Mittwoch, 23. November 2011


Die undurchsichtige Haltung des Tschad im Libyen-Konflikt

23.11.2011. Seit einiger Zeit mehren sich die Informationen darüber, daß angeblich NATO-Kampfflugzeuge vom Tschad und vom Südsudan aus Ziele in Libyen angreifen. Die Angriffe gelten dem Wüstenstamm der Tuareg und der Libyschen Befreiungsfront (LLF), welche beide gegen das von der NATO installierte Terrorregime aus Islamisten und Neoliberalen in Tripolis kämpfen.
Diese Bombardements fanden nach dem 31.10.2011 statt, nach dem die NATO also ihren Einsatz in Libyen offiziell für beendet erklärt hatte.
Der Südsudan ist ein Staat, der erst in diesem Jahr – auf massives Betreiben von Washington – „unabhängig“ wurde. In Wirklichkeit ist dieses Staatsgebilde, ohne nennenswerte Infrastruktur, aber dafür mit Ölquellen ausgestattet, eine Kolonie der USA und von diesen völlig abhängig.
Der Tschad hingegen steht als ehemalige französische Kolonie unter dem Einfluß von Paris.. In seinem Staatsgebiet führten Libyen und Frankreich in den 80iger Jahren einen Stellvertreterkrieg. Der jetzige Präsident Idriss Déby, ein als wagemutig und strategisch brillant bekannter hoher Offizier der pro-französischen Diktatur von Hissen Habré stürzte diesen 1990 mit Hilfe von Libyen, Frankreich und Sudan. Déby hatte es geschafft, nachdem er bei Habré in Ungnade gefallen war, die widerstreitenden Interessen der drei unterschiedlichen Hegemonialmächte im Tschad auszubalancieren und es allen dreien „irgendwie recht zu machen“.

Noch zum Beginn des Krieges in Libyen tönte Idriss Déby, er werde der libyschen Regierung 1.000 Soldaten zur Verteidigung gegen die Anti-Ghaddafi-„Rebellen“ schicken. Dies dürfte  Frankreich mehr als nur verärgert haben.
Die Soldaten scheinen auch angekommen zu sein, denn es gibt Berichte, daß tschadische Scharfschützen bei der Verteidigung von Tripolis Ende August aktiv waren. Nach der Zerstörung der Großfahrzeuge und Panzer der libyschen Armee durch die NATO-Jets haben laut „taz“-Berichten Offiziere aus dem Tschad im Frühjahr 2011 kurzzeitig die operative Leitung der Angriffe auf der Straße zwischen Sirte und Adschabbija übernommen. Die Tschader besitzen jahrelange Erfahrung in der Durchführung von „Toyota-Kriegen“ – also Schlachten, die hauptsächlich mit leichten Pick-ups geführt werden.

Im Frühling tauchte Idriss Déby noch einmal in der Weltpresse auf, als er davor warnte, daß sich unter den libyschen Rebellen radikale Islamisten befinden und die Al-Qaida im Maghreb, so fern sie libysche Waffen in die Hände bekäme „zur stärksten Armee in der Region“ aufsteigen könnte. Danach kamen keine Meldungen mehr aus dem Tschad bezüglich des Krieges in Libyen.

Es ist aber anzunehmen, daß die Franzosen Déby für seine Haltung mehr als nur den „Kopf gewaschen“ haben. Unmittelbar vor dem Fall von Tripolis wurde bekannt, daß tschadische Sicherheitskräfte durch Verhaftungen dafür gesorgt hätten, daß Freiwillige, die auf der Seite Libyens in den Krieg eintreten wollten, die Grenze nicht überschritten. Wenige Tage nach dem Fall der Hauptstadt erkannte der Tschad den von der NATO und westlichen Geheimdiensten eingesetzten „Nationalen Übergangsrat“ als Regierung Libyens an.
Also eine 180-Grad-Wende in der Politik des Tschad.

Ist dies ausschließlich mit dem Einfluß von Paris in seiner ehemaligen Kolonie zu erklären?
Dazu muß man wissen, daß Idriss Débys Herrschaft 2006 und 2008 von Rebellen bedroht wurde, welche beide Male bereits bis in die Hauptstadt N´Djamena vorgedrungen waren. Nur äußerst knapp konnte der verschlagene Autokrat seinen Hals aus der Schlinge ziehen. 2008 waren die Rebellen bereits bis auf wenige hundert Meter vor den Präsidentenpalast vorgedrungen. Déby verweigerte das Angebot der Franzosen ihn auszufliegen und wollte wie Muammar al-Ghaddafi in Libyen bis zur letzten Patrone kämpfen. Beide Male verdankte er seinen Sieg über die Rebellen – übrigens auch nur zu kurz gekommene Ex-Funktionäre seines Regimes – dem Eingreifen Libyens und Frankreichs. 2006 feuerten französische Kampfjets, welche im Tschad stationiert sind, auf einen Rebellenkonvoi, 2008 brachte Paris mittels Luftbrücke und in dem es den Flughafen von N´Djamena gegen die Rebellen verteidigte, kistenweise libysche Waffen für die Regierungstruppen des Tschad, denen die Munition auszugehen drohte.

Sein politisches Überleben hatte Déby also immer sowohl Paris als auch Tripolis zu verdanken. Dieses empfindliche Gleichgewicht ist mit dem Sturz Ghaddafis und dem Krieg in Libyen nun bedroht.

Inzwischen ist der chinesische Einfluß im Sahelstaat immens gewachsen. Zusammen mit China baute der Tschad bereits seine erste eigene Erdölraffinerie.
Seine erfolgreiche Schaukelpolitik wird der Tschad nun zwischen Peking und Paris betreiben.

Als schlauer Stratege – und diesen Ruf geniest Déby in Afrika – wollte der in Paris als „Wüstencowboy von N´Djamena“ bezeichnete Präsident des Tschad wohl nicht auf der Seite der Verlierer stehen, als klar war, daß die Kräfte der libyschen Jamahiriya (basisdemokratisches Rätesystem unter Ghaddafi) den Konflikt nicht gewinnen werden.

Immer wieder bemüht sich Déby, durch populistische Manöver seine „Unabhängigkeit“ von Paris zu unterstreichen, was aber in Wirklichkeit zeigt, wie stark der Einfluß der ehemaligen Kolonialmacht noch ist. Am 11. August 2010 stellte der tschadische Präsident die französische Truppenpräsenz öffentlich in Frage und verlangte eine Kompensation für die Nutzung des Stützpunktes. Das ganze verlief wie so viele rhetorische Attacken Débys gegen Paris wieder völlig im Sande und die Franzosen sind immer noch da.

Weiter gibt es nun Informationen, die aber offiziell noch nicht bestätigt wurden, daß Truppen des Tschad, angeblich auf französischen „Befehl“ hin, nach Süd-Libyen einmarschiert seien. Die Informationen darüber sind sehr spärlich.
Falls dies aber zutrifft, könnte das Motiv des Tschad aber auch ein anderes sein, als die Interessen der Franzosen zu bedienen. Idriss Déby ist 2011 mit knapp 89% als Präsident wiedergewählt wurden und hat seine Position gefestigt, die Opposition ist schwach und zerstritten, mehrere Rebellen-Chefs streckten nach einer Amnestie die Waffen. Mit anderen Worten, Déby hat seinen fragilen Staat gerade erst wieder mühsam zusammengeflickt und bestimmt nicht die Absicht, ihn durch das Überschwappen eines benachbarten Bürgerkrieges wieder zerlegen zulassen. Der Tschad könnte also versuchen, eine Pufferzone in Libyen einzurichten, um den Waffenschmuggel zu unterbinden, zumal das rebellische Volk der Tubu auf beiden Seiten der extrem durchlässigen und schwer zu kontrollierenden Grenze lebt. Dieses vitale Interesse des Tschad deckt sich durchaus mit dem des Westens, welcher ebenfalls Angst hat, daß die zahlreichen Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg in andere Staaten gelangen.

Das alles ändert nichts an der Tatsache, daß der von der NATO in Gang gesetzte Libyen-Krieg eines der bisher größten Verbrechen des 21. Jahrhunderts ist und jegliches internationales Recht seitens der westlichen Staatengemeinschaft mit Füßen getreten wurde.

K. Hanisch


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