Feldmarschall Haftars Zukunftsvorstellungen
Libyen/LNA. Am 19. Juni veröffentlichte das
TheLibyanAddressJournal ein Interview mit Feldmarschall Khalifa Haftar, in dem
es auch um die Zeit nach der Einnahme von Tripolis geht.
Die Position der Europäischen Union
Der Journalist Isa Abdul Qayum interviewte Haftar in dessen Hauptquartier.
Zunächst geht es um die Beziehungen der EU zu seinem Gegenspieler Sarradsch von
der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis und dessen Verbindungen mit terroristischen
Milizen. Dabei wird ein Bericht der Europäischen Union zitiert, in dem es um
die Verbindungen von Fajez as-Sarradsch und seiner Regierung zu Milizen geht,
deren Führern Terrorismus und Menschenhandel vorgeworfen wird. Der EU-Bericht
beklagt, dass die Entscheidungen der ‚Einheitsregierung‘ von zwei Gruppen
beeinflusst werden: von korrupten Geschäftsleuten und von der
Moslembruderschaft. Aus diesen Gründen rät der EU-Bericht, bei der weiteren
Zusammenarbeit mit Sarradsch Vorsicht walten zu lassen, da diese Zusammenarbeit
sinnlos sei.
Nach der Einschätzung der Position der EU befragt, antwortet Haftar, man
setze zuallererst auf die eigenen Soldaten und Offiziere sowie auf die
Unterstützung des libyschen Volkes. „Es hat uns noch nie im Stich gelassen,
weder beim Beginn des Kriegs gegen den Terror, noch bei unseren Anstrengungen,
unsere Nation wiederherzustellen. Trotzdem bleiben die europäischen Positionen
für uns wichtig. [...] Wir möchten, dass sie die Sehnsucht des libyschen
Volkes, seine Lebensrealität zu ändern und einen Ausweg aus der Krise zu
finden, verstehen. Eine solche Veränderung beginnt mit dem Krieg gegen den
Terror, der Auflösung von Milizen und dem Aus für die jetzige Phase, in der es
keine echten Autoritäten gibt, die ordnungsgemäß vom Volk bestimmt sind.“
Die Militäraktion ‚Dignity Hurrican‘ zur Befreiung von Tripolis
Haftar betont, eine Lösung kann nur auf politischem Wege und unter
Beteiligung aller Libyer gefunden werden. Die Militäraktion „Dignity Hurrican“
ziele allein darauf ab, unhaltbare Gegebenheiten, denen anders nicht
beizukommen ist, zu beenden. Dazu zählten die Anwesenheit von Terroristen und
ihre Versuche, in Tripolis Zellen aufzubauen, Milizen, die das Geld der
Zentralbank, das dem libyschen Volk gehört, kontrollieren, ebenso wie Raub,
Entführung, Erpressung, das Aufkommen immer mehr krimineller Gruppen und des
organisierten Menschenhandels, des Öl- und Treibstoffschmuggels sowie der
politische Islam, der versuche, die Politik zu sabotieren und ausländische
Interessen gegen das libysche Volk durchzusetzen. Dies alles werde mit
militärischen Mitteln beendet werden. Für alles andere werde das libysche Volk
auf friedlichem, politischem und demokratischem Wege mittels Dialog und Diskussion
Lösungen finden.
Die militärische Lage in Tripolis
Auf die Frage, wie sich die militärische Lage augenblicklich in Tripolis
darstellt, sagt Haftar: „Die Lage ist ausgezeichnet.“ Erst wenn alle Ziele
erreicht seien, werde man die militärischen Operationen beenden. „Die Moral der
Armee ist hoch und ihre Führer wissen sehr genau, dass sie eine große
historische Aufgabe erfüllen. Sie haben klare und direkte Befehle. Sie wissen,
dass Libyen in Gefahr ist und dass es keine andere Möglichkeit zu seiner Rettung
gibt. Sie beziehen ihren Kampfgeist aus ihrem Gottvertrauen, aus der
Unterstützung des libyschen Volkes mit all seinen Stämmen, Städten, Eliten und
Institutionen. Wenn die militärischen Aufgaben gelöst sind, werden diese Männer
unsere Grenzen, Küsten und den Himmel schützen. So wird eine Atmosphäre
geschaffen, die der politischen Arbeit und den Detaildiskussionen förderlich
ist und so zum Erfolg führen wird. Ganz im Gegensatz zu dem, was die letzten
acht Jahre stattgefunden hat. Der Militäreinsatz wird alles aus dem Weg räumen,
was zum Scheitern des politischen Prozesses und zur wirtschaftlichen, sozialen,
juristischen und sicherheitspolitischen Katastrophe geführt hat.“
Die Übergangszeit, Wahlen und eine Verfassung
Nach der militärischen Phase müsse es eine Übergangszeit geben, die diesmal
aber klar umrissen ist und diszipliniert eingehalten werde, und während der
grundlegende Aufgaben zu erfüllen seien. Dazu zählten die Auflösung und
Entwaffnung der Milizen und die Gewährung von Sicherheitsgarantien für
diejenigen, die dabei kooperierten. Das Skhirat-Abkommen sei nicht nur
abgelaufen und habe keinen Ausweg aus der Krise aufgezeigt, sondern habe im
Gegenteil neue Krisen verursacht. Die Übergangszeit solle zur Vorbereitung
einer endgültigen Lösung dienen, in der sich der Staat stabilisieren kann, um
mit dem Wiederaufbau und der Entwicklung des Landes nach den langen Jahren der
Stagnation zu beginnen. Dazu gehörten auch die Bildung eines neuen
Verfassungsausschusses und ein Gesetzesentwurf für eine Neuausrichtung des
Ölsektors und seiner Einnahmen, der in einem Referendum bestätigt werden soll.
Das Leben der Menschen solle erleichtert, die Liquiditätskrise angegangen
werden. Die staatlichen Institutionen sollten nach Jahren der chaotischen
Spaltung wieder zusammengeführt und ordentlich verwaltet werden. Inzwischen
wisse die ganze Welt, dass wegen des ungesetzlichen Machtkampfs und der
Nichteinhaltung von eingegangenen Verpflichtungen sowie der Manipulation durch
Milizen dieses Chaos ausgelöst wurde. Dies geschah vor und nach den
Terroroperationen des „Libya Fadschr“ [
„Libysches Morgengrauen“,
militärischer Zusammenschluss der dschihadistischen Gruppen nach deren
Wahldebakel 2014], der von der Muslimbruderschaft ins Leben gerufen worden
war. Die ganze Welt wisse jetzt, dass es diese unrechtmäßigen Operationen
waren, die die staatlichen Institutionen spalteten und zu der Katastrophe
führte, die Libyen zu schaffen mache.
Auf die Frage, ob es eine nationale Einheitsregierung geben wird, deren
Aufgabe darin bestehe, den Haushalt in Ordnung zu bringen und die Zeit danach
vorzubereiten, d.h. Libyen auf einen demokratischen Weg zu bringen, an dessen
Ende eine Verfassung und Wahlen stehen, antwortet Haftar: „Genau das ist es,
was ich meine. Es wird eine Übergangszeit unter der Verwaltung einer nationalen
Einheitsregierung geben, die als erstes Tripolis befreit. Und wenn es aus
logistischen und Sicherheitsgründen vorübergehend Probleme geben sollte, kann
sie auch von einer anderen Stadt aus ihre Arbeit erledigen, in Bengasi oder
einer anderen sicheren Stadt im Westen, Osten oder Süden, bis Tripolis für den
Einzug bereit ist. Wir unterscheiden nicht zwischen Städten oder Regionen. Wir
kennen nur ein Libyen.“
Kritik an den Milizen des Fadschr Libya und am Präsidialrat
Auf die Frage, ob an solch redlichen Absichten auch gezweifelt werden darf,
meint Haftar, es sollte erst einmal an jenen gezweifelt werden, die mit
Waffengewalt gegen die Demokratie vorgegangen sind und mit Hilfe der Milizen
von
Fadschr Libya an die Macht zurückkehrt waren. Sie hätten die
Hauptstadt besetzt und mit Waffengewalt eine Regierung eingesetzt. Das
Parlament bezeichne sie als Terroristen.
Zweifel wären auch am Präsidialrat und seinen Milizen angebracht, der sich
weigerte, nach dreimaligem Ablauf des Skhirat-Abkommens und etlicher
Gerichtsurteile gegen ihn und seine Erlasse, die Macht abzugeben, obwohl er
keinen rechtlichen Status besitze.
Zweifel seien auch gegenüber jenen angebracht, die terroristischen Gruppen
und Milizen Schutz und Geld gewährten und ihnen ermöglichten, den Staat und
seine Institutionen zu zerstören. Die Armee sei die gleiche, die die letzten
Wahlen im Jahr 2014 geschützt und alle internationalen Initiativen in Bezug auf
Neuwahlen unterstützt habe. Die Armee sei es, die den Aufbau des neuen
libyschen Staates garantiere und schütze. Es sei nicht die Armee, die ihre
Zusagen bezüglich der Wahlen, die 2018 stattfinden sollten und die dann auf
Anfang 2019 verschoben wurden, nicht eingehalten hat, sondern es sei der
Präsidialrat gewesen, der die Gelder für die Wahlkommission zurückhielt. Die
Wahlkommission sei nicht geschützt worden und konnte so von Terroristen
zerstört werden. Der Präsidialrat sei auch gegen das Referendumsgesetz gewesen
und er habe es erschwert, die Grundlagen für die Verfassung zu schaffen. Immer
wieder seien die schlechte Sicherheitslage und andere Ausreden vorgebracht
worden.
Im Gegensatz dazu habe man selbst immer Wahlen gefordert, auch bei den
Treffen in Abu Dhabi, Paris und Palermo. Wie Meinungsumfragen zeigen, stehe man
dabei im Einklang mit der Mehrheit der Libyer. Die jetzige ‚Einheitsregierung‘
sei dagegen den Weg der Milizen und des nicht verfassungsgemäßen sogenannten
‚Staatsrats‘ gegangen, der von der Moslembruderschaft, die vom Parlament als
terroristische Vereinigung eingestuft wurde, kontrolliert wird. Alle
Vereinbarungen wurden von ihr mittels hanebüchener Ausreden über Bord geworfen.
Internationale Unterstützung
Haftar ist der Meinung, dass die libysche Armee eine hohe internationale
direkte und indirekte Unterstützung genieße. Auch diejenigen, die sie nicht
unterstützen, hätten Verständnis für das Vorgehen der Armee versichert. Es
würden offene Gespräche darüber geführt, wie es nach der Befreiung von Tripolis
weitergehen wird, wie mit libyschen Persönlichkeiten und Stämmen die
Diskussionen verlaufen. Es handle sich um gute Ideen, die nicht im Widerspruch
zum gemeinsamen Interesse Libyens und anderer Länder stünden, sondern es gebe
positive Überschneidungen. Die Souveränität bleibe gewahrt, während gleichzeitig
die offiziellen Beziehungen vertieft würden.
Die Nachbarstaaten
Auf die Frage nach den Beziehungen zu den Nachbarstaaten meint Haftar, dass
neben den besonderen Beziehungen zu Ägypten, Saudi-Arabien, den Vereinigten
Arabischen Emiraten, Jordanien, Kuwait, Tunesiens und zum Tschad sich die
Beziehungen zu Algerien und dem Sudan neu entwickeln. Es sei verstanden worden,
dass die Armee das Land aus der gegenwärtigen Strangulierung über eine
Übergangsphase in eine Stabilität führe, die das Leiden beende. Nach der
Befreiung von Tripolis werde dies offensichtlich werden.
Zur Kritik von Führern der tunesischen Nahda-Bewegung meint Haftar, dass
diese Kräfte, die nicht einmal ihr eigenes Land repräsentieren, sich nicht in
die inneren libyschen Angelegenheiten einmischen sollten, da sonst das Prinzip
der nationalen Souveränität verletzt werde. Haftar glaubt, dass die Angst
besteht, dass bei einer Niederlage der Terroristen und Kriminellen diese in die
benachbarten Länder fliehen könnten. Es seien allerdings vorher viele
Terroristen aus diesen Ländern nach Libyen gekommen und hätten hunderte Libyer
in Bengasi, Derna, im Süden und in anderen Städten und Regionen getötet. Um die
Ängste der Nachbarstaaten auszuräumen, biete sich die direkte Zusammenarbeit
der LNA und den libyschen Sicherheitsbehörden an. So könne die Bedrohung in der
ganzen Region beendet werden. Es bestünden enge nachbarschaftliche und
verwandtschaftliche Beziehungen und es seien Vereinbarungen getroffen worden,
die in Kraft treten können. Man sollte zum Wohle der Völker gegen den Terror
zusammenarbeiten.
Die jüngste Friedensinitiative von Fajez as-Sarradsch
Zur neuesten ‚Friedensinitiative‘ von Sarradsch meint Haftar, Sarradsch habe
nichts zu sagen und könne nichts entscheiden. Er habe ihn in den letzten Jahren
gut kennengelernt und mit ihm Gespräche geführt. Sarradsch wisse nicht, was er
wolle und könne keine Vereinbarung unterzeichnen. Er mache immer den Eindruck,
dass ihm irgendetwas starke Angst mache.
Seine neueste Initiative sei nicht ernst gemeint, denn sie befasse sich
nicht mit den Ursachen der gegenwärtigen Krise, und sei eigentlich keine
Initiative von Sarradsch, sondern nur eine Wiederholung des Diskurses von
Ghassan Salamé. Diese Initiative sei wertlos. Haftar betont, er sei keinesfalls
gegen eine politische Lösung oder einen demokratischen Prozess, auch nicht
gegen Wahlen. Wahlen seien der beste Weg, um vorwärts zu kommen. „Das ABC der
Demokratie ist ein Auswahlverfahren ausschließlich über die Wahlurne und kein
Verfahren, das einen angeblichen ‚Konsens‘ unter den Libyern vorgibt, der in
Hotellobbys den Libyern übergestülpt wurde. Wir glauben, dass all die Werte und
Institutionen, die einen zivilen und modernen Staat ausmachen, nicht unter der
terroristischen Kontrolle von Gruppen wie al-Kaida, LIFG [
Libyan Islamic
Fighting Group], Muslimbruderschaft, Milizen und organisierter
Kriminalität, Schmuggelbanden, Bedrohungen durch Entführungen und dem Diebstahl
öffentlicher Gelder existieren können.
Nach der Befreiung von Tripolis werden wir das libysche Volk in all diesen
Fragen direkt ansprechen. Wir werden die Dinge auf den richtigen Weg bringen,
einen Weg, der den Interessen Libyens und der Libyer dient, der die Einheit des
Territoriums und den Zusammenhalt seiner Bevölkerung bewahrt und dessen Vermögen
investiert, anstatt dass wie heute Millionen über den Land-, See und Luftweg
von Banden außer Landes geschmuggelt werden, deren Anführer international und
lokal gesucht werden. Vor allem gegen solche Leute kämpfen wir heute in
Tripolis. Das ist kein Geheimnis, sondern den Vereinten Nationen und der
internationalen Gemeinschaft bekannt.“
Ghassan Salamé – Vorsitzender der UN-Sondermission für Libyen
Haftar bringt seine Wertschätzung für Salamé zum Ausdruck, da er ihn für
einen kultivierten arabischen Nationalisten hält. Allerdings machten Berichte
seiner UN-Sondermission und seine Berichte an den UN-Sicherheitsrat glauben,
dass eine Zusammenarbeit mit ihm nutzlos ist. Es bestünde aber immer noch die
Hoffnung, dass die Zusammenarbeit fortgesetzt werde könne und Perspektiven zur
Lösung der Krise aufzeigt werden.
Flutkatastrophe in der südwestlichen Stadt Ghat
Haftar verweist auf die Hilfsflüge, die in die Wüstenlager geschickt wurden.
Es werde mit allen zuständigen Stellen zusammengearbeitet. Die Hilfe müsse aber
dringend schneller von statten gehen.
https://www.addresslibya.com/en/archives/47346