Libyens wilder Osten: Khalifa Haftar legt Erbfolge fest und ernennt Sohn Saddam zum Kronprinzen
Der Ernennung von Saddam Haftar zum stellvertretenden Oberbefehlshaber der Dignity Streitkräfte in der Nachfolge seines Vaters Khalifa sorgt in Libyen neben Entsetzen auch für Hohn und Spott.
Eine fragile Ausgangssituation
Khalifa Haftar, der ehemals starke Mann in den östlichen und südlichen Regionen Libyens, Kommandeur der Dignity Streitkräfte, auch Libysche Nationalarmee (LNA) genannt, ist nicht mehr stark, sondern 82 Jahre alt und krank. Seit längerem wird spekuliert, ob nach seinem Abgang ein Machtkampf zwischen seinen Söhnen aufflackern und wie sich die Situation in den heute unter seiner Kontrolle stehenden libyschen Regionen entwickeln wird.
Die politische und militärische Machtausübung stellt sich in den östlichen und südlichen Regionen anders dar als im westlichen Libyen. Das westliche Libyen wird von der international anerkannten und von der UN-Mission ins Amt gebrachten Regierung in Tripolis unter Premier Abdul Hamid Dabaiba regiert – beziehungsweise von Milizen beherrscht, die teilweise Verbündete der Dabaiba-Regierung oder aber auch mit ihr verfeindet sind. Zusätzlich steht Abdul Hamid Dabaiba zunehmend unter Druck von heftigen Bürgerprotesten, die das Ende der Dabaiba-Regierung fordern.
Im östlichen Libyen dagegen sind die allumfassenden Herrscher Khalifa Haftar und seine Söhne. Zwar gibt es dort das schon 2014 gewählte Parlament mit dessen Präsidenten Agila Saleh und einer vom Parlament ernannten Parallelregierung unter Osama Hammad – letztere im Gegensatz zum Parlament und zur Tripolis-Regierung international nicht anerkannt. Doch sowohl das Parlament als seine Parallelregierung von Osama Hammad haben politisch nichts zu melden, außer dass sie der Machtentfaltung des Haftar-Clans als Feigenblatt dienen und dessen Anordnungen abnicken. Der einzige Machtfaktor im Osten ist Khalifa Haftar, Kommandant der Dignity Streitkräfte, der Mann, der das Parlament beherrscht und dessen Militär brutal jegliche Opposition und jeden Protest unterdrückt.
Laut politischer Vereinbarungen liegt das Oberkommando der gesamten libyschen Armee bei dem in Tripolis residierenden dreiköpfigen Präsidialrat, dessen Vorsitzender Mohammed al-Menfi ist. Nichts desto trotz ernannte Agila Saleh 2014 Khalifa Haftar zum Oberkommandierenden der libyschen Armee im Rang eines Feldmarschalls, was laut libyschem Recht nicht statthaft ist, auch weil Haftar und seine Söhne us-amerikanische Pässe haben. Inzwischen werden die kaum umsetzbaren Forderungen nach dem Eingreifen der Staatsanwaltschaft und der Entfernung Haftars von seiner Stellung beim Militär immer lauter.
Die beiden Clans, Dabaiba und Haftar, beherrschen es trotz der ansonsten hochgehaltenen Spaltung in Ost und West ganz vorzüglich, sich zu einigen, geht es um für sie profitable Erdölgeschäfte, korrupte Ausbeutung des Staates und auch Absprachen mit dem Ausland, als deren Marionetten sie sich gerne zum persönlichen Profit an den Fäden ziehen lassen.
Khalifa Haftars Abgang – ein unkalkulierbares Risiko
In dieser fragilen Situation wäre ein Machtvakuum im östlichen Libyen und Machtkämpfe zwischen Khalifa Haftars Söhnen um die Nachfolge des Vaters ein Alptraum für jene Kräfte, die im Hintergrund die Strippen ziehen und von Anfang an den Plan verfolgten, Libyen in mindestens zwei Teile aufzuspalten.
Khalifa Haftar beendete alle Spekulationen um seine Nachfolge, indem er am 11. August 2025 seinen Sohn Saddam formell zum stellvertretenden Oberbefehlshaber der Dignity Streitkräfte ernannte, was in weiten Teilen Libyens nicht nur Entsetzen, sondern auch Hohn und Spott auslöste.
Khalifa Haftar war 2011 aus den USA nach Libyen zurückgekehrt, um gegen Muammar Gaddafi und die Dschamahirija-Regierung zu kämpfen. Als nach der Ermordung von Muammar Gaddafi radikal-islamistische Kräfte und die Moslembruderschaft erstarkten, kam es 2014 in Tripolis zum Bürgerkrieg, denen sich Haftar und seiner Operation Dignity entgegenstellten. Nach deren Niederlage flüchteten die Dignity Streitkräfte mitsamt dem neu gewählten Parlament in den Osten des Landes, wo im Rahmen der Operation Dignity die mit al-Kaida verbündeten radikalen Islamisten bekämpft und besiegt wurden, aber auch die Voraussetzung für die Spaltung des Landes gelegt wurde. Khalifa Haftar trieb diese Spaltung weiter voran und baute seine eigene Clanherrrschaft auf. Dies in völliger Umkehrung all dessen, wofür die sogenannte „Februarrevolution“ von 2011 angeblich stand.
Wer ist Saddam Haftar?
Seit 11. August ist nun Khalifa Haftars Sohn Saddam stellvertretender Oberbefehlshaber der Dignity Streitkräfte. Saddam Haftar begann seinen Militärdienst 2016 als Kommandeur der Tariq-bin-Ziyad-Brigade, bevor ihn das Parlament zum Major und dann zum Oberstleutnant beförderte. Im Mai 2023 wurde er Brigadegeneral. Nur wenige Monate nachdem ihn sein Vater zum Kommandeur der Bodentruppen ernannt hatte, beförderte er ihn im August 2024 zum Generalleutnant. Eine rasante militärische Karriere, die international erst nach mindestens 25 Jahren Militärdienst erreicht werden kann. Dabei hat Saddam Haftar niemals eine Militärakademie besuchte, ebenso wenig wie er einen Hochschulabschluss vorweisen kann.
Als Nachfolger seines Vaters soll ein reichlich unqualifizierter Saddam eine von Russland bestens ausgerüstete und ausgebildete Armee kommandieren. Es kann nicht verwundern, dass diese Ernennung im gesamten Libyen mit Entsetzen, aber auch Hohn und Spott aufgenommen wird.
Vater Khalifa versuchte, Saddam den Weg in die internationale Politik zu ebnen, indem er ihm Kontakte zu Regierungen in Washington, Moskau, Ankara, Rom, Islamabad, Paris und Kairo ermöglichte. Trotzdem bestehen Zweifel, dass Saddam Haftar das Zeug hat, die riesigen Herausforderungen, die eine Nachfolge seines Vaters in einer immer schwieriger werdenden politischen Gemengelage mit sich bringen werden, im Sinne seiner auswärtigen Auftraggeber als auch im Interesse seines Clans bewältigen zu können.
Erschwerend wirkt sich aus, dass die Ernennung Saddams, die die Kontrolle über bedeutende, erdölreiche Gebiete Libyens sichern soll, auf keiner rechtlichen Grundlage basiert. Laut Brigadegeneral al-Adschami al-Atiri sehen die Militärstatuten keine Stellvertreterposten vor, und das Präsidialratsmitglied Abdullah al-Lafi wies darauf hin, dass jede Ernennung an der Spitze der militärischen Führungsspitze durch eine Entscheidung des Oberbefehlshabers der Armee, also dem Staatsrat in Tripolis, erfolgen muss.
Dessen ungeachtet gratulierte Parlamentspräsident Agila Saleh pflichtbewusst und umgehend Saddam Haftar zu seiner Ernennung zum stellvertretender Kommandeur.
Die UN-Mission schweigt zu all diesen Vorgängen, was auch sie ihrer Glaubwürdigkeit beraubt.
Bleibt noch anzumerken, dass der Haftar-Clan im westlichen Libyen mehr als unbeliebt ist, nicht zuletzt seit Khalifa 2021 in seinen missglückten Krieg gegen Tripolis zog.
Khalifa Haftar schneidert sich seine Armee zurecht
Khalifa Haftar ließ wissen, dass die Beförderung seines Sohnes ein bedeutsamer Schritt bei der von ihm angestrebten Umstrukturierung der libyschen Militärführung ist. Die Ernennung Saddam Haftars erfolge im Kontext der sogenannten Vision 2030 zur Modernisierung der Streitkräfte. Er betonte, dass Saddams Ernennung in den kommenden Tagen eine Reihe weiterer wichtiger Beförderungen folgen werden.
Doch dem ging erst einmal die Entlassung hochrangiger Offiziere voraus, die ihm seit dem Beginn der Operation Dignity gute Dienste als Weggefährten erwiesen. In Haftars Armee dienen viele Militärs, die zwar im Rahmen der Operation Dignity mit Haftar gegen radikale Islamisten und al-Kaida in den Kampf zogen, die aber nicht mehr bereit sind, dem Umbau der ostlibyschen Gebiete in das Lehen eines Clans zu folgen und sich auch gegen Haftars Bereitschaft stellen, Libyen dem Militär ausländischer Mächte zu überlassen – in dessen Folge sich Russland und die Türkei Libyen teilen.
Die Ernennung Saddam Haftars wird eine große Zahl von Militärangehörigen verärgern und langfristig die Dignity Streitkräfte spalten. Vielleicht könnte sogar ein Putsch drohen.
Dabei wird jegliche Art von Opposition von Haftars Sicherheitskräften brutal unterdrückt. Es sei an das Video erinnert, das die Folterung des Parlamentsabgeordneten Ibrahim ad-Darsi zeigt, und erst im Mai 2025 im Netz Furore machte. Ad-Darsi war ein treuer Gefolgsmann Haftars gewesen, wagte sich dann aber mit Kritik am politischen Kurs Haftars zu weit hervor und fand sein Ende in den Folterkellern von Haftars Schergen – dokumentiert von als echt bezeugten Videos.
Erneut tauchte kürzlich ein Video auf, das die Folter und Tötung von Siham Sergiwa durch mit Haftar in Verbindung stehenden Militärs öffentlich machte. Haftars Sicherheitskräfte sind bekannt für ihr brutales Vorgehen gegen politische Gegner, die zu Dutzenden in Folterkellern verschwinden oder gleich ermordet werden, wie der ehemalige Verteidigungsminister al-Mahdi al-Barthathi. Vom UN-Sicherheitsrat wird schon lange gefordert, die ihm vorliegenden detaillierten Berichte über Entführungen und Folter zu veröffentlichen, damit die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden. Ansonsten mache sich die UN-Mission zum Mittäter.
Hemmungslos stemmen sich Haftars Trupps auch gegen Kommunalwahlen, indem sie Wahllokale schließen, Wahlzettel vernichten und ihnen nicht genehme Kandidaten verhaften.
Haftar will den Machtanspruch seines Clans mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln durchsetzen, um ihn als unverzichtbare Partei im libyschen Machtpoker zu positionieren.
Der Haftar-Clan – Libyen als Familienunternehmen
Khalifa Haftar ist reich mit Söhnen gesegnet, die alle versorgt werden wollen. Nicht nur Sohn Saddam erfreute sich dank seines Vaters einer militärischen Blitzkarriere, auch Sohn Khaled bekam die Ernennung zum Stabschef der Sicherheitskräfte geschenkt. Sohn Belqacem darf den milliardenschweren Wiederaufbaufonds verwalten, ohne dass es irgendeine Kontrollinstanz gibt, die über Vertragsabschlüsse und Ausgaben wacht. Für Sohn Oqba wurde die Agentur für digitale Wirtschaftsentwicklung gründete, Sohn Siddiq wies Haftar den Chefsessel der Hohen Kommission für nationale Versöhnung zu, und Sohn Salah, bekannt für seine Verbindung zur salafistischen Madkhali-Bewegung, betätigt sich innerhalb des Ministeriums für Stiftungen. Um auch Sohn al-Muntasir Billah zufriedenzustellen, wurde für ihn eine Agentur für Entwicklung gegründet.
Während so Institutionen aus dem Nichts geschaffen wurden, instrumentalisierte das Familienunternehmen Haftar das Parlament und dessen Parallelregierung, um sein Imperium nicht nur zu legalisieren, sondern auch aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Der Machterhalt ist durch das hauseigene Militär abgesichert. Libyen – ein Lehen im Erbbesitz.
Der Militäranalyst Adel Abdel Kafi weist darauf hin,
dass unter dem Haftar-Clan Verbrechen an der Tagesordnung sind. Es geht dabei
um Waffen- und Treibstoffschmuggel, die Anwerbung von Söldnern und die Unterstützung
von Kriegen in Nachbarländern.
Der Präsidentschaftskandidat Abdullah Naker drückt es noch drastischer aus:
Die Haftar-Armee begehe Morde und plündere öffentliche Gelder unter
Androhung von Waffengewalt. Zusätzlich wirft Naker den Haftars vordie
Normalisierung der Beziehungen zu Israel vorantreiben zu wollen – dies wohl in
Absprache mit der Tripolis-Regierung.
Es ist offensichtlich, dass der Haftar-Clan nicht bereit sein wird, sein Imperium aufzugeben und sich einer von der UN-Mission angestrebten neuen Einheitsregierung, die das Land wieder einmal zu Wahlen führen soll, zu unterwerfen. Doch solange sich Haftar internationaler Unterstützung – zuletzt auch der im westlichen Libyen tonangebenden Türkei in Absprache mit Ägypten – erfreut, wird es in Libyen keine politischen Lösungen geben.
Dem politischen Analysten Faradsch Dardur ist zuzustimmen, wenn dieser sagt, es wird keine internationale Einflussnahme geben, die sich gegen Haftar richtet. Er wird von den USA unterstützt, ist ein Partner Russlands und pflegt gute Beziehungen zu China. Was schert da das gemeine libysche Volk?
Die große Unbekannte in dieser Gleichung ist die Person Saddam Haftar. Unqualifiziert und unbeliebt, bei Wahlen – sollten diese tatsächlich irgendwann stattfinden – chancenlos. Wird er den Machterhalt des Haftar-Clans sichern können? Zweifel sind angebracht.
Weitere Stimmen zur Ernennung von Saddam Haftar
+ Al-Habib al-Amin: Familienmafia, mittelalterliche
Herrschaft und Erbnachfolge.
+ Marwan ad-Dargasch: Der Haftar-Clan besitzt Barqa
(Stadt im östlichen Libyen), was es zu einem Zufluchtsort für Khalifa und seine
Söhne macht.
+ Hafez al-Ghuwail: Ihr Leute von Barqa seid zur
Lachnummer geworden, ihr und eure Armee des Haftar-Clans.
+ Dschalal al-Gabi (Operation Vulkan des Zorns):
Haftar ernannte seinen Sohn Saddam zum Kronprinzen und seinen Sohn Khaled zum
stellvertretenden Kronprinzen.
+ Nabil as-Sukni: Die Farce des Jahrhunderts … eine
Armee, erworben durch eine unrechtmäßige Erbschaft.
+ Taher al-Gharabli: Wer Oberbefehlshaber werden
will, soll uns sein Alter nennen.
+ Mohammed Buisir: Feldmarschall Saddam als
Stellvertreter seines Vaters, Feldmarschall Khalifa. Der junge Bey … Libysche
Komödie.
+ Achmed as-Senussi: Die libysche Armee ist
vererbbar.
+ Ali al-Asbali: Gibt es auf der Welt irgendeine
Berufsarmee, deren Kommandeur seinen Sohn zu seinem Stellvertreter ernennt? Die
treffendste Bezeichnung dafür ist Familienarmee!“
+ Mustafa al-Fituri: Haftar sen. ist nur daran
interessiert, die Autorität seines Clans zu festigen, zumindest über das von
ihm kontrollierte Gebiet Libyens, einschließlich seiner Bewohner.
+ Hafez al-Ghuwail: Die „Armee“ besteht aus einem
kriminellen Clan von dummen Vätern und Söhnen. Daneben gibt es ein Parlament
unter Führung eines Behinderten. Die Regierung in Tripolis ist von
Korruption zersetzt und wird von einer Person geführt, die durch Betrug und
Bestechung in ihr Amt kam.
Das sind alles Beweise dafür, dass Libyen ein Bananen- und Kartoffelstaat ist.
A. Gutsche
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