Montag, 24. Oktober 2011

22.10.2011


Nachruf auf einen Befreier: Muammar al-Ghaddafi

Sein Vorname Muammar bedeutet auf deutsch „der Erbauer“ und seine Leistungen sind auf Libyen bezogen, beträchtlich. Er schaffte es, aus dem seinerzeit ärmsten Land der Welt, den wohlhabendsten Staat Afrikas zu machen. Im Jahre 1969 übernahm Muammar al-Ghaddafi gemeinsam mit der Gruppe der „Freien Offiziere“ in Libyen die Macht und stürzte den von den Westmächten Großbritannien und USA formal als Marionettenherrscher eingesetzten König Idriss I. Wenn man bedenkt, daß nur ein paar Dutzend junge Kerle einige Institutionen besetzten und dabei auf keinerlei Widerstand stießen, so sagt dies bereits viel über den Rückhalt des Regimes von Idris I. aus.
Die wirtschaftliche Entwicklung Libyens begann eigentlich erst mit der Machtübernahme Ghaddafis. Nach und nach stellte Ghaddafi seine Mitputschisten kalt. Seine rechte Hand Abdelsalam Jallud, der ihm u.a. sieben Jahre als Premier und Nummer Zwei des Regimes gedient hatte, servierte er erst nach 20 Jahren ab.
In dem von Ghaddafi verfassten „Grünen Buch“ stellte dieser seine Dritte Universaltheorie – ein Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus mit starken islamischen und sozialistischen Bezügen – vor. Darin findet sich neben teilweise utopischen wirtschaftlichen Ansichten auch eine brillante Kritik und Analyse an der westlich-parteienbezogenen Scheindemokratie. Ghaddafi wollte hier andere Wege gehen und schuf sogenannte „Volkskongresse“, welche sich mindestens dreimal jährlich jeweils auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene versammeln, um basisdemokratisch die Probleme des Landes zu diskutieren. Diese Volkskongresse wählten Führungskräfte für Verwaltung und Regierung. Es gab also durchaus Möglichkeiten der Mitbestimmung und Libyen war keine totalitäre Diktatur, wie uns die westliche Propaganda – besonders seit Ausbruch des NATO-Krieges gegen Libyen sehr leicht zu durchschauen – immer wieder glauben machen will.
Muammar al-Ghaddafi trat bereits 1979 von allen Ämtern zurück und widmete sich unter seiner neuen Amtsbezeichnung „Revolutionsführer“ vorrangig ideologischen Fragen und der außenpolitischen Repräsentanz seines Landes.
Ghaddafi übte zwar als „Führer“ keine offizielle Machtposition aus, galt aber in dem von Stammesdenken geprägten politischen System Libyens als eine moralische Autorität, die Ratschläge gab. Theoretisch konnte man ihm widersprechen und diese Ratschläge nicht beachten, allerdings war das so gut wie nie der Fall, da man in ihm eine nationale „Vaterfigur“ und den „Stammesältesten von ganz Libyen“ sah.

Den Haß der westlichen Welt zog sich Ghaddafi von Anbeginn seiner „Herrschaft“ zu.
Er verstaatlichte die ausländischen Ölkonzerne und ließ die Gewinne den Libyern zu Gute kommen. Er warf die britischen und us-amerikanischen Truppen aus dem Land und schloß ihre Stützpunkte. Er unterstützte Befreiungsbewegungen gegen den westlichen Kolonialismus in aller Welt – international respektierte wie die POLISARIO (Westsahara), die Sandinisten (Nicaragua), den ANC Nelson Mandelas (Südafrika), aber auch als „Terroristen“ verschriene Gruppierungen wie die IRA, Italiens Rote Brigaden oder bewaffnete Palästinenserkommandos, die gegen die israelische Besatzungspolitik vorgingen.
In Afrika unterstützte Ghaddafi vorwiegend anti-kolonial agierende Herrscher, wie den allseits bewunderten Revolutionär Thomas Sankara in Burkina Faso, aber auch brutale Tyrannen wie Ugandas Idi Amin.
Die Politik der nationalen Souveränität und es geraden Weges, ohne sich vor dem Westen wegzuducken, war eine permanente Provokation des westlichen Kapitalismus.

So erklärte Ghaddafi 1981 in einem SPIEGEL-Interview: „Man darf nicht zurückweichen, wenn man im Recht ist. Was wäre das sonst für eine Logik? Jeder Schwächere müßte kuschen, wenn die Amerikaner es wollten. Wenn ich nicht die Kraft habe, meine Rechte durchzusetzen, so kann das nicht bedeuten, daß ich keine habe.“
Die Antwort des Westens auf so eine Politik ließ nicht lange auf sich warten. 1980 versuchte die NATO Ghaddafis Jet, mit dem er von einem Staatsbesuch aus Polen zurückkam, mit einem Jagdgeschwader über dem Mittelmeer abzuschießen. Ghaddafi wurde gewarnt, sein Flugzeug nahm kurzfristig eine andere Route und die NATO schoß stattdessen eine italienische Passagiermaschine ab – 81 Tote. Das ganze ist als „Zwischenfall von Ustica“ bekannt geworden und wurde bis vor wenigen Jahren extrem vertuscht.
Libyen revanchierte sich später für die komplette Versenkung zweier Patrouillenboote samt Besatzung durch die US-Marine mit einem Anschlag in der Westberliner Diskothek „La Belle“ (2 Tote), welche gern von US-Soldaten genutzt wurde. Daraufhin ließ der us-amerikanische Machthaber Ronald Reagan mit seiner Luftwaffe eines nachts Tripolis und Benghasi bombardieren, mit dem Ziel, Ghaddafi zu töten. Er überlebte, seine kleine Adoptivtochter und 100 weitere Personen starben. Reagan wurde für dieses und seine anderen zahlreichen Verbrechen nie zur Verantwortung gezogen.
Die USA und Großbritannien versuchten, Libyen auch den Terroranschlag auf einen Jumbo-Jet der PanAm im schottischen Lockerbie anzuhängen, doch dieser ging in Wahrheit vermutlich auf das Konto des Iran, der für den Abschuß eines iranischen Airbus durch ein US-Kriegsschiff im Persischen Golf Vergeltung übte. Die angeklagten Libyer wurden jedenfalls freigesprochen, Ghaddafi kaufte sein Land mit einer großzügigen „Wiedergutmachung“ an die Lockerbie-Hinterbliebenen von den UNO-Sanktionen frei und näherte sich nach dem Fall des Ostblockes etwas dem Westen an.
Innenpolitisch errichtete Ghaddafi einen vorbildlichen Sozialstaat mit einem kostenlosen Bildungs- und Gesundheitssystem. Die Libyer wurden per Dekret alle Eigentümer ihrer Wohnung, Auslandsstipendien wurden komplett vom Staat bezahlt und junge Paare erhielten bei der Hochzeit 50.000 US-Dollar. Ein gigantisches Wasserprojekt namens „Great-Man-Made-River“ zapfte riesige unterirdische Wasservorkommen in libyschen Wüste an und belieferte die Küstenstädte mit günstigem Wasser. Dieses Mega-Projekt, welches ohne Kredite von IWF und Weltbank (in westlichen Augen ein Verbrechen!) errichtet worden war, bedrohte die großen französischen Wasserkonzerne, welche in den südlichen Mittelmeerstaaten das Wassermonopol in die Hände bekommen möchten.
Nachdem Ghaddafis Versuche, sein Land mit anderen arabischen Staaten zu vereinen, regelmäßig scheiterten, da er auf der Übernahme seines Systems der Volkskongresse bestand, wandte er sich einem neuen Projekt – der Einheit Afrikas, bei der er mehr Erfolge erzielte, zu.
Er war treibende Kraft bei der Gründung der Afrikanischen Union (AU), die als Gegenstück zur EU fungieren sollte und bestritt einen Großteil der Kosten des Projektes. Als Block sollte sich Afrika besser gegen die Attacken der Finanzmärkte, des IWF und Weltbank verteidigen können. Den ersten afrikanischen Telekommunikationssatelliten, der den schwarzen Kontinent unabhängig von den teuren Gebühren westlicher Telefonkonzerne machte, zahlte Libyen fast komplett aus eigener Tasche – den Konzernen entgingen jährlich 500 Mio. Euro Telefongebühren pro Jahr.

Weil sie scharf auf das libysche Erdöl und Erdgas waren, gaben sich die westlichen „Staatsmänner“ bis Ende 2010 in Tripolis die Klinke in die Hand. Doch der Revolutionsführer wachte darüber, daß nur 11% der Erdölgewinne das Land verlassen, der Rest blieb bei Libyen – ein tödlicher Fehler!

Wegen seines exzentrischen Auftretens in Operettenuniformen, mit Sonnenbrille, Berbergewändern und einem Beduinenzelt, daß er auf seinen Auslandsreisen als Quartier mitnahm galt Ghaddafi im Westen als schräger politischer Clown und wurde gleichzeitig von der Propaganda als „grausamer Diktator“, der keine westlichen Parteien zuläßt, betitelt.

Im Frühjahr 2011 brachen in der Oppositionshochburg Benghasi im Zuge des „Arabischen Frühlings“ in Tunesien und Ägypten Proteste für demokratische Reformen aus, die aber im restlichen Land kaum Widerhall fanden. Westliche Geheimdienste nutzten diese Proteste aber, um die Unzufriedenen zum bewaffneten Aufstand anzustacheln. Kurz darauf wurden in Ostlibyen Regierungsgebäude und Polizeikasernen niedergebrannt, Regierungsanhänger verfolgt und schwarzafrikanische Gastarbeiter von einem aufgeputschten Mob massakriert.
Die Menschenrechtler, welche die ersten Demos organisiert hatten, spielten da schon keine Rolle mehr und wurden kaltgestellt von radikalen Elementen. Ghaddafi setzte die Armee gegen die Randalierer ein, worauf der Westen gewartet hatte. In der UNO wurden unter Druck Frankreichs, Großbritanniens und der USA Sanktionen gegen Libyen und eine „Flugverbotszone“ beschlossen. Unter der von Zynismus triefenden Behauptung „Zivilisten schützen zu müssen“ entfesselte die NATO einen Bombenkrieg gegen das libysche Volk mit Tausenden von Toten und unterstützte islamistische Kämpfer, die brutal unter der Bevölkerung wüteten – nur beseelt von dem einen Ziel: den ungeliebten libyschen Revolutionsführer endlich zu vernichten!
Viele Kriegsgründe, wie den angeblichen Einsatz der libyschen Luftwaffe gegen Demonstranten haben sich im Nachhinein als dreiste NATO-Lügen, um den Überfall auf das Land propagandistisch abzustützen, herausgestellt. Dies gab z.T. sogar die deutsche Bundesregierung zu.
Alle Angebote Ghaddafis für Waffenstillstände und freie Wahlen wiesen der Westen und die von ihm gesteuerten „Rebellen“ zurück, ebenso wie die Friedensinitiativen Venezuelas und der Afrikanischen Union.
Nachdem sich herausstellte, daß die „Rebellen“ kaum Rückhalt im Volk haben und trotz des unterstützenden Bombardements der NATO die Hauptstadt Tripolis, in der im Juli 2011 eine Pro-Ghaddafi-Kundgebung mit mindestens 1 Mio. Teilnehmern stattfand, wohl nie erobern könnten, unternahm die NATO, nachdem der libysche Rundfunk und das TV ausgeschaltet waren, eine Landeoperation und brachte „Rebellen“-Truppen, Söldner aus Katar und NATO-Special-Forces mit Schnellbooten in der Nacht des 21.August in die Stadt.
Nach mehrtägigen Kämpfen floh Ghaddafi aus der Stadt, hielt sich versteckt und rief aus dem Untergrund in Radiobotschaften zum Widerstand gegen die westlichen Besatzer und den von islamistischen Kämpfern dominierten Rebellenmob auf.
Ghaddafi suchte in seiner Geburtsstadt Sirte, in der seine treuesten Anhänger leben, Zuflucht. Nach und nach eroberten die „Rebellen“ dank NATO-Söldnern die großen Städte des Landes. Die verbliebenen Ghaddafi-Hochburgen wie Sirte oder Bani Walid wurden durch einen NATO-Bombenterror vernichtet, der den Straftatbestand des Völkermordes erfüllt.

Als die islamistischen Kämpfer  Sirte eroberten, floh Ghaddafi am 20.10.2011 mit seinen engsten Vertrauten in einem Konvoi von fünf Fahrzeugen aus der Stadt. Die NATO bombardierte diesen Konvoi und tötete zahlreiche ehemalige Regierungsmitarbeiter. Ghaddafi schleppte sich schwerverletzt in eine Betonröhre, und verteidigte sich mit seinen Waffen, bis die Munition alle war gegen die „Rebellen“, bis diese ihn aus der Röhre herausszogen und hinrichteten.
Wer das grausame Video von Ghaddafis „Festnahme“ sieht, bei der die langbärtigen Kämpfer des Rebellenrates auf den alten, verwundeten und blutverschmierten Mann einschlagen, hat Zweifel, daß diese Barbaren ein Zeitalter der „Demokratie“ in Libyen einleiten werden.

Kein Regierungschef der westlichen Welt empfand Mitleid mit Ghaddafis Schicksal – aber Mitleid ist ja schließlich auch eine menschliche Kompetenz. Lediglich der italienische Premier Silvio Berlusconi, der eigentlich gegen den Krieg war, aber von Parlament und Staatspräsident dazu „gezwungen“ wurde, erklärte melancholisch zum Tod des ehemaligen Freundes Ghaddafi: „So vergeht der Ruhm der Welt“.

Der venezuelanische Präsident Hugo Chavez, einer der letzten Demokraten unter den Staatsoberhäuptern dieser Welt, erklärte, Muammar al-Ghaddafi werde als „Märtyrer“ und „großer Kämpfer“ in Erinnerung bleiben.

Muammar al-Ghaddafi, der privat einen sehr bescheidenen Lebensstil pflegte, starb wie sein Vorbild, der große libysche Unabhängigkeitskämpfer Omar Muktar, der einst von der italienischen Kolonialmacht hingerichtet wurde. Der sogenannte Grüne Widerstand, die Anhänger des basisdemokratischen Systems von Ghaddafi, kämpft indessen weiter und hat mehrere kleine Städte unter seine Kontrolle gebracht.


„ Daß man mich zu töten versuchte, ist auch eine Tatsache. Die CIA hat Martin Luther King auf dem Gewissen, sie hat Allende auf dem Gewissen, sie hat Lumumba auf dem Gewissen -- warum sollte sie davor zurückschrecken, auch mich noch auf ihr Gewissen zu laden.“
Muammar al-Ghaddafi im SPIEGEL-Interview 1981

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