Samstag, 15. Dezember 2012


 Nachruf auf Muammar al-Qaddafi

von Dr. Karl Melzer

Auswahl von seit dem Afrikanischen Jahr (1960) im Kampf für die Freiheit ihrer Völker gefallenen Repräsentanten/Persönlichkeiten/Vertretern/Heroen/Führern/Vorkämpfern
(der nationalen Befreiungsbewegung, der dritten revolutionären Hauptkraft der 1989 zu Ende gegangenen Epoche, stellvertretend für die Millionen dahingemetzelter Namenlosen):

Patrice Lumumba (1961) Kongo
Ernesto Che Guevara (1967) Argentinien/Kuba/Kongo/Bolivien
Amilcar Cabral (1973) Guinea-Bissau
Salvador Allende (1973) Chile
Carlos Fonseca (1976) Nikaragua
Al-Wali Mustafa as-Saiyid (1976) Westsahara
Steve Biko (1977) Südafrika
Maurice Bishop (1983) Grenada
Samora Machel (1986) Mozambique
Thomas Sankara (1987) Burkina Faso
Yasir Arafat (2004) Palästina
Slobodan Milosevic (2006) Jugoslawien/Serbien
Muammar al- Qaddafi (2011) Libyen


Muammar al-Qaddafi war eine historische Persönlichkeit, weil er nämlich - und lange Zeit erfolgreich - das tat, was Bedingungen sowie objektive Erfordernisse verlangten und ermöglichten. Andererseits waren es diese Umstände und Verhältnisse auch, die sein Scheitern nach immerhin mehr als vierzig Jahren Führung der libyschen Revolution bedingten. Namentlich die völkermörderische italienische Kolonialpolitik, die Schlachten des zweiten Weltkriegs auf libyschem Boden inbegriffen, und die folgende amerikanische neokoloniale Beherrschung Libyens, defragmentierten die libysche Gesellschaft und hielten sie auf archaischen gesellschaftlichen Strukturen fest. Dies und die Petrodollars, die sich als ein großes Unglück für die Libyer erwiesen, ließen letztlich alle Modernisierungsversuche und Entwicklungsvorhaben scheitern. Was nicht heißen soll, daß die permanenten und vielseitigen Attacken der äußeren Feinde nicht auch zum Abwürgen des jamahiristischen Experiments beigetragen hätten. Hohn und geheuchelte Empörung, mit denen die westlichen Meinungsmacher al-Qaddafis vorgebliche Verwerflichkeit seines Redens und Tuns anprangerten, zeugen nur von deren fürchterlichen Ignoranz und Arroganz. In ihrer unendlichen Borniertheit blieb ihnen selbst die schwächste Ahnung verwehrt, es könne außerhalb westlich-imperialistischer Herrschaftspraktiken noch andere Formen von Politik geben. Qaddafi war der letzte der großen Repräsentanten der nationalen Befreiungsbewegung, die zur Entfaltung kommen konnte, weil durch den Sieg der ruhmreichen Sowjetunion über den deutschen Faschismus das imperialistische Gesamtsystem gravierend geschwächt wurde. Sie konnte Erfolge feiern, weil die staatlich organisierte Macht der Arbeiterklasse einen Gutteil des imperialistischen Potentials auf sich zog und band (was dieser teuer zu stehen gekommen ist). Und sie ist mit der Niederlage der zweiten sozialistischen Revolution gleichfalls dem Untergang geweiht.
Dabei war ihm der untrennbare Zusammenhang der arabischen Emanzipationsbestrebungen mit der Macht des realen Sozialismus mehr als vielen anderen arabischen Revolutionären durchaus bewußt – so überlieferten Ohrenzeugen aus einer Rede von 1979 den Ausspruch: „Den nächsten Kampf führen wir unter roten Fahnen.“ Doch scheint er damit recht allein gestanden zu haben, denn das ist in keiner Nachschrift veröffentlicht worden. Und noch etwas hatte er mit den politischen Führern der sozialistischen Welt gemeinsam: selbstmörderisch-tödliche Illusionen über „das Volk“ – auch in Libyen dominierte letztlich der Mob.
Mit seinem Tod enden fünfzig Jahre des letztlich erfolglosen Ringens des afrikanischen Kontinents, tatsächlich die kolonialen Fesseln abzuwerfen. Zugleich markieren Sturz und Ermordung Lumumbas den Beginn und Sturz und Ermordung Qaddafis den Abschluß der neokolonialen Eroberung Afrikas durch die imperialistische Hauptmacht USA.
Hochachtung und Respekt für seine Wahrhaftigkeit – es ist nicht jedem antiimperialistischen Revolutionär beschieden, mit der Waffe in der Hand im Kampf zu fallen. Wie seine erbärmlichen Mörder ihn auch schmähen mögen, im Gedächtnis der Völker ist ihm ein Ehrenplatz sicher.

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