Die undurchsichtige Haltung des Tschad im Libyen-Konflikt
23.11.2011. Seit einiger Zeit mehren sich die
Informationen darüber, daß angeblich NATO-Kampfflugzeuge vom Tschad und vom
Südsudan aus Ziele in Libyen angreifen. Die Angriffe gelten dem Wüstenstamm der
Tuareg und der Libyschen Befreiungsfront (LLF), welche beide gegen das
von der NATO installierte Terrorregime aus Islamisten und Neoliberalen in
Tripolis kämpfen.
Diese Bombardements fanden nach dem 31.10.2011 statt, nach
dem die NATO also ihren Einsatz in Libyen offiziell für beendet erklärt hatte.
Der Südsudan ist ein Staat, der erst in diesem Jahr – auf
massives Betreiben von Washington – „unabhängig“ wurde. In Wirklichkeit ist
dieses Staatsgebilde, ohne nennenswerte Infrastruktur, aber dafür mit Ölquellen
ausgestattet, eine Kolonie der USA und von diesen völlig abhängig.
Der Tschad hingegen steht als ehemalige französische Kolonie
unter dem Einfluß von Paris.. In seinem Staatsgebiet führten Libyen und
Frankreich in den 80iger Jahren einen Stellvertreterkrieg. Der jetzige
Präsident Idriss Déby, ein als wagemutig und strategisch brillant bekannter
hoher Offizier der pro-französischen Diktatur von Hissen Habré stürzte diesen
1990 mit Hilfe von Libyen, Frankreich und Sudan. Déby hatte es geschafft, nachdem
er bei Habré in Ungnade gefallen war, die widerstreitenden Interessen der drei
unterschiedlichen Hegemonialmächte im Tschad auszubalancieren und es allen
dreien „irgendwie recht zu machen“.
Noch zum Beginn des Krieges in Libyen tönte Idriss Déby, er
werde der libyschen Regierung 1.000 Soldaten zur Verteidigung gegen die
Anti-Ghaddafi-„Rebellen“ schicken. Dies dürfte
Frankreich mehr als nur verärgert haben.
Die Soldaten scheinen auch angekommen zu sein, denn es gibt
Berichte, daß tschadische Scharfschützen bei der Verteidigung von Tripolis Ende
August aktiv waren. Nach der Zerstörung der Großfahrzeuge und Panzer der
libyschen Armee durch die NATO-Jets haben laut „taz“-Berichten Offiziere aus
dem Tschad im Frühjahr 2011 kurzzeitig die operative Leitung der Angriffe auf
der Straße zwischen Sirte und Adschabbija übernommen. Die Tschader besitzen
jahrelange Erfahrung in der Durchführung von „Toyota-Kriegen“ – also
Schlachten, die hauptsächlich mit leichten Pick-ups geführt werden.
Im Frühling tauchte Idriss Déby noch einmal in der
Weltpresse auf, als er davor warnte, daß sich unter den libyschen Rebellen
radikale Islamisten befinden und die Al-Qaida im Maghreb, so fern sie libysche
Waffen in die Hände bekäme „zur stärksten Armee in der Region“ aufsteigen könnte.
Danach kamen keine Meldungen mehr aus dem Tschad bezüglich des Krieges in
Libyen.
Es ist aber anzunehmen, daß die Franzosen Déby für seine
Haltung mehr als nur den „Kopf gewaschen“ haben. Unmittelbar vor dem Fall von
Tripolis wurde bekannt, daß tschadische Sicherheitskräfte durch Verhaftungen
dafür gesorgt hätten, daß Freiwillige, die auf der Seite Libyens in den Krieg
eintreten wollten, die Grenze nicht überschritten. Wenige Tage nach dem Fall
der Hauptstadt erkannte der Tschad den von der NATO und westlichen
Geheimdiensten eingesetzten „Nationalen Übergangsrat“ als Regierung Libyens an.
Also eine 180-Grad-Wende in der Politik des Tschad.
Ist dies ausschließlich mit dem Einfluß von Paris in seiner
ehemaligen Kolonie zu erklären?
Dazu muß man wissen, daß Idriss Débys Herrschaft 2006 und
2008 von Rebellen bedroht wurde, welche beide Male bereits bis in die
Hauptstadt N´Djamena vorgedrungen waren. Nur äußerst knapp konnte der
verschlagene Autokrat seinen Hals aus der Schlinge ziehen. 2008 waren die Rebellen
bereits bis auf wenige hundert Meter vor den Präsidentenpalast vorgedrungen.
Déby verweigerte das Angebot der Franzosen ihn auszufliegen und wollte wie
Muammar al-Ghaddafi in Libyen bis zur letzten Patrone kämpfen. Beide Male
verdankte er seinen Sieg über die Rebellen – übrigens auch nur zu kurz
gekommene Ex-Funktionäre seines Regimes – dem Eingreifen Libyens und
Frankreichs. 2006 feuerten französische Kampfjets, welche im Tschad stationiert
sind, auf einen Rebellenkonvoi, 2008 brachte Paris mittels Luftbrücke und in
dem es den Flughafen von N´Djamena gegen die Rebellen verteidigte, kistenweise
libysche Waffen für die Regierungstruppen des Tschad, denen die Munition
auszugehen drohte.
Sein politisches Überleben hatte Déby also immer sowohl
Paris als auch Tripolis zu verdanken. Dieses empfindliche Gleichgewicht ist mit
dem Sturz Ghaddafis und dem Krieg in Libyen nun bedroht.
Inzwischen ist der chinesische Einfluß im Sahelstaat immens
gewachsen. Zusammen mit China baute der Tschad bereits seine erste eigene
Erdölraffinerie.
Seine erfolgreiche Schaukelpolitik wird der Tschad nun
zwischen Peking und Paris betreiben.
Als schlauer Stratege – und diesen Ruf geniest Déby in
Afrika – wollte der in Paris als „Wüstencowboy von N´Djamena“ bezeichnete
Präsident des Tschad wohl nicht auf der Seite der Verlierer stehen, als klar
war, daß die Kräfte der libyschen Jamahiriya (basisdemokratisches Rätesystem
unter Ghaddafi) den Konflikt nicht gewinnen werden.
Immer wieder bemüht sich Déby, durch populistische Manöver
seine „Unabhängigkeit“ von Paris zu unterstreichen, was aber in Wirklichkeit
zeigt, wie stark der Einfluß der ehemaligen Kolonialmacht noch ist. Am 11.
August 2010 stellte der tschadische Präsident die französische Truppenpräsenz
öffentlich in Frage und verlangte eine Kompensation für die Nutzung des
Stützpunktes. Das ganze verlief wie so viele rhetorische Attacken Débys gegen
Paris wieder völlig im Sande und die Franzosen sind immer noch da.
Weiter gibt es nun Informationen, die aber offiziell noch
nicht bestätigt wurden, daß Truppen des Tschad, angeblich auf französischen
„Befehl“ hin, nach Süd-Libyen einmarschiert seien. Die Informationen darüber
sind sehr spärlich.
Falls dies aber zutrifft, könnte das Motiv des Tschad aber
auch ein anderes sein, als die Interessen der Franzosen zu bedienen. Idriss
Déby ist 2011 mit knapp 89% als Präsident wiedergewählt wurden und hat seine
Position gefestigt, die Opposition ist schwach und zerstritten, mehrere
Rebellen-Chefs streckten nach einer Amnestie die Waffen. Mit anderen Worten,
Déby hat seinen fragilen Staat gerade erst wieder mühsam zusammengeflickt und
bestimmt nicht die Absicht, ihn durch das Überschwappen eines benachbarten
Bürgerkrieges wieder zerlegen zulassen. Der Tschad könnte also versuchen, eine
Pufferzone in Libyen einzurichten, um den Waffenschmuggel zu unterbinden, zumal
das rebellische Volk der Tubu auf beiden Seiten der extrem durchlässigen und
schwer zu kontrollierenden Grenze lebt. Dieses vitale Interesse des Tschad
deckt sich durchaus mit dem des Westens, welcher ebenfalls Angst hat, daß die
zahlreichen Waffen aus dem libyschen Bürgerkrieg in andere Staaten gelangen.
Das alles ändert nichts an der Tatsache, daß der von der
NATO in Gang gesetzte Libyen-Krieg eines der bisher größten Verbrechen des 21.
Jahrhunderts ist und jegliches internationales Recht seitens der westlichen
Staatengemeinschaft mit Füßen getreten wurde.
K. Hanisch
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