Freitag, 28. Juni 2019



Journalistin beschuldigt libyschen Funktionär

Libyen. In einem Interview erklärt Vanesso Tomassini, 2018 von einem libyschen Sicherheitsbeamten vergewaltigt worden zu sein und verteidigt ihr Interview mit Mohamed al-Gali.
SpecialeLibia berichtet über ein Interview, dass die italienische Journalistin Vanesso Tomassini dem libyschen Sender 218 News gab. Sie beschuldigt darin einen hochrangigen Sicherheitsbeamten der 'Einheitsregierung' in Tripolis, sie 2018 vergewaltigt zu haben.
Vanessa Tomassini reiste nach Libyen, um für das Nachrichtenportal SpecialeLibia über die Situation in Libyen zu berichten. Sie hält sich seit fast zwei Monaten in West- und Ostlibyen auf, ein Land mit dessen Politik sie sich seit Jahren intensiv beschäftigt.
Nachdem sie zunächst im April über den Vorstoß der Libyschen Nationalarmee (LNA) auf Tripolis und die dortigen Kämpfe berichtet hatte, reiste sie weiter nach Bengasi, Derna und al-Beida. Vorher wurde sie von der italienischen Botschaft in Tripolis gewarnt. Sie sei in Gefahr und solle das Land umgehend verlassen. Diese Warnung schlug Tomassini in den Wind, blieb bis 22. April in Tripolis und reiste dann in den Osten Libyens.
Sie erzählt, dass die gleiche Miliz der ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch, die ihr Begleitschutz an die Front gegeben hatte, sie auch darüber informiert habe, dass in Tripolis Kämpfer von Ansar al-Scharia, Tarik al-Matar und Ain Zara an der Seite der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ im Einsatz sind. Tomassini benannte einige dieser dschihadistischen Kämpfer namentlich. Bereits vorher hatte SpecialeLibia wie auch andere Medien ausführlich über die Anwesenheit von al-Kaida- und anderen terroristischen Gruppen in Tripolis berichtet und diesbezügliche Fotos und Videos veröffentlicht.
Erst auf drängende Fragen gab Tomassini zu, dass die Reisen nach Libyen immer mit großen Schwierigkeiten verbunden waren. So sei sie am 27. November 2018 im Concord Hotel in Tunis von einem hochrangigen Sicherheitsbeamten der ‚Einheitsregierung‘ vergewaltigt worden. Vanessa Tomassini fiel es sichtlich schwer, weiter auf diesen Vorfall einzugehen. Sie fügte aber noch hinzu, dass sie mit dem Betreffenden vorher wegen eines Interviews Kontakt gehabt habe und er die Möglichkeit nutzen wollte, von ihr bei der Erteilung eines Visums durch die italienischen Behörden in Rom Hilfe zu erhalten. Tomassini sagte in dem Interview: „Er kam in mein Zimmer, machte das Licht aus und nahm die Telefone weg, um sicherzugehen, dass ich nichts aufzeichnen konnte.“
Zuletzt wurde auf diesem Blog über Tomassinis Interviews mit Parlamentspräsidenten Aguila Saleh[1] und dem Ministerpräsidenten der Übergangsregierung in Tobruk, Abdullah Al-Thani,[2] berichtet.
Als vor etwa drei Wochen ein Interview von Vanessa Tomassini mit Mohamed al Gali auf SpecialeLibia erschien, in dem dieser ein Video rechtfertigt, das ihn zusammen mit Mahmoud al Werfalli zeigt[3], sperrte Twitter den Account von Vanessa Tomassini.
Mahmoud al-Werfalli wird wegen angeblicher außergerichtlicher Erschießung von Gefangenen vom Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (IStGH) gesucht. Mohamed al-Gali wird verdächtigt, bei diesen Erschießungen anwesend gewesen zu sein. Die Journalistin erklärte, dass sie „nur die Aussagen von al-Gali und die Berichte von Menschen veröffentlicht habe, die sie in Bengasi getroffen hat“. Sie fügte hinzu, dass sich in Bengasi Autos mit Werfalli-Plakaten schmückten. Viele bewunderten Werfalli für seinen Kampf gegen den IS und al-Kaida als Nationalhelden. Dann stellt Vanessa Tomassini die Frage: „Können Menschenrechte bei der Bekämpfung des Terrorismus berücksichtigt werden oder müssen sie zur Seite geschoben werden?“
Diese Frage kann nur eine eindeutige Antwort im Sinne von: „Menschenrechte sind Menschenrechte und gelten deshalb für jeden Menschen“ beantwortet werden. Für Tomassini scheint diese Antwort allerdings nicht so eindeutig zu sein. Sie verwies auf die Situation in Großbritannien nach den Anschlägen in Manchester.
Tomassini sagte: „Wenn Mahmoud al-Werfalli für mich ein Held ist, muss ich das auch sagen dürfen. Das bedeutet nicht, dass ich für Massenhinrichtungen bin.“
Dazu muss angemerkt werden, dass der IStGH in diesen Fällen grundsätzlich mit zweierlei Maß misst. Bestens dokumentierte Verbrechen von Milizen der ‚Einheitsregierung‘, die sich internationaler Anerkennung erfreut, werden nicht verfolgt. Erwähnt sei als nur eines von vielen Beispielen das Brak al-Shati-Massaker am 18. Mai vor zwei Jahren, bei dem über 150 Menschen getötet wurden und wo der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ Sarradsch sich bis jetzt weigert, die Untersuchungsergebnisse bekannt zu geben.
Laut Tomassini sind die Umstände in Tripolis und Bengasi sehr unterschiedlich. Dies sei bereits bei der Ankunft am Flughafen offensichtlich. „Jedes Mal, wenn ich am Flughafen Mitiga [Tripolis] ankam, hatte ich solche Angst, wegen der vielen jungen Männer mit langen Bärten. Dagegen handelt es sich in Benina [Bengasi] um einen internationalen Flughafen. Man kann dort etwas trinken, eine Zigarette rauchen.“ Sie beklagte die große Unfreiheit, die in Tripolis herrsche und die allgemeinen Zustände in der Hauptstadt. Bewaffnete, die zur Sarradsch-Regierung gehörten, seien maskiert und trügen Kapuzen über dem Kopf. Sie fragt. „Warum versteckt ein Polizist sein Gesicht?“
https://specialelibia.it/2019/06/25/tomassini-a-218-news-sono-stata-violentata-da-un-alto-funzionario-di-serraj-werfalli-un-eroe/
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[1] https://www.freitag.de/autoren/gela/parlamentspraesident-aguila-saleh-im-interview
[2] https://www.freitag.de/autoren/gela/ministerpraesident-al-thani-tobruk-zur-lage
[3] https://specialelibia.it/2019/06/06/esclusiva-mohamed-al-gali-parla-dei-video-con-mahmoud-al-werfalli-e-sfida-la-cpi-collabora-con-i-terroristi/



Feldmarschall Haftars Zukunftsvorstellungen

Libyen/LNA. Am 19. Juni veröffentlichte das TheLibyanAddressJournal ein Interview mit Feldmarschall Khalifa Haftar, in dem es auch um die Zeit nach der Einnahme von Tripolis geht.

 
Die Position der Europäischen Union
Der Journalist Isa Abdul Qayum interviewte Haftar in dessen Hauptquartier. Zunächst geht es um die Beziehungen der EU zu seinem Gegenspieler Sarradsch von der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis und dessen Verbindungen mit terroristischen Milizen. Dabei wird ein Bericht der Europäischen Union zitiert, in dem es um die Verbindungen von Fajez as-Sarradsch und seiner Regierung zu Milizen geht, deren Führern Terrorismus und Menschenhandel vorgeworfen wird. Der EU-Bericht beklagt, dass die Entscheidungen der ‚Einheitsregierung‘ von zwei Gruppen beeinflusst werden: von korrupten Geschäftsleuten und von der Moslembruderschaft. Aus diesen Gründen rät der EU-Bericht, bei der weiteren Zusammenarbeit mit Sarradsch Vorsicht walten zu lassen, da diese Zusammenarbeit sinnlos sei.
Nach der Einschätzung der Position der EU befragt, antwortet Haftar, man setze zuallererst auf die eigenen Soldaten und Offiziere sowie auf die Unterstützung des libyschen Volkes. „Es hat uns noch nie im Stich gelassen, weder beim Beginn des Kriegs gegen den Terror, noch bei unseren Anstrengungen, unsere Nation wiederherzustellen. Trotzdem bleiben die europäischen Positionen für uns wichtig. [...] Wir möchten, dass sie die Sehnsucht des libyschen Volkes, seine Lebensrealität zu ändern und einen Ausweg aus der Krise zu finden, verstehen. Eine solche Veränderung beginnt mit dem Krieg gegen den Terror, der Auflösung von Milizen und dem Aus für die jetzige Phase, in der es keine echten Autoritäten gibt, die ordnungsgemäß vom Volk bestimmt sind.“

Die Militäraktion ‚Dignity Hurrican‘ zur Befreiung von Tripolis
Haftar betont, eine Lösung kann nur auf politischem Wege und unter Beteiligung aller Libyer gefunden werden. Die Militäraktion „Dignity Hurrican“ ziele allein darauf ab, unhaltbare Gegebenheiten, denen anders nicht beizukommen ist, zu beenden. Dazu zählten die Anwesenheit von Terroristen und ihre Versuche, in Tripolis Zellen aufzubauen, Milizen, die das Geld der Zentralbank, das dem libyschen Volk gehört, kontrollieren, ebenso wie Raub, Entführung, Erpressung, das Aufkommen immer mehr krimineller Gruppen und des organisierten Menschenhandels, des Öl- und Treibstoffschmuggels sowie der politische Islam, der versuche, die Politik zu sabotieren und ausländische Interessen gegen das libysche Volk durchzusetzen. Dies alles werde mit militärischen Mitteln beendet werden. Für alles andere werde das libysche Volk auf friedlichem, politischem und demokratischem Wege mittels Dialog und Diskussion Lösungen finden.

Die militärische Lage in Tripolis
Auf die Frage, wie sich die militärische Lage augenblicklich in Tripolis darstellt, sagt Haftar: „Die Lage ist ausgezeichnet.“ Erst wenn alle Ziele erreicht seien, werde man die militärischen Operationen beenden. „Die Moral der Armee ist hoch und ihre Führer wissen sehr genau, dass sie eine große historische Aufgabe erfüllen. Sie haben klare und direkte Befehle. Sie wissen, dass Libyen in Gefahr ist und dass es keine andere Möglichkeit zu seiner Rettung gibt. Sie beziehen ihren Kampfgeist aus ihrem Gottvertrauen, aus der Unterstützung des libyschen Volkes mit all seinen Stämmen, Städten, Eliten und Institutionen. Wenn die militärischen Aufgaben gelöst sind, werden diese Männer unsere Grenzen, Küsten und den Himmel schützen. So wird eine Atmosphäre geschaffen, die der politischen Arbeit und den Detaildiskussionen förderlich ist und so zum Erfolg führen wird. Ganz im Gegensatz zu dem, was die letzten acht Jahre stattgefunden hat. Der Militäreinsatz wird alles aus dem Weg räumen, was zum Scheitern des politischen Prozesses und zur wirtschaftlichen, sozialen, juristischen und sicherheitspolitischen Katastrophe geführt hat.“

Die Übergangszeit, Wahlen und eine Verfassung
Nach der militärischen Phase müsse es eine Übergangszeit geben, die diesmal aber klar umrissen ist und diszipliniert eingehalten werde, und während der grundlegende Aufgaben zu erfüllen seien. Dazu zählten die Auflösung und Entwaffnung der Milizen und die Gewährung von Sicherheitsgarantien für diejenigen, die dabei kooperierten. Das Skhirat-Abkommen sei nicht nur abgelaufen und habe keinen Ausweg aus der Krise aufgezeigt, sondern habe im Gegenteil neue Krisen verursacht. Die Übergangszeit solle zur Vorbereitung einer endgültigen Lösung dienen, in der sich der Staat stabilisieren kann, um mit dem Wiederaufbau und der Entwicklung des Landes nach den langen Jahren der Stagnation zu beginnen. Dazu gehörten auch die Bildung eines neuen Verfassungsausschusses und ein Gesetzesentwurf für eine Neuausrichtung des Ölsektors und seiner Einnahmen, der in einem Referendum bestätigt werden soll. Das Leben der Menschen solle erleichtert, die Liquiditätskrise angegangen werden. Die staatlichen Institutionen sollten nach Jahren der chaotischen Spaltung wieder zusammengeführt und ordentlich verwaltet werden. Inzwischen wisse die ganze Welt, dass wegen des ungesetzlichen Machtkampfs und der Nichteinhaltung von eingegangenen Verpflichtungen sowie der Manipulation durch Milizen dieses Chaos ausgelöst wurde. Dies geschah vor und nach den Terroroperationen des „Libya Fadschr“ [„Libysches Morgengrauen“, militärischer Zusammenschluss der dschihadistischen Gruppen nach deren Wahldebakel 2014], der von der Muslimbruderschaft ins Leben gerufen worden war. Die ganze Welt wisse jetzt, dass es diese unrechtmäßigen Operationen waren, die die staatlichen Institutionen spalteten und zu der Katastrophe führte, die Libyen zu schaffen mache.
Auf die Frage, ob es eine nationale Einheitsregierung geben wird, deren Aufgabe darin bestehe, den Haushalt in Ordnung zu bringen und die Zeit danach vorzubereiten, d.h. Libyen auf einen demokratischen Weg zu bringen, an dessen Ende eine Verfassung und Wahlen stehen, antwortet Haftar: „Genau das ist es, was ich meine. Es wird eine Übergangszeit unter der Verwaltung einer nationalen Einheitsregierung geben, die als erstes Tripolis befreit. Und wenn es aus logistischen und Sicherheitsgründen vorübergehend Probleme geben sollte, kann sie auch von einer anderen Stadt aus ihre Arbeit erledigen, in Bengasi oder einer anderen sicheren Stadt im Westen, Osten oder Süden, bis Tripolis für den Einzug bereit ist. Wir unterscheiden nicht zwischen Städten oder Regionen. Wir kennen nur ein Libyen.“

Kritik an den Milizen des Fadschr Libya und am Präsidialrat
Auf die Frage, ob an solch redlichen Absichten auch gezweifelt werden darf, meint Haftar, es sollte erst einmal an jenen gezweifelt werden, die mit Waffengewalt gegen die Demokratie vorgegangen sind und mit Hilfe der Milizen von Fadschr Libya an die Macht zurückkehrt waren. Sie hätten die Hauptstadt besetzt und mit Waffengewalt eine Regierung eingesetzt. Das Parlament bezeichne sie als Terroristen.
Zweifel wären auch am Präsidialrat und seinen Milizen angebracht, der sich weigerte, nach dreimaligem Ablauf des Skhirat-Abkommens und etlicher Gerichtsurteile gegen ihn und seine Erlasse, die Macht abzugeben, obwohl er keinen rechtlichen Status besitze.
Zweifel seien auch gegenüber jenen angebracht, die terroristischen Gruppen und Milizen Schutz und Geld gewährten und ihnen ermöglichten, den Staat und seine Institutionen zu zerstören. Die Armee sei die gleiche, die die letzten Wahlen im Jahr 2014 geschützt und alle internationalen Initiativen in Bezug auf Neuwahlen unterstützt habe. Die Armee sei es, die den Aufbau des neuen libyschen Staates garantiere und schütze. Es sei nicht die Armee, die ihre Zusagen bezüglich der Wahlen, die 2018 stattfinden sollten und die dann auf Anfang 2019 verschoben wurden, nicht eingehalten hat, sondern es sei der Präsidialrat gewesen, der die Gelder für die Wahlkommission zurückhielt. Die Wahlkommission sei nicht geschützt worden und konnte so von Terroristen zerstört werden. Der Präsidialrat sei auch gegen das Referendumsgesetz gewesen und er habe es erschwert, die Grundlagen für die Verfassung zu schaffen. Immer wieder seien die schlechte Sicherheitslage und andere Ausreden vorgebracht worden.
Im Gegensatz dazu habe man selbst immer Wahlen gefordert, auch bei den Treffen in Abu Dhabi, Paris und Palermo. Wie Meinungsumfragen zeigen, stehe man dabei im Einklang mit der Mehrheit der Libyer. Die jetzige ‚Einheitsregierung‘ sei dagegen den Weg der Milizen und des nicht verfassungsgemäßen sogenannten ‚Staatsrats‘ gegangen, der von der Moslembruderschaft, die vom Parlament als terroristische Vereinigung eingestuft wurde, kontrolliert wird. Alle Vereinbarungen wurden von ihr mittels hanebüchener Ausreden über Bord geworfen.

Internationale Unterstützung
Haftar ist der Meinung, dass die libysche Armee eine hohe internationale direkte und indirekte Unterstützung genieße. Auch diejenigen, die sie nicht unterstützen, hätten Verständnis für das Vorgehen der Armee versichert. Es würden offene Gespräche darüber geführt, wie es nach der Befreiung von Tripolis weitergehen wird, wie mit libyschen Persönlichkeiten und Stämmen die Diskussionen verlaufen. Es handle sich um gute Ideen, die nicht im Widerspruch zum gemeinsamen Interesse Libyens und anderer Länder stünden, sondern es gebe positive Überschneidungen. Die Souveränität bleibe gewahrt, während gleichzeitig die offiziellen Beziehungen vertieft würden.

Die Nachbarstaaten
Auf die Frage nach den Beziehungen zu den Nachbarstaaten meint Haftar, dass neben den besonderen Beziehungen zu Ägypten, Saudi-Arabien, den Vereinigten Arabischen Emiraten, Jordanien, Kuwait, Tunesiens und zum Tschad sich die Beziehungen zu Algerien und dem Sudan neu entwickeln. Es sei verstanden worden, dass die Armee das Land aus der gegenwärtigen Strangulierung über eine Übergangsphase in eine Stabilität führe, die das Leiden beende. Nach der Befreiung von Tripolis werde dies offensichtlich werden.
Zur Kritik von Führern der tunesischen Nahda-Bewegung meint Haftar, dass diese Kräfte, die nicht einmal ihr eigenes Land repräsentieren, sich nicht in die inneren libyschen Angelegenheiten einmischen sollten, da sonst das Prinzip der nationalen Souveränität verletzt werde. Haftar glaubt, dass die Angst besteht, dass bei einer Niederlage der Terroristen und Kriminellen diese in die benachbarten Länder fliehen könnten. Es seien allerdings vorher viele Terroristen aus diesen Ländern nach Libyen gekommen und hätten hunderte Libyer in Bengasi, Derna, im Süden und in anderen Städten und Regionen getötet. Um die Ängste der Nachbarstaaten auszuräumen, biete sich die direkte Zusammenarbeit der LNA und den libyschen Sicherheitsbehörden an. So könne die Bedrohung in der ganzen Region beendet werden. Es bestünden enge nachbarschaftliche und verwandtschaftliche Beziehungen und es seien Vereinbarungen getroffen worden, die in Kraft treten können. Man sollte zum Wohle der Völker gegen den Terror zusammenarbeiten.

Die jüngste Friedensinitiative von Fajez as-Sarradsch
Zur neuesten ‚Friedensinitiative‘ von Sarradsch meint Haftar, Sarradsch habe nichts zu sagen und könne nichts entscheiden. Er habe ihn in den letzten Jahren gut kennengelernt und mit ihm Gespräche geführt. Sarradsch wisse nicht, was er wolle und könne keine Vereinbarung unterzeichnen. Er mache immer den Eindruck, dass ihm irgendetwas starke Angst mache.
Seine neueste Initiative sei nicht ernst gemeint, denn sie befasse sich nicht mit den Ursachen der gegenwärtigen Krise, und sei eigentlich keine Initiative von Sarradsch, sondern nur eine Wiederholung des Diskurses von Ghassan Salamé. Diese Initiative sei wertlos. Haftar betont, er sei keinesfalls gegen eine politische Lösung oder einen demokratischen Prozess, auch nicht gegen Wahlen. Wahlen seien der beste Weg, um vorwärts zu kommen. „Das ABC der Demokratie ist ein Auswahlverfahren ausschließlich über die Wahlurne und kein Verfahren, das einen angeblichen ‚Konsens‘ unter den Libyern vorgibt, der in Hotellobbys den Libyern übergestülpt wurde. Wir glauben, dass all die Werte und Institutionen, die einen zivilen und modernen Staat ausmachen, nicht unter der terroristischen Kontrolle von Gruppen wie al-Kaida, LIFG [Libyan Islamic Fighting Group], Muslimbruderschaft, Milizen und organisierter Kriminalität, Schmuggelbanden, Bedrohungen durch Entführungen und dem Diebstahl öffentlicher Gelder existieren können.
Nach der Befreiung von Tripolis werden wir das libysche Volk in all diesen Fragen direkt ansprechen. Wir werden die Dinge auf den richtigen Weg bringen, einen Weg, der den Interessen Libyens und der Libyer dient, der die Einheit des Territoriums und den Zusammenhalt seiner Bevölkerung bewahrt und dessen Vermögen investiert, anstatt dass wie heute Millionen über den Land-, See und Luftweg von Banden außer Landes geschmuggelt werden, deren Anführer international und lokal gesucht werden. Vor allem gegen solche Leute kämpfen wir heute in Tripolis. Das ist kein Geheimnis, sondern den Vereinten Nationen und der internationalen Gemeinschaft bekannt.“

Ghassan Salamé – Vorsitzender der UN-Sondermission für Libyen
Haftar bringt seine Wertschätzung für Salamé zum Ausdruck, da er ihn für einen kultivierten arabischen Nationalisten hält. Allerdings machten Berichte seiner UN-Sondermission und seine Berichte an den UN-Sicherheitsrat glauben, dass eine Zusammenarbeit mit ihm nutzlos ist. Es bestünde aber immer noch die Hoffnung, dass die Zusammenarbeit fortgesetzt werde könne und Perspektiven zur Lösung der Krise aufzeigt werden.

Flutkatastrophe in der südwestlichen Stadt Ghat
Haftar verweist auf die Hilfsflüge, die in die Wüstenlager geschickt wurden. Es werde mit allen zuständigen Stellen zusammengearbeitet. Die Hilfe müsse aber dringend schneller von statten gehen.
https://www.addresslibya.com/en/archives/47346

Samstag, 22. Juni 2019

Sarradschs Friedensintitative - ein PR-Gag

Libyen/Krieg und Frieden. Nachdem internationale Medien über eine Friedensinitiative des 'Premierministers' Sarradsch in Tripolis berichteten, schlägt Sarradsch völlig andere Töne an.


Die Ankündigung einer Friedensinitiative durch den Premierminister der 'Einheitsregierung' Sayez as-Sarradsch kam am letzten Sonntag überraschend. Denn bis dahin hatte Sarradsch immer verlauten lassen, er und seine ‚Einheitsregierung‘ seien nicht bereit, mit der Libyschen Nationalarmee (LNA) und dessen Befehlshaber Haftar zu verhandeln, solange sich die LNA nicht auf ihre Ausgangspositionen zurückgezogen habe und den Versuch aufgebe, die Hauptstadt Tripolis militärisch einzunehmen. Plötzlich dann vor zwei Tagen die Trendwende. Nicht nur Der Spiegel vermeldet: „Friedensplan für Libyen - Regierungschef Sarradsch will Neuwahlen“[1]. Doch schon wenige Stunden später entpuppt sich das Ganze als ein großer PR-Gag, fabriziert für westliche Medien, um die Friedensbereitschaft Sarradschs zu demonstrieren, die es nur leider nicht gibt.
Laut Sarradsch sah die 'Friedesninitiative' vor, eine Nationalkonferenz einzuberufen, die den Fahrplan für eine friedliche und demokratische Lösung festlegt. Das Ziel sei noch vor Ende 2019 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzuhalten.

Sarradsch dementiert eigene Friedensinitiative
Nun wurde bekannt, dass es zwischen Sarradsch in seiner Rolle als Oberbefehlshaber und seinen Milizenführern bereits am Samstag ein Treffen gegeben hat. Bei diesem Treffen ging es um eine "neue Phase der geplanten Konfrontation mit Hafters Streitkräften". Die Pläne hierfür wurden abgesegnet und die Verstärkung der Kampfeinheiten angeordnet. Das klingt nicht sehr friedlich und nach demokratischen Wahlen.
Und noch am Sonntag dementierte Sarradsch seine eigene 'Friedensinitiative'. Er sagte, er sei nicht bereit, sich mit dem Oberkommandierenden der LNA, Khalifa Haftar, zusammenzusetzen, um ein Ende der zweimonatigen Offensive gegen Tripolis auszuhandeln. Haftar werde kein Partner innerhalb des politischen Prozesses sein. Und mit wem will er denn dann eine 'Friedensinitiative' starten, wenn nicht mit seinem Gegner?
Und wie soll es zu einem politischen Prozess kommen, an dessen Ende freie Wahlen mit der Beteiligung aller politischen Parteien stehen, solange sich Tripolis - fast ein Drittel der libyschen Bevölkerung lebt dort - in der Gewalt von zum Teil dschihadistischen, zum Teil kriminellen Milizen befindet, die von al-Kaida und sogar IS-Kämpfern unterstützt werden? Haftar wird immer wieder vorgeworfen, er wolle eine Militärdiktatur errichten. Belege dafür gibt es nicht, gegen solche Ambitionen Haftars sprechen sein hohes Alter, seine angeschlagene Gesundheit und die Kontrolle durch die Sozialräte der libyschen Stämme und Städte, das libysche Parlament in Bengasi und die Übergangsregierung in Tobruk. Letztere haben bereits zu den 'Friedensplänen' Sarradschs Stellung genommen.

Premierminister der Übergangsregierung Abdullah Thinni
Gestern bezeichnete Abdullah Thinni, Premierminister der Übergangsregierung (Tobruk/Ostlibyen), die sogenannte 'Friedensinitiative' von Fayez as-Sarradsch als „Akt von Verzweiflung" angesichts des Vormarsches der LNA in Tripolis. Eine solche Initiative wäre 2016 bei der Bildung der 'Einheitsregierung' mit internationaler Unterstützung sinnvoll gewesen. Jetzt sei es dafür zu spät. Die 'Einheitsregierung' habe die Verpflichtungen des Skhirat-Abkommens nicht umgesetzt, weder die Milizen aufgelöst bzw. intergretiert, noch die Zufuhr immer neuer Waffen unterbunden. Thinni sprach Sarradsch ab, wirklich Autorität in Tripolis auszuüben. Diese läge bei den "terroristischen Milizen", die sich den Ölreichtum in die Taschen steckten.
Laut Thinni haben die Milizen versucht, den Kampf um Tripolis in die Hauptstadt zu verlegen, was zu hohen Verlusten bei der Zivilbevölkerung geführt hätte. Mit diesem Plan seien die Milizen gescheitert, denn es stünde die Sicherheit der Bevölkerung im Mittelpunkt, besonders angesichts der finanziellen und militärischen Unterstützung von Katar und der Türkei für die dschihadistischen Milizen.

Parlamentssprecher Agilah Saleh
Auch der Parlamentssprecher Agilah Saleh sagte gestern in einem Interview, es mache keinen Sinn, auf das Skhirat-Abkommen von 2015 zurückzukommen. Der 'Einheitsregierung' in Tripolis warf er vor, nicht durch Wahlen des libyschen Volkes, sondern durch ein internationales Abkommen zustandegekommen zu sein. Die Legitimität einer Regierung müsse vom Volk ausgehen und nicht vom Ausland. Saleh: "Wir werden nicht auf das Skirat-Abkommen zurückkommen, damit sich die Krise nicht noch über Jahre hinzieht. Wir wollen Wahlen." 85 Prozent der libyschen Bevölkerung würden sich diese Wahlen wünschen. Nur mittels Wahlen, bei denen sich die internationale Gemeinschaft nicht einmischen solle, könne die Krise überwunden werden. "Wenn die Hauptstadt befreit ist, wollen wir eine nationale Regierung mit Vertretern aus ganz Libyen bilden." Das Parlament werde Wahlen abhalten.
Saleh äußerte auch Kritik an dem UN-Sondergesandten Ghassan Salamé, der seinen Kurs korrigieren müsse, da er einseitig für die 'Einheitsregierung' von Sarradsch Partei ergreife. Salamé sollte seine Politik ändern oder die UN beauftragen, einen neuen Gesandten zu ernennen.
Tatsächlich ist die Rolle von Salamé fragwürdig. Nachdem er im April die Nationalkonferenz, die in Ghadames abgehalten werden und den Weg für Wahlen ebnen sollte, abgesagt hatte, zeigte er sich am Sonntag aufgrund von Gesprächen auch mit Haftar und Sarradsch zuversichtlich, dass in Libyen statt einer militärischen Lösung eine politische Einigung erzielt werden könne. Damit hat er praktisch Sarradschs Friedens-PR-Gag einen offiziellen Touch gegeben, wohl wissend, dass weder Sarradsch noch Haftar zu Gesprächen bereit sind. Eine bewusste Täuschung der westlichen Öffentlichkeit, um Sarradsch als Friedensbringer zu verkaufen.

Das Massaker von al-Schatti
Zu Wort gemeldet haben sich auch Familien des al-Schatti-Massakers vom Mai 2014, bei dem über 130 LNA-Soldaten und Zivilisten brutal ermordet worden waren. Sie beschimpften Sarradsch und dessen Verteidigungsminister al-Bargathi als Kriegsverbrecher. Sarradsch wird vorgeworfen, die Ermittlungsergebnisse in Absprache mit dem Generalstaatsanwalt in Tripolis nicht zu veröffentlichen, um die Milizen der 'Einheitsregierung' nicht zu belasten. Sarradsch und al-Bargathi müssten vor Gericht gestellt werden.
Den Milizen, die im Dienste von Sarradsch und der Einheitsregierung stehen, wird auch von verschiedenen Seiten vorgeworfen, die unmenschliche Lage in den Flüchtlingslagern zu verantworten. Die Verbrechen sollen auch Organhandel beinhalten.
Derweil wird in Tripolis weitergekämpft. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) teilte am Sonntag mit, dass die Zahl der Todesopfer in Tripolis seit Anfang der Kämpfe im April 2019 auf 691 gestiegen ist, darunter 41 Zivilisten. Von den bisher 4.012 Verletzten sind 135 Zivilisten.

[1] https://www.spiegel.de/politik/ausland/libyen-fajis-al-sarradsch-schlaegt-friedenplan-mit-neuwahlen-vor-a-1272715.html
https://www.theguardian.com/world/2019/jun/17/libya-un-recognised-government-launches-peace-initiative

https://www.libyaherald.com/2019/06/17/serraj-meets-commanders-adopts-new-fighting-plan-and-orders-all-needed-reinforcements/
https://thelibyanreport.com/libya-pm-serraj-will-not-sit-down-with-rival-haftar-to-end-war/
https://thelibyanreport.com/head-of-eastern-libyan-government-describes-gna-idea-to-hold-peace-conference-as-act-of/
http://en.alwasat.ly/news/libya/248226
http://en.alwasat.ly/news/libya/248370


Donnerstag, 20. Juni 2019

In Libyen zeichnet sich eine Lösung ab

Libyen/Tripolis. Einberufung einer Nationalkonferenz aller Libyer für die Vorbereitung der Abhaltung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen noch in diesem Jahr.


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In den Stillstand kommt Bewegung. Gesprächsbereitschaft wird von allen Seiten signalisiert. LNA konsolidiert ihre militärische Stellung in Tripolis.

Parlamentspräsident Agilah Saleh
Am 14.06. ließ der Parlamentsvorsitzende Agilah Saleh verlauten, eine politische Lösung sollte erst nach der Einnahme von Tripolis durch die Libysche Nationalarmee (LNA) angestrebt werden.
Die Einnahme von Tripolis gestaltet sich schwierig, da mehr als zwei Millionen Libyer in Tripolis leben und sich die Milizen der 'Einheitsregierung' von Sarradsch in bewohnten Gegenden verschanzen. Saleh: "Die Armee hätte mit geballter Waffengewalt vorgehen können, aber es geht um Libyer und es soll nicht deren Blut vergossen werden, egal, was passiert." Und: "Wenn es gelänge, diese Milizen auf friedlichem Weg aus der Stadt zu holen, würde die Armee in die Kasernen zurückkehren."
Tatsächlich dürfte eine geregelte Durchführung von Wahlen unmöglich sein, solange die Hauptstadt, in der etwa ein Drittel der libyschen Bevölkerung lebt, von Milizen beherrscht wird, die die Wahlteilnahme unabhängiger und missliebiger Kandidaten verhindern würden.

Der Sozialrat des Wafalla-Stamms
Am 15.06. veröffentlichte der Sozialrat des Wafalla-Stamms, einer der größten Stämme Libyens, in Bani Walid eine Erkärung, in der er seine Bereitschaft erklärte, die nationale Verantwortung gemeinsam mit allen Patrioten mittels des Kommunikationskommitees der verschiedenen libyschen Stämme und Städte zu übernehmen. So solle die Staatskrise überwunden werden.
Der Sozialrat stehe an vorderster Stelle, wenn es um den Aufbau von militärischen Einrichtungen und die Durchsetzung eines Waffenmonopols geht, da dies dem Schutz des Heimatlandes und der Bekämpfung des Terrorismus diene. Solange Unmengen von Waffen im Umlauf sind und es keine Armee und Polizei gebe, wäre Stabilität nicht möglich.
Ausländische Interventionen lehnte der Sozialrat ab. Es brauche eine einzige Regierung, in der sich alle Teile der libyschen Gesellschaft mit all ihren politischen Zugehörigkeiten wiederfinden.

Die Vereinten Nationen und die Nachbarstaaten
Am 15.06. zeigte sich der Gesandte der UN-Sonderkommission Ghassam Salamé zuversichtlich, dass in Libyen statt einer militärischen Lösung eine politische Einigung erzielt werden könne. Seinen Optimismus führte er auf eine Reihe von Gesprächen zurück, die er mit den Außenministern der Mitgliedstaaten im UN-Sicherheitsrat und mit libyschen Führern geführt habe, darunter dem Kommandanten der LNA Khalifa Hafter und dem Regierungschef der 'Einheitsregierung' Fayez as-Sarradsch.
Am gleichen Tag trafen sich auch die Außenminister der libyschen Nachbarstaaten Ägypten, Tunesien und Algerien in Tunis. Sie äußerten in einer gemeinsamen Erklärung ihre "tiefe Besorgnis" über die Lage in Libyen und forderten gemeinsam einen sofortigen Waffenstillstand. Das libysche Militär zu vereinen, sei für die Stabilität im Land wichtig. Harsche Kritik wurde am fortwährenden Zufluss von Waffen und ausländischen Terroristen nach Libyen geübt. Die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus in der Region sollte verstärkt werden.

Der Vorsitzende der 'Einheitsregierung' as-Sarradsch
As-Sarradsch gab heute den Start einer politischen Initiative bekannt. In Abstimmung mit der UN-Sondermission für Libyen soll eine Nationalkonferenz („Multaqa Watani“) mit Vertretern aus allen Regionen abgehalten werden, um den Fahrplan für eine friedliche und demokratische Lösung zu erstellen. Das Ziel des Forums sei noch vor Ende 2019 Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abzuhalten. An der Konferenz sollen alle Libyer teilnehmen, die bereit sind, für den Aufbau eines Zivilstaats, von Demokratie, Frieden und die Einheit Libyens zu arbeiten. Außerdem werde ein Rechtsausschuss eingesetzt, der die vereinbarten Ergebnisse unter Aufsicht der UN formulieren soll. Die Initiative wird von der UN-Sondermission für Libyen begrüßt.

Die militärische Lage in Tripolis
Eine von der LNA am 15.06 veröffentlichte Videofahrt über den internationalen Flughafen von Tripolis zeigt, dass das Gelände trotz anderslautender Meldungen der ‚Einheitsregierung‘ und mehreren Versuchen, den Flughafen durch Milizen der ‚Einheitsregierung‘ zurückerobern zu lassen, dieser weiterhin fest in der Hand der LNA ist.
Die Luftwaffe der LNA hat in den letzten Tagen mehrere Ziele angegriffen, unter anderen das Hauptquartier der al-Nawasi-Miliz in Ain Zara. Die Lufthoheit dürfte eindeutig auf Seiten der LNA liegen. Daneben hat die LNA die Einnahme mehrerer Kontrollposten der für die 'Einheitsregierung' kämpfenden Milizen gemeldet.
Heute wurde die Flucht von Adel Badabra, auch Saboura, nach Tunesien bekanntgegeben. Badabra hatte eine führende Funktion bei den Fursan-Dschanzur-Milizen inne, die mit der 'Einheitsregierung' verbündet ist. Es sollen sich bereits mehrere Milizenführer nach Tunesien und in die Türkei abgesetzt haben. Der Zusammenbruch der Fursan-Dschanzur-Miliz scheint bevorzustehen und könnte einen Dominoeffekt auf die noch verbliebenen in Tripolis gegen die LNA kämpfenden Milizen ausüben.

Die Libysche Nationalarmee (LNA) startete unter der Führung von Feldmarschall Khalifa Hafter im April eine Offensive zur Einnahme von Tripolis.

http://en.alwasat.ly/news/libya/247937
https://www.addresslibya.com/en/archives/47120
http://www.addresslibya.com/en/archives/47191
https://www.libyanexpress.com/speaker-of-libyan-east-based-parliament-says-no-political-solution-in-libya-till-tripoli-is-liberated/
http://www.addresslibya.com/en/archives/47134
https://www.libyanexpress.com/un-welcomes-libyan-prime-ministers-peace-plan/
http://en.alwasat.ly/news/libya/247793



Dienstag, 11. Juni 2019



Der Niedergang Libyens in Zahlen

Libyen. Ein Drittel der Libyer will die Heimat für immer verlassen. Verantwortlich sind der Nato-Krieg und die westliche Unterstützung der Dschihadisten. 

Dan Glazebrook zitiert in einem Artikel auf MiddleEastEye1 Zahlen aus einer neuen Meinungsumfrage sowie aus Wirtschaftsstatistiken und Menschenrechtsberichten und zieht daraus den Schluss, dass das Ziel der westlichen Politik, Libyen schwach und gespalten zu halten, erfolgreich war.

Bei einer in der letzten Woche veröffentlichten, aber schon im Sommer 2018 durchgeführten Gallup-Umfrage2 wurden tausend Libyer per Telefon interviewt. Eine erschreckend hohe Anzahl gab an, nicht genug Geld für Essen und Wohnen zu haben. 43 Prozent sagten, dass im Vergleich zum Vorjahr Geld für Nahrungsmittel fehle. Der Prozentsatz der Libyer, denen Geld für Essen fehlt, ist seit Beginn der Umfragen im Jahr 2015 ständig gestiegen. Und 37 Prozent beklagten, dass ihnen das Geld für Wohnen nicht reicht - 2012 waren das nach den Kriegszerstörungen des Jahres 2011 erst 22 Prozent. Dies zeigt, dass statt eines Aufbau des Landes dessen Zerfall weiter fortgeschritten ist.
Außerdem sollten Befragten auf einer Skala von 0 bis 10 angeben, wie sie ihre Zukunft heute und in fünf Jahren einschätzen. Einschätzungen ab 7 bzw. 8 wurden als positiv bewertet. Ganze 19 Prozent der Libyer konnten dieser Kategorie zugeordnet werden. Eine Mehrheit von 52 Prozent war der Meinung, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse verschlechtern würden. 2012 sahen dies nur 13 Prozent so.
Unter diesen Umständen nimmt es kein Wunder, dass über ein Drittel der Libyer ihre Heimat dauerhaft verlassen möchten. Dies zeigt deutlich, dass die Kriege der Nato nicht nur in Afghanistan oder Syrien, sondern auch in Libyen die Migration anheizen.
Ergänzend zur Gallup-Umfrage zeigt der jährliche UN-Index für die menschliche Entwicklung, in dem 169 Länder nach Kriterien wie Lebenserwartung, Zugang zu Bildung und zur medizinischen Versorgung bewertet werden, den Niedergang Libyens seit 2011. Bis zum Nato-Krieg 2011 lag Libyen auf Platz 56 und somit im obersten Drittel aller Länder3. Es hatte die längste Lebenserwartung und die niedrigste Kindersterblichkeitsrate auf dem afrikanischen Kontinent vorzuweisen.
Seither ist Libyen durch die schlechte Sicherheitslage und den Zusammenbruch der Infrastruktur fast in das untere Drittel abgerutscht und liegt nun auf Platz 1084.

Nach einem vom britischen Außenministerium im letzten Monat veröffentlichten Wirtschaftsdatenblatt weist Libyen eine jährliche Inflationsrate von 23,1 Prozent auf, das heißt, seine Währung verliert jedes Jahr ein Viertel seines Wertes und somit die Libyer ein Viertel ihres Ersparten. Und will man in Libyen "einfach Geschäfte machen" hat man es äußerst schwer, man konkurriert bei den gegebenen Möglichkeiten mit dem Jemen um die letzten Plätze. (Jemen 187, Libyen 186 von insgesamt 189 Ländern).5 Das Pro-Kopf-Einkommen ist seit 2011 jedes Jahr gesunken und liegt nun bei 6.692 US-$, vor 2011 lag es bei 12.250 US-$.

2010 beklagte Amnesty International, dass in Libyen "schwere Menschenrechtsverletzungen" begangen würden und dass "Opfer von Menschenrechtsverletzungen wenig Hoffnung auf gerichtlichen Schutz und Entschädigung haben, während die für Folter, rechtswidrige Tötungen usw. Verantwortlichen straflos ausgehen". Doch auch diese Situation hat sich in der Folgezeit nicht gebessert, sondern massiv verschlimmert, insbesondere unmittelbar nach 2011, als Schwarze und Anhänger der Dschamahirija vertrieben, gefoltert und ermordet wurden. 2018 hieß es, dass bis zu 20.000 Menschen in Gefängnissen der 'Einheitsregierung' ohne Anklage festgehalten werden und "Folter weit verbreitet" ist. Viele Inhaftierte würden "seit 2011 ohne richterlichen Beschluss und ohne die Möglichkeit, Rechtsmittel einzulegen" festgehalten.6 Amnesty International im Jahr 2018zu Libyen: Es "waren Migranten, Flüchtlinge und Asylsuchende flächendeckend und systematisch schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen und -missbräuchen durch Staatsbeamte ausgesetzt". Darüber hinaus "betrieben bewaffnete Gruppen und kriminelle Banden im Rahmen eines lukrativen Menschenschmuggelgeschäfts tausende illegale Gefängnisse im ganzen Land".
Auch was die Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit angeht, war Libyen unter Gaddafi besser gestellt als 2018. Zwar seien diese Freiheiten stark eingeschränkt gewesen, es habe aber keine Heinweise darauf gegeben, dass das Leben von Journalisten in Gefahr war. Dagegen heißt es 2018: "Journalisten, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger waren besonders gefährdet." Es erfolgten Belästigungen, Angriffe und Entführungen durch Milizen. Insgesamt herrsche weiter ein Klima, in dem Täter straflos ausgingen und so zu missbräuchlichen Verhalten ermutigt werden.

Wie Glazebrook ausführt, würden die für den Nato-Krieg von 2011 Verantwortlichen schwerwiegende Tatsachenverdrehungen vornehmen. Das selbstgestrickte Narrativ lautet, dass die massiven Verschlechterungen in allen Bereichen, sowohl in Bezug auf die Lebensbedingungen als auch hinsichtlich der Menschenrechte und der Wirtschaft, "auf die Politik vor 2011 und nach 2011 zurückzuführen seien, jedoch nichs mit den Ereignissen des Jahres 2011 zu tun haben". Vorher war Gaddafi schuld, nachher haben es die Libyer selbst vermasselt. Eine lächerliche Interpretation der Zäsur, die 2011 das Land zerstörte. Der Nato-Krieg löste die Sicherheitsorgane und Infrastruktur des Landes auf, so dass es dem nachfolgenden Chaos hilflos ausgeliefert war. Diese zerstörerische Politik der Westens und seiner Verbündeten wurde in den nachfolgenden Jahren fortgesetzt und hält bis heute an.
Doch was würden sich die Libyer für ihr Land wünschen? Aus einer Umfrage des Jahres 2017 geht hervor, dass 76 Prozent Wahlen für wichtig oder sehr wichtig ansehen und Kandidaten als besonders positiv beurteilen, die Sicherheit garantieren können (63 Prozent) und als nicht korrupt gelten (56 Prozent). Überraschend dürfte sein, dass nur 4 Prozent der Befragten angaben, es sei wichtig, dass der Kandidat religiös ist. Ein böser Dämpfer für Muslembrüder und Dschihadisten. Und nur für 2 Prozent ist es wichtig, dass der Kandidat die Interessen des eigenen Stammes vertritt. Aller westlichen Politik, die auf eine Spaltung Libyens unter religiösen oder tribalen Vorzeichen hingearbeitet hat und hinarbeitet, wird damit eine klare Absage erteilt.
Damit wird auch klar, warum an erster Stelle für die Befragten steht, dass es die wichtigste Aufgabe eines Politikers ist, die libyschen Gebiete wieder zu vereinen (55 Prozent). Erst dahinter folgen Korruptionsbekämpfung (50 Prozent), die Sicherheitsproblematik (41 Prozent) und Wirtschaftsfragen (33 Prozent).7
Diese Umfrage zeigt ganz deutlich, dass sich die libysche Bevölkerung keine Spaltung ihres Landes von außen aufzwingen lässt und sehr genau weiß, was gut für sie ist. Erst wenn das Schicksl des Landes wieder in der Hand der Libyer liegt, wird der Niedergang zu einem Stillstand kommen und das Pendel in die Gegenrichtung ausschlagen.


1https://www.middleeasteye.net/opinion/link-between-nato-intervention-and-libyas-current-problems-hard-deny
2https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/798549/0419_Libya.pdf
3https://en.wikipedia.org/wiki/List_of_countries_by_Human_Development_Index_(2009)
4http://hdr.undp.org/en/countries/profiles/LBY
5https://assets.publishing.service.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/798549/0419_Libya.pdf
6https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/libya/report-libya/

Dienstag, 4. Juni 2019



Dschihadisten verüben im Osten Anschläge

Libyen/Derna. Nachdem die libysche Nationalarmee etliche gesuchte und gefürchtete Dschahidsten getötet oder festgesetzt hat, rächen sich diese mit Autobombenanschlägen.

Bei einem Anschlag mit zwei Autobomben in der östlichen Stadt Derna wurden mindestens 18 Menschen verletzt. Die Explosionen ereigneten sich laut Al-Arabiya in der Nähe eines Hauptquartiers der libyschen Nationalarmee (LNA).
Die LNA unter Generalfeldmarschall Haftar hatte vor einiger Zeit Derna, das von extremistischen Dschihadisten besetzt war, erobert.
Bereits Mitte April war der Leiter der Terrorismusbekämpfungsbehörde, die im Innenministerium der libyschen Regierung in Tobruk angesiedelt ist, bei einer Autobombenanschlag in Bengasi verletzt worden.
Libyen ist zum Tummelplatz für Hardcore-Dschihadisten des IS, von al-Kaida und der syrischen al-Nusra-Front geworden. So hat die LNA bekanntgegeben, dass bereits im letzten Jahr der als äußerst gefährlich eingestufte Abdelfattah Zoghbiya in Derna festgenommen werden konnte. Zoghbiya war in der Türkei wegen Verstoßes gegen das Passgesetzt im Gefängnis gewesen, bevor er 2011 nach Libyen verbracht wurde.
Ein weiterer Dschihadist, Hisham Ashmawy, war ebenfalls in Derna von der LNA festgesetzt worden und wurde nun an Kairo ausgeliefert. Ashmawy ist der meistgesuchte Dschihadist Ägyptens, dort wegen mehrerer Anschläge und Mordversuche gesucht und in Abwesenheit zum Tode verurteilt.
Die französische Zeitschrift Jeune Afrique hat unter Berufung auf Geheimdienstkreise berichtet, dass sich der Führer des IS, Abu Bakr al-Bagdadi,inzwischen in Libyen aufhalten soll. Auch die tunesische Nachrichtenwebsite Tunisia Digital berichtete, dass Al-Bagdadi nach der schweren Niederlage des IS bei den Kämpfen um Baghouz in Syrien nach Libyen geflohen sei. Tunesien hat seither seine Sicherheitskräfte an der Grenze zu Libyen verstärkt. Es befürchtet, dass sich bei einem Sieg der LNA in Tripolis die Dschihadisten von al-Kaida, IS und anderenExtremisten, die jetzt an der Seite der 'Einheitsregierung' kämpfen, nach Tunesien absetzen werden.
Es könnte einem fast das Gefühl beschleichen, die 'internationale Gemeinschaft' sieht wohlwollend zu, wie sich al-Kaida, al-Nusra, der IS und andere in Libyen ein Stelldichein geben, damit die LNA diese Dschihadisten entsorgt und diesem Spuk ein Ende bereitet.
Die Kämpfe zwischen Milizen der 'Einheitsregierung' und der LNA haben sich seit Samstag an verschiedenen Frontabschnitten im Süden von Tripolis intensiviert. Die Zahl der Todesopfer ist inzwischen auf 450 angestiegen, verletzt wurden etwa 2.100. Die Vereinten Nationen haben die Evakuierung von 149 Migranten nach Rom veranlasst. Die Migranten waren in Tripolis interniert gewesen.


Die Hauptstadt Tripolis ist seit dem 4. April umkämpft. Auf Seiten der ‚Einheitsregierung‘ stehen die Tripolis- und Misrata-Milizen, die die vom Ausland eingesetzte 'Einheitsregierung' stützen, und auf der anderen Seite die libysche Armee (LNA) unter General Hafter, die vom gewählten libyschen Parlament in Bengasi und einer Übergangsregierung aufgestellt wurde und den Auftrag erhielt, gegen die dschihadistisch-terroristischen Milizen, die die Hauptstadt Tripolis im Würgegriff halten, vorzugehen.
Es sollten vom 14. bis 16. April in der Stadt Ghadames Gespräche aller in Libyen aktiven politischen Parteien stattfinden, und ein Wahltermin festgelegt werden. Diese Konferenz wurde nach dem Ausbruch der Kämpfe um Tripolis von den Vereinten Nationen abgesagt. Wahlen werden seit Jahren immer wieder verschoben.
Formell sind die Tripolis-Milizen der ‚Einheitsregierung‘ gegenüber loyal. Allerdings haben die Milizen kriminelle Netzwerke gebildet, kontrollieren sowohl die ‚Einheitsregierung‘ als auch die Wirtschaft und saugen den Staat finanziell aus. Ihren Lohn erhalten sie von Ministerien oder staatseigenen Firmen. Die libysche Bevölkerung ist der Willkür dieser Milizen ausgeliefert. Heute kämpfen auch al-Kaida, die Nusra-Front und der IS auf Seiten der 'Einheitsregierung'.
Tatsächlich ist Libyen Schauplatz eines internationalen Konflikts. Katar, die Türkei und Italien stehen gegen Saudi-Arabien, die VAE, Ägypten und Frankreich. Wichtige Akteure sind die Golfstaaten, die EU, aber auch die USA und Russland mischen mit. Damit endlich wieder die libysche Bevölkerung Gehör findet und über die Politik im eigenen Land bestimmen kann, müssen so schnell wie möglich Wahlen abgehalten werden.
Seit dem Nato-Krieg gegen Libyen und der brutalen Ermordung von Muammar al-Gaddafi 2011 herrscht in Libyen Chaos.

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