BRIEF AN DEN CHEFREDAKTEUR DER "ZEIT"
Giovanni di Lorenzo
Chefredakteur
Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG
Pressehaus
Buceriusstraße, Eingang Speersort 1
20095 Hamburg
Wiesbaden, 29.09.2011
Sehr
geehrter Herr di Lorenzo,
die ZEIT steht für journalistische Qualität und
beste Recherchen. Erst jüngst hat ZEIT den Online Journalism Award 2011
gewonnen – dazu gratuliere ich Ihnen und Ihren Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern sehr herzlich.
Gleichzeitig verpflichtet eine solche Auszeichnung.
An diese Verpflichtung darf ich Sie bezüglich der aktuellen Berichterstattung
zu Libyen, höflich erinnern!
Sie wissen es, Ihre Journalisten wissen es: In
Libyen ist Krieg – und keine Zivilgesellschaft wird „geschützt“ – es passieren
unmenschliche Grausamkeiten vor Ort an der Front. Die Front, das ist nicht die
von Al-Jazeera gemalte Kulisse des grünen Platzes in Tripolis und es ist auch
nicht die fast schon idyllisch anmutende Wüstenlandschaft in der die jungen
Rebellen und zeitweise unzählbaren Reuters Journalisten stehen – die Front ist
dort, wo durch Bomben der Nato Morde in der Zivilbevölkerung verursacht werden,
wo Frauen, Kinder, Alte und Kranke als Kollateralschäden von der NATO in Kauf
genommen werden.
Doch davon ist keine Rede, wenn Andrea Böhm und
Ulrich Ladurner, am 22.09.2011 in einem so genannten „Streitgespräch“ darüber
philosophieren ob „Libyen – eine humanitäre Intervention?“ oder doch nur eine
Aktion „change government“ sei, erscheint angesichts der dort angerichteten
Morde nur zynisch!
Nur selten schimmert Nachdenklichkeit über das WIE
und das WARUM durch, z.B. in „Der illegitime Triumph der NATO in Libyen“ von
Reinhard Merkel, vom 13.09.2011 oder auch der gute Beitrag von Herrn Ladurner,
am 07.09.2011 „Leichen im Keller“ zur Rolle der Al-Qaida in Libyen. Durften die
beiden genannten kritischen Artikel nur zu einem Zeitpunkt erscheinen, da der
Sieg der NATO in diesen Tagen scheinbar schon zum Greifen nahe lag?
Anstatt im Politikteil Ihrer wertvollen und
renommierten Wochenzeitung kritisch darüber zu informieren, welches Leid durch
diesen – zum angeblichen Schutz der Zivilgesellschaft – initiierten Krieg
passiert, werden die offiziellen APD-
und Reuters Nachrichten lediglich umformuliert und auf ein gehobenes
Sprachniveau gebracht. Haben Sie, haben Ihre Journalisten das nötig?
Es steht mir nicht an, Sie oder Ihre Journalisten
zu verurteilen. Ich weiß, wie engagiert Sie persönlich sind und waren. Und
genau darum appelliere ich inständig an Ihr Gewissen, als Journalisten und als
Mensch: beweisen Sie Zivilcourage! Ich bitte Sie – veranlassen Sie darüber zu
berichten, was wirklich in Libyen passiert!
Mit
freundlichen Grüßen
B.J.
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