlichen Vorfall“ und forderten die libyschen Behörden auf, Stellung zu beziehen. Italien flog daraufhin die Libyer nach Tripolis aus.

Strafbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs

Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hatte am 18. Januar 2025 einen Haftbefehl gegen Osama Nadschim ausgestellt und erklärt, dass in den unter seiner Kontrolle stehenden Gefängnissen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, als da sind Mord, Folter, Vergewaltigung und sexuelle Gewalt, ab dem 15. Februar 2015 von Nadschim persönlich oder auf seinen Befehl hin und mit Unterstützung von Mitgliedern der Rada-Miliz, begangen wurden. Insbesondere das nahe Tripolis gelegene Mitiga-Gefängnis, das als einer der dunkelsten Schreckensorte Libyens gilt, steht dabei im Fokus. Der IStGH verfügt über Beweise, die die Ermordung von mindestens 34 Gefangenen im Mitiga-Gefängnis belegen, weitere 22 Personen, darunter ein fünfjähriges Kind, seien sexuellen Übergriffen von Beamten ausgesetzt gewesen.

In Libyen zeigte sich die UN-Sondermission für Libyen von der Schwere der Verbrechen, derer Osama Nadschim beschuldigt wird, betroffen und forderte die libyschen Behörden in Tripolis auf, Nadschim zu verhaften, um seine Verbrechen entweder in Libyen aufzuklären oder ihn an den IStGH zu überstellen. Es darf als sicher gelten, dass keine dieser Forderungen erfüllt wird.

Delikat wird die ganze Sache auch dadurch, dass Nadschim ausgerechnet über Deutschland in die Europäische Union eingereist war, die Festnahme des gesuchten Kriegsverbrechers Nadschim aufgrund eines Interpol-Haftbefehls aber erst in Italien erfolgte. Als der Haftbefehl gegen Nadschim am 18. Januar ausgestellt wurde, befand sich der Gesuchte noch in Deutschland, das nach den Römischen Statuten ebenfalls die Pflicht gehabt hätte, „mit dem Gerichtshof bei seinen Ermittlungen und Strafverfolgungen uneingeschränkt zusammenzuarbeiten“.

Der als besonders brutal berüchtigte General Nadschim, der in der Gaddafi-Ära sein Geld als Taxifahrer verdiente, gehörte nach dem Fall von Gaddafi den Special Deterrence Forces (Rada) an, einer berüchtigten und mächtigen Tripolis-Miliz, angeführt von dem salafistischen Kommandeur Abdul Rauf Kara, der auch das Mitiga-Gefängnis kontrolliert. Die Opfer der in den Gefängnissen begangenen Verbrechen waren politische Gegner, Mitglieder verfeindeter Milizen, Angehörige nicht-islamischer Religionsgruppen wie Christen oder auch Menschen, denen „unmoralisches Verhalten“ vorgeworfen wurde. Im Mitiga-Gefängnis sitzen auch viele Mitglieder des Islamischen Staates (IS) ein, die 2016 in Sirte gefangen genommen wurden. In der Stadt Sirte hatte der IS die Kontrolle übernommen, bevor er dort von Misrata-Milizen besiegt werden konnte.

Italien schiebt im Regierungsflieger ab und löst politischen Skandal aus

Nach der Festnahme am 19. Januar mussten Nadschim und seine Begleiter allerdings nicht lange um ihr Schicksal bangen, denn noch am 21. Januar wurden sie mit einem Flugzeug des italienischen Geheimdienstes zurück nach Tripolis geflogen. Der italienische Innenminister Matteo Piantedosi erklärte am 23. Januar bei einer Fragestunde des italienischen Senats, dass Osama Nadschim aus Gründen der Staatssicherheit aus Italien ausgewiesen wurde, da er „ein gefährliches Subjekt“ sei.

Die Alternative, das „gefährliche Subjekt“ im Gefängnis zu belassen und seine Überstellung an den IStGH zu überprüfen, scheint Piantedosi nicht in den Sinn gekommen zu sein, und so wurde Nadschim bei seiner Ankunft am Flughafen in Tripolis ein enthusiastischer Empfang bereitet.

Auf die Bitte des IStGH um Stellungnahme zur Freilassung von Osama Nadschim erklärte der stellvertretende italienische Ministerpräsident Antonio Tajani: „Italien ist ein souveränes Land und kann auf seinem eigenen Territorium eigenmächtig Entscheidungen treffen.“ Er fügte hinzu: „Den Haag ist nicht das Evangelium und nicht die Stimme der Wahrheit.“

Auch ein Berufungsgericht in Rom wusch die politische Entscheidung zu Nadschims Rückführung nach Tripolis rein, indem sie diese auf einen Verfahrensfehler bei seiner Festnahme zurückführte.

Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni musste erklären, warum Osama Nadschims Rückflug mit einer Regierungsmaschine erfolgte. Sie verwies auf Sicherheitsbedenken, sollt der gefährliche Nadschim in eine Linienmaschine gesetzt werden. Die Gefahren für die libysche Bevölkerung, ihn wieder als Chef eines ausführenden Polizeiorgans auf die Menschen loszulassen, sieht sie wohl nicht, anders als der Parlamentarier Angelo Bonelli, der erklärte, dass die Freilassung des Chefs der libyschen Gerichtspolizei eine gefährliche Fahrlässigkeit darstellt. Die Meloni-Regierung schütze Menschenhändler.

In Italien droht sich die Ausweisung Nadschims zu einem handfesten Skandal über die italienische Flüchtlingsabwehr auszuweiten. Der ehemalige italienische Premierminister Matteo Renzi kritisierte den Umgang mit Nadschim und warf Giorga Meloni vor, einen gefährlichen Verbrecher nach Libyen zurückgeschickt zu haben. Elena Schlein von der sozialdemokratischen PD sagte, die Ministerpräsidentin habe versprochen, „Menschenhändler auf der ganzen Welt zu jagen“, stattdessen habe man einen in Italien verhafteten „freigelassen und nach Hause geschickt“. Ähnlich drückte sich Nicola Fratoianni von der Alleanza Verdi e Sinistra aus, und der Abgeordnete der Fünf-Sterne-Bewegung, Riccardo Ricciardi, erklärte, „durch die Rückführung eines Kriminellen nach Hause“ trete die Meloni-Regierung das Völkerrecht mit Füßen.

Nun ermittelt gar die italienische Justiz gegen Premierministerin Giorgia Meloni, den Justiz- und den Innenminister sowie den Unterstaatssekretär für Geheimdienste wegen der Freilassung von Osama Nadschim.

In einem fast ebenso skandalösen Licht wie der Rückflug Nadschims und seiner Begleiter mit einem Flugzeug des italienischen Geheimdienstes nach Tripolis erscheint auch die Reise hoher libyscher Beamter und Militärs nach Italien, um sich bei Spielen italienischer Fußballclubs zu amüsieren, während Libyen in Chaos, Korruption, Milizenkämpfen und steigender Armut versinkt.

Aufschrei der Menschenrechtsorganisationen

Mehrere Menschenrechtsorganisationen lehnen die Freilassung Osama Nadschims ab und erklärten sie zu „einem übereilten Schritt, der die Prinzipien der internationalen Justiz untergräbt und Zweifel daran aufkommen lässt, inwieweit Italien seinen internationalen rechtlichen Verpflichtungen nachkommt“. Die Abschiebung Nadschims zeige angesichts der langjährigen Zusammenarbeit zwischen Italien und den libyschen Behörden die Komplizenschaft Italiens bei der Ermöglichung von Menschenrechtsverletzungen in Libyen. Die italienische Menschenrechtsorganisation Mediterranean to Save Human Beings erklärte, dass der Haftbefehl gegen Osama Nadschim ein Beweis für Beteiligung der Tripolis-‚Regierung‘ unter ihrem Premierminister ad-Dabaiba an den schrecklichen, in libyschen Gefängnissen und Haftanstalten begangenen Verbrechen sei, die mit Millionen Euro von der Europäischen Union und der italienischen Regierung unterstützt werden.

Italien und die Tripolis-‚Regierung‘

Der italienische Journalist Nello Scavo stellte die Frage nach dunklen Geheimnissen, die Tripolis mit Italien teilt, und welche Rückschlüsse sich auf die tatsächlichen Machtverhältnisse zwischen diesen beiden Ländern schließen lassen.

Italien arbeitet eng mit der an der Macht klebenden und Wahlen verhindernden Tripolis-‚Regierung‘ zusammen. Um den Zustrom von Migranten über das Mittelmeer zu verhindern und weiter das dringend benötigte Erdgas geliefert zu bekommen, will es sich die italienische Regierung unter keinen Umständen mit den korrupten libyschen Machthabern und ihren Schergen in Tripolis verderben. Diese mit militärischer Unterstützung der Türkei und von Milizen im westlichen Libyen, aber auch über die UNO mit Hilfe der ‚internationalen Gemeinschaft‘ an der Macht gehaltenen ‚Regierung‘ gelang es bisher erfolgreich, die Abhaltung demokratischer Wahlen, die aller Voraussicht nach ihr Ende bedeuten würden, zu verhindern.

Libyen spielt als Transitland bei der Internierung von Migranten an den EU-Außengrenzen eine zentrale Rolle und ist nach dem Ausfall des russischen Erdgases als Gaslieferant für Italien unverzichtbar. Im Jahr 2023 schloss der italienische ENI-Konzern mit der libyschen National Oil Corporation einen Vertrag über rund acht Milliarden US-Dollar, der unter anderem die Erschließung von zwei Offshorefeldern vor der Westküste Libyens vorsieht. Der libysche Tripolis-‚Premier‘ Abdulhamid Dabaiba und die italienische Staatschefin Giorgia Meloni zeigen bei regelmäßigen gegenseitigen Besuchen stets bestes Einvernehmen.

In ganz Libyen: Folter an der Tagesordnung

Auch wenn gerade der Nadschim-Skandal Schlagzeilen macht, darf nicht vergessen werden, dass sich Foltergefängnisse in allen libyschen Regionen befinden. Erst kürzlich erschütterten Berichte über das Garnada-Foltergefängnis im östlichen Libyen, das unter der Kontrolle der Haftar-Milizen steht, die libysche Öffentlichkeit. Der Vorsitzende des Nationalen Menschenrechtskomitees, Ahmed Hamza, erklärte, dass alles Bekanntgewordene nur einen Bruchteil der in libyschen Gefängnissen herrschenden Realität sichtbar macht. Der viel größere Teil geschehe im Verborgenen, denn in libyschen Gefängnissen werde systematisch gefoltert. Im östlichen Libyen sollen insbesondere die Gefängnisse von Garnada, al-Guwaydiya und Tariq bin Ziyad betroffen sein. Auch Migranten sind der Folter ausgesetzt.

Es wird höchste Zeit, dass das Leiden Tausender häufig willkürlich inhaftierter und in Gefängnissen verschwundener Menschen in Libyen mehr öffentliche Beachtung erfährt.

 

https://x.com/libyapress_2010/status/1883555016247804165   (Haftbefehl)
https://libyareview.com/52413/what-do-we-know-about-osama-najim-his-icc-charges/ 
https://libyaherald.com/2025/01/unsmil-alarmed-by-gravity-of-njeems-crimes-calls-for-his-rearrest-in-libya/
https://libyareview.com/52489/unsmil-urges-libya-to-arrest-osama-njeem/
https://x.com/libyapress_2010/status/1881674391215657450
https://x.com/libyapress_2010/status/1881740928593084498

https://libyareview.com/52485/italy-accused-of-enabling-impunity-for-libyan-war-crimes/
https://www.agenzianova.com/news/piantedosi-almasri-e-stato-rimpatriato-per-urgenti-ragioni-di-sicurezza-e-un-soggetto-pericoloso/
https://www.jungewelt.de/artikel/492576.italien-zu-wichtig-f%C3%BCr-rom.html
https://x.com/libyapress_2010/status/1881338532150825356
https://x.com/libyapress_2010/status/1881810170680107067
https://x.com/libyapress_2010/status/1881816006815060450
https://x.com/libyapress_2010/status/1881823886129746414
https://x.com/libyapress_2010/status/1881986019924574633
https://x.com/libyapress_2010/status/1882008500311863538
https://x.com/libyapress_2010/status/1882045725925851366
https://x.com/alwasatengnews/status/1882859585561854447
https://x.com/libyapress_2010/status/1882507901786624286
https://x.com/libyapress_2010/status/1883089069011587411
https://x.com/libyapress_2010/status/1882898535735296093
https://x.com/libyapress_2010/status/1883148396720271826
https://x.com/libyapress_2010/status/1883235278581887327
https://x.com/libyapress_2010/status/1883260577738641622
https://x.com/libyapress_2010/status/1883293610835419583
https://x.com/libyapress_2010/status/1883649870495678903
https://x.com/libyapress_2010/status/1884307162509500571

 

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