Montag, 17. Oktober 2011


 BRIEF AN DEN CHEFREDAKTEUR DER "ZEIT"


Giovanni di Lorenzo
Chefredakteur
Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Pressehaus
Buceriusstraße, Eingang Speersort 1

20095 Hamburg





Wiesbaden, 29.09.2011
Sehr geehrter Herr di Lorenzo,

die ZEIT steht für journalistische Qualität und beste Recherchen. Erst jüngst hat ZEIT den Online Journalism Award 2011 gewonnen – dazu gratuliere ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sehr herzlich.

Gleichzeitig verpflichtet eine solche Auszeichnung. An diese Verpflichtung darf ich Sie bezüglich der aktuellen Berichterstattung zu Libyen, höflich erinnern!

Sie wissen es, Ihre Journalisten wissen es: In Libyen ist Krieg – und keine Zivilgesellschaft wird „geschützt“ – es passieren unmenschliche Grausamkeiten vor Ort an der Front. Die Front, das ist nicht die von Al-Jazeera gemalte Kulisse des grünen Platzes in Tripolis und es ist auch nicht die fast schon idyllisch anmutende Wüstenlandschaft in der die jungen Rebellen und zeitweise unzählbaren Reuters Journalisten stehen – die Front ist dort, wo durch Bomben der Nato Morde in der Zivilbevölkerung verursacht werden, wo Frauen, Kinder, Alte und Kranke als Kollateralschäden von der NATO in Kauf genommen werden.

Doch davon ist keine Rede, wenn Andrea Böhm und Ulrich Ladurner, am 22.09.2011 in einem so genannten „Streitgespräch“ darüber philosophieren ob „Libyen – eine humanitäre Intervention?“ oder doch nur eine Aktion „change government“ sei, erscheint angesichts der dort angerichteten Morde nur zynisch!

Nur selten schimmert Nachdenklichkeit über das WIE und das WARUM durch, z.B. in „Der illegitime Triumph der NATO in Libyen“ von Reinhard Merkel, vom 13.09.2011 oder auch der gute Beitrag von Herrn Ladurner, am 07.09.2011 „Leichen im Keller“ zur Rolle der Al-Qaida in Libyen. Durften die beiden genannten kritischen Artikel nur zu einem Zeitpunkt erscheinen, da der Sieg der NATO in diesen Tagen scheinbar schon zum Greifen nahe lag?

Anstatt im Politikteil Ihrer wertvollen und renommierten Wochenzeitung kritisch darüber zu informieren, welches Leid durch diesen – zum angeblichen Schutz der Zivilgesellschaft – initiierten Krieg passiert, werden die offiziellen APD-  und Reuters Nachrichten lediglich umformuliert und auf ein gehobenes Sprachniveau gebracht. Haben Sie, haben Ihre Journalisten das nötig?

Es steht mir nicht an, Sie oder Ihre Journalisten zu verurteilen. Ich weiß, wie engagiert Sie persönlich sind und waren. Und genau darum appelliere ich inständig an Ihr Gewissen, als Journalisten und als Mensch: beweisen Sie Zivilcourage! Ich bitte Sie – veranlassen Sie darüber zu berichten, was wirklich in Libyen passiert!

Mit freundlichen Grüßen

B.J.

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