Lockerbie: Neue Beweise unerwünscht
Libyen/Lockerbie. Die Begründung für die
Ablehung der Berufung durch die Familie Megrahi jetzt veröffentlicht
Angelika Gutsche
Wie bereits berichtet, ist die Familie des wegen des Lockerbie-Absturzes
verurteilten Libyers Abdelbasit Megrahi mit ihrem Antrag, gegen die 2001
erfolgte Verurteilung von Megrahi posthum in Berufung zu gehen, gescheitert.[1] Im April veröffentlichte die britische Times
die Urteilsbegründung.[2]
Am 21. Dezember 1988 stürzte eine Boeing 747 auf dem Weg von London nach New
York kurz nach ihrem Start über dem schottischen Lockerbie ab. Es fanden 270
Menschen den Tod. Am 31. Januar 2001 fällte ein schottischer Gerichtshof, der
in den Niederlanden tagte, sein Urteil über zwei Libyer: Einer davon, Lamin Khalifa
Fhimah, wurde freigesprochen, der andere, Abdelbasit Megrahi, der
Sicherheitschef von Libyan Arab Airlines, wurde des Mordes für
schuldig erklärt und zu lebenslanger Haft verurteilt. Wegen einer
fortgeschrittenen Krebserkrankung wurde Megrahi 2009 aus der Haft entlassen und
verstarb später in Libyen. Bis zu seinem Tod hat Megrahi seine Unschuld
beteuert.
Die Familie Megrahi versuchte, auf der Grundlage neuer Beweise und wegen des
offensichtlichen Vorliegens eines Justizirrtums, gegen das Urteil des Jahres
2001 in Berufung zu gehen. Am 11. März 2020 entschied die Schottische
Kommission zur Überprüfung von Kriminalfällen (Scottish Criminal Cases
Review Commission - SCCRC), dass die posthume Berufung der Familie Megrahi
beim Höchsten Schottischen Strafgericht (High Court of Justiciary)
gegen das damalige Urteil zulässig sei, da Hinweise auf einen möglichen
Justizirrtum unter anderem aufgrund eines „unangemessenen Urteils“ vorlägen.
Doch am 15. Januar 2021 bestätigte der Oberste Richter des Berufungsgerichts
den Schuldspruch des Erstgerichts und schmetterte damit das Berufungsersuchen
der Familie Megrahi ab. Diese will nun vor den britischen Obersten
Gerichtshof (Supreme Court) ziehen, um das Urteil von 2001
anzufechten.
In dem Berufungsersuchen spielten geheim gehaltene Dokumente eine Rolle, die
vermutlich von König Hussein von Jordanien nach dem Lockerbie-Anschlag von 1988
an die britische Regierung geschickt worden waren. Diese Dokumente wurden nicht
freigegeben, weil sie der nationalen Sicherheit Großbritanniens schaden
könnten. Diesbezüglich kam das Gericht zu dem Schluss, dass die jordanischen
Dokumente der Verteidigung nicht nutzen würden, auch wenn sie Kenntnis davon
hätte. Das Gericht äußerte sich rein juristisch, nahm zu den neuen
Beweismitteln und Erkenntnissen, die die Verteidigung zusammengetragen hatte,
nicht einmal Stellung.
Ludwig De Braeckleer[3], der sich seit
vielen Jahren mit dem Fall Lockerbie beschäftigt und seine Recherchen auf
seinem Blog Inteltoday veröffentlicht, sagt der Familie Megrahi
aufgrund der nun veröffentlichten Begründung des Gerichts ein erneutes
Scheitern auch vor dem britischen Supreme Court voraus.[4] Ebenso sei
eine Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR)
nicht erfolgversprechend, denn eine gerichtliche Klärung des Lockerbie-Falles
sei niemals zu erwarten.
In seinen Lockerbie-Artikeln, die unter dem Titel „J’accuse...“[5] auf Inteltoday veröffentlicht
sind, zerlegt De Braeckleer die Lockerbie-Anklage gegen den Libyer Megrahi.
Darüber, was den Absturz der Boeing 747 über Lockerbie verursachte, gibt es
verschiedene Theorien. Die unwahrscheinlichste von allen ist, dass Megrahi und
Libyen etwas damit zu tun haben. Und doch war ein Libyer der einzige, der
jemals in der Sache Lockerbie verurteilt wurde.
Das Gerichtsurteil von 2001 und dessen Begründung strotzen vor
Ungereimtheiten und Fehlern, so ist schon im ersten Satz ein falsches Datum
angegeben. Es heißt dort: „Um 19:03 Uhr am 22. Dezember 1988 stürzte PanAm-Flug
103 vom Himmel.“ Nun, der PanAm-Flug 103 stürzte am 21.
Dezember 1988 vom Himmel. Dieses falsche Datum wird prompt noch am 15. Januar
2021 von der offiziellen Website Judiciary of Scotland übernommen.
Dort ist wiederum falsch zu lesen: „Das Flugzeug zerschellte am 22. Dezember
1988 über der Stadt Lockerbie.“
Die während des Prozessverlaufes 2001 vorgelegten Beweise bewegen sich
weiter auf ähnlich unterirdischem Niveau. Und so verwundert es nicht, dass die
britische Regierung am 2. November 2016 beschloss, alle Untersuchungsberichte
zum Lockerbie-Fall von Januar 1990 bis Dezember 1992 bis mindestens 2026 und
möglicher Weise darüber hinaus unter Verschluss zu halten.
Ein spektakuläres Fehlurteil - die Beweislage
Befremdlich ist allein schon die Tatsache, dass das Gericht 2001 zwei
unterschiedliche Urteile sprach. Während der Angeklagte Fhimah als ‚nicht
schuldig‘ frei gesprochen wurde, verurteilte das Gericht Megrahi wegen
Massenmordes zu einer Haftstrafe von mindestens 27 Jahren. Nur unter der
Voraussetzung, dass die beiden Anklagepunkte „Verschwörung“ und „Verstoß gegen
die Luftsicherheit“ fallengelassen wurden, konnte Fhimah freigesprochen werden.
Nur: Megrahi hätte niemals das Bombenattentat ohne Hilfe von Fhimah durchführen
können, der aber nicht Mangels an Beweisen, sondern als ‚nicht schuldig‘
freigesprochen wurde. Der Logik folgend, hätte dann auch Megrahi frei
gesprochen werden müssen.
Abwegig erscheint auch die Vorstellung, dass ein unbegleiteter Bombenkoffer
trotz der Sicherheitsvorkehrungen auf drei internationalen Flughäfen den Weg
von Malta nach Frankfurt und von dort nach London gefunden hat, um dann in
London auf den PanAm-Flug 103 verladen zu werden. Bis heute konnte nicht
eindeutig geklärt werden, wie und wo der Bombenkoffer seinen Weg in das Flugzeug
fand: in Frage kommen Frankfurt, aber auch London. Mehr als unwahrscheinlich
ist dagegen die Vorstellung, dass der Bombenkoffer bereits in Malta auf den Weg
gebracht wurde, wie es Megrahi zur Last gelegt wurde.
Das Gericht nahm auch keinen Anstoß daran, dass die Aussagen des
Hauptbelastungszeugen und Ladenbesitzers auf Malta, Tony Gauci, bei dem Megrahi
Kleidung gekauft haben soll, die sich später im Bombenkoffer wiederfand, voller
Widersprüche ist, nicht nur, was das Aussehen des vermeintlichen Käufers
betrifft, sondern auch bezüglich der angeblich gekauften Kleidung sowie des
Kaufdatums.
Der Hemdfetzen, in dessen Kragen sich praktischer Weise Teilchen einer
Zeitzünder-Platine fanden, wurde angeblich am 13. Januar 1990 von zwei
Detective Constables an der Lockerbie-Unglücksstelle gefunden. Laut offizieller
Version wurde der Hemdfetzen, der sich als Teil eines verkohlten Kragens mit
einem Etikett, das zu Gaucis Laden auf Malta führte, im Mai 1989 untersucht und
das Platinenteilchen im Kragen gefunden. Allerdings beweisen Fotos, dass das
Datum umgeschrieben worden war und der Hemdkragen nicht vor dem 10. Oktober
1989 für die Untersuchung zerlegt worden war. Das FBI erhielt sogar erst im
Januar 1990 Informationen über die gefundene Zeitzünderplatine. Es ist also
nicht nur Gaucis Zeugenaussage unglaubwürdig, auch die in die
Lockerbie-Untersuchung involvierten CIA-Leute, Sachverständigen und sonstigen
Belastungszeugen gelten als diskreditiert. Als Beispiel sei hier der Name Alan
Feraday genannt, ein sogenannter Forensikexperte, der später als Fachmann wegen
offensichtlicher Inkompetenz von allen Gerichtsverhandlungen ausgeschlossen
wurde. Da spielt es schon fast keine Rolle mehr, dass die Ermittler
unterschiedliche Modelle des Toshiba-Radios angaben, in dem die Lockerbie-Bombe
angeblich versteckt war. [6]
Doch das Gericht kam zu dem Schluss: Die Spur des Hemdes führt in das
Bekleidungsgeschäft von Gauci auf Malta und die Spur der Zeitzünderplatine nach
Libyen. Libyen, Gaddafi und Megrahi waren die Schurken.
Die englische Tageszeitung The Guardian stellte am 27. Juni 2001
anlässlich des Lockerbie-Prozesses folgendes fest: „…Bereits in der Nacht des
Flugzeugabsturzes wurden ausschlaggebende Beweise unterschlagen. […] Die
Tatsache, dass sich die Richter weigerten, sich von der großen Menge an
zweifelhaften Beweisen, die sich durch die ganze Anklage zogen, umstimmen zu
lassen, machte viele Beobachter sprachlos.“
Der UN-Beobachter Hans Köchler merkte im Februar 2001 an, dass sich das
Gericht ausschließlich auf Indizien stützte, aus denen es eine Reihe höchst
problematischer Schlussfolgerungen zog: „In einem solchen Kontext erscheint der
Schuldspruch hinsichtlich des ersten Angeklagten willkürlich, ja irrational“.[7]
Spätere Recherchen
Von dem Anwaltsteam Megrahis später durchgeführte Recherchen wiesen die
Widersprüche und Unglaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen Tony Gauci ebenso
nach wie die Unmöglichkeit, dass Megrahi der Käufer der Kleidungsstücke gewesen
sein konnte, da er sich zum fraglichen Zeitpunkt nicht einmal auf Malta
aufgehalten hat. Unglaubhaft war auch, dass das Etikett im Hemdkragen
unbeschädigt den Absturz überstanden haben könnte. Es stellte sich auch heraus,
dass Gauci viel Geld, die Sprache ist von drei Millionen USD, erhielt – als
Belohnung für sachdienliche Hinweise. Es gelang auch der metallurologische
Nachweis, dass die Spuren des Platinenteilchens nicht nach Libyen führen. Das
Megrahi-Verteidigungsteam leistete gute Arbeit, nur zeigte sich jetzt, dass das
schottische Gericht nicht Willens war, den Prozess noch einmal aufzurollen,
sondern sich auf juristische Argumente zurückzog.
Nach Meinung von Ludwig De Braeckleer musste Libyen die Tat unter allen
Umständen untergeschoben werden. Dazu wurden Beweise gefälscht und platziert.
Dies traf insbesondere auf den Zeitünder zu, der unbedingt nach Libyen weisen
sollte. Die Gerichte werden niemals eingestehen, in einem solch emotional
aufgeladenen Fall ein Fehlurteil gesprochen zu haben. Nicht nur sie würden ihre
Reputation verlieren, sondern auch die in Lockerbie involvierten Regierungen
der USA und Großbritanniens.
In dem gesamten Lockerbie-Prozess ging es niemals um Wahrheitsfindung,
sondern es ging darum, Libyen für den Absturz des PanAm-Flugs 103
verantwortlich zu machen mit dem Ziel, den UN-Sicherheitsrat zur Verhängung von
Sanktionen gegen Libyen zu drängen. Dies gelang.
Iran und die Palästinenser
Der Lockerbie-Absturz fand im Dezember 1988 statt. Doch erst im November
1991 wurden Haftbefehle gegen Megrahi und Fhimah ausgestellt und Gaddafi als
der Schuldige für das Lockerbie-Attentat gebrandmarkt. Vorher wiesen alle
vorgeblichen Spuren in den Iran und zur PLO.
Am 3. Juli 1988 hatten die USA ein iranisches Zivilflugzeug von ihrem
Flugzeugräger im Persischen Golf aus abgeschossen. Alle 290 Insassen fanden den
Tod. Die USA entschuldigten sich nicht einmal für diesen ‚Irrtum‘, sondern
belobigten den dafür verantwortlichen Militär. Sofort nach dem Absturz des
PanAm-Flugs 103 über Lockerbie wurden die Iraner beschuldigt, die Boeing 747
als Vergeltung für dieses Verbrechen zum Absturz gebracht zu haben. Es hieß, der
Iran habe für die Ausführung der Tat die Palästinensische Gruppe Popular
Front for the Liberation of Palestine – General Command (PFLP-GC)
angeheuert. Den Iran zu beschuldigen passte zunächst für die USA unter Reagen
und für Großbritannien unter Thatcher vorzüglich in die politische
Großwetterlage. Khomeini war’s!
Doch im März 1989 änderte Iran seinen außenpolitischen Kurs: Khomeini
entmachtete seinen designierten Nachfolger und Hardliner Montazeri. Präsident
wurde nach Khomeinis Tod der den USA wohlgesonnene Rafsandschani. Die USA
benötigten den Iran außerdem als Partner im Golfkrieg des Jahres 1990 gegen den
Irak (Saddam Hussein war in Kuweit einmarschiert) und um im Libanon eine
Geiselaffäre zu beenden. Die USA suchten wieder die Annäherung an den Iran.
In einem vertraulichen Telefongespräch sollen sich Reagan und Thatcher Ende
März 1989 darauf geeinigt haben, das Thema Lockerbie aus dem öffentlichen
Interesse verschwinden zu lassen. Doch plötzlich tauchte es im Herbst 1989
wieder auf. Allerdings war der böse Bube nun nicht mehr Khomeini, sondern
Gaddafi. Es hieß, neu aufgetauchte Beweise wiesen eindeutig in Richtung Libyen.
Laut De Braeckleer wurden die Beweise, die zunächst in den Iran führten, von
den Geheimdiensten auf Libyen umfrisiert. Doch was waren das für Beweise?
Eine palästinensische Terrorzelle in Deutschland
Im deutschen Neuss, das nahe Frankfurt liegt, hatte die deutsche Polizei am
26. Oktober 1988 die Antiterror-Operation Herbstlaub durchgeführt, in
deren Verlauf 16 Personen verhaftet wurden, darunter der Bombenbauspezialist
der PFLP-GC Marwan Khreesat sowie Hafez Dalkamoni aus Syrien. Dalkamoni wurde
beschuldigt, einen Bombenanschlag auf ein Verkehrsflugzeug vorbereitet zu
haben. Die Polizei fand auch Toshiba-Radiorekorder und Zeitschaltuhren, die
angeblich denen bei der Lockerbie-Bombe verwendeten glichen, sowie
Plastiksprengstoff der Marke Semtex. Und sie fand vier Bomben, eine angeblich
existente fünfte Bombe blieb verschwunden und soll beim Lockerbie-Attentat zum
Einsatz gekommen sein. Laut Zeugenaussage lag auch ein brauner Samsonite-Koffer
wie beim Lockerbie-Attentat verwendet in einem Kofferraum der Terroristen.
Anzumerken bleibt, dass Khreesat nicht nur ein PFLP-GC-Bombenbauer war, sondern
auch ein CIA-Agent.
Als Drahtzieher für den Anschlag auf den PanAm-Flug 103 wurde der Iran
ausgemacht, der die palästinensische Gruppe beauftragt und bezahlt haben soll.
Belegt wurde dies durch angeblich geleistete Zahlungen des Iran an die PFLP-GC
sowie nachgewiesener Treffen von hochrangigen Iranern und Mitgliedern der
PFLP-GC. Die Angaben zu den Zahlungen wurden erstmals auf Wunsch der CIA in der
deutschen Zeitschrift Quick im Mai 1989 veröffentlicht.[8]
Allerdings konnte de Braeckleer nachweisen, dass für die angeblichen
Zahlungen des Iran an die PFLP-GC, anders als behauptet, keine stichhaltigen
Beweise existieren.
Die Malta-Spur
Der Palästinenser Abu Talb hielt sich im Oktober 1988 in Malta auf. Er kaufte
dort verschiedene Kleidungsstücke, mit denen er zurück nach Schweden reiste.
Diese Kleidungsstücke sollen sich später ebenfalls im Kofferraum in Neuss
befunden haben und sollen dieselben sein, die sich dann im
Lockerbie-Bombenkoffer fanden.
Die erste Beschreibung des Besitzers des Bekleidungsgeschäfts Tony Gauci
passte relativ gut auf Abu Talb, musste aber, nachdem die PFLP-GC und der Iran
auf Wunsch von Reagan und Thatcher als Täter aus dem Spiel waren, auf Libyen
umgedichtet werden. Und nun kam Megrahi ins Spiel, der sich als Sicherheitschef
von Libyan Arab Airlines des Öfteren auf Malta aufhielt, auch mit
falschen Pässen unterwegs war und eine Freundin auf Malta hatte.
Der Ladenbesitzer Gauci wurde auf Kurs gebracht, neue Beweise wurden
‚gepflanzt‘, und im Herbst 1989 war die CIA soweit, den von ihr mit wahrer
Besessenheit verfolgten Gaddafi zum neuen Täter auszurufen.[9] Nicht nur De Braeckleer auf seinem Inteltoday-Blog,
sondern auch das Verteidigerteam von Megrahi[10] weisen detailliert die Beweisfälschungen
und das Legen falscher Fährten nach.
Iran, Libyen oder ein ganz anderer Täter?
Während mittlerweile viele Beobachter rund um den Lockerbie-Absturz von
Libyen wieder zurück auf den Iran als Täter schwenken, kommt De Braeckleer nach
ausgiebigen Recherchen zu der Schlussfolgerung, dass bereits die Beweise, die
auf den Iran und die PFLP-GC als Täter deuten, von der CIA gefälscht waren.
Braeckleer ist der Meinung, dass ein „massives strukturelles Versagen aufgrund
der bekannten Probleme von Metallermüdung in den Sektionen 41 und 42 der Boeing
747“ vorlag, dass also ein Konstruktionsfehler der Boeing 747 der Grund für das
Auseinanderbrechen des Flugzeugs war und überhaupt kein Bombenanschlag
stattgefunden hat. Dies hätte für Boeing den wirtschaftlichen Niedergang
bedeutet. Hypothetisch wurde diese Möglichkeit bereits unmittelbar nach dem
Anschlags in einer BBC-Sondersendung angesprochen.[11]
Die Warnungen und die Passagierliste
Merkwürdige Vorgänge rund um den Flugzeugabsturz weisen in eine andere
Richtung. Gut zwei Wochen vor dem Anschlag, am 5. Dezember 1988, war eine
Terrorwarnung bei der US-Botschaft in Finnland eingegangen. Ein mit arabischem
Akzent sprechender Mann hatte in Helsinki angerufen und in den folgenden zwei
Wochen einen Anschlag auf einen PanAm-Flug von Frankfurt in die USA
angekündigt. Daraufhin gab die amerikanische Luftfahrtbehörde FAA eine
Sicherheitsmeldung heraus, in der es unter anderem hieß: „Die Federal
Aviation Administration wurde über die Drohung in Kenntnis gesetzt und die
Sicherheitsvorkehrungen für PanAm-Flüge von Frankfurt erhöht.“[12] Die Warnung wurde auch von der
US-Botschaft in Moskau veröffentlicht und an US-Bürger, die sich dort
aufhielten, weitergegeben. Dies führte dazu, dass viele Fluggäste umbuchten.
Spannend ist, wer sich nicht mehr auf der Passagierliste des Flugs PanAm 103
fand und wer neu auf den Flug gebucht wurde. Den Flug PanAm 103 zunächst
gebucht, aber dann storniert, umgebucht oder verpasst hatten folgende
prominenten Fluggäste: der Außenminister von Südafrika Roelof Botha und seine
zweiundzwanzig köpfige Delegation, der US-Botschafter im Libanon John McKarthy,
der Vizedirektor des FBI Chris Revell, ein DEA- (Drug Enforcement
Administration) Verwaltungsbeamter namens Steven Greene, die Sängerin
Jennifer Rush, die Mitglieder der Soulband Four Tops aus Detroit, der
ehemalige Sex-Pistols-Musiker John Lydon und seine Frau. Südafrikas
Außenminister Botha sagte 1989 in einem Interview mit der BBC, dass er durch
eine Warnung des Geheimdienstes dazu gezwungen wurde, seinen Flug mit PanAm 103
in letzter Minute umzubuchen.
Doch die Plätze blieben nicht frei, sondern wurden neu besetzt: In der
Mehrzahl durch ahnungslose Studenten, die sich freuten, einen Platz bei den vor
Weihnachten so beliebten PanAm-Flügen in die USA ergattert zu haben. Für sie
alle war es der letzte Flug ihres Lebens.
Aber es kam auch Prominenz beim Absturz zu Tode, so Bernt Carlsson, der seit
1985 den Posten des UN-Kommissars für Namibia innehatte. Carlsson war mit
belastendem Material auf dem Weg zur UN in New York, um gegen URENCO, eine
Urananreichungsfirma in Namibia, auszusagen. Nach seinem Tod wurde der Prozess
gegen URENCO abgesetzt. Bernt Carlsson hatte sich nicht nur als UN-Kommissar,
sondern in seiner Eigenschaft als Generalsekretär der Sozialistischen
Internationale stets gegen die Apartheitspolitik und für die
Unabhängigkeit Namibias stark gemacht und sich damit gegen die Interessen der
USA, Großbritanniens und vor allem Südafrikas im Hinblick auf die Gold-, Uran-
und Diamantenminen Namibias gestellt. Carlsson war auch Sonderberater für den
1986 ermordeten, schwedischen Premierminister Olof Palme gewesen.
An Bord der Unglücksmaschine befanden sich etliche CIA-Mitarbeiter, darunter
Major Charles McKee. Dazu muss man wissen, dass die USA dunkle Drogengeschäfte
duldeten und am Schmuggel von Drogenkoffern aus Nahost in die USA beteiligt
waren[13]. Zu dieser Zeit war der ehemalige
CIA-Direktor George Bush sen. Vizepräsident unter Ronald Reagan. Bush sen. war
mit Sicherheit während seiner Zeit als CIA-Direktor in den Iran-Contra-Skandal
verstrickt. Es ging ein Aufschrei durch die Welt als sich herausgestellt hatte,
dass die Israelis Waffen an den Iran lieferten und das Geld, das Iran bezahlte,
von den USA zur Unterstützung der Contras in Nicaragua, die gegen die gewählte
Regierung der Sandinisten kämpften, verwendet wurde. Die Contras schmuggelten
auch über Jahre Kokain in die USA – geduldet von der CIA. Bush sen. wollte
nächster Präsident der USA werden und Iran wusste von seinen Machenschaften als
Chef der CIA.
Laut verschiedener Quellen hatte der CIA-Beamte McKee Informationen über
Drogentransporte, die in Absprache mit der CIA von libanesischen Drogendealern
via Frankfurt und London in die USA durchgeführt wurden. McKee stand diesen
Drogengeschäften äußerst kritisch gegenüber und war mit entsprechenden Beweisen
unterwegs nach Washington, um diese Vorgänge bekannt zu machen.
Mit an Bord der Todesmaschine waren vier weitere CIA-Agenten: Daniel
O’Connor, Sicherheitsbeamter an der US-Botschaft auf Zypern (Zypern war ein
Dreh- und Angelpunkt für Agenten), Matthew Gannon, stellvertretender Leiter der
Geheimdienstzentrale in Beirut sowie Ronald Larivier und Bill Leyrer. Zumindest
die beiden Erstgenannten dürften über die Drogengeschäfte ihrer Behörde
Bescheid gewusst haben.
Mit einem Drogenkoffer, der sich im Gepäck eines gewissen Khalid Jaafar,
einem libanesisch-amerikanischen Drogenkurier, befunden hat, könnte auch die
Bombe an Bord von Flug PanAm 103 gelangt sein. Der vermeintliche Heroin-Koffer
wäre dank der Hilfestellung durch das CIA pannensicher an Bord des
Pan-Am-Flugzeugs gelangt. Muss noch erwähnt werden, dass Jaafar eigentlich ein
DIA-Offizier (Defence Intelligence Agency) war und für die US
Armed Forces arbeitete? Auch Jaafar stürzte mit PanAm-Flug 103 in den Tod.
Bleibt die Frage, inwieweit westliche Geheimdienste in den Absturz von PanAm
103 verwickelt waren. Wussten sie, dass in einem Koffer statt Drogen eine Bombe
transportiert wurde und dies geschehen lassen oder hatten sie dies sogar
veranlasst?
Eine Frage der Zeit – doch die Wahrheit kommt ans Licht
Zur Aufklärung des Lockerbie-Falls gehören viele Puzzleteilchen, von denen
hier nur ein Teil zur Sprache kam. Man hört immer wieder, der Fall Lockerbie
sei wohl niemals aufzuklären. Tatsächlich gibt es viele Theorien, die in sich
schlüssig, zusammengenommen widersprüchlich sind. Es dürften im Laufe der Zeit
auch viele Nebelkerzen gezündet worden sein, um die wahren Geschehnisse zu
verschleiern. Doch die Wahrheit muss und wird ans Licht kommen – auch wenn es
dauert.
Viele Menschen haben gegen den unfairen Ablauf des Lockerbie-Prozesses, das
den Libyer Megrahi zum Opfer machte, ihre Stimme erhoben, darunter
Persönlichkeiten wie Nelson Mandela oder Noam Chomsky. Besondere Hochachtung
verdient Jim Swire, dessen Tochter Flora ebenfalls beim Lockerbie-Absturz ums
Leben kam. Swire bezeichnete den Prozessverlauf und die Urteilssprechung als
‚katastrophal‘ für die schottische Justiz und kämpft seither für die Aufklärung
der wahren Vorgänge.[14] Er schrieb am 7. Oktober 2018: „Ich bin
der Vater von Flora Swire, die 1988 an Bord des Flugzeugs ermordet wurde, und
ich war bei dem anschließenden Prozess gegen den Libyer Abdelbaset al-Megrahi
dabei. Am Ende war ich überzeugt, dass wir Zeugen einer Parodie der Justiz
geworden waren. Es gab viele Mängel in der Beweisführung, und diejenigen von
uns, die nach der Wahrheit gesucht haben, wurden von der Regierung und dem
schottischen High Court weiter frustriert. Es ist uns klar geworden,
dass der Prozess nicht darauf ausgelegt war, die Verantwortlichen zu
verurteilen, sondern die Wünsche der Regierungen der USA und Großbritanniens zu
erfüllen.“[15]
Der Anwalt und Menschenrechtsaktivist Gareth Pierce kam zu dem Schluss, dass
der Aufbau des Verfahrens gegen Megrahi und Libyen eine aktive Beteiligung
aller auf allen Ebenen des Justizsystems erforderte ebenso wie die
stillschweigende und auch die offene Unterstützung von der Spitze der
politischen Hierarchie.[16]
Mit der Zuschreibung des Lockerbie-Attentats auf Gaddafi als Drahtzieher ist
es gelungen, Gaddafi zum Inbegriff eines blutrünstigen Terroristen zu machen.
Dieses bösartige, von der CIA konstruierte Etikett blieb durch die Verurteilung
Megrahis allen dem widersprechenden Beweisen zum Trotz an Gaddafi kleben und
ermöglichte 2011, dass der Nato-Krieg gegen Libyen so gut wie ohne öffentlichen
Protest stattfinden konnte.
[1] https://www.freitag.de/autoren/gela/keine-gerechtigkeit-fuer-megrahi
[2] https://www.scotcourts.gov.uk/docs/default-source/cos-general-docs/pdf-docs-for-opinions/2021hcjac25.pdf?sfvrsn
[3] https://wikispooks.com/wiki/Ludwig_De_Braeckeleer
[4] https://inteltoday.org/2021/04/08/20-years-ago-kangaroo-zeist-court-issues-infamous-lockerbie-verdict-january-31-2001-update-judges-reject-new-lockerbie-appeal-family-to-apply-to-uk-supreme-court/
[5] https://inteltoday.org/2020/05/18/lockerbie-three-decades-of-lies-jaccuse-chapter-i-a-week-in-december/
[6] https://inteltoday.org/2020/06/22/lockerbie-three-decades-of-lies-jaccuse-chapter-vi-a-spectacular-miscarriage-of-justice/
[7] http://i-p-o.org/lockerbie-report.htm
[8] https://inteltoday.org/2020/06/01/lockerbie-three-decades-of-lies-jaccuse-chapter-iii-operation-autumn-leaves/
[9] Bob Woodward: Reagan und die geheimen Kriege
der CIA, 1987
[10] dokumentiert in einem Film von William Cran
und Christopher Jeans (2012): https://youtu.be/XxMfxYUP6VI
[11] https://www.youtube.com/watch?v=hLzzekWjS28
[12] https://wikispooks.com/wiki/Bernt_Carlsson
[13] Lester Coleman/Donald Goodard:
„Trail of the Octopus“ (1993)
[14] http://www.lockerbietruth.com/
[15] https://inteltoday.org/2020/06/22/lockerbie-three-decades-of-lies-jaccuse-chapter-vi-a-spectacular-miscarriage-of-justice/
[16] https://inteltoday.org/2020/07/27/lockerbie-three-decades-of-lies-jaccuse-chapter-xi-jaccuse/
09.05.2021