Freitag, 26. Januar 2018



Die Italiener in Libyen – eine lange Geschichte des Kolonialismus

Italienischer Kolonialismus. Bis 1911 war Libyen Teil des Osmanischen Reiches, dann begann die Zeit des italienischen Kolonialismus. 1943 fand die erste Phase dieser Kolonisation ihr Ende und ging in eine sogenannte Fremdverwaltung über. Erst Ende 1951 wurde Libyen zum Königreich erklärt und in die Unabhängigkeit entlassen.

Die Zeit der italienischen Besatzung
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts waren italienische Banken und Geschäftshäuser an der Küste von Tripolitanien und der Kyrenaika tonangebend. Als am 28. September 1911 italienische Kriegsschiffe vor Tripolis Stellung bezogen, war einer der von Italien angegebenen Vorwände, dass sich die Osmanen zu sehr in ihre Handelsgeschäfte einmischten. Zu dieser Zeit befanden sich nur noch wenige türkische Streitkräfte in der Stadt, so dass an eine Verteidigung nicht zu denken war. Am 4. Oktober entschlossen sich die italienischen Truppen zur Invasion, gleichzeitig wurde ein nahe dem Hafen gelegenes Fort beschossen, bei dem auch ein Wohnviertel in Mitleidenschaft gezogen wurde.
In der Stadt Tripolis verbreiteten die Italiener die Bekanntmachung, dass die Rechte der Bevölkerung geachtet sowie die Religion als heilig angesehen und die Frauen geschützt würden. Im krassen Gegensatz dazu stand das tatsächliche Verhalten der Soldaten, die Angst und Schrecken verbreiteten, mordeten, vergewaltigten, plünderten und Moscheen entweihten. Zeuge dieses Vorgänge wurde der deutsche Ethnograph G. A. Krause, der in einem Interview mit dem Berliner Tageblatt einen italienischen Offizier zitierte, der die Morde der Invasoren an tausenden Zivilisten rechtfertigte: Das brutale Vorgehen würde die Araber stark beeindrucken. An anderer Stelle schrieb G. A. Krause: „Die Eingeborenen verlangen Gewehre und Kanonen, um sich verteidigen zu können… Ein gewöhnlicher Arbeiter, den ich fragte, was sich die Leute erzählen, sagte nur: Die Italiener wollen das Land nehmen.“
Wie recht er damit hatte, ist dem Presseorgan der im Jahr 1910 gegründeten Associazione nazionalista italiana zu entnehmen, das klare Worte über die kolonialen Ziele fand: „Der Nationalismus Italiens ist Afrikanismus“. Italien habe die heilige Mission zu erfüllen, die „hellenische Schönheit“ der Küstenstädte Libyens von türkischer Misswirtschaft zu befreien. Der „Bevölkerungsüberschuss“ Italiens solle dort abgesetzt werden. Italien benötige Kolonien, um für die wachsende Industrie genügend Rohstoffe zur Verfügung zu haben. Dies schaffe Arbeitsplätze und erleichtere den Handel. So das Blatt Ideà Nazionale. Und die Zeitung La Stampa schrieb 1911: „Libyen ist das gelobte Land, Italien von der Vorsehung zugesprochen.“
An diesem gewinnträchtigen Vorhaben war auch der damals schon geschäftstüchtige Vatikan interessiert. Seine Banco di Roma hatte bereits einige Jahre vor der Invasion Konzessionen für Bergwerke, Industrieanlagen und Schifffahrtsunternehmen in Libyen erworben und war somit für die dort anbrechenden italienischen Zeiten bestens gerüstet.
In Italien formierte sich eine Gegenbewegung, die sich den kolonialen Kriegen widersetzte. Die Arbeiterbewegung war am Erstarken und ihre Führer riefen zu Demonstrationen und Streiks auf, um den Krieg in Libyen zu verhindern. Ihr Versuch, die 34.000 Mann starke italienische Armee, unterstützt von Kriegsschiffen und Flugzeugen, zu stoppen, war allerdings chancenlos.
Am 1. November 1911 schrieb Italien Waffengeschichte: Es flog in Libyen den weltweit ersten Bombenangriff, bei dem drei je zwei Kilogramm schwere Bomben auf türkische Verbände abgeworfen wurden und zeigte damit umso mehr, dass der ‚kranke Mann am Bosporus‘ den italienischen Streitkräften hoffnungslos unterlegen war. Die osmanischen Truppen waren durch Kämpfe im Jemen, auf der Arabischen Halbinsel und auf dem Balkan gebunden, das gesamte Osmanische Reich befand sich in Auflösung. So sah sich Istanbul gezwungen, im Oktober 1912 einem Friedensvertrag mit Italien zuzustimmen. Das libysche Volk begann nun mit ihrem eigenen Befreiungskampf, der in den Vororten von Tripolis begann und sich über das ganze Land verbreitete. G. A. Krause kann noch einen Bericht darüber verfassen, bevor er das Land verlassen muss: „… es war ein Kampf der arabischen Zivilbevölkerung gegen die fremden Eroberer“, und etwas später schreibt er: „Die Italiener sind nach den Worten ihrer Proklamation zu dem Zweck in die ihnen nicht gehörenden Länder gekommen, diese arme Bevölkerung zu ‚erlösen‘, sie vom türkischen ‚Joch‘ zu befreien, aber diese ‚Erlösung‘ ist für nicht wenige der Tod, für alle Jammer und Angst, für viele Elend und Hunger.“ Um dieses Elend mit Zahlen zu belegen: Von den 300.000 Menschen, die 1911 in der Kyrenaika lebten, hatten 1915 nur 120.000 überlebt.
Der Krieg, den Italien zunächst gegen die Türken in Libyen geführt hatte, wurde immer mehr zu einem Krieg Italiens gegen die Beduinen unter Führung des Senussi-Ordens. Die italienische Bevölkerung wurde soweit wie möglich über die Vorgänge in Libyen im Unwissenden gelassen: Die Medien verfielen in den Modus der Kriegspropaganda. Berichtet wurde auch nicht darüber, dass es den italienischen Truppen kaum gelang, Fortschritte bei der Eroberung des Landes zu machen.
Am 18.10.1912 unterzeichneten Italien und die Türkei in der Schweiz eine Art Friedensvertrag. Während die europäischen Großmächte die italienische Kolonialmacht in Libyen anerkannten, sahen dies die Stämme in Libyen komplett anders. Als die Italiener endlich in den Fessan vorrücken und auch Mursuk besetzen konnten, stellte sie die Versorgung der Truppen über tausende Kilometer durch feindliches Wüstengebiet vor kaum lösbare Probleme. Inzwischen hatten sich die Libyer auf Guerilla-Taktik umgestellt, mussten jedoch im ersten Halbjahr 1914 herbe Verluste hinnehmen.

Der Erste Weltkrieg

In Europa brach im Herbst 1914 der Erste Weltkrieg aus. Auf der einen Seite kämpften die sogenannten Mittelmächte – das Deutsche Reich und Österreich-Ungarn, denen sich später die Türkei und Bulgarien anschlossen – gegen die Entente, bestehend aus Frankreich, Großbritannien und Russland, deren Alliierte später unter anderem Italien, Japan, Portugal, Belgien, viele Balkanländer sowie China waren. Im Jahr 1917 erklärten auch die USA den Mittelmächten den Krieg, betrachteten sich mit der Entente aber nur assoziiert. Die ursprüngliche Entente hatte sich im Jahre 1904 zwischen Frankreich und Großbritannien gebildet, um in guter Kolonialmanier Nordafrika vertraglich unter sich aufzuteilen, wobei Ägypten Großbritannien und Marokko Frankreich zugeschlagen wurde.
Als die Jungtürken in den Krieg auf Seiten der Mittelmächte eintraten, machten sich die Entente-Mächte unverzüglich daran, die Aufteilung des Osmanischen Reiches nach dem vorweggenommenen Sieg vorzubereiten. Unter anderem erklärte der britische Außenminister Balfour im November 1917, das in Palästina „eine nationale Heimstätte“ für das jüdische Volk entstehen soll. Die zukünftigen Einflusszonen in Nordafrika hatten England und Frankreich ja bereits unter sich aufgeteilt.
Im Juni 1916 kämpfte der Scherif von Mekka, al-Husein, mit seinen Söhnen auf der arabischen Halbinsel gegen die Türken. Unterstützung erhielt er dabei in Form von Geld und Militärberatern von den Briten. Al-Husain hatte den Titel eines „Königs der arabischen Länder“ angenommen, während die Briten ihm nur den Königstitel des Hidschaz‘ zuerkennen wollten. Als ihren Verbindungsmann schickten die Briten Oberst Thomas Edward Lawrence, der spätere legendäre Lawrence von Arabien, auf die arabische Halbinsel. Rasch wurde Lawrence zu einer wichtigen Schlüsselfigur innerhalb des arabischen Unabhängigkeitskampfes. Er unterhielt ein besonders enges Verhältnis zu einem Sohn al-Huseins, dem späteren König Faisal I. Mit Methoden des Guerillakriegs wurden Militärstützpunkte angegriffen und Sprengstoffanschläge auf die für den türkischen Nachschub wichtige Hidschas-Bahn, die Damaskus mit Medina verband, verübt. 1917 konnten die Hafenstädte Al Waij und Akaba von den Aufständischen eingenommen werden und am 1. Oktober 1918 fiel Damaskus unter Führung von al-Husein an die Araber, die in der Stadt einen triumphalen Einzug hielten. Noch am gleichen Tag rückten auch britische Truppen in die Stadt ein.

Während der gesamten Zeit des gemeinsamen Kampfes hatte Lawrence seine arabischen Verbündeten und Freunde in dem Glauben gelassen, ihnen sei nach einem Sieg die Unabhängigkeit sicher, wohlwissend, dass laut dem geheimen Sykes-Picot-Abkommen von 1916 der arabische Raum nach Kriegsende in britische und französische Einflusszonen aufgeteilt werden sollte.
Italien gehörte zunächst den Mittelmächten mit Deutschland und Österreich-Ungarn an. Es versprach sich aber von einem Seitenwechsel zur Entente Vorteile für die eigenen Interessen, sprich territoriale Gewinne von Österreich. Als nun vor Kriegsbeginn Österreich-Ungarn Serbien ein Ultimatum stellte, deklarierte Italien dies als aggressiven Akt, erklärte sich unter diesem Vorwand  von seiner Bündnispflicht mit den Mittelmächten befreit und rief sich im Juli 1914 zu einem neutralen Staat aus, um anschließend auf Seiten der Entente in den Krieg einzutreten. Es erklärt allerdings nur Österreich-Ungarn und nicht Deutschland den Krieg. Anzumerken sei an dieser Stelle, dass der Großteil der Italiener gegen einen Kriegseintritt war, aber keine Möglichkeit hatte, diesen Standpunkt durchzusetzen.
In dem zu einem gewaltigen Kriegsschauplatz verkommenen Europa trat das Interesse für die afrikanischen Kolonien in den Hintergrund. In Libyen konnte sich der zersplitterte Widerstand erneut formieren. In der Syrte und im Fessan schlugen libysche Stämme die italienischen Garnisonen in die Flucht. Als Senussi-Truppen vom Süden her nach Norden vorstießen, zog ihnen von Misrata aus eine 4.000 Mann starke italienische Truppe entgegen, unterstützt von einer 3.500 Mann starken libyschen Hilfstruppe, in der Mehrzahl rekrutiert aus Kämpfern der Misrata-Stämme. Vor Qaddabijah kam es zum Kampf. Doch als sich die Misrata-Stämme ihrer Hoffnung beraubt sahen, die Italiener instrumentalisieren zu können, um selbst die Macht in Libyen an sich zu reißen, wechselten sie während des Kampfes die Seiten. Gemeinsam mit den Senussi-Truppen bereiteten sie den Italienern eine vernichtende Niederlage. Die Italiener hätten wohl besser auf andere Kolonisatoren hören sollen. So schreibt Hew Strachan in seinem Buch über den Ersten Weltkrieg: „Für viele Weiße verstand es sich von selbst, dass der Einsatz von aus der Kolonialbevölkerung rekrutierten Truppen gegen andere europäische Mächte langfristig nur zur Selbstzerstörung führen konnte […] Am Ende war denkbar, das Gewehr gegen einen weiteren Feind zu richten, […] gegen ihre eigenen weißen Herren...“.
Doch obwohl sich die zuerst geeint gegen Italien kämpfenden Libyer anschließend wieder in zwei rivalisierende Gruppen aufspalteten, die Senussi im Osten und die Schutadschwi im Westen, und sich gegenseitig bekämpften, war der Guerillakrieg gegen die Italiener erfolgreich, die sich im Jahr 1916 nur noch in Tripolis, Homs und Zuara halten konnten.
Obgleich Italien im Mai 1915 Österreich-Ungarn den Krieg erklärt hatte, war es für einen Kriegseintritt in Europa nicht wirklich gerüstet. Zum einen war es vollauf mit den Widerstandsbewegungen in Libyen beschäftigt, zum anderen war Italien in industrieller Hinsicht noch ein Entwicklungsland und weit entfernt von dem angestrebten Großmachtstatus. Um diesem Ziel näher zu kommen, erhöhte der Staat in seinem Haushalt 1912/13 den Anteil für Militärausgaben auf 47 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Der italienische Ministerpräsident Antonio Salandra bezeichnete 2015 den Kriegseintritt an der Seite der Entente als „heiligen Egoismus“, um „solche Grenzen zu Lande und zur See zu erreichen, die nicht mehr angreifbar sind, und um für Italien den Status einer wirklichen Großmacht zu erringen.“ Gegen die Stimmen der Mehrheit im Parlament konnte Salandra mit seinem Außenminister Sidney Sonnino den Kriegseintritt durchsetzen. Auch Benito Mussolini, dem es sieben Jahre später gelang, die Macht in Italien an sich zu reißen, sprach sich für den Krieg aus.
Das Osmanische Reich erhielt seinen Anspruch auf Tripolitanien und die Kyrenaika weiterhin aufrecht. Einige türkische Mannschaften hatten sich in die Senussi-Hochburg Kufra zurückgezogen und warteten dort auf eine Gelegenheit, den Kampf gegen die Italiener wieder aufnehmen zu können. Ab Februar 1915 wurde in Misrata eine Basis für deutsche U-Boote ausgebaut, die Deutschen errichteten in der Stadt eine drahtlose Telegraphenstation und ein Materialdepot. 1916 brachten deutsche U-Boote Gewehre, Munition und Goldmünzen nach Misrata.
Die Beziehung der Senussi zu den Osmanen ist umstritten. Fest steht, dass der Führer der Senussi, Ahmad, von den Deutschen und Türken Hilfe für einen Angriff auf Ägypten bekam. Als der Vorstoß scheiterte, musste Ahmad ins Exil gehen und die Macht an Idris abgeben. Idris hatte bereits 1914 enge Kontakte zu den Engländern. Obwohl die militärische Lage für die libyschen Stämme vorteilhaft war, da die Italiener sich im Krieg mit Österreich befanden, begann Idris 1916 mit Italien Verhandlungen, die im April 1917 zum Friedensvertrag von Bir Akrama führten. Sie besiegelten die Kapitulation der Stämme und deren Entwaffnung. Der Küstenstreifen Libyens wurde den Italienern überlassen, Idris und seine Senussi durften den Rest der Kyrenaika verwalten, daneben bekam Idris den vererbbaren Titel ‚Hoheit‘ verliehen. Diese Vereinbarungen hatten bis 1923 Bestand, dann kündigte sie Italien auf und versuchte sich die Herrschaft über die gesamte Kyrenaika zu erkämpfen. 1930 wurde die Bruderschaft aufgelöst und ihr Besitz beschlagnahmt.
1917 kam es in Russland zur Oktoberrevolution. Es bildeten sich Arbeiter- und Soldatenräte, die Armee wurde demokratisiert. Im November forderte Lenin einen sofortigen Waffenstillstand. Die Bolschewiken veröffentlichten die Geheimverträge der Entente und informierten über die wahren Kriegsziele. Großbritannien, Frankreich und Italien wurden als ebenso imperialistische und militaristische Mächte demaskiert, wie sie es zu sein ihren Feinden vorgeworfen hatten. Bei einem Allrussischen Sowjetkongress im April 1918 wurde ein Frieden ohne Annexionen und Zwangsauflagen gefordert, jeder Art von Imperialismus wurde eine Absage erteilt.
Die Revolution in Russland hatte auch auf Italien Auswirkungen, wo sich Streiks, Demonstrationen und Meutereien häuften. Gewalttätige Proteste erschütterten die Städte, Hungersnöte führten zu Antikriegsdemonstrationen, die Unruhen erreichten auch das Militär. Die italienischen Soldaten waren während des ersten Weltkriegs einer brutalen Disziplin ausgesetzt. An die 750 Soldaten wurden aus disziplinarischen Gründen erschossen. Generalstabschef Cadorna hatte die Praxis aus dem antiken Rom übernommen, aus den Einheiten, die im Kampf versagt hatten, jeden zehnten Mann erschießen zu lassen. Im November 1917 hatte Italien 700.000 Mann verloren, davon über 350.000 Mann durch Fahnenflucht. Eine antimilitaristische Stimmung verbreitete sich über das ganze Land, der militärische Zusammenbruch und in Folge eine Revolution schienen unausweichlich. Doch gelang es dem neuen Generalstabschef Armando Diaz, der dem entlassenen Cadorna nachfolgte, die Situation zu entschärfen, indem er eine humanere Behandlung der Soldaten durchsetzte. Lebensmittelkarten wurden eingeführt, bessere Arbeitsbedingungen und höhere Reallöhne durchgesetzt, insgesamt die Macht des Staates auf den Unternehmenssektor ausgeweitet. Die Situation entspannte sich, die Revolution blieb aus.
Als 1918 der Erste Weltkrieg sein Ende fand, bedeutete dies in vielen Ländern Europas wie Deutschland oder Österreich auch das Ende der Monarchie. Die arabischen Länder hofften auf eine baldige Unabhängigkeit. Bei dem neugegründeten Völkerbund war zum ersten Mal von einem Selbstbestimmungsrecht der Völker die Rede. Dies hatte zur Folge, dass die bereits vorab getroffenen Absprachen zwischen Frankreich und England über die Aufteilung der Kriegsbeute kaschiert werden mussten. Sie sollten nur ein vorläufiges Mandat über die arabischen Länder erhalten, längerfristiges Ziel sollte deren Unabhängigkeit sein.
Idris, der später zum König aufsteigen sollte, zeigte sich schon in dieser Situation geschmeidig. Er traf mit den Italienern ein Abkommen, von dem er sich für die Kyrenaika die Unabhängigkeit und für sich selber die Führerschaft versprach. Sein Vorgehen wurde von vielen nicht gebilligt und führte so zur Spaltung nicht nur der Senussi, sondern des gesamten libyschen Widerstands.

Zwischen den Kriegen

Die Hoffnungen der arabischen Bevölkerung im Nahen Osten auf nationale staatliche Souveränität erfüllten sich nicht, im Gegenteil verstärkte sich das Ringen zwischen Frankreich und Großbritannien um Einfluss in dieser Region. Eine Zuspitzung der Nahostkonflikte ergab sich durch die Balfour-Deklaration von 1917, in der Großbritannien die zionistische Bewegung anerkannte, die vorsah, in Palästina eine ‚nationale Heimstätte‘ des jüdischen Volkes zu errichten. Palästina lag zu dieser Zeit noch im türkischen Machtbereich.
Nach Kriegsende verschifften die Italiener immer mehr Truppen nach Libyen. Gleichzeitig versprach das sozialistisch regierte Italien eine Liberalisierung seiner Kolonialpolitik. Im Juni 1919 einigten sich Italien und Stammesvertreter auf eine Verfassung, die festlegte, dass „die Bewohner von Tripolitanien als Bürger die gleiche moralische und politische Stellung und die gleichen Rechte wie die italienischen Bürger haben sollten“. Dies bedeutete aber keineswegs eine Aufgabe der Kolonialpolitik, sondern diese wurde lediglich diplomatisch verbrämt.
Im Oktober 1919 wurden für die Kyrenaika und für Tripolitanien zwei unterschiedliche Statuten erlassen, was de facto Libyen teilte. Jeder Landesteil erhielt ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung. Ein Jahr später schloss Idris mit Italien einen neuen Vertrag, der ihn als Emir der Kyrenaika vorsah. Er und seine Beamten erhielten ihre Gehaltszahlungen von Italien. Als Gegenleistung sollte Idris die Stämme, von denen besonders die westlichen den Vertrag ablehnten, entwaffnen. Im gleichen Jahr gründete sich eine Partei der Nationalen Reform und 1920 bildete sich eine Regierung in der südlich von Tripolis gelegenen Stadt Garian. Einige Stämme riefen ihre Angehörigen zu den Waffen, in den Nafusa-Bergen flammte der Widerstand auf.
Idris schloss 1921 mit Italien einen weiteren Vertrag, der ihn abermals verpflichtete, gegen die Widerständler im eigenen Land vorzugehen. Im Juli 1921 wurde Graf Volpi zum Gouverneur von Tripolitanien ernannt, der im folgenden Jahr entgegen aller Vereinbarungen Misrata besetzte und in Richtung Berge vorstieß.
Benito Mussolinis hatte im Oktober 1922 in Italien die Macht ergriffen. Der Duce errichtete einen totalitären Staat mit dem erklärten Ziel, das antike Römische Reich wieder aufleben zu lassen. Die Machtergreifung der Faschisten hatte für Libyen verheerende Auswirkungen. Gegen die von Mussolini ausgerufene ‚Wiedereroberung‘ und ‚Ausweitung des Kolonialbesitzes‘ organisierte sich der libysche Widerstand, während Idris ins Exil nach Großbritannien flüchtete. Italienische Truppen überrumpelten ein Militärlager der Senussi, ermordeten die Hälfte der Soldaten und nahmen den Rest in Gefangenschaft. Der italienische Generalgouverneur für Libyen kündigte alle laufenden Verträge. 1927 wurde die Gleichstellung von Italienern, Libyern und Mutterland-Italienern aufgehoben. Jeder Widerstand im Land sollte von nun an kompromisslos unterdrückt werden.
Die Libyer leisteten weiter Widerstand, Brennpunkte waren zunächst Tripolitanien und der Fessan. In den Nafusa-Bergen wurde jedes Dorf zu einer Festung ausgebaut. Als es den Italienern dank ihrer waffentechnischen Überlegenheit – sie kämpften mit Panzern und Flugzeugen gegen die nur mit Gewehren ausgerüsteten Libyer – gelang, in Tripolitanien die Stämme zu bezwingen, gingen sie als nächstes gegen die Kyrenaika vor. Dort führte seit 1923 der Senussi-Scheich Omar al-Muchtar den Widerstand der Freischärler an, ein Partisan und Freiheitsheld, der mit dem Kampf seiner kleinen Partisanengruppe zwanzigtausend italienischen Soldaten Paroli bot und damit Geschichte schrieb. Omar al-Muchtar gehörte zum Stamm der Minifa, hatte eine traditionelle Erziehung bei den Senussi genossen und trug den Titel eines Bevollmächtigten des Emirs.
General Rodolfo Graziani, 1929 von Benito Mussolini nach Libyen entsandt und Vizegouverneur der Kyrenaika, sollte dort den jahrelangen Widerstand der Bevölkerung gegen die italienische Besatzung brechen. Seine Methoden waren äußerst brutal, so wurden zum Beispiel Stammesführer in großer Höhe über ihren Heimatdörfern aus Flugzeugen geworfen, Libyerinnen als Sexsklavinnen für die Kolonialtruppen gehalten und Brunnen vergiftet. Jede Unterstützung der Aufständischen wurde mit dem Tode bestraft, auch Frauen und Kinder wurden ermordet. In den Jahren 1927/28 wurde nachgewiesener Weise von den Italienern Giftgas eingesetzt. Die libysche Bevölkerung wurde in eigens errichteten Konzentrationslagern in der westlichen libyschen Wüste interniert, um sie davon abzuhalten, die Aufständischen zu unterstützen. Graziani selbst gab an, dass er 139.192 Menschen einsperren ließ, etwa 80.000 davon Beduinen. Wie viele Menschen dabei zu Tode kamen, ist nicht in Zahlen bekannt, geschätzt wurden bis zu 800.000. Neben den Massenerschießungen kamen zehntausende an Hunger zu Tode. Die Frauen wurden vergewaltigt, Heiligtümer geschändet. Der dänische Journalist Holmboes berichtet über seinen Besuch in einem solchen Lager. „Es war ein immenses Camp mit ca. 1500 Zelten und einer Bevölkerung von 8000, umgeben von Stacheldraht und Maschinengewehrposten an allen Eingängen… Kinder kamen uns entgegen, in Lumpen gehüllt und unterernährt… die Menschen schienen krank und deprimiert, viele haben schwer deformierte Hände und Arme.“
Trotz aller Anstrengungen gelang es Graziani nicht, den Widerstand der Libyer zum Erlöschen zu bringen. In nur einem Jahr kam es laut Graziani zu 53 größeren Kämpfen und 210 Scharmützeln. Um die Rebellen von jeglichem Nachschub abzuschneiden, ließ er die Grenze zu Ägypten auf dreihundert Kilometer mit Stacheldraht sichern. Am 11. September 1931 nahmen die Italiener Omar al-Muchtar gefangen, nur fünf Tage später wird der 70-Jährige öffentlich gehenkt. Der Mythos des Volkshelden lebt bis heute ungebrochen weiter. Sein heldenhafter Kampf wird in dem Kolossalfilm „Omar Mukhtar - der Löwe der Wüste“[1] bilderstark beschrieben.
In einem Artikel der „Arbeiterillustrierten“[2] hieß es: „…Reizende Fliegeraufnahmen, die das Herz jedes modernen Photographen erfreuen würden, zeigen den neckischen Effekt, den platzende Fliegerbomben in der Beduinenstadt Bu‘gen hervorrufen. Nicht umsonst hat man auf dem letzten Flugtag in Rom am Ufer des Tiber ein kleines Araberdorf aufgebaut, um daran das Einschlagen von Fliegerbomben zu demonstrieren.“ Tatsächlich regnete es zur Abschreckung unter dem Befehl von Marschall Italo Balbo bis 1934 Sprengbomben auf libysche Zeltlager, Dörfer und auf die Oasenbevölkerung.
Bis 1932 hatten die Italiener nicht nur Tripolitanien, sondern auch den Fessan und zuletzt die Kyrenaika zurückerobert, die 1927 wieder an die Türkei gefallen war.
Die Italiener enteigneten immer mehr libysches Land, bis 1930 hatten bereits 200.000 Hektar den Besitzer gewechselt. Begründet wurde diese Landnahme mit dem Hinweis, die Libyer würden das Land nicht fachgerecht bearbeiten. So kam General Graziani in Garian in den Genuss von 731 Hektar Land, Exgouverneur Graf Volpi verfügte in Misrata über 1.000 Hektar und der Ritter des Großordens, Chavolini, besaß 1.200 Hektar.
In Tripolis eröffnet 1933 das Autodrama della Mellaha. Zu den dort stattfindenden Autorennen reisen Italiener, die sich das leisten können, per Schiff an.
Durch ein königliches Dekret wurde Libyen am 9.11.1934 als ‚Colonia Libia‘ zur italienischen Agrarkolonie erklärt, in dem es hieß: „Tripolitanien und die Kyrenaika bilden zusammen eine gemeinsame Kolonie unter dem Namen Libyen. Ein Generalgouverneur steht dem Rechtskörper vor. Sitz der Regierung ist Tripolis.“
Zwischen 1938 und 1939 kamen über 30.000 neue Siedler in Libyen an, die meisten waren Bauern aus Norditalien. Die Einheimischen waren von den neuen Kolonialstrukturen ausgeschlossen. Sie wurden von ihren Besitzungen vertrieben oder sollten den unumschränkten italienischen Herrschern als Knechte dienen. Der Bestand der Herden bei den Wüstenstämmen war um achtzig Prozent geschrumpft. Gab es 1910 in der Kyrenaika 713.000 Schafe und 33.300 Kamele, so von den Italienern gezählt, waren es 1933 nur noch 98.000 Schafe und 2.600 Kamele. Damit war die traditionelle Infrastruktur Libyens vernichtet.
Von der Möglichkeit, die italienische Staatsbürgerschaft zu beantragen, machten von 1927 bis 1938 ganze vierzehn Personen Gebrauch, davon waren nur sieben Araber. Für Libyer, die die italienische Sprache beherrschten und sich zum Faschismus bekannten, gab es die Möglichkeit, eine sogenannte „eigene Entwicklungschance“ zu bekommen. Bis zum Kriegsausbruch hatten nur etwa 150 Libyer, die den Kolonisatoren meist als Spitzel, Aufseher und Führer dienten, diese „Chance“, von den Libyern „Maultier“-Staatsbürgerschaft genannt, ergriffen.
In Europa standen sich Faschisten und Kommunisten unversöhnlich gegenüber. Es tobte der Spanische Bürgerkrieg, das faschistische Franco-Regime gegen eine geeinte Linke, die weltweit auch die Kämpfe gegen den Kolonialismus und die Freiheitsbewegungen in der dritten Welt unterstützte. In Deutschland war seit 1933 Adolf Hitler an der Macht. Der Zweite Weltkrieg stand vor der Tür. 

Der Zweite Weltkrieg

In den Jahren des Zweiten Weltkriegs, von 1939 bis 1945, waren die Sympathien der meisten Araber auf Seiten der Achsenmächte Deutschland, Japan und Italien. Die Kolonialmächte Frankreich und England waren in fast allen nordafrikanischen Ländern wie Ägypten, Algerien oder Marokko verhasst. Außerdem bestand die Sorge, dass in Palästina mit Zustimmung von Großbritannien immer mehr Juden einwandern und dies zu einer jüdischen Staatsgründung führen könnte. Um den arabischen Unmut zu besänftigen, drosselte England die Anzahl jüdischer Einwanderer und 1943 verlieh die De-Gaulles-Regierung, die sich allerdings im Exil befand, da in Frankreich das Vichy-Regime die Macht innehatte, dem Libanon die Unabhängigkeit.
Im von Italien, also einer Achsenmacht, besetzten Libyen stellte sich die Situation etwas anders dar. Im Osten des Landes verlief die Grenze zu einem von der Kolonialmacht England beherrschten Ägypten, im Westen zu einem von der Kolonialmacht Frankreich beherrschten Tunesien, beides Feinde der Achsenmächte. Bereits 1939 tagte im ägyptischen Alexandria eine Konferenz, bei der britische Offiziere beratschlagten, wie gegen die Italiener in den Kolonialgebieten vorgegangen werden könnte. Dabei erinnerte man sich des im britischen Exil lebenden Senussi-Führers Idris. Obwohl die politischen Vertreter Tripolitaniens grundsätzlich einem Kampf gegen Italien zustimmten, lehnten sie Idris als politischen Führer ab.
Am 10. Juni 1940 trat Italien auf Seiten der Achsenmächte in den Zweiten Weltkrieg ein. Kurz darauf starb Marschall Balbo am 28.6.1940 durch ‚friendly fire‘ beim Anflug auf Tobruk. Zu seinem Nachfolger wurde General Rodolfo Graziano als Generalgouverneur von Libyen und Oberbefehlshaber der Truppen in Nordafrika ernannt.
Bei einem Treffen am 7. August 1940 in Kairo forderten die politischen Vertreter Libyens von Großbritannien eine verbindliche Erklärung über die Zukunft ihres Landes, die jedoch von den Briten verweigert wurde. Trotzdem erklärte sich Idris nur zwei Wochen später bereit, nach Abzug der Italiener ein Emirat unter britischer Vorherrschaft in der Kyrenaika zu errichten.
Im September 1940 starteten die Italiener unter der Führung von Graziani von Libyen aus eine Offensive gegen das mit Großbritannien verbündete Königreich Ägypten. Die britische Gegenoffensive führte zur Schlacht von Sidi al-Barrani, bei der die Italiener hoffnungslos unterlegen waren. Graziani musste mit dem Rest seiner Armee fliehen, viele Libyer, die zum Kampf auf Seiten der Italiener gezwungen worden waren, wurden gefangen gesetzt. Aus ihnen wurden neue Bataillone geformt, die nun für die Briten kämpften und aus denen später die libysche Armee hervorgehen sollte. Im Februar 1941 war die gesamte Kyrenaika für Italien verloren. Auf eigenen Wunsch wurde Graziani von seinen Pflichten entbunden, ihm folgte als Gouverneur von Libyen General Ettore Bastico nach.
Mussolini ersuchte bei Hitler um die Entsendung einer deutschen Panzerdivision nach Tripolis, um den Verlust seiner wichtigsten Kolonie zu verhindern. Im Februar 1941 traf Generalleutnant Erich Rommel in Libyen ein. Als Befehlshaber der deutschen Truppen in Nordafrika ließ er seine Panzerverbände unverzüglich vorrücken und erreichte schon bald Sirte. Das Blatt wendete sich: Es gelang Rommel, die Briten zu überrumpeln und schon im März besetzte er Al-Aqailah. Das deutsche Afrikakorps konnte die Kyrenaika von den Briten zurückerobern, Tobruk umzingeln und alle britischen Gegenoffensiven zurückschlagen.
Die Deutschen hatten durch die Seehoheit der Briten unausgesetzt mit Versorgungsengpässen zu kämpfen. Unter anderem kam es in der Gegend von Solum zu Kapitulationen von deutsch-italienischen Truppenteilen. Als es gelang, die Versorgungslage wieder zu verbessern, griff Rommel, nun General der Panzertruppe Afrika, erneut an. Im Mai 1942 wurde zunächst das Wüstenfort Bir Hacheim erobert und im Juni konnte endlich Tobruk eingenommen werden. Dieser große militärische Erfolg brachte Rommel die Beförderung zum Generalfeldmarschall ein.
Rommel marschierte weiter in Richtung Suez-Kanal, wurde aber von den Briten im Juli bei El Alamein gestoppt. Es entwickelte sich ein monatelanger Stellungskrieg, der deutsche Angriff konnte durch den britischen General Bernard Law Montgomery abgewehrt werden, der im November einen Gegenangriff startete und Rommel zum Rückzug Richtung Tunesien zwang. Die alliierten Kräfte waren bereits in Marokko und Algerien gelandet und verfügten über eine erdrückende Luftüberlegenheit. Rommel war klar, dass der Krieg in Nordafrika nicht mehr zu gewinnen war, widersetzte sich den Durchhaltebefehlen aus Deutschland und zog seine Armee zurück.
Am tunesischen Kasserin-Pass gelang es Rommel noch einmal, die Alliierten zu schlagen und der amerikanischen ersten Panzerdivision eine vernichtende Niederlage zu bereiten. Daraufhin wurde Rommel zum Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Afrika ernannt.
Auch unter seinen Feinden erfreute sich Rommel hoher Wertschätzung. Sein Beiname „Wüstenfuchs“ zeugt von der Achtung, die ihm in den arabischen Ländern gezollt wurde.Als sich die Niederlage der deutschen Verbände abzeichnete, wurde Rommel von Hitler nach Italien zurückbeordert, um sein Heldenimage nicht zu beschädigen.
Am 13. Mai 1943 kapitulierte die Heeresgruppe und 250.000 deutsche und italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft. Nordafrika war endgültig für die Achsenmächte verloren und Mussolini in höchsten Schwierigkeiten.
In Italien schwand mit den militärischen Niederlagen die Beliebtheit des Duce bei der Bevölkerung, die den Kriegseintritt sowieso abgelehnt hatte. Es steigerte sich die Unzufriedenheit, in Turin und Mailand kam es zu großen Streiks, das faschistische Regime erodierte. Eine Art Bürgerkrieg zwischen den faschistischen Schwarzen Brigaden, die weiterhin Hitler-Deutschland unterstützten, und den italienischen Partisanen-Kämpfern, brach aus, der bis zur Kapitulation Italiens und somit dem Ende des Krieges im Frühjahr 1945 andauerte. Bei ihrem Vormarsch vom Süden Italiens nach Norden entwaffneten die alliierten Truppen die Partisanen, um sie an einer Machtübernahme in Italien zu hindern.
Bei Kriegsende waren die libyschen Städte weitgehend zerstört. Allein Bengasi hatte im Verlauf des Krieges fünfmal den Besatzer gewechselt.
In Libyen stellte sich nach dem Sieg der Alliierten schon bald große Enttäuschung über das weitere Vorgehen der Briten ein, die das Land in verschiedene Teile aufspalteten. So wurde die Kyrenaika Idris und seinen Anhängern überantwortet, allerdings wurde das ehemals von den Italienern okkupierte Land an die libyschen Stämme nur „verpachtet“. In Tripolitanien arbeiteten die Briten teilweise mit den dort noch verbliebenen Italienern gegen die Libyer zusammen. Der Fessan war seit Januar 1943 von französische Truppen besetzt, die bei den Stammesführern für einen Anschluss an die französischen Kolonialgebiete warben.
Bei der Potsdamer Konferenz wurde 1945 festgelegt, dass Italien sämtliche Rechte an seinen früheren Kolonien aufgeben musste. Tripolitanien und die Kyrenaika wurden unter britische Militärverwaltung gestellt.



Literatur:
Burchard Brentjes, akzent, Urania-Verlag, 1982
Libyens Weg durch die Jahrtausende
Angelo del Boca, Editori Laterza, 1997
Gli italiani in Libya
Angelo del Boca, Editori Laterza, 1999
Gli italiani in Africa orientale
Fritz Edlinger/Erwin M. Ruprechtsberger Hrsg., Promedia 2009
Libyen. Geschichte – Landschaft – Gesellschaft – Politik
Fritz Edlinger (Hg.), Promedia 2011
Libyen. Hintergründe, Analysen, Berichte
Christian Operschall/Charlotte Teuber, Promedia 1987
Libyen.
Die verkannte Revolution?
Paolo Sensini, 2011 Milano (Libia 2011), Frankfurt a.M., 2012
Es war einmal Libyen (mit einem Vorwort von Giovanni Martinelli, Bischof von Tripolis)
Hew Strachan, Goldmann, 2014
Der erste Weltkrieg
Rolf-Dieter Müller, WBG, 2015
Der Zweite Weltkrieg
John Wright, Ernest Benn, London 1969
Libya
E.E. Evans-Pritchard, Oxford 1949
The Sanussi of Cyrenaica
E.E. Evans-Pritchard, The Sociological Review, 36, 1944
Arab Status in Cyrenaika under the Italians




[1] „Omar Mukhtar - der Löwe der Wüste“ aus dem Jahre 1980, Regie Moustapha Akkad, mit Anthony Quinn in der Hauptrolle und Oliver Reed als sein Gegenspieler Graziani
[2] Nr. 23/1931


Terroranschlag in Bengasi mit 34 Toten

Libyen/Bengasi. Am Dienstag, 23.01., starben bei einem Doppelattentat vor einer Moschee in Bengasi mindestens 34 Menschen, mehr als 71 erlitten zum Teil schwere Verletzungen.

Die erste Autobombe explodierte am Morgen, als Gläubige nach dem Frühgebet eine Moschee verließen, die zweite Autobombe ging dreißig Minuten später auf der gegenüberliegenden Straßenseite hoch, als viele Passanten nach dem ersten Anschlag an den Ort des Geschehens geeilt waren.
Die betroffene Moschee soll vor allem von quietistischen Salafisten besucht sein, die als politisch ruhig, unauffällig gelten und auch Andersgläubigen gegenüber tolerant eingestellt sind. Unter den Opfern befinden sich auch zwei hohe Beamte, die für Terrorismusbekämpfung zuständig waren.
Der IS, al-Kaida und andere dschihadistische Gruppierungen haben Libyen wohl mit Zustimmung des Pentagon zu ihrem neuen Hauptstandort erkoren, nachdem sie aus Syrien und dem Irak vertrieben wurden.[1] Dort wollen sie die Sicherheitslage verschlechtern, insbesondere im Wahljahr 2018.
Die libysche Bevölkerung ist über den brutalen Terroranschlag entsetzt, auch Politiker jeder Couleur verurteilten den Anschlag, ebenso wie offizielle und zivilgesellschaftliche Organisationen und die UN-Sondergesandten für Libyen.
Das Parlament in Tobruk forderte dazu auf, die Terroristen zur Strecke zu bringen. Den Drahtziehern der Tat werfen sie vor, es auf die Destabilisierung Libyens abgesehen zu haben.
Auch die EU und Italien kondolierten, also ausgerechnet jene, die 2011 die Moslembrüder und andere dschihadistische Gruppen in Libyen an die Macht brachten, sie seitdem unterstützen und für das heutige Chaos in Land verantwortlich sind.
Und die westlichen Medien? Hüllen sich wie üblich über die grausigen Vorgänge in Libyen in Schweigen. Was für eine Heuchelei! Wo bleibt der internationale mediale Aufschrei?
„Ich bin Libyer!“ – „ Je suis Libyen!“ – „I am Libyan!“ – „Sono Libico!“

A. Gutsche

https://deutsch.rt.com/newsticker/64063-doppelanschlag-in-libyen-mindestens-27-tote/
https://www.libyaobserver.ly/news/twin-car-bomb-attacks-rock-eastern-city-benghazi
http://www.libyatimes.net/news/100-two-car-bombs-hit-a-mosque-in-benghazi


[1] https://www.freitag.de/autoren/gela/warum-die-usa-in-afrika-den-is-staerken


Warum die USA in Afrika den IS stärken

USA/Afrika/IS. Wie die USA mit Hilfe des IS in Afrika verlorenen Boden wieder gutmachen wollen.

Die arabisch-sprachige Tageszeitung Ray al-Youm schreibt in Berufung auf diplomatische und Geheimdienstinformation, dass die USA grünes Licht für die Evakuierung hunderter IS- und al-Kaida-Kämpfern aus dem Libanon, dem Irak und aus Syrien in die Wüstengebiete Libyens gegeben haben.
1.200 Bewaffnete seien bereits in Libyen eingetroffen, auch aus Tunesien, Algerien und dem Sudan werden welche erwartet. Und die Zeitung al-Sharq al-Awsat schreibt, dass nach den Niederlagen der dschihadistischen Gruppen in Syrien und im Irak der Kommandant, al-Baghdadi, die Kämpfer dazu aufgerufen habe, sich nach Libyen zu begeben. Im Süden des Landes sollten sich die Kämpfer neu formieren, um Angriffe in Ägypten, Tunesien und Algerien auszuführen.
Der Autor Dmitry Minn schreibt in einem Artikel[1], es wäre für den Islamischen Staat völlig unmöglich, seine Einsatzkräfte in so großem Umfang zu verlegen, ohne das Wissen und die Hilfe des Pentagons. Begründet liege diese Hilfe in geopolitischem Kalkül. In den letzten Jahren sei die Position der USA in Afrika stark geschwächt worden und deshalb ergreife sie jetzt ungewöhnliche Maßnahmen, um ihre alte Stärke wieder zu erlangen.
Inzwischen dominiere in Afrika das immer selbstbewusster auftretende China. Das jährliche Handelsvolumen zwischen China und Afrika betrage um die 400 Milliarden US-$. Das ist viermal mehr als das Handelsvolumen zwischen den USA und Afrika (etwa 100 Milliarden US-$). Sowohl was Investitionen anbetrifft als auch Hilfsleistungen sei China auf dem Kontinent führend.
China engagiere sich auch militärisch auf dem afrikanischen Kontinent. Chinesische Blauhelme waren in der Westsahara, in Sierra Leone, der Elfenbeinküste, dem Kongo, in Mali und im Südsudan im Einsatz. Sie engagierten sich auch für die Opposition gegen den tschadischen Präsidenten Idriss Déby, der voreilig Taiwan anerkannt hatte.
Wie Dmitry Minn schreibt, eröffnete China am 1. August 2017 in Dschibuti seinen ersten Militärstützpunkt in Afrika, der sich in unmittelbarer Nähe zur größten US-amerikanischen Militärbasis auf afrikanischen Boden, Camp Lemonnier, befindet. Die USA lassen sich diese Militärbasis am Horn von Afrika jährlich 63 Mio. US-$ kosten, die Chinesen jedoch jede ihrer Militäreinrichtungen 100 Mio. US-$. Die USA stuften die Anwesenheit solcher chinesischen Einrichtungen nahe ihrer eigenen Militärbasis als ‚Konkurrenz‘, sogar als ‚feindselig‘ und als Bedrohung der nationalen Sicherheit ein, die beseitigt werden müsste, ebenso wie die herausragende Bedeutung, die China inzwischen für Afrika hat. Auf der Frage nach dem Wie, würden sich die Mittel der hybriden Kriegsführung anbieten.
Das Handelsvolumen zwischen Russland und Afrika betrage dagegen jährlich nur moderate 20 Milliarden US-$. Moskau sei jedoch beim Aufbau einiger langfristig angelegter Projekte engagiert und stärke seine Präsenz im strategisch wichtigen Ägypten-Libyen-Sudan-Dreieck. Für den Bau eines AKWs in Ägypten will Moskau Kairo einen Niedrigzinskredit mit langer Laufzeit gewähren. In der Diskussion seien auch Investitionen in Höhe von etwa sieben Milliarden US-$ zur Errichtung eines russischen Industriegebiets in der Wirtschafszone des Suezkanals.
Ende 2017 verabschiedeten die USA eine nationale Sicherheitsstrategie, die „im Abschnitt über Afrika die Notwendigkeit hervorhebt, Amerika erneut zum wichtigsten Wirtschaftspartner des Kontinents zu machen, indem es China verdrängt. Gleichzeitig ist es das Ziel, mit regionalen Organisationen zusammenzuarbeiten, ‚um langwierige gewaltsame Konflikte zu beenden‘. Die Strategie beinhaltet auch das Versprechen, ‚mit Partnern zusammenzuarbeiten, um terroristische und andere Organisationen, die US-Bürger und die Heimat bedrohen, zu besiegen‘. Dies ist bereits ein Entwurf für eine mögliche militärische Intervention in Afrika, ganz so wie man es von US-amerikanischen Methoden gewohnt ist. Sie sehen, Amerika hat den Anschluss bereits verpasst, um in Afrika wirtschaftlich mit China konkurrieren zu können. Daher die Verlockung zum Einsatz  unkonventioneller Methoden, zu denen auch der Einsatz der Kämpfer des Islamischen Staates zählt.“[2]
So könnte die Massierung des IS in Afrika eine Menge zur Problemlösung im US-amerikanischen Sinne beitragen. Zum einen werde der Einfluss von China und Russland in Afrika unterminiert, zum anderen der Hass des IS von den westlichen Ländern auf Russland und China umgeleitet. Das ‚Chaos‘, das in Afrika Einzug hielte, würde den Ruf nach einem Eingreifen der USA zur Friedenssicherung laut werden lassen. So könne es laut den US-Strategen gelingen, dass die USA auf dem afrikanischen Kontinent wieder Boden gutmachen.
Es darf sich in den afrikanischen Ländern nur nicht herumsprechen, dass die wirkliche Bedrohung von den USA und deren Flirt mit dem IS ausgeht.

 A. Gutsche




[1] https://www.strategic-culture.org/news/2018/01/18/us-gambling-islamic-state-undermine-china-russias-position-africa.html
[2]https://www.strategic-culture.org/news/2018/01/18/us-gambling-islamic-state-undermine-china-russias-position-africa.html

Dienstag, 23. Januar 2018



Italien schickt mehr Militär nach Libyen

Libyen/Italien. Libyen verurteilt die Entscheidung des italienischen Parlaments als Verletzung der Souveränität des Landes.

Laut der italienischen Verteidigungsministerin Roberta Pinotti stockt Italien sein Kontingent an Soldaten in Misrata von 370 auf 400 Militärs auf.
Das Nationale Verteidigungs- und Sicherheitskomitee des Parlaments in Tobruk (Ostlibyen) verurteilte diese Entscheidung. Es handle sich dabei um „eine klare Verletzung der Souveränität Libyens durch das italienische Parlament, das für eine Aufstockung ihrer Streitkräfte in Misrata stimmte.“
Weiter heißt es: „Mit dieser Abstimmung gibt Italien zu, Truppen auf libyschem Territorium stationiert zu haben, obwohl es dies vorher immer bestritten hatte.“
Das Komitee warnte Italien vor diesem „fortgesetzten Vorstoß gegen Libyens Souveränität“ und forderte eine Erklärung.
Auf Wunsch der UN-gestützten ‚Einheitsregierung‘ entsandte Italien bereits 2016 hundert Sondereinsatzkräfte nach Misrata (200 km östlich von Tripolis), angeblich zum Schutz eines italienischen Feldlazaretts.
Außerdem beschloss Italien, 470 Soldaten in den Niger zu entsenden, um dort gegen Terrorismus und ‚Menschenhandel‘ zu kämpfen. Zwar sei der IS besiegt, die Terrorgefahr aber noch nicht gebannt.[1]


http://derstandard.at/2000072342110/Italien-entsendet-470-Soldaten-nach-Niger-Mehr-Militaers-in-Libyen
https://libyaagainstsuperpowermedia.org/2018/01/19/libya-condemns-italys-decision-to-increase-troops-in-misurata/


[1] Allen Interessierten sei hier das Buch von Jeremy Keenan „The Dark Sahara – America’s War on Terror in Africa“ empfohlen, in dem aufgezeigt wird, wie die USA in Zusammenarbeit mit Algerien den Mythos IS und Al-Kaida in der Sahara schufen, um einen Vorwand für die dortige militärische Präsenz zu haben.


Die Italiener in Libyen

Libyen/Italien. 1920er und 1930er Jahre

Benito Mussolinis hatte im Oktober 1922 in Italien die Macht ergriffen. Der Duce errichtete einen totalitären Staat mit dem erklärten Ziel, das antike Römische Reich wieder aufleben zu lassen. Die Machtergreifung der Faschisten hatte für Libyen verheerende Auswirkungen. Gegen die von Mussolini ausgerufene ‚Wiedereroberung‘ und ‚Ausweitung des Kolonialbesitzes‘ organisierte sich der libysche Widerstand, während Idris ins Exil nach Großbritannien flüchtete.
Italienische Truppen überrumpelten ein Militärlager der Senussi, ermordeten die Hälfte der Soldaten und nahmen den Rest in Gefangenschaft. Der italienische Generalgouverneur für Libyen kündigte alle laufenden Verträge. 1927 wurde die Gleichstellung von Italienern, Libyern und Mutterland-Italienern aufgehoben. Jeder Widerstand im Land sollte von nun an kompromisslos unterdrückt werden.
Die Libyer leisteten weiter Widerstand, Brennpunkte waren zunächst Tripolitanien und der Fessan. In den Nafusa-Bergen wurde jedes Dorf zu einer Festung ausgebaut. Als es den Italienern dank ihrer waffentechnischen Überlegenheit – sie kämpften mit Panzern und Flugzeugen gegen die nur mit Gewehren ausgerüsteten Libyer – gelang, in Tripolitanien die Stämme zu bezwingen, gingen sie als nächstes gegen die Kyrenaika vor. Dort führte seit 1923 der Senussi-Scheich Omar al-Muchtar den Widerstand der Freischärler an, ein Partisan und Freiheitsheld, der mit dem Kampf seiner kleinen Partisanengruppe zwanzigtausend italienischen Soldaten Paroli bot und damit Geschichte schrieb. Omar al-Muchtar gehörte zum Stamm der Minifa, hatte eine traditionelle Erziehung bei den Senussi genossen und trug den Titel eines Bevollmächtigten des Emirs.
General Rodolfo Graziani, 1929 von Benito Mussolini nach Libyen entsandt und Vizegouverneur der Kyrenaika, sollte dort den jahrelangen Widerstand der Bevölkerung gegen die italienische Besatzung brechen. Seine Methoden waren äußerst brutal, so wurden zum Beispiel Stammesführer in großer Höhe über ihren Heimatdörfern aus Flugzeugen geworfen, Libyerinnen als Sexsklavinnen für die Kolonialtruppen gehalten und Brunnen vergiftet. Jede Unterstützung der Aufständischen wurde mit dem Tode bestraft, auch Frauen und Kinder wurden ermordet. In den Jahren 1927/28 wurde nachgewiesener Weise von den Italienern Giftgas eingesetzt. Die libysche Bevölkerung wurde in eigens errichteten Konzentrationslagern in der westlichen libyschen Wüste interniert, um sie davon abzuhalten, die Aufständischen zu unterstützen. Graziani selbst gab an, dass er 139.192 Menschen einsperren ließ, etwa 80.000 davon Beduinen. Wie viele Menschen dabei zu Tode kamen, ist nicht in Zahlen bekannt, geschätzt wurden bis zu 800.000. Neben den Massenerschießungen kamen zehntausende an Hunger zu Tode. Die Frauen wurden vergewaltigt, Heiligtümer geschändet. Der dänische Journalist Holmboes berichtet über seinen Besuch in einem solchen Lager. „Es war ein immenses Camp mit ca. 1500 Zelten und einer Bevölkerung von 8000, umgeben von Stacheldraht und Maschinengewehrposten an allen Eingängen… Kinder kamen uns entgegen, in Lumpen gehüllt und unterernährt… die Menschen schienen krank und deprimiert, viele haben schwer deformierte Hände und Arme.“[1]
Trotz aller Anstrengungen gelang es Graziani nicht, den Widerstand der Libyer zum Erlöschen zu bringen. In nur einem Jahr kam es laut Graziani zu 53 größeren Kämpfen und 210 Scharmützeln. Um die Rebellen von jeglichem Nachschub abzuschneiden, ließ er die Grenze zu Ägypten auf dreihundert Kilometer mit Stacheldraht sichern. Am 11. September 1931 nahmen die Italiener Omar al-Muchtar gefangen, nur fünf Tage später wird der 70-Jährige öffentlich gehenkt. Der Mythos des Volkshelden lebt bis heute ungebrochen weiter. Sein heldenhafter Kampf wird in dem Kolossalfilm „Omar Mukhtar - der Löwe der Wüste“[2] bilderstark beschrieben.
In einem Artikel der Arbeiterillustrierten[3] (Nr. 23/1931) hieß es: „…Reizende Fliegeraufnahmen, die das Herz jedes modernen Photographen erfreuen würden, zeigen den neckischen Effekt, den platzende Fliegerbomben in der Beduinenstadt Bu‘gen hervorrufen. Nicht umsonst hat man auf dem letzten Flugtag in Rom am Ufer des Tiber ein kleines Araberdorf aufgebaut, um daran das Einschlagen von Fliegerbomben zu demonstrieren.“ Tatsächlich regnete es zur Abschreckung unter dem Befehl von Marschall Italo Balbo bis 1934 Sprengbomben auf libysche Zeltlager, Dörfer und auf die Oasenbevölkerung.
Bis 1932 hatten die Italiener nicht nur Tripolitanien, sondern auch den Fessan und zuletzt die Kyrenaika zurückerobert, die 1927 wieder an die Türkei gefallen war.
Die Italiener enteigneten immer mehr libysches Land, bis 1930 hatten bereits 200.000 Hektar den Besitzer gewechselt. Begründet wurde diese Landnahme mit dem Hinweis, die Libyer würden das Land nicht fachgerecht bearbeiten. So kam General Graziani in Garian in den Genuss von 731 Hektar Land, Exgouverneur Graf Volpi verfügte in Misrata über 1.000 Hektar und der Ritter des Großordens, Chavolini, besaß 1.200 Hektar.
Zwischen 1938 und 1939 kamen über 30.000 neue Siedler in Libyen an, die meisten waren Bauern aus Norditalien. Die Einheimischen waren von den neuen Kolonialstrukturen ausgeschlossen. Sie wurden von ihren Besitzungen vertrieben oder sollten den unumschränkten italienischen Herrschern als Knechte dienen. Der Bestand der Herden bei den Wüstenstämmen war um achtzig Prozent geschrumpft. Gab es 1910 in der Kyrenaika 713.000 Schafe und 33.300 Kamele, so von den Italienern gezählt, waren es 1933 nur noch 98.000 Schafe und 2.600 Kamele[4] . Damit war die traditionelle Infrastruktur Libyens vernichtet.

A. Gutsche


[1] Zitiert nach John Wright „Libya“, London, Ernest Benn, 1969
[2] „Omar Mukhtar - der Löwe der Wüste“ aus dem Jahre 1980, Regie Moustapha Akkad, mit Anthony Quinn in der Hauptrolle und Oliver Reed als sein Gegenspieler Graziani
[3] Arbeiterillustrierten Nr. 23/1931
[4] E.E. Evans-Pritchard, „The Sanussi of Cyrenaica“. Oxford 1949

Montag, 22. Januar 2018




Airbus in Korruptionsvorwürfe verstrickt

Libyen. Generaldirektor von Afriqija-Airways erhebt schwere Vorwürfe und tritt zurück.

Der Generaldirektor der libyschen Fluggesellschaft Afriqija-Airways, Abu Bakr al-Forteja, hat in einem Interview mit einem Fernsehsender seinen Rücktritt erklärt. Dabei erhob er gegen den ‚Verteidigungsminister‘ der ‚Einheitsregierung‘ schwere Korruptionsvorwürfe: „Außenminister Mohammed Sajala und der Präsidialrat sind in einen Korruptionsvertrag mit Airbus verwickelt, der ein Volumen von 3,7 Milliarden Dollar hat. Afriqiya-Airways versuchte unter meiner Verantwortung diesen Vertrag zu stoppen, doch diese Beamten hielten an ihm fest: Eine parallel eingesetzte Exekutivabteilung ermöglichte den Deal."[1] Und dies, obwohl libysche Gerichte dreimal zu Gunsten von al-Forteja und Afriqija-Airways geurteilt hätten. Die Urteile habe der Präsidialrat einfach ignoriert.
Daneben beschuldigte al-Forteja den Präsidialrat, für die Kämpfe um den Mitiga-Flughafen und dessen Beschädigung sowie die Toten und Verwundeten verantwortlich zu sein. Er sagte, die Miliz, die für die Verwüstungen auf dem Flughafengelände die Schuld trage, gehöre zum ‚Verteidigungsministerium‘ des Präsidialrats.
Der Präsidialrat sei auch nicht in der Lage, Flughafenmitarbeiter vor Gefangennahme und Entführung zu schützen. Drei Mitarbeiter gelten gegenwärtig von einer seiner Milizen als entführt: „Sie wurden nie vernommen oder einem Gericht vorgeführt. Die Gründe für ihre Gefangennahme sind nicht bekannt. Der Präsidialrat reagierte auf unsere Anfragen einfach nicht.“
Zwischenzeitlich sind alle Afriqija-Flüge von den Flughäfen Mitiga und Misrata gecancelt. Die Fluglinie verfügt nur noch über eine einzige flugtaugliche Maschine. Airbus wird sich aus Freude über neu zu erwartende Aufträge schon mal die Hände reiben!

 A. Gutsche


[1] https://www.libyaobserver.ly/news/afriqiyah-airways-ceo-resigns-blames-presidential-council-mitiga-airports-gunbattle


Kämpfe um Tripolis-Airport

Libyen. Hauptstadt-Flughafen wegen schwerer Kämpfe zwischen verfeindeten dschihadistischen Milizen gesperrt – viele Tote und Verletzte – örtlicher Staatsnotstand ausgerufen – alle beteiligten Milizen von ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis anerkannt und finanziert

Rund um den Mitiga-Flughafen[1] bei Tripolis sind am Montag schwere Kämpfe zwischen der Special Deterrence Force (SDF / ehemals Rada-Miliz, unter Befehl von Abdel Rauf Kara) und der 33. Brigade (auch Bugra-Miliz, unter Befehl von Bashir Khalfalla) aus einem Vorort von Tripolis namens Tadschura ausgebrochen. Beide radikal-islamistisch ausgerichtete Milizen sind offiziell vom Präsidialrat (mit seiner ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch) anerkannt und werden von ihm finanziert. Bei der Verteidigung des Flughafengeländes erhielt die SDF-Miliz Verstärkung von verschiedenen anderen Milizen. Insgesamt sollen mindestens 20 Personen, darunter auch Zivilisten, getötet worden sein und mehr als 60 verletzt.
Die Angreifer der 33. Brigade sollen sich zwischenzeitlich wieder nach Tadschura zurückgezogen haben.
Der Flughafen und das umliegende Gebiet sowie ein auf dem Flughafengelände eingerichtetes Gefängnis werden von der SDF-Miliz kontrolliert. Ziel des Angriffs der 33. Brigade war es, Gefangene aus dem Gefängnis der SDF-Miliz zu befreien, darunter in der letzten Zeit auch IS-Mitglieder und Dschihadisten. Insgesamt sollen über 2.500 Personen in dem illegalen Gefängnis eingekerkert sein, die mit Duldung der international unterstützten ‚Einheitsregierung‘ von Sarradsch niemals einem Haftrichter oder Staatsanwalt vorgeführt wurden und denen kein ordentliches Gerichtsverfahren zugestanden wird. Bei etlichen der Gefangenen soll es sich um Entführungsopfer handeln, von deren Angehörigen Lösegeld erpresst werden sollte. Vielen Gefangenen soll die Flucht gelungen sein.
Auf dem Flughafengelände stiegen schwarze Rauchwolken auf, drei Maschinen von Al-Afriqija-Airways wurden zerstört, ebenso wie in der Nähe gelegene Wohnhäuser. Auf libyaagainstsuperpowermedia[2] ist umfangreiches Bildmaterial veröffentlicht. Alle In- und Auslandsflüge sind für die nächsten Tage gecancelt. Insgesamt sollen acht Passagiermaschinen beschädigt worden sein. Die noch flugtauglichen seien zu anderen libyschen Flughäfen geflogen worden. Der libyschen Fluggesellschaft Afriqijah Airways verbleibt nur noch ein einziges einsatzfähiges Flugzeug.
Die Schulen wurden geschlossen und Straßen in der näheren Umgebung gesperrt. In Tripolis soll Panik ausgebrochen sein. Die ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch hat einen örtlichen Staatsnotstand ausgerufen.
2014 wurde bei Kämpfen der internationale Flughafen von Tripolis durch dschihadistische Milizen zerstört. Der Mitiga-Flughafen, eigentlich ein Militärflughafen, dient seitdem als der Hauptstadtflughafen.
Bereits am 13. Dezember war es auf der Küstenstraße zum Mitiga-Flughafen zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen den beiden Milizen gekommen. Auch damals musste der Flugbetrieb zwischenzeitlich unterbrochen werden. Es wurde ein der ‚Einheitsregierung‘ zugehöriger Militärhubschrauber bei der Landung getroffen und der Pilot getötet.


A. Gutsche 
 
[1] Aus der ehemaligen amerikanischen Militärbasis Wheelus, von Gaddafi 1970 geschlossen , wurde der libysche Luftwaffenstützpunkt Mitiga. Nach der Entmachtung der Dschamaharija errichtete 2011 der Dschihadistenführer Belhadsch darauf ein riesiges Gefängnis. Nach den Kämpfen 2014 und der Zerstörung des Internationalen Hauptstadtflughafens durch die Libyan Islamic Fighting Group LIFG wurde Mitiga zum alleinigen Flughafen von Tripolis.
[2] https://libyaagainstsuperpowermedia.org/2018/01/16/rival-militias-are-terrorists-belonging-to-the-presidential-council-goa/

Donnerstag, 11. Januar 2018




Katar will die Liquidierung Saif al-Islam Gaddafis

Libyen. Wahlkampf auf libysch.

Laut der in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden Tageszeitung Al Bayan wollen die politischen Kräfte in Libyen, die mit Katar in Verbindung stehen, die noch in diesem Jahr geplanten Wahlen in Libyen verhindern. Der katarische Plan ziele darauf ab, Saif al-Islam Gaddafi zu liquidieren. Katar habe deshalb seinen Gefolgsleuten in Libyen befohlen, Saif al-Islam zu überwachen. Das Ziel sei seine Tötung.
Die islamistischen Führer in Libyen und Katar hätten überrascht zur Kenntnis nehmen müssen, dass seit der Erklärung Saif al-Islams, er werde bei den Wahlen antreten, die Zahl der Wähler, die sich registrieren ließen, enorm in die Höhe geschnellt sei.[1] Es darf mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass die Kandidaten der Moslembruderschaft eine krachende Wahlniederlage erleben werden und sie damit ihre Regierungsämter abgeben müssen. Es drohen ihnen Anklagen im In- und Ausland wegen Beteiligung an Bürgerkrieg, Mord, Folter, Terrorismus und Plünderung des Staatsvermögens.
Es heißt, das katarische Regime habe Angst vor dem Einfluss, den Saif al-Islam unter den Anhängern seines Vaters hat, insbesondere in den Stämmen und Städten in Zentrallibyen sowie im Westen und Süden des Landes. Deshalb habe Katar seine Verbündeten auf die Notwendigkeit seiner Beseitigung hingewiesen.
Der Sprecher der katarischen Opposition, Khalid al-Hill, sagte, Saif al-Islam Gaddafi sei in der Lage, etliche Verschwörungen, die Katar gegen andere Länder, insbesondere gegen Libyen, ausgeheckt habe, aufzudecken. Aus diesem Grund sollte auch Saif al-Islam ermordet werden, was aber bekanntlich fehlschlug. Der ehemalige Emir von Katar, Hamad bin Khalifa, sei auch an der Ermordung Muammar al-Gaddafis beteiligt gewesen.
Katar soll seinen Verbündeten in Libyen erklärt haben, dass die Tötung von Saif al-Islam zu einem Bürgerkrieg führen könnte. Dies käme aber der Moslembruderschaft zugute. Zum einen wäre ein erbitterter ideologischer Konkurrent aus dem Weg geräumt, zum anderen könnte eine politische Lösung so lange verschoben werden, bis es möglich war, alle Schaltstellen der Macht in die Hände zu bekommen.
Medienberichten zufolge hatte Katar schon 2015 versucht, Saif al-Islam zu beseitigen. Damals bombardierten Flugzeuge des dschihadistischen Libya Dawn Gebiete in der Stadt Sirte, von denen vermutet wurde, dass sich Saif al-Islam dort aufhalte.
Quellen berichten von dem aktuellen katarischen Plan, Tripolis angreifen zu lassen und zwar von Milizen aus Misrata und Zawija gemeinsam mit Kämpfern der Verteidigungsbrigaden von Bengasi sowie Milizen aus den westlichen Bergen und Sabratha. Die Entscheidung zum Angriff auf Tripolis sei bereits gefallen. Es habe in den letzten Tagen Treffen zwischen Führern des libyschen ‚politischen Islam‘ mit Vertretern von Katar in Doha, Istanbul und Tunesien gegeben, um die Details des geplanten Vorgehens abzusprechen. Dabei sollten zunächst Propagandamaterialen veröffentlicht werden, die die „Unmöglichkeit, Wahlen abzuhalten“, belegen sowie eine Weigerung, die „internationale politische Entscheidung“ zu unterstützen.
Um Saif al-Islam Gaddafi zu diskreditieren und ihm Verbindungen zu Saudi-Arabien zu unterstellen, sei auch unter seinem Namen ein gefakter Facebook-Account angelegt worden. Dagegen gehe der Anwalt von Saif al-Islam, Khalid al-Zaidi, juristisch vor. Es werde ebenfalls eine Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegen Katar eingereicht.

A. Gutsche



[1] A.d.Ü.: Am 04.01. erklärte das Hohe Nationale Wahlkomitee, dass sich bisher über 1,8 Mio. Libyer als Wähler registrieren ließen. Täglich kämen etwa 30.000 neue Wähler hinzu. Die Wählerregistrierung für im Ausland lebende Libyer beginnt erst ab dem 1. Februar.