Dienstag, 2. September 2025

 

Libyen: Zweiter Durchgang der Kommunalwahlen

22. August 2025 / gelanews 

Sollte dieser zweite Durchgang der Kommunalwahlen – wie France 24 schreibt – ein Test für die Möglichkeit der Durchführung der 2021 erneut verschobenen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sein, so endete dieser Test in einem Debakel: Im östlichen Libyen ließ Militärmachthaber Haftar Wahlbüros schließen, Wahlzettel vernichten und aussichtsreiche Kandidaten verhaften, im westlichen Libyen gingen Wahlbüros in Flammen auf.
Allerdings lassen die bisher vorliegenden Ergebnisse in den Gemeinden, in denen Wahlen durchgeführt werden konnten, aufhorchen: Wie schon im ersten Wahldurchgang vom 16. Dezember 2025 erreichten die Listen und Bewerber des Präsidentschaftskandidaten Saif al-Islam Gaddafi überwältigende Ergebnisse.

Am Samstag, den 16. August 2025, fand in Libyen der zweite Durchgang der Kommunalwahlen statt. Allerdings konnten die Bürger nur in 26 der ursprünglich für die Wahlen vorgesehenen 63 Gemeinden ihre Stimmen abgeben, das heißt, nicht einmal in der Hälfte der Wahlkreise konnten die vorgesehenen Wahllokale öffnen. Dafür verantwortlich gemacht werden im östlichen und südlichen Libyen der Militärkommandant Khalifa Haftar und seine sogenannten Sicherheitskräfte, im westlichen Libyen einschließlich der Hauptstadt Tripolis die Regierung von Premier Abdulhamid Dabaiba. Beiden war daran gelegen, das zu verhindern, was man im ersten Wahldurchgang vom Dezember 2024 nicht anders als Erdrutschsieg für die Listen und Kandidaten des Präsidentschaftskandidaten Saif al-Islam Muammar Gaddafi bezeichnen konnte.

In den Gemeinden, in denen es möglich war zu wählen und die Stimmen bereits ausgezählt werden konnten, zeichnete sich laut LibyaPress bereits am Abend des 18. August ein weiterer Erdrutschsieg für die Listen und Einzelmandate ab, die den Präsidentschaftskandidaten Saif al-Islam Muammar Gaddafi unterstützen.
Die Fraktion von Saif al-Islam konnte folgende Gemeinden gewinnen: al-Garabulli, Ain Zara, Abu Salim, Tripolis Center, az-Aziziyah, al-Maya, al-Maamura und az-Zahraa sowie die Gemeinden von Yafran, Tabqa, Ain al-Azhara, Batin al-Dschabal, Zliten, al-Adschilat, al-Dschamil und al-Manschiya.

Die ebenfalls angetretene Muslimbruderschaft musste dagegen laut Arab Weekly (London) eine vernichtende Niederlage einstecken. Dem politischen Islam sei es nicht gelungen, das Vertrauen der Wähler zu gewinnen. Beobachter berichteten von Versuchen der Islamisten, Ergebnisse zu manipulieren.

Die Verhinderung der Wahlen im libyschen Osten und Süden

Schon vor der Wahl hatte die östliche Parallelregierung von Osama Hammad in 26 Gemeinden die Aussetzung der Kommunalwahlen verfügt.Im Fessan, eine Hochburg der Anhänger des Präsidentschaftskandidaten Saif al-Islam Gaddafi, wurden die Wahlen durch das Eingreifen von Khalifa Haftars Innerer Sicherheit komplett verhindert.

Außerdem wurden die Wahlen in den großen und wichtigen Gemeinden Bengasi, Tobruk, Sebha und Sirte sowie in Abdschdabiya durch die Wahlkommission ausgesetzt, nachdem Khalifa Haftars Sicherheitsdienste Wahlbüros geschlossen und Wahlzettel vernichtet hatten.

Erst kürzlich war das Büro der Wahlkommission in der 160 km westlich von Misrata gelegenen Stadt Zliten von Bewaffneten angegriffen worden, die das Feuer eröffneten, einen Sprengsatz anbrachten und eine Granate abfeuerten. Daneben gab es um die Wahlen in Zliten einen speziellen Hickhack. Die Hammad-Parallelregierung wollte die Wahl bis zur Entscheidung über die Festlegung von Wahlbezirken aussetzen, die Wahlkommission ließ die Wahl durchführen. Nach der Wahl in Zliten gab es laut des Menschenrechtsaktivisten Hossam al-Gamaty Bestrebungen des Leiters des Rechnungshofs, Khaled Schakschak, und des Staatsratsmitglieds Abdul Salam as-Safrani, das Ergebnis zugunsten der ar-Risala-Liste der Muslimbruderschaft zu ändern. Dies sei in Abstimmung mit dem Direktor des Sicherheitsdirektorats von Zliten, Omar Rahil, erfolgt.

Laut Ali al-Asbali (Crime Monitoring Organization) hat Haftar die Gemeinden in den von ihm kontrollierten Gebieten in Militärräte umgewandelt. Es herrsche ein Klima der Einschüchterung und Angst. Es habe in Libyen noch niemals eine Zeit solcher massiven Freiheitsbeschränkung gegeben.

Auf der Website von al-Araby al-Dschadid heißt es, dass Khalifa Haftar klar zum Ausdruck brachte, weder auf lokaler noch auf nationaler Ebene Wahlen zuzulassen. In den von ihm kontrollierten Gebieten sei kein Platz für Demokratie und Volksvertretung. Haftar habe begonnen, ein clanbasiertes Herrschaftssystem aufzubauen, in dem seine Söhne militärische, sicherheitstechnische und finanzielle Machtstellungen besetzen.

Fraglos bastelt sich Khalifa Haftar gerade seine Clan-Militärdiktatur zurecht. Der Aufschrei der UN-Mission, die angeblich Libyen in die Demokratie führen will, bleibt aus.

Anschläge und Drohungen im westlichen Libyen

Waren die Kommunalwahlen im östlichen und südlichen Libyen ein Fehlschlag, so gab es auch in der westlichen Region massive Versuche, die Wahlen gewaltsam zu verhindern. Neben Brandanschlägen auf Einrichtungen der Wahlkommission wurden Mitarbeiter von Wahllokalen und Kandidaten von Bewaffneten bedroht.

Besonders zerstörerisch wirkte sich einen Tag vor der Wahl in az-Zawiya ein Brandanschlag auf die Zentrale der Wahlkommission für die westliche Küstenregion aus, bei dem die Büros völlig zerstört wurden und in dessen Folge in mehreren Gemeinden die Wahlen nicht durchgeführt werden konnten.

Ein anderer Vorfall betraf die Gemeinde Sorman. Dort schlug in das Büro der Wahlkommission eine Rakete ein. Der Gemeinderat von Sorman bestand trotz der Schäden auf der Abhaltung der Wahlen.

Die Wahlkommission erklärte, dass infolge der Brandanschläge in den sieben Gemeinden az-Zawiya, Tripolis Zentral, Nord, West, Sabratha, Sorman und Bir Ghanem die Wahlen nicht ausgesetzt, sondern am 23. August nachgeholt werden sollen.

Der Ältestenrat, die Jugend und die zivilgesellschaftlichen Organisationen an der Westküste forderten den Rücktritt des Innenministers der Dabaiba-‚Regierung‘, Imad Trabelsi, da es ihm nicht gelungen sei, die Kommunalwahlen zu sichern.

Reaktionen auf die missglückten Kommunalwahlen

Die Reaktionen der UN-Mission, der EU sowie mehrerer Botschafter fielen angesichts all dieser massiven Wahlstörungen recht milde aus. Zwar verurteilte man die Brandanschläge und forderte eine Untersuchung, allenfalls „besorgt“ zeigte man sich über die Aussetzung der Wahlen in den von Khalifa Haftar beherrschten Gemeinden, darunter so große Städte wie Bengasi, Tobruk, Sebha und Sirte.

Die Nationale Institution für Menschenrechte wurde etwas deutlicher und sah in den Brandanschlägen den Versuch, „das Recht auf politische Teilhabe zu untergraben und den Wahlprozess zu behindern“. Die UN-Mission wurde aufgefordert, Druck auf die Behörden auszuüben, damit Wahlen ungestört abgehalten werden können. Unabhängige internationale Wahlbeobachter müssten die Wahlen überwachen. Das Innenministerium müsse seiner Verantwortung zur Absicherung der Wahlen nachkommen.

Libya Crime Monitoring Organization forderte den Generalstaatsanwalt auf, unverzüglich eine Untersuchung der Angriffe auf die Zentrale der Wahlkommission und der mangelnden Sicherheitsvorkehrungen bei den Wahlen einzuleiten. Die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

Meldungen über Wahlbehinderungen

Die Nationale Institution für Menschenrechte gab bekannt, dass sie in der westlichen Region, in den Gemeinden Swani bin Adam, Hay al-Andalus und Tripolis Zentral, Verstöße in einer Reihe von Wahllokalen beobachtet und dokumentiert habe. Vertreter von Wahllisten und Wahlbeobachter seien beim Betreten von Wahllokalen und an ihrer Anwesenheit bei der Versiegelung der Wahlurnen gehindert worden. Es seien auch Kandidaten von den Wahllisten gestrichen worden.
In der Gemeinde Souani Ben Adam kam es sogar zum Einsatz von Schusswaffen. 

Libya Crime Monitoring verurteilte die Drohkampagne gegen Kandidaten für die Kommunalwahlen und Bürger in Azizia durch den Kandidaten und derzeitigen Vorsitzenden des Lenkungsrats, Baschir al-Mubaraki (55. Infanteriebataillon unter dem Kommando von Muammar al-Dawi/Dabaiba). Es hätten Angriffe, auch mit Schusswaffen, stattgefunden und Stimmzettel seien beschlagnahmt worden.

Die Wahllokale schließen

+ Die 26 Wahllokale, in denen gewählt werden konnte, schlossen am 16. August um 18:00 Uhr. Trotz anderslautender Berichte erklärte die Wahlkommission, es habe keine nennenswerte Zwischenfälle gegeben. Nun ja, für ein Land, in dem Mord und Totschlag an der Tagesordnung sind, mag das zutreffen. Die vorläufigen Ergebnisse der Kommunalwahlen sollen innerhalb von 21 Tagen bekannt geben werden.

Insgesamt haben laut der Wahlkommission 161.684 Bürger an den Kommunalwahlen teilgenommen, die Wahlbeteiligung liege somit bei 71 Prozent. Diese Zahl ist mehr als irreführend, bezieht sie sich wohl nur auf diejenigen Personen, denen die Teilnahme möglich war und die sich vorab in Wahllisten eintragen ließen. Dazu erklärte as-Senussi Basikri vom Libyschen Zentrum für Forschung und Entwicklung, dass in den Gemeinden von Tripolis die Anzahl der Wahlberechtigten 130.000 betrage, von denen sich nur 13.000 Wähler, also zehn Prozent, in die Wählerlisten eintragen ließen. Dies zeuge von einer deutlichen Frustration der Libyer angesichts der turbulenten politischen, wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Lage.

+ Asaad Zahio (Nationale Union Libyscher Parteien) hält den zweiten Durchgang der Kommunalwahlen für gescheitert. Es sei nicht möglich, angesichts der Spaltung des Landes Wahlen abzuhalten. Die Ergebnisse des ersten Durchgangs der Kommunalwahlen 2024 seien für die jetzigen Machthaber nicht zufriedenstellend verlaufen, deshalb sei der zweite Wahldurchgang massiv behindert worden. Den Menschen in so bedeutenden Gemeinden wie Bengasi, Tobruk, Sebha und Sirte sei die Wahl versagt worden.

Gewählt wird also erst, wenn das Ergebnis mit Sicherheit den Erwartungen der Machthaber entspricht. Das kennt man inzwischen ja auch von anderswo.

Es wird überdeutlich, dass sowohl die Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis mit ihren Milizen als auch der Haftar-Clan mit seinen militärischen und politischen Unterstützern im östlichen Libyen nicht  nur kein Interesse an demokratischen Wahlen haben, sondern auch über die Macht verfügen, diese mit Gewalt zu verhindern. Insbesondere der Haftar-Clan hat gezeigt, dass er nicht bereit ist, seine allumfassende Macht abzugeben. Es war sicher kein Zufall, dass Khalifa Haftar kurz vor der Kommunalwahl mit der Beförderung seiner Söhne auf höchste Militärposten politische Pflöcke setzte. Es bestimmt, wer die Waffen, das Geld und ausländische Unterstützung hat – und ganz sicher nicht das Volk.

Bestenfalls hilflos wirkt dabei das Statement der UN-Sondergesandten Hannah Tetteh, die ihre Freude darüber ausdrückte, „dass die Kommunalwahlen heute in 26 Gemeinden erfolgreich verlaufen sind. Diese Wahlen sind wichtig, weil sie den Menschen eine echte Möglichkeit geben, über die Gestaltung ihrer Gemeinden mitzubestimmen.“ Die UN-Mission gratulierte zur erfolgreichen Durchführung der Gemeinderatswahlen und forderte alle Beteiligten auf, Ruhe zu bewahren.

Kein Wort dazu, dass die Wahlen eigentlich in 63 Gemeinden hätten stattfinden sollen. Hannah Tetteh stellt am 21. August 2025 dem UN-Sicherheitsrat wieder einmal einen Fahrplan vor, der Libyen zu demokratischen Wahlen führen soll. Haftar und Dabaiba werden sich davon tief beeindruckt zeigen. Smiley!

A. Gutsche 

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