Montag, 24. August 2020



Neue Roadmap für Libyen

Libyen. In einem Interview mit „Arab News“ erläutert Parlamentspräsident Aguila Saleh die Ergebnisse des Gesprächs mit Richard Norland, US-amerikanischer Botschafter in Libyen. 


Laut Aguila Saleh wurde bei den Gesprächen mit Norland vereinbart, die Öleinnahmen bis zur Bildung eines neuen Präsidialrates und einer neuen Regierung in der Libysch-Arabischen Auslandsbank zu belassen, da gegen die Zentralbank in Tripolis massive Korruptionsvorwürfe bestehen.
Die beiden in Libyen konkurrierenden Regierungen, im Osten die Übergangsregierung (Tobruk) und im Westen die ‚Einheitsregierung‘ (Tripolis), sollen im Rahmen eines neu zu bestimmenden Präsidialrats und einer neuen Regierung nach Sirte verlegt werden. Den Schutz für diese neuen Institutionen in Sirte soll die Libysche Nationalarmee (LNA) übernehmen. Laut Saleh sei bei dem Gespräch mit Norland keine Rede davon gewesen, Sirte zu entmilitarisieren und dort internationale Truppen zu stationieren.
Auch Norland habe sich für einen Waffenstillstand ausgesprochen, der von der UNO und den USA unterstützt werde. Norland habe zugesagt, bei der ‚Einheitsregierung‘ Überzeugungsarbeit zu leisten.
Saleh: „Wir haben die UNO gebeten, die Umstrukturierung des Präsidialrates und der Regierung in naher Zukunft zu überwachen, entsprechend der Erklärung von Kairo, die von den Libyern und allen Parteien, die sich für die Beendigung eines Krieges einsetzen, den sie für alle als verlustreich betrachten, fast einstimmig unterstützt wurde.“
Ein neu zu bildender ‚Dialogausschusses‘ soll sich aus Mitgliedern des Parlaments und des Staatsrats zusammensetzen, der gemäß der Kairoer-Erklärung als „13plus13“ bezeichnet wird. Es soll auf dieser Grundlage ein Präsidialrat gebildet werden, der aus dem Präsidenten und seinen beiden Stellvertretern, je aus einer der drei Regionen Kyrenaika, Tripolitanien und Fessan, besteht. Dann wird ein Premierminister, der nicht aus der gleichen Region wie der Präsident kommt, ernannt und eine neue Regierung gebildet, die ihr Programm vom Parlament genehmigen lassen muss. Um dieses Ziel zu erreichen, werden vom 16. August bis 16. September Gespräche mit der UNO stattfinden.
Bezüglich des Vorsitzenden der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis meint Saleh: „As-Sarradsch ist nicht Teil der Lösung des Konflikts. Die Lösung liegt sowohl in den Händen des Parlaments als auch des Staatsrates.“
Gegenüber der Türkei zeigt sich Saleh gesprächsbereit: „Wenn die Türkei ihre Interessen friedlich verfolgen will, gibt es keinen Streit.“ Es könnten aber keine Interessen gewaltsam aufgezwungen werden. Ausländische Söldner müssten das Land verlassen.
Der EU sei klargemacht worden, dass eine Fortsetzung des türkischen Krieges in Libyen eine weitere Eskalation zur Folge haben werde, was zum Schaden für ganz Europa sei. Nur eine friedliche Lösung stelle einen Ausweg aus dem gegenwärtigen Konflikt dar.
In Bezug auf Russland meinte Saleh: „Ich habe Russland bereits besucht und bin mit Außenminister Sergej Lawrow zusammengetroffen. Sie unterstützen die Erklärung von Kairo und die Vorstellungen des Parlaments, und sie nahmen es mit Interesse auf, was wir ihnen zu sagen hatten. Das war auch so während meiner Reise durch Algerien, Marokko, Tunesien und Jordanien. Mein Eindruck war, dass alle eine politische Lösung und die Erklärung von Kairo unterstützen, die den krönenden Abschluss aller Initiativen, einschließlich der von Berlin, darstellt.“
Saleh meint, es gebe auch einen US-amerikanisch-russischen Konsens zu Libyen, da inzwischen alle davon überzeugt seien, dass ihre eigenen Interessen am besten mittels eines Friedensschlusses und nicht durch Krieg, der die Ölförderung behindert, verwirklicht werden können.
Die ‚Einheitsregierung‘ sei laut Saleh in einer Sackgasse gelandet und könne nicht liefern. Innerhalb der ‚Einheitsregierung‘ herrschten Meinungsverschiedenheiten und man konfrontiere sich mit eklatanten Korruptionsvorwürfen. Sarradsch sei unfähig, Entscheidungen treffen, die einstimmig getroffen werden müssten, dies sei aber wegen der Uneinigkeit nicht möglich. Sarradsch wolle aber in seiner Position verharren, um die Wünsche der Türkei umzusetzen.
Laut Saleh sei die rote Linie, die Ägypten bezüglich Sirte gesetzt habe, ein wichtiger Schritt zur Erreichung des Friedens gewesen, da damit eine weitere Eskalation verhindert worden sei und die rote Linie einen wichtigen Schutz für die Einheit Libyens und seines Volkes darstelle. Dank ihr seien alle davon überzeugt worden, dass eine politische Lösung besser ist als die Fortsetzung des Kampfes. Saleh: „Ich betrachte sie als eine historische Positionierung Ägyptens und seiner Führung“.
Mit Norland sei vereinbart worden, den Dialog fortzusetzen. Saleh: „Es wird erwartet, dass ich die USA besuchen werde, um vor dem amerikanischen Kongress zu sprechen und dort die Situation vor Ort zu erläutern sowie die Vorstellungen der Erklärung von Kairo und deren Umsetzungsmechanismus vorzustellen.“
Innerhalb des Parlaments gebe es keine Meinungsverschiedenheiten über die politische Lösung. Es werde sich weiterhin um eine nationale Aussöhnung bemüht. Unter den Libyern gebe es keine Differenzen bezüglich der Unterstützung einer politischen Lösung und der gerechten Verteilung von Macht und Wohlstand.
Saleh: „Die Sicherheitslage ist stabil und wird von der LNA kontrolliert. Auch die wirtschaftliche Lage ist stabil. Die Gehälter werden regelmäßig bezahlt und Nahrungsmittel sind verfügbar.“
https://www.arabnews.com/node/1718271/middle-east
Saleh dürfte sicher mit der Einschätzung richtig liegen, dass sich die ‚Einheitsregierung‘ und die Türkei in eine Sackgasse manövriert haben und dass es im Falle einer weiteren militärischen Eskalation nur Verlierer gäbe.
Trump muss im Wahlkampf außenpolitische Erfolge vorweisen. Dass zwei Verbündete – die Türkei und Ägypten – in Libyen gegeneinander Krieg führen, passt nicht ins Konzept. Zuerst wurde die LNA bei der Eroberung von Tripolis durch die Türkei mit Einverständnis der Nato gestoppt und jetzt die ‚Einheitsregierung‘, sprich Türkei, bei dem Versuch der Eroberung von Sirte durch Ägypten. Es dürfte nicht im Sinne der USA sein, dass sich die Türkei und mit ihr die Moslembruderschaft als große Regionalmacht mit Militärbasen in Libyen etablieren. Sarradsch als Mann der Türkei und der Moslembruderschaft dürfte ausgespielt haben.
Die Türkei kann ihr Gesicht wahren, indem sie es als ihren Erfolg verbucht, dass Feldmarschall Haftar als neuer starker Mann Libyens abserviert wurde und stattdessen mit Saleh verhandelt wird. Bezüglich der Öl- und Gasvorkommen im östlichen Mittelmeer könnte sich unter, wenn auch schwieriger Vermittlung der EU, mit Griechenland eine Lösung finden lassen. Auch muss die Türkei einsehen, dass mit einer zerstrittenen ‚Einheitsregierung‘, von der maßgebliche Teile den Machtanspruch der Türkei in Libyen und die Einbringung von ausländischen Söldnern komplett ablehnen, kein Krieg zu gewinnen ist
Frankreich hat sich mit Hilfe der USA als die bedeutendere Führungsmacht innerhalb der EU etablieren können, gerade was ihre Rolle in Nordafrika und im Mittelmeerraum betrifft. Deutschland ist durch ihre Unterstützung für die ‚Einheitsregierung‘ und ihre mehr als zögerliche Haltung gegenüber der Türkei ins Hintertreffen geraten. Libyens Stämme und Städte haben die Schließung der Ölanlagen just vor Beginn der Berliner Libyen-Konferenz veranlasst. Davor war Libyen nach Russland Europas zweitwichtigster nicht-europäischer Öllieferant und der drittwichtigste Deutschlands. So ist es für viele europäische Länder, allen voran Italien, wichtig, dass das Öl bald wieder sprudelt und über den kurzen Weg durch das Mittelmeer nach Europa gelangt, auch wenn man jetzt dafür gegenüber Frankreich zurückstecken muss.
Für Russland ist ein geeinigtes Libyen mit einer stabilen Regierung nur von Vorteil. In je weniger Kräfte zehrenden Konflikte es verwickelt ist, umso besser. Es wird darauf hoffen, dass eine neue Regierung nicht vergisst, dass sich Russland stets für ein souveränes und geeintes Libyen stark gemacht hat.
Sollte Sirte zum neuen Sitz einer Regierung und neuer Institutionen werden, könnte dies den Konkurrenzkampf zwischen Tripolis und Bengasi beenden und ein neues Erblühen von Sirte, dieser am meisten seit 2011 geschundenen und zerstörten Stadt, bewirken. Es wäre ihr zu wünschen.



Kurznachrichten aus Libyen – 22.08.2020

Libyen. Das libysche Volk begehrt auf – Proteste in Zawiya – syrische Söldner verursachen immense Kosten – Türkei übernimmt Zollbehörde im Hafen von Tripolis 
 

Libysche Stämme und Städte
+ 20.08.: In den Städten Sirte, Bani Walid und Ghat fanden Demonstrationen von Dschamahirija-Anhängern statt. Sie forderten die Rückkehr von Saif al-Islam Gaddafi. Neben der grünen Fahne wurden Bilder von Gaddafi und seinen Söhnen Saif al-Islam, Mutasim und Khamis gezeigt.
https://twitter.com/smmlibya/status/1296707669663928320

http://en.alwasat.ly/news/libya/292948
Die Geduld des Volkes geht angesichts der prekären Lage zu Ende.
+ 20.08.: In Bengasi verbrennen Bewohner öffentlich türkische Flaggen.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1296558296346890249
+ 22.08.: Milizen aus der Stadt Zawiya (45 km westlich von Tripolis) besetzten den Ras Dschadir Grenzübergang zu Tunesien. Am 21.08. waren in Zawiya Proteste ausgebrochen, nachdem Milizen des Innenministeriums der ‚Einheitsregierung‘ das Feuer auf friedliche Demonstranten eröffnet hatten, die eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen forderten.
Bereits am 15.08. erklärten die Mitglieder der Moslembruderschaft in Zawiya ihren geschlossenen Austritt aus der Bruderschaft.
https://twitter.com/smmlibya/status/1296716892242169857
https://twitter.com/HasairiOuais/status/1296538349172396047
+ 19.08.: Stammesälteste der südlibyschen Stadt Dschufra trafen mit Feldmarschall Haftar zusammen, um die Rolle der Stammesältesten bei der „Bekämpfung von Terrorismus, Milizen und türkischen Kolonialisten“ zu diskutieren.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58615
+ Der für den Öl- und Gassektor Verantwortliche im Obersten Libyschen Rat der Scheichs, as-Senussi al-Haliq, sagte, die Entscheidungsfindung zur Wiedereröffnung der Erdölanlagen befinde sich einer ersten Phase und betreffe vorerst die Freigabe der vorhandenen Erdöl- und Erdgaslagerbestände. Dies sei eine Geste des guten Willens als Reaktion auf die internationalen Bemühungen zur Beilegung des Libyenkonflikts. As-Senussi wies auf die vorgelegte Liste von Forderungen als Voraussetzung für die Wiedereröffnung der Ölanlagen. Der Rat der Scheichs habe das libysche Parlament und die LNA ermächtigt, im Namen der libyschen Stämme zu verhandeln.
In erster Linie soll mit dem nun freigegebenen Öl und Gas der Treibstoffknappheit in Libyen selbst begegnet werden.
https://libyareview.com/?p=5812
+ Die Gewerkschaft der Beschäftigten in der Ölindustrie begrüßte die Wiedereröffnung der Erdölanlagen als „einen Schritt in die richtige Richtung, um den Öl- und Gassektor in Libyen als souveräne Ressource für alle Libyer zu erhalten und die Einnahmen gerecht auf alle Regionen des Landes zu verteilen und sie nicht als Druckmittel innerhalb des libyschen Staates zur politischen Spaltung zu benutzen.“
https://www.addresslibya.co/en/archives/58602

Libysches Parlament/Übergangsregierung
+ 20.08.: Laut dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des libyschen Parlaments, Yousef al-Agouri, sehe man sich im Einklang mit dem deutschen Außenminister Heiko Maas. Man wolle zu den Berliner Beschlüssen und zum politischen Dialog zurückkehren, da dies der einzig gangbare Weg aus dem momentanen Konflikt wäre. Agouri betonte auch die Notwendigkeit, sich für den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Libyen und die Wiederaufnahme der Ölexporte einzusetzen, vorausgesetzt, dass die Einnahmen fair und transparent verteilt werden.
https://libyareview.com/?p=5829
+ Der Sprecher des Parlamentspräsidenten Aguila Saleh gab bekannt, dass Saleh bereit sei, sich baldmöglichst in Marokko und unter der Schirmherrschaft von König Mohammed VI. mit dem Vorsitzenden des Staatsrates in Tripolis, Khaled al-Mashri, zu treffen, um über eine Lösung des Libyenkonflikts zu sprechen. Eine neue Gesprächskonstellation.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58599

‚Einheitsregierung‘/Milizen/Türkei
+ 20.08.: Inklusive ausstehender Zahlungen hat die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis allein im Juli Zahlungen in Höhe von 20 Millionen US-$ für syrische Söldner ausgegeben. Insgesamt sollen sich 13.000 Söldner in Libyen aufhalten, davon stehen einige Hundert unter dem direkten Kommando des Innenministers der ‚Einheitsregierung‘ Fathi Bashagha.
Die syrischen Söldner befinden sich in der Polizeihochschule, im Yarmouk-Lager in Khallet Al-Furjan, im Hamza-Lager an der Flughafenstraß sowie im Lager Sidi-Bilal nahe des UN-Hauptquartiers in Janzur.
https://libyareview.com/?p=5833
+ 18.08.: Wie bekannt wurde, führte das Treffen zwischen as-Sarradsch und dem türkischen und katarischen Verteidigungsminister zu der Vereinbarung, die militärische Unterstützung für die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis zu verstärken. Es soll auch vereinbart worden sein, die Gehälter der von der Türkei entsandten syrischen Söldner um 30% zu erhöhen. Es sei befürchtet worden, der Ärger der syrischen Söldner über zu geringen Sold könne in eine Rebellion und die Weigerung, in den Kampf zu ziehen, umschlagen.
https://libyareview.com/?p=5779
+ Al-Marri wieder in Libyen. Besondere Empörung ruft hervor, dass sich in der Delegation des katarischen Verteidigungsminister, der am 17.08. Tripolis besuchte, auch al-Marri befand, jener al-Marri, der 2011 eine berüchtigte katarische Spezialeinheit in Tripolis befehligte, die finstere Sondereinsätze durchführte und in enger Verbindung mit der dschihadistischen LIFG (Libyan Islamic Fighting Group) und deren Kommandanten Belhadsch stand. Er unterstützte auch die dschihadistischen Schura-Räte in Bengasi und Derna. Wie Fotos zeigen war al-Marri bei dem Treffen des katarischen und türkischen Verteidigungsministers mit dem Vorsitzenden des libyschen Hohen Staatsrats, Khaled al-Mishri, anwesend. Wohlweislich tauchte al-Marri auf keiner offiziellen Delegationsliste auf, denn seine provokativen Aktionen des Jahres 2011 sind unvergessen.
Wegen des Verdachts der Unterstützung von Sabotageakten und der Zahlung von Bestechungsgeldern ist al-Marri die Einreise nach Tunesien untersagt. Ihm wird auch die Finanzierung der Al-Nusra-Front in Syrien vorgeworfen.
https://almarsad.co/en/2020/08/17/after-entry-in-bab-al-aziziyah-in-2011-qatars-al-marri-returns-to-tripoli-with-turkey-and-gna/
+ 17.08.: Ahmed Maitiq, Präsidialratsmitglied aus Misrata, besprach mit dem US-amerikanischen Botschafter in Libyen, Richard Norland, die letzten Gesprächsergebnisse. Laut einer Erklärung der ‚Einheitsregierung‘ betonten beide die Notwendigkeit, die militärische Eskalation um Sirte zu beenden und die Ölförderung und -produktion wieder aufzunehmen.
+ Das am 13. August zwischen der ‚Einheitsregierung‘ und der Türkei unterzeichnete Wirtschafts- und Handelsabkommen bedeutet nach Ansicht Frankreichs die „vollständige Kontrolle“ des Hafens von Tripolis durch die Türkei. Das türkische Unternehmen SCK wurde ermächtigt, die Importe im Hafen von Tripolis zu kontrollieren und praktisch die Zollbehörde zu übernehmen. RFI, dem nun die Überwachung aller Importe obliegt, hat seinen Sitz in Istanbul und gehört „dem Geschäftsmann Mehmet Kocabas, einem Freund des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan“. Da normaler Weise die der RFI übertragenen Aufgaben lokalen und nicht ausländischen Unternehmen unterliegen, haben mehrere libysche Behörden die Vereinbarung kritisiert, da sie eine Verletzung der libyschen Souveränität darstelle.
http://en.alwasat.ly/news/libya/292696

Migration
+ Vor Zuwara (westliches Libyen) sind vermutlich durch die Explosion eines Schiffmotors 45 Menschen gestorben. Unter den Opfern sollen auch fünf Kinder sein. 37 Überlebende - hauptsächlich aus Senegal, Mali, Tschad und Ghana - wurden von Fischern gerettet und nach ihrer Rückführung in Libyen verhaftet.
https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-schiffsunglueck-103.html
+ „Das Ausschiffen von geretteten Geflüchteten in Libyen ist nach deutschen Gesetzbüchern strafbar, auch für Handelsschiffe. Dies belegt ein Bundestags-Gutachten. Das Auswärtige Amt und die Staatsanwaltschaften verschleppen jedoch die Verfolgung von Kapitänen und Schiffseignern.“ Die aus Seenot geretteten „müssen anschließend in einen sicheren Hafen gebracht werden. Libyen kann jedoch für Geflüchtete nicht als sicher gelten, das Land verfügt über kein Asylsystem, die dortigen Milizen sind für Misshandlungen, Folter und Morde an Schutzsuchenden bekannt. Den Schiffen der EU-Mitgliedstaaten und der NATO ist es deshalb untersagt, Geflüchtete wieder nach Libyen zu bringen.“ Und: „Die libyschen Behörden dürfen aus Seenot gerettete Schutzsuchende bedenkenlos im eigenen Hoheitsgebiet ausschiffen, das Land hat auch keine der beiden genannten Konventionen unterzeichnet. Seenotrettungsorganisationen kritisieren diese Praxis als >Push backs by proxy<, also das Umgehen des Verbots der Zurückschiebung, indem die EU andere Akteure damit beauftragt. Handelsschiffe, die Schiffbrüchige aufgenommen hatten, wurden angewiesen zu warten, bis diese von der libyschen Küstenwache übernommen werden konnten. „Dahinter steht die Annahme, dass die Menschenrechtskonvention und die Genfer Flüchtlingskonvention nur für staatliche Schiffe gelten, nicht aber für private Handelsschiffe, Gerettete also ohne Furcht vor gerichtlicher Verfolgung nach Libyen gebracht werden könnten. Diese Auslegung ist jedoch falsch, bestätigt ein Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste im Bundestag in aller Deutlichkeit. Den Anweisungen einer libyschen Behörde darf demnach nicht gefolgt werden, >wenn damit unweigerlich die Rückführung der Geretteten nach Libyen […] verbunden ist<. Denn für die deutsch beflaggten Schiffe gilt deutsches Strafrecht, und das verbietet eine >Aussetzung< von Schutzsuchenden nach § 221 StGB.“
https://www.heise.de/tp/features/Das-Voelkerrecht-gilt-auch-fuer-deutsche-Reeder-4874338.html

Verschiedenes
+ 21.08.: Laut der Nationalen Kommission für Menschenrechte (NCHR) benötigen mehr als zwei Millionen Menschen in ganz Libyen dringend Nothilfe und humanitäre Unterstützung. Genannt wurden insbesondere die Orte Tripolis, Sirte, Westjabal, Südlibyen, Azizia, Qasr Ben Ghashir, Tarhuna, Ghat und Daradsch.
https://libyareview.com/?p=5843
+ In einem Brief, den der stellvertretende Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘, Salahedin Namroush, am 16. Juli an den italienischen Militärattaché in Tripolis sandte, heißt es: „Einreisevisa werden den italienischen Staatsbürgern nur nach Zustimmung des Verteidigungsministeriums erteilt. Die Anträge sind über die libysche Botschaft in Italien 14 Tage im Voraus einzureichen; es werden keine Ausnahmen zugelassen, auch nicht für das Feldlazarett in Misrata.“
https://libyareview.com/?p=5838
+ Wie die italienische Nachrichtenagentur Nova berichtet, haben mehrere italienische Parlamentarier der rechtsnationalen Partei Fratelli d’Italia die Regierung ihres Landes wegen der Einmischung Ankaras in die libyschen Angelegenheiten zu einer entschiedenen Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten Erdogan aufgefordert.
https://libyareview.com/?p=5815
Die Türkei hat Italien in Libyen ausgebootet.
+ 17.08.: Bei den Gesprächen des deutschen Außenministers Maas in Abu Dhabi (VAE) mit seinem Kollegen ab-Zayed war Libyen das wichtigste Thema.
https://twitter.com/GermanyDiplo/status/1295818339156217856
+ 19.08.: Maas hat sich auch mit dem Außenminister von Saudi-Arabien getroffen. Auch hier war neben dem Krieg im Jemen der Libyenkonflikt das Hauptthema.
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/saudiarabien-node/saudi-arabischer-aussenminister-berlin/2375950
+ 20.08.: Der französische Präsident Macron sagte in einem Interview mit Paris Match, dass Erdogan eine expansive Politik verfolge, die nationale und islamische Prinzipien vermischt, die nicht mit europäischen Interessen in Einklang stehen, sondern Europa destabilisieren.
https://libyareview.com/?p=5827
+ 20.08.: Der US-Botschafter in Libyen Richard Norland nahm in einem Interview mit Hurriyet Daily News zur türkischen Militärintervention in Libyen Stellung und lobte die Türkei für diese Operation.
Laut Norland habe die Türkei General Haftar und „die russische Wagner-Gruppe“ daran gehindert, Tripolis einzunehmen. Die militärische Intervention der Türkei habe den Weg für eine politische Lösung im Land geebnet. In dem Maße, wie die türkische Präsenz in Libyen dazu beitragen könne, dass es keinen weiteren Angriff auf Tripolis geben werde, sei diese „Militärintervention eine positive Entwicklung.“ Die USA stehen damit im krassen Gegensatz zu Frankreich, das das Vorgehen der Türkei in Libyen mehrmals kritisierte. Macron erklärte sogar, dass sich Ankara, das trotz des UN-Waffenembargos militärisch in Libyen eingreife, eine historische, kriminelle Verantwortung auflade.
https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/105793-us-botschafter-lobt-tuerkei-fuer/
+ 17.08.: Nach einem Telefongespräch zwischen dem russischen Präsidenten Putin und dem türkischen Präsidenten Erdogan ließ der Kreml verlauten: „Es wurde erneut die Notwendigkeit bekräftigt, dass die Kriegsparteien (in Libyen) echte Schritte in Richtung eines dauerhaften Waffenstillstands unternehmen und direkte Verhandlungen gemäß den Beschlüssen der Berliner Konferenz und der Resolution 2510 des Sicherheitsrats aufnehmen“.
https://libyareview.com/?p=5765
22.08.2020



Kurznachrichten Libyen – 17.08.2020

IS-Kämpfer getötet – Einheit des libyschen Staates nicht verhandelbar – Verbrechen innerhalb Bashaghas Milizen – Erhebliche Probleme innerhalb der ‚Einheitsregierung‘

Libysche Nationalarmee (LNA)
+ 15.08.: Vier IS-Kämpfer wurden bei einem Überraschungsangriff der LNA in Ghadwa (südlich von Sebha) getötet. Einer der IS-Kämpfer hat bei einem Fluchtversuch einen Sprengstoffgürtel gezündet. Die Detonation war in der ganzen Stadt zu hören.
Die Gruppe soll geplant haben, wichtige Öleinrichtungen im Süden anzugreifen. Die Razzia fand aufgrund geheimdienstlicher Berichte statt. Der Ausnahmezustand in der Region wurde verstärkt.
https://almarsad.co/en/2020/08/16/photos-lna-foils-isis-plot-against-oil-facilities-in-the-south/
+ 13.08.: Laut LNA-Sprecher al-Mismari hat die LNA-Luftwaffe Angriffe auf Gebiete südöstlich von Misrata geflogen. Die Luftwaffe habe auch „bewaffnete Konvois von Söldnern und terroristischen Elementen der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ in Wadi Bay, westlich von Sirte, bombardiert“, da diese versucht hätten, nach Sirte vorzudringen.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58506
+ 13.08.: LNA-Sprecher al-Mismari behauptet, die Türkei bringe Extremisten aus Lagern am Horn von Afrika nach Libyen. Mit der Hilfe Katars würden sie in die libysche Stadt Misrata geschickt. So seien bereits 300 Extremisten aus Somalia unter Führung von zwei katarischen Offizieren nach Misrata gebracht worden. Mismari forderte die internationale Gemeinschaft auf, konkrete Maßnahmen zu ergreifen, um die Überstellung weiterer Extremisten zu verhindern.
https://libyareview.com/?p=5649
Libysche Stämme und Städte
+ 15.08.: Demonstranten, die sich Bewegung 15. August nennen, protestierten in der südlibyschen Stadt Sebha gegen die Einmischung des Auslands in Libyen und forderten die UN-Sondermission für Libyen auf, sich gegenüber den libyschen Bürgern verantwortlich zu zeigen. Ebenfalls gefordert wurden die baldmöglichste Abhaltung eines Verfassungsreferendums, die Auflösung aller politischen Institutionen sowie einen vollständigen Waffenstillstand unter allen Libyern. Es müsse eine nationale Regierung gebildet werden, die Parlaments-, Präsidentschafts- und Kommunalwahlen vorbereitet. Die Schaffung von selbstverwalteten Regionen wurde als Spaltungsversuch abgelehnt und die Notwendigkeit betont, dass die Justiz Korruption und Kriminalität bekämpft. Eine Gruppe der Jugendlichen nannte ihre Bewegung die Revolution der Armen.
https://libyareview.com/?p=5721

Libysches Parlament/Übergangsregierung (Tobruk)
+ 16.08.: Das libysche Parlament warnte vor Schritten, die „die Einheit und Unversehrtheit des libyschen Staates bedrohten oder auch nur einen Quadratzentimeter libysches Landes an ausländische Besatzer abtreten und die Rückkehr der Kolonialisierung mittels neuer Namensgebung in Betracht ziehen“. Es werde alle „Implikationen“ zur Wiederaufnahme eines Dialogs genau verfolgen. Besonders wichtig sei, dass alle politischen und sozialen Fraktionen Libyens miteinbezogen werden.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58554

‚Einheitsregierung‘ (Tripolis)/Milizen
+ 16.08.: Laut einem Milizenführers kommt es bei den Milizen des Innenministeriums von Fatih Bashagha zu Kokainkämpfen‘ zwischen Syrern und Libyern.
Im Krankenhaus von Tripolis nahm der Milizenführer al-Batsha ein Video von sich auf, in dem er behauptet, er sei von syrischen Söldnern und Mitgliedern der Tripolis Revolutionaries Brigade (TRB-Miliz) unter Führung von Lutfi al-Baksta entführt, 25 Tage lang festgehalten und gefoltert worden, nachdem er 23 Schachteln Kokain beschlagnahmt hatte. Nach der Zahlung von Lösegeld hätte er entkommen können. Zur Behandlung seiner Folterverletzungen habe er sich in das Krankenhaus begeben.
Zur Kokain-Gang sollen auch Afrikanerinnen gehören, die mit den Milizionären Sexpartys feierten.
Mus’ab al-Batsha beschuldigte Lutfi al-Baksta auch, aus dem Krieg in Tripolis persönlichen Vorteil gezogen zu haben, indem er vom Kommandeur der Tripolis-Militärzone, Generalmajor Abdul-Basit Marwan, Maschinen erhielt, um nach deren Verkauf mit dem Geld Immobilienbesitz in Tunesien zu erwerben.
AlMarsad veröffentlicht die Gesamtabschrift der Videoenthüllungen von Mus’ab al-Batsha:
https://almarsad.co/en/2020/08/16/kidnapped-militia-leader-reveals-syrians-and-libyans-in-cocaine-struggle-inside-bashaghas-interior-ministry/
+ 15.08.: Ein offensichtlich psychisch schwer gestörter IS-Kämpfer, der von der RADA-Miliz (Spezialeinheiten des Präsidialrats) auf freien Fuß gesetzt worden war, richtete innerhalb seiner Familie ein Blutbad an. Er ermordete in Tripolis Vater, Mutter, Schwester und vierjährigen Neffen.
Der 30-jährige al-Ammari gehörte ehemals dem IS in Sirte an. Er wurde dort verhaftet und saß vier Jahre lang im Rada-Gefängnis von Mitiga.
Seine Freilassung war während des Kampfes um Tripolis auf den umstrittenen Erlass Nr. 555 von as-Sarradsch erfolgt. Es wurden zu dieser Zeit viele Extremisten aus den Gefängnissen entlassen, damit sie an der Seite der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ gegen die LNA kämpfen. Der islamistische Geistliche Sadiq al-Gharyani hatte die IS-, al-Kaida und sonstigen Kämpfer des Bengasi- und Derna-Schura-Rates zu ‚Revolutionären‘ erklärt. Auch der türkische Geheimdienst stellte sich hinter die Freilassung dieser dschihadistischen Gefangenen.
Mit der Freilassung dieser gefährlichen Dschihadisten hat sich auch die Sicherheitslage in Tripolis merklich verschlechtert. Die Zahl von Entführungen, Erpressungen und Tötungsdelikten stieg an.
https://almarsad.co/en/2020/08/15/dangerous-isis-operative-released-by-rada-slaughters-his-family-in-tripoli/
+ 15.08.: Der Leiter der Passbehörde von Tawergha (westliches Libyen), Khaled Ghaith Ali Hafeez at-Tawerghi, soll am 13.08. von einer unbekannten bewaffneten Gruppe in Misrata erschossen worden sein.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58525
+ 11.08.: Der ehemalige Pentagon-Mitarbeiter Michael Rubin hat vermehrt Beweise, die den Einsatz von IS- und al-Kaida-Kämpfern zur Unterstützung der ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch belegen. Nachdem Erdogan Tausende syrische Söldner nach Libyen schickte, würden IS-Kämpfer entweder auf der Gehaltsliste des türkischen Verteidigungsministeriums oder Geheimdienstes auftauchen. Diese syrischen Kämpfer hätten in Syrien ethnische Säuberungen vorgenommen, deren Verbrechen religiös verbrämt würden.
Die türkische Sadat-Gesellschaft, eine private islamistisch-paramilitärische Gruppe, die von einem der wichtigsten ehemaligen Beratern Erdogans, Adnan Tanrıverdi, geleitet wird, sei neben militärischer Beratung auch auf Geldwäscheoperationen zugunsten extremistischer Organisationen spezialisiert.
https://almarsad.co/en/2020/08/11/former-pentagon-official-says-erdogan-utilizes-isis-to-fight-in-libya/
+ 15.08.: Mitglieder der Muslimbruderschaft in der Stadt Zawiya (westliches Libyen) erklärten ihren geschlossenen Austritt aus der Moslembruderschaft. „Wir, die Söhne von Zawiya, die der Muslimbruderschaft angehörten, haben beschlossen, aus der Organisation auszutreten, und daher betrachten wir den Ableger der Moslembrüder in Zawiya ab diesem Datum als aufgelöst“. Als Begründung wurde angeführt, dass sie „dem Ruf vieler loyaler Menschen innerhalb der Nation folgen, welche Freiheit und die Errichtung eines zivilen Staates wünschen, in dem Bürger leben, die das Recht auf ihre Staatsbürgerschaft genießen, unabhängig von ihrer intellektuellen Ausrichtung oder politischen Zugehörigkeit“.
http://en.alwasat.ly/news/libya/292225
+ Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte gibt bekannt, dass eine neue Gruppe syrischer Söldner nach Libyen gebracht wurde. Der türkische Geheimdienst transferierte mindestens 120 Kämpfer der Suleiman-Schah-, Scham-Legion- und Sultan Murad-Brigade aus der syrischen Region Afrin in die Türkei und dann nach Libyen.
https://libyareview.com/?p=5706
+ 13.08.: Ein Artikel auf AlArabia beschäftigt sich mit der Freilassung von IS-Kämpfern in Syrien durch den türkischen Geheimdienst und dessen Folgen. Die Machenschaften der Türkei in Bezug auf Förderung von dschihadistischen Gruppen seien weitaus schlimmer als dies allgemein wahrgenommen werde. Darauf wiesen auch Berichte US-amerikanischer Experten und Denkfabriken hin. So wird vermutet, dass die Türkei auch Kontakte zum IS-Führer al-Bagdadi hatte, der im Oktober 2019 bei einem US-Angriff getötet wurde. Daraus zieht der Autor die Schlussfolgerung: „Der Hauptgrund für die fortgesetzte Unterstützung extremistischer Gruppen wie den IS durch die Türkei ist die Tatsache, dass Erdogan dieselben Werte mit der Muslimbruderschaft teilt, eine Gruppe, der Erdogan innerhalb der türkischen Grenzen Schutz angeboten hat.“
https://english.alarabiya.net/en/views/news/middle-east/2020/08/13/Turkey-s-smuggling-of-ISIS-affiliates-from-Syria-rings-alarm-bells.html
Viele dieser syrischen Dschihadisten wurden nach Libyen gebracht.
+ 16.08.: Der Direktor der syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR), Rami Abdel Rahman, bestätigte, dass weiterhin syrische Kämpfer für den Krieg in Libyen vom türkischen Geheimdienst und dem Verteidigungsministerium rekrutiert werden – ohne Berücksichtigung der internationalen Forderungen, diese Praktiken zu beenden.
Erneut hätten 120 Kämpfer, darunter auch Kinder, die Lager in Syrien aufgrund der dortigen schlechten Verhältnisse verlassen. Ihnen wurde gesagt, sie sollten Ölanlagen in Katar für monatlich 3.000 US-$ bewachen. Nach ihrer Ankunft wurden sie allerdings für „nur“ 2.000 US-$ monatlich nach Libyen geschickt.
Rahman warf der internationalen Gemeinschaft vor, sie habe „bezüglich der Einreise von Zehntausenden von Dschihadisten nach Syrien geschwiegen, und heute schweigt sie in Libyen darüber“.
Bereits im August 2017 hatte die NewYorkTimes berichtet, dass US-Präsident Trump die Unterstützung für die Rebellengruppen in Syrien beendete, weil die Unterstützung im Endeffekt an al-Kaida-Gruppen (al-Nusra) gegangen war. Das geheime CIA-Programm, mit dem Tausende syrischer Rebellen bewaffnet und ausgebildet worden waren, hatte bereits mehr als eine Milliarde US-$ verschlungen.
https://libyareview.com/?p=5726
https://www.nytimes.com/2017/08/02/world/middleeast/cia-syria-rebel-arm-train-trump.html
+ AddressLibya berichtet von einen Artikel auf The Jamestown Foundation, in dem es heißt, dass die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis erhebliche interne Probleme hat, unabhängig von eventuellen weiteren militärischen Erfolgen. Die ideologischen Orientierungen und Loyalitäten der Milizen der ‚Einheitsregierung‘ würden sich untereinander deutlich unterscheiden. Durch die Anwesenheit ausländischer Kämpfer – insbesondere der von der Türkei eingeflogenen syrischen Söldnern – haben sich diese Gegensätze noch verschärft. Es kam inzwischen zu mehreren bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen diesen Milizen. Die eindeutige Stellungnahme der ausländischen Söldner für die Türkei und Erdogan habe zu erheblichen Spannungen mit den alten Milizen geführt.
Es habe sich für die ‚Einheitsregierung‘ eine 400 Kilometer lange Front um die Stadt Sirte verfestigt. Von einigen der zur ‚Einheitsregierung‘ zählenden Milizen wird erwartet, dass sie dies zu ihren Gunsten nutzen werden, um territoriale und finanzielle Gewinne einzustreichen. Deshalb seien Zusammenstöße zwischen einzelnen Milizen vorprogrammiert.
Sollte es tatsächlich zur Schlacht um Sirte kommen, werde sich die Türkei mehr auf Verstärkung aus dem Ausland verlassen als auf libysche Milizen, denn letztere würden bei einer künftigen politischen Gestaltung ihren Anteil einfordern. Dies werde sich aber weiter destabilisierend auswirken, denn aus Ärger wegen der Verdrängung durch ausländische Milizen werden sie die Seiten wechseln oder auch einen kriminellen Weg beschreiten. Während die USA immer stärker auf eine Entwaffnung der Milizen drängen, habe die ‚Einheitsregierung‘ weder den Willen noch die Möglichkeit, dies durchzusetzen.
Eine Reform der Sicherheitsstruktur stellt die ‚Einheitsregierung‘ vor gewaltige Probleme. Sie möchte sich als demokratischer, ziviler Rechtsstaat präsentieren, kann aber kein Gewaltmonopol vorweisen. Wie soll es gelingen, einen Teil der Milizen in eine Sicherheitsstruktur einzugliedern und einen anderen Teil zu entwaffnen und gleichzeitig eine Schlacht um Sirte zu schlagen? Sollte die Reform aber verzögert werden und Sirte tatsächlich eingenommen werden, würden die Milizen auf ihren Anteil an den nun verfügbaren Öleinnahmen bestehen. Die Milizen könnten ihre Macht dadurch noch mehr festigen.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58538

Türkei
+ 14.08.: Richard Norland, US-Botschafter für Libyen, ist zu Konsultationen in Ankara. In einer Erklärung heißt es, es ginge dabei um „Schritte zur Erzielung einer entmilitarisierten Lösung für Zentrallibyen, die Verwirklichung eines vollständigen und gegenseitigen Rückzugs der ausländischen Streitkräfte und Söldner, die Ermöglichung der Wiederaufnahme der Arbeit der National Oil Corporation und die Förderung wirtschaftlicher Transparenz und Reformen“.
http://en.alwasat.ly/news/libya/292121
+ 09.08.: Laut dem türkischen Politologen Turgut Oglu hat sich der türkische Präsident Erdogan in Libyen in der eigenen Falle verfangen. Die Ziehung einer roten Linie von Ägypten im Falle eines Angriffs auf die libyschen Orte Dschurfa und Sirte sowie die Unterzeichnung des Seegrenzenabkommens zwischen Ägypten und Griechenland stelle einen schweren Rückschlag für Erdogans Politik dar. Die nun angekündigten neuen Explorationen im östlichen Mittelmeer, die zu großen Spannungen zwischen Griechenland und der Türkei führen und auf Vermittlung Deutschlands zunächst ausgesetzt waren, seien der Versuch Erdogans, den militärischen Druck zu erhöhen.
https://almarsad.co/en/2020/08/11/turgut-oglu-egypt-greece-maritime-demarcation-is-a-blow-to-turkey-in-libya-and-the-region/
+ 13.08.: Frankreich wiederum erhöht den Druck auf die Türkei, indem Macron nach einem Telefonat mit dem griechischen Premierminister Kyriakos Mitsotakis ankündigte, seine militärische Präsenz im östlichen Mittelmeer vorübergehend zu verstärken und zusätzliche Schiffe zu entsenden. Dies werde in Zusammenarbeit mit Frankreichs EU-Partnern wie Griechenland geschehen. Die Türkei wurde von Macron aufgefordert, ihre „unilaterale“ Erdölförderung in den strittigen Gewässern einzustellen. https://deutsch.rt.com/europa/105539-auf-bitten-griechenlands-macron-verstaerkt-flottenpraesenz/
+ 13.08.: Haluk Özdalga, ein ehemaliger türkischer Parlamentsabgeordneter sagte, für die Türkei gebe es keine Möglichkeit mehr, einen Krieg in Libyen zu beginnen. Sie hätte dazu Tunis oder Algier gebraucht, dort aber eine Abfuhr erhalten. Nur Malta stünde noch an der Seite der Türkei. Aber auch Malta will keinen Krieg, da es sich selbst zum militärischen Ziel erklären und dem Druck der EU ausgesetzt sei. Maltas Ziel sei, mit seiner Unterstützung für die Türkei größeren Einfluss bei Verhandlungen in Brüssel zu erlangen.
https://libyareview.com/?p=5654

Coronakrise
+ Die Zahl der an Covid-19 Erkrankten ist auf 7738 angestiegen, davon sind 894 gesundet und 145 verstorben.
Am 15.08. wurden neu 411 positiv auf Covid-19 Getestete gezählt. Die Höchstzahl an Neuerkrankungen finden sich in Tripolis (209), Misrata (63) und Zliten (33).
+ 17.08.: Das Libysche Menschenrechtskomitee fordert die ‚Einheitsregierung‘ auf, Maßnahmen zum Schutz vor einem Covid-19-Ausbruch in den Gefängnissen und Migrantenlagern zu ergreifen.
https://libyareview.com/?p=5736
+ Das Humanitarian Bulletin fragt in Bezug auf Libyen, was es bedeutet, wenn ein Land im Kriegszustand von der Coronapandemie heimgesucht wird, d.h. in einem Land, in dem ständig die Strom- und Wasserversorgung zusammenbricht, die Betroffenen keinen Zugang zu Hilfsgütern haben und viele Gebiete mit Sprengstoffen kontaminiert sind.
https://www.humanitarianresponse.info/en/operations/libya/document/ocha-libya-l-humanitarian-bulletin-july-2020
Wer hat diesen Zustand, in dem sich Libyen heute befindet, zu verantworten? Es waren 2011 die gegen Libyen kriegführenden Nato-Länder, die das damals noch prosperierende Land in einen failed state bombten.

Migranten
+ 15.08.: Nach den neuesten Zahlen des italienischen Innenministeriums erreichten zwischen dem 1. August 2019 und dem 31. Juli 2020 16.347 Migranten in kleinen Booten und ohne fremde Hilfe die italienischen Küsten. 5.271 wurden auf See gerettet, meist durch private Seenotretter. Dies stellt einen Anstieg um 149% im Vergleich zum vorangegangenen 12-Monats-Zeitraum dar, als 8.691 Migranten Italien erreichten, von denen die meisten auf See gerettet wurden. Allerdings sind diese Zahlen im Vergleich zu Jahren davor recht niedrig.
https://abcnews.go.com/International/wireStory/migrants-increasingly-reaching-italy-sea-tunisia-72394079
+ 17.08.: Ein Bericht der Vereinten Nationen zeigte eine Zunahme der sexuellen Gewalt in den meisten bewaffneten Konflikten, so auch in Libyen. Er dokumentiert Vergewaltigungen in den Gefängnissen von Mitiga und Gewalttaten gegen Migranten in den Haftanstalten von Zawiya, Tadschura und Gharyan. Alle fallen in den Zuständigkeitsbereich der ‚Einheitsregierung‘ (Tripolis).
http://en.alwasat.ly/news/libya/292509

Verschiedenes
+ 13.08.: Der Generalsekretär der Arabischen Liga (AL), Ahmed Aboul-Gheit, diskutierte mit dem irakischen Außenminister Fuad Hussein die jüngsten Entwicklungen in der Region. Dabei betonte Aboul-Gheit, dass die AL gegen die türkische Einmischung in arabischen Angelegenheiten ist, und verurteilte die türkischen Militäraktionen in der Region. Die türkischen Interventionen richteten sich gegen die nationale Sicherheit der arabischen Länder.
https://libyareview.com/?p=5656
+ 17.08.: Laut Reuters telefonierte der russische Präsident Putin mit seinem türkischen Amtskollegen Erdogan. Der Schwerpunkt des Gesprächs habe Libyen zum Inhalt gehabt. Es sei dabei um die Notwendigkeit gegangen, echte Schritte in Richtung eines dauerhaften Waffenstillstands zu tun.
+ 14.08.: Macron twittert: „Ich habe mit US-Präsident Donald Trump über die Lage im östlichen Mittelmeerraum, in Libyen und im Libanon gesprochen. Wir teilen die gleichen Ansichten. Frieden und Sicherheit in der Region liegen in unserem gemeinsamen Interesse, für das wir eintreten werden.“
https://twitter.com/EmmanuelMacron/status/1294333260290568193
+ 15.08.: Der EU-Vizepräsident und Hohe Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik, Josep Borrell, twitterte nach einer außerordentlichen Sitzung des Rates für Auswärtige Angelegenheiten: „Volle Solidarität mit Griechenland und Zypern“. Borrell rief die Türkei zur sofortigen Deeskalation und zur Wiederaufnahme des Dialogs auf. Die Minister betonten aber auch „die Bedeutung, die sie den Beziehungen zur Türkei beimessen“.
https://libyareview.com/?p=5710
https://twitter.com/JosepBorrellF/status/1294333012734287873
+ Der österreichische Außenminister Schallenberg bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit dem US-Außenminister Pompeo in Wien: „Ich bin der Meinung, dass das Vorgehen einiger Mittelmeeranrainerstaaten in Libyen, Syrien bis Nordirak – sogar die Neueinstufung eines weltberühmten Denkmals, der Hagia Sophia, als neue Moschee – die Europäische Union dazu veranlassen sollte, ihre Beziehungen zur Türkei neu zu bewerten“.
https://libyareview.com/?p=5696
+ 12.08.: Der US-Botschafter in Libyen, Richard Norland sagte, die USA möchten Libyen helfen, ihre nationale Souveränität über das gesamtes Land wiederherzustellen. Er wies darauf hin, dass sein Besuch in Ägypten im Zusammenhang mit den jüngsten Gesprächen zwischen US-Präsident Donald Trump und dem ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah es-Sisi sowie zwischen den Außenministern der beiden Länder, Mike Pompeo und Sameh Shoukry, sehr nützlich war. Norland gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass eine Einigung erzielt wird, die für Stabilität und den Abzug aller ausländischen Streitkräfte aus Libyen sorgen wird.
In Bezug auf Sirte schlug Norland eine demilitarisierte Zone vor.
https://almarsad.co/en/2020/08/11/us-ambassador-norland-sirte-should-be-a-demilitarized-zone/
Eine Art Pufferzone, evtl. auch unter Einsatz von internationalen Streitkräften, könnte auch auf eine Spaltung Libyens hinauslaufen, die in der libyschen Bevölkerung keinerlei Zustimmung findet. Der Westen hat seine Pläne von 2011 zur Teilung Libyens immer noch nicht fallengelassen.
+ Im Rahmen des Abzugs von US-Streitkräften aus Deutschland wird auch die Africom-Kommandozentrale in Stuttgart verlegt. Der neue Standort ist noch nicht bekannt. Africom ist bekannt für seine bis jetzt von Stuttgart aus geplanten Terror-Drohnenangriffe der US-Geheimkriege.
https://www.nachdenkseiten.de/?p=63772
Das Problem ist, dass kein Land Africom haben will.
+ Die Linken-Politikerin Özlem Demirel nimmt Stellung zum Konflikt zwischen der Türkei und Griechenland im östlichen Mittelmeer: „Also auch die EU muss sich hier von ihrer Heuchelei befreien und wirklich einen ehrlichen Weg finden, wo nicht die Öl- und Gaskonzerninteressen im Vordergrund stehen, sondern politische Lösungen für entscheidende Fragen. Zum Beispiel die Zypern-Frage liegt schon seit Jahren, Jahrzehnten auf dem Tisch.“ Deutschland sei in der Verantwortung, „denn alle Hoffnung – in Anführungsstrichen – ist ja im Moment auf Frau Merkel gesetzt, die sowohl in Libyen als auch im Gaskonflikt vermitteln soll, aber wie glaubwürdig ist sie, wenn sie zum Beispiel weiterhin maritimes Gerät an die Türkei verkauft.“
https://www.deutschlandfunk.de/gasstreit-im-mittelmeer-auch-die-eu-muss-sich-von-ihrer.694.de.html?dram:article_id=482273
+ 13.08.: Israel und die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) werden nach Angaben von US-Präsident Donald Trump volle diplomatische Beziehungen aufnehmen. Israel werde dafür im Gegenzug bestimmte Ansprüche auf von Palästinensern bewohnte Gebiete im Westjordanland aufgeben. Der gemeinsame Feind: Iran.
https://deutsch.rt.com/der-nahe-osten/105576-trump-kundigt-histroisches-friedenabkommen-zwischen/
Dies birgt zum einen die Gefahr, dass sich die Regierung der VAE von ihrer Bevölkerung entfremdet, da dort auf jeden Fall die Sympathie für die Palästinenser groß und für Israel klein sein dürfte, zum anderen, dass sich die Moslembrüder mit Erdogan und Katar an der Spitze als die einzig verbliebenen Unterstützer der Palästinenser stilisieren und damit in der arabischen Öffentlichkeit punkten können.
Und was bekommen die VAE für die Aufnahme der diplomatischen Beziehungen mit Israel? Der Aufschub der Annexion von palästinensischen Gebieten durch Israel ist bestimmt nicht das einzige Entgegenkommen der USA.




Kurznachrichten aus Libyen – 11.08.2020


Parlamentspräsident Saleh zeigt sich nach Gesprächen mit  US-Botschafter Norland kömpferisch / LNA bombardiert Boot mit Kämpfern der ‚Einheitsregierung‘ / Hauen und Stechen in Tripolis

Libysche Nationalarmee (LNA)
+ 10.08.: Die LNA beschoss nach mehreren Warnungen ein Boot, das in die militärische Sperrzone vor Sirte eingedrungen war. An Bord befanden sich dutzende Kämpfer der ‚Einheitsregierung‘. Bei der anschließenden Suche fanden sich Wrackteile, aber keine Überlebenden.
https://libyareview.com/?p=5586
+ 10.08: Die LNA ließ verlauten, sie habe einen Konvoy mit etwa 70 Fahrzeugen von Brega im Osten Libyens an die Sirte-Front geschickt.
https://twitter.com/smmlibya/status/1292856933557428225/photo/1
+ 07.08.: Fotos auf Twitter belegen die Ankunft des ägyptischen S-300-Luftabwehrsystems in Ras Lanuf. Dies soll der LNA zur Abwehr türkischer Luftangriffe dienen.
https://twitter.com/AbuSaleemDF/status/1291446725593497605

Libysches Parlament/Übergangsregierung
+ 10.08.: In einer Erklärungen gegenüber Al Arabiya TV sagte Parlamentspräsident Saleh: „“Wir lehnen die Anwesenheit der Türkei in jeder neuen politischen Konstellation in Libyen ab, und Sarradsch muss nach fünf Jahren im Amt von der Bühne abtreten. Die Türkei weiß, dass ihr Krieg ein Fiasko ist. Sie wird niemals Sirte erobern, und das weiß sie sehr wohl. Niemand wird es gelingen, Libyen zu spalten“. Das Parlament kenne die in Tripolis ansässige ‚Einheitsregierung‘ nicht an und schließe Verhandlungen mit ihr aus. Er fügte hinzu, dass sich die ‚Einheitsregierung‘ nicht an das Skhirat-Abkommen von 2015 gehalten hätte. Saleh nahm Stellung zu dem Treffen mit dem US-Botschafter Richard Norland und erklärte, die Milizen dürften keinen Zugang zu den Öleinnahmen haben. Er habe die Einrichtung einer vereinigten libyschen Behörde in Sirte vorgeschlagen, die durch libysche Rechtsagenturen abgesichert werden sollte. Saleh: „Wir fordern die Eröffnung eines Bankkontos für die Öleinnahmen. Die Öleinnahmen werden eingefroren und gehen nicht an die Zentralbank, bis eine neue Behörde eingerichtet ist.“
https://almarsad.co/en/2020/08/11/chancellor-aguila-saleh-to-us-ambassador-we-reject-any-political-solution-that-includes-turkey/
+ Der libysche Parlamentspräsident Aguila Saleh diskutierte am 10.08. in Kairo mit dem US-amerikanischen Botschafter Richard Norland u.a. über die Einhaltung des Waffenstillstands, die Rückkehr zu Gesprächen und Möglichkeiten zur Beilegung des libyschen Konflikts. Es wurden konkrete Schritte zur ägyptischen Initiative in Übereinstimmung mit der Berliner Libyenkonferenz erörtert. Norland betonte die Position der USA, nach der es keine militärische Lösung in Libyen gebe und die Kämpfe beendet werden müssten.
http://en.alwasat.ly/news/libya/291888
+ Der Außenminister der libyschen Übergangsregierung (Tobruk), Abdul-Hadi al-Hawaij, gab bekannt, dass sein Ministerium Gespräche mit seinem griechischen Amtskollegen führte. Es sollen zukünftig neben anderen Fragen auch Verhandlungen über die Demarkation ihrer Seegrenzen erörtert werden. Hawaij begrüßte das zwischen Ägypten und Griechenland beschlossene maritime Abkommen, so wie er jedes Abkommen begrüße, das im Einklang mit dem UN-Seerecht steht und die libyschen Rechte wahrt.
Der sogenannten internationalen Gemeinschaft warf er vor, den libyschen Konflikt nur zu handhaben, aber nicht lösen zu wollen. Bezüglich der syrischen Söldner sagte er, sie seien „Zeitbomben, die auf der anderen Seite des Mittelmeers explodieren werden“.
https://libyareview.com/?p=5555

Hauen und Stechen in Tripolis
+ 10.08.: Abdul-Basit Marwan, Kommandant einer Miliz der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, beschuldigte in einer Erklärung die Mitglieder des Präsidialrats, Ahmed Maitiq und Abdul-Salem Kajman, sich der gegen Saradsch gerichteten ausländischen Agenda angeschlossen zu haben.
Maitiq und Kajman hatten gefordert, das Monopol, über das Sarradsch bezüglich aller administrativen, finanziellen und politischen Entscheidungen verfügt, zu beenden. Sarradsch sollte verpflichtet werden, dass alle geplanten Geldzahlungen im Präsidialrat beschlossen und schriftlich festgehalten werden müssen.
Marwan hatte dagegen Sarradsch und dessen Entscheidungsmacht verteidigt. Dazu ist anzumerken, dass beim Skhirat-Abkommen, das den Libyern von der sogenannten Internationalen Gemeinschaft aufgezwungen worden war, Konsensentscheidungen vorgeschrieben waren. Dieses Konsensprinzip wurde spätestens dann aufgegeben, als das erste Ratsmitglied zurückgetreten war und den Präsidialrat boykottierte. Seitdem sind nach dem Skhirat-Abkommen alle vom Präsidialrat getroffenen Entscheidungen ungültig. Zu erwähnen sei noch, dass Marwan für die ihm unterstellte Militärzone, in der fast nur syrische Söldner Dienst tun, Millionenbeträge erhält.
Marwan beschuldigt Maitiq und Kajman praktisch des Verrats. Er sagte, es sei unklar, für wen Kajman arbeite. Indirekt unterstellte er ihm, mit der LNA gegen Sarradsch zu paktieren.
https://almarsad.co/en/2020/08/10/commander-accuses-maiteeq-and-kajman-of-serving-foreign-agenda-against-sarraj/
+ 07.08.: Am Freitag organisierten libysche Bürger eine Demonstration auf dem Platz von Algier in der Hauptstadt Tripolis, um gegen ihre schlechten Lebensbedingungen und dem Versagen der ‚Einheitsregierung‘ im Umgang mit den Versorgungskrisen zu protestieren.
Insbesondere Stromausfälle von über 30 Stunden machen den Bürgern das Leben schwer, aber auch andere staatliche Dienstleistungen werden nur unzureichend oder gar nicht erbracht.
https://libyareview.com/?p=5506
+ 07.08.: Nach den Protestaufrufen in Tripolis gegen den Regierungschef Sarradsch verteidigte der Stellvertreter von Sarradsch, Ahmed Maitiq, die Forderungen der Demonstranten nach Aufklärung über die Verschwendung von Staatsgeldern. Die Demonstrationen müssten geschützt werden. Und an den Innenminister Bashagha schrieb Maitiq: „Es ist nur natürlich, dass die Menschen ihren Ärger über die Praktiken der Regierung zum Ausdruck bringen“. Daraufhin wurde Maitiq beschuldigt, für sowohl inländische als ausländische Mächte zu arbeiten, die Sarradsch stürzen wollten.
Der militärische Geheimdienst soll Sarradsch gewarnt haben, dass solche gegen ihn gerichteten Kundgebungen genutzt werden könnten, um politische Veränderungen, die militärisch für die LNA nicht zu erreichen seien, herbeizuführen.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58393
+ 10.08.: Die Joint-ForceMiliz der ‚Einheitsregierung‘ warnte davor, zu Demonstrationen gegen den Präsidialrat aufzurufen. Andernfalls sei mit einem harten Durchgreifen zu rechnen. Jeder der versuche, dem Präsidialrat zu schaden, werde gestoppt.
https://libyareview.com/?p=5546
+ 08.08.: Die Tripolis Protection Force (TPF) sagte, dass in den Institutionen in Tripolis in einem unglaublichen Ausmaß Korruption und Sabotage Einzug gehalten haben, seit die Moslembruderschaft, die sie als „korrupteste Gruppierung auf Erden“ bezeichnete, dort Einzug gehalten habe. Die Erklärung der TPF trug den Titel: „Bruderschaft … der Tumor, der das Land zerfrisst“.
https://libyareview.com/?p=5503
+ 08.08.: In der Stadt Tarhuna kam es bei bewaffneten Zusammenstößen zwischen verschiedenen Milizen der ‚Einheitsregierung‘ zu vier Toten und neun Verwundeten.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1292538590313041921
+ 06.08.: Der Chef der Libyschen Zentralbank (CBL), al-Kebir, leitete eine Sitzung zum Thema Terrorismusfinanzierung. Wenn auch nicht auf der Teilnehmerliste verzeichnet, aber auf Fotos gut zu erkennen, nahm an dieser Sitzung ausgerechnet einer der wichtigsten Moslembrüder, Mustapha al-Manea, teil, der in die illegale Ausstellung eines Sonderpasses für den jetzt in Haft befindlichen Terroristen Emad asch-Schagaabi verwickelt war. Moslembruder al-Manea berät auch al-Kebir und ist Mitglied im Verwaltungsrat der Libyschen Investitionsbehörde (LIA). Er war ehemals in Bengasi führend in der Moslembruderschaft und musste nach der Übernahme der Stadt durch die LNA flüchten.
Bei der Sitzung anwesend war auch der berüchtigte Innenminister der ‚Einheitsregierung‘, Fathi Bashagha, der noch nicht bekanntgab, welche rechtlichen Schritte gegen Manea wegen der Ausstellung des Sonderpasses an Schagaabi unternommen werden.
Mustafas Bruder, Ali al-Manea, gehört ebenfalls der libyschen Moslembruderschaft an und war ein bekannter Führer, der Verbindungen zum dschihadistischen Schura-Rat der Revolutionäre von Bengasi pflegte, der Kontakte mit al-Kaida und dem IS hatte.
https://almarsad.co/en/2020/08/06/al-kabir-chairs-cbl-meeting-on-terrorism-financing-in-the-presence-of-person-involved-in-the-shagaabi-passport-fraud/

‚Einheitsregierung‘/Milizen/Türkei
+ 07.08.: In Tripolis bilden sich vor den Tankstellen kilometerlange Schlangen:
https://twitter.com/LibyaReview/status/1292004207696973824
+ 08.08.: Ahmed Nasser, Kapitän im ägyptischen Kafr el-Scheik, appellierte an die politische Führung in Tripolis, die am 02.11.2019 im Hafen von Misrata festgesetzten ägyptischen Fischer unverzüglich frei und in ihre Heimat ausreisen zu lassen. Obwohl die Fischer schon lange dort gearbeitet hätten, seien sie ohne Begründung in das der ‚Einheitsregierung‘ unterstellte Gefängnis Turmina gebracht worden. Nasser vermutet, dass sie allein aufgrund ihrer ägyptischen Staatsbürgerschaft interniert wurden. Da keine Kontaktaufnahme mit ihnen möglich sei, befänden sich ihre Familien in großer Sorge. Die Namensliste der inhaftierten Fischer wurde veröffentlicht.
https://libyareview.com/?p=5497
+ 08.08.: Italien wird sein Feldlazarett nahe Misrata, das von italienischen Militär bewacht wurde, schließen. Das Verteidigungsministerium der ‚Einheitsregierung‘ sprach von einer Verlagerung; vermutlich werden die 300 italienischen Soldaten nach Tripolis verlegt. Der Abzug der Italiener wird die Errichtung eines türkischen Marinestützpunkts in Misrata erleichtern.
Erst kürzlich wurde neu in Misrata angekommenes italienisches Militär am Verlassen des Flugzeugs gehindert und aufgefordert, nach Italien zurückzufliegen.
Es wird spekuliert, dass das Feldlazarett auf dem Gelände des 2014 zerstörten internationalen Flughafens von Tripolis errichtet werden könnte. Der Auftrag für den Wiederaufbau in einem Gesamtwert von 79 Millionen US-$ wurde 2018 an das italienischen Konsortium Aeneas vergeben. Durch die Kämpfe zwischen LNA und Milizen der ‚Einheitsregierung‘ seit April 2019 wurde der Flughafen aber noch stärker verwüstet.
Es wird befürchtet, dass ganz Tripolitanien der „Gnade des neuen Sultans Recep Tayyip Erdogan“ ausgeliefert wird.
https://it.insideover.com/guerra/libia-litalia-lascia-misurata.html
+ 08.08.: Aufnahmen zeigen den improvisierte Flugplatz, den die Türkei in Tripolis (Banana-Project) errichtete. Er diente für den Einsatz von Drohnen während des Kampfes gegen die LNA.
https://twitter.com/Oded121351/status/1291598747026313216/photo/1
+ 09.08.: Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) schreibt, dass nach Berichten auf Al-Arabiya die Türkei trotz Waffenembargos erneut vier Drohnen und moderne Waffen an die ‚Einheitsregierung‘ geliefert habe. Auch eine neue Gruppe Söldner sei in Syrien angekommen. Insgesamt seien 17.300 syrische Söldner, darunter 350 unter 18 Jahren, bisher nach Libyen verbracht worden sein, 6.000 von ihnen seien bereits wieder nach Syrien zurückgekehrt.
https://libyareview.com/?p=5529
+ 09.08.: Italmilradar hat die Landung eines Frachtflugzeugs der türkischen Luftwaffe auf dem libyschen Luftwaffenstützpunkt al-Watiya aufgezeichnet. Erst kürzlich sollen von der Türkei vier Drohnen sowie moderne mittelschwere und leichte Waffen ebenso wie das elektronische CoralSystem und neue Luftabwehrsysteme in al-Watiya angeliefert worden sein.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58419

Coronakrise
+ Am 09.08. wurden in Libyen 309 neue Covid-19-Fälle registriert, die bisher höchste Tagesrate. Insgesamt gibt es 5451 positiv Covid-19 getestet, davon sind 701 gesundet und 119 gestorben.
Schwerpunkt an positiv Getestete1n sind wiederum Tripolis (97) und Misrata (90).
https://twitter.com/muaadio/status/1292682953433255941/photo/
+ 10.08.: Die US-amerikanische Journalistin Lindsay Snell sagte, dass die Stadt Misrata aufgrund des Zustroms syrischer Söldner zum Schwerpunkt des Coronavirusausbruchs geworden sei.
Das Fazat-Misrata-Movement forderte in diesem Zusammenhang die Entfernung korrupter Beamter aus den Institutionen der ‚Einheitsregierung‘, da diese für den Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Misrata verantwortlich gemacht werden. https://www.addresslibya.co/en/archives/58435
+ 07.08.: Bei der überwiegenden Mehrheit der Fälle in Tripolis konnte kein Patient Null ermittelt werden. Das Virus breitet sich in der ganzen Stadt unkontrolliert aus. Auch in Misrata schießt die Zahl der Ansteckungen weiter in die Höhe. Neue Fälle werden an der Westküste um Tripolis in Sabratha und Khoms gemeldet, in Zliten ist die Pandemie wieder aufgeflammt.
https://twitter.com/muaadio/status/1291446910759374849
+ 07.08.: Der Präsidialrat in Tripolis verordnet allgemeine Maskenpflicht. Zuwiderhandlungen werden mit Ordnungsstrafen bedroht.
https://libyareview.com/?p=5477
+ 06.08.: Das libysche Parlament forderte die Bürger auf, sich an die von der Regierung erlassenen Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu halten. Es wurden auch die zuständigen Behörden aufgefordert, ihre Arbeit zu koordinieren und ihre Verantwortung zur Bekämpfung des Virus ernst zu nehmen. Es wurde bedauert, dass sich eine große Zahl von Bürgern nicht an die Präventivmaßnahmen hält.
https://libyareview.com/?p=5456
+ 06.08.: Die Beschäftigten im kommunalen Gesundheitszentrum von Tripolis fordern, dass der Präsidialrat sich nicht in die National Centre for Disease Control (NCDC) und ihre Arbeit einmischt. Der Präsidialrat versuche ein Gremium zu schaffen, das parallel zur CDC arbeitet. Dies sei kontraproduktiv. Das CDC müsse unterstützt und dürfe nicht behindert werden.
Es sei festzuhalten, dass das CDC eine nationale Institution sei, die in allen Teilen Libyens tätig ist und mit allen Institutionen im westlichen, südlichen und östlichen Libyen zusammenarbeite. Das CDC stelle sich gegen jede Art von Korruption und nationale Spaltung. Ihre Arbeit dürfe nicht politisiert werden. Es lehne daher jede Art von Einmischung durch andere Gremien wie das Gesundheitsministerium der ‚Einheitsregierung‘ oder den Präsidialrat ab.
Es dürfe nicht zugelassen werden, dass korrupte Beamte und die Mafia die letzte Bastion des öffentlichen Gesundheitssystems in Libyen zerstören. https://twitter.com/muaadio/status/1291456259712000003
+ 06.08.: Das Gesundheitsministerium (Tripolis) sagt, es habe vor einigen Tagen Zehntausende von Covid-19-Testkits in der Türkei gekauft, diese scheinen aber verschwunden zu sein.
https://twitter.com/muaadio/status/1291446920263737344

Migration
+ Bis zum 5. August wurden 6.588 Migranten von der Küstenwache (Tripolis) auf See abgefangen und zurück nach Libyen gebracht. Derzeit sind 46.823 Flüchtlinge und Asylsuchende beim UNHCR in Libyen registriert, davon sind 45 Prozent Männer, 22 Prozent Frauen und 33 Prozent Kinder. Die Mehrheit seien syrische Staatsangehörige (34 Prozent), gefolgt von Sudanesen (32 Prozent) und Eritreern (12 Prozent).
https://www.addresslibya.co/en/archives/58416

Verschiedenes
+ 10.08.: Libyens General Electricity Company gab bekannt, dass es im Westen und Süden des Landes zu einem kompletten Stromausfall gekommen ist.
http://en.alwasat.ly/news/libya/291872
+ Am 09.08. gab die National Oil Corporation (NOC) bekannt, dass die Gesamtverluste aufgrund der 205 Tage andauernden Schließung der Ölanlagen auf 8.124.385.143 US-$ angestiegen sind.
https://libyareview.com/?p=5548
+ 08.08.: Die Benzinpreise sind im Süden des Landes auf fünf Libysche Dinar pro Liter angestiegen. Im Norden kostet der Liter nur 0,15 Dinar. https://twitter.com/FezzanLibyaOrg/status/1291849103861788683
+ 10.08.: Der ehemalige tunesische Geheimdienstchef, Ahmed Schabir, warnte davor, dass die Situation an den tunesischen Grenzen seit 2011 aufgrund der fehlenden libyschen Grenzkontrollen und des anhaltenden Konflikts zwischen der LNA und bewaffneten Gruppen einem Pulverfass gleiche. Die fehlenden Grenzkontrollen erleichterten Terroristen und Schmugglern die Ein- und Ausreise. Für die gefährlichsten Kämpfer unter den Kriegsparteien hält Schabir die aus Syrien nach Libyen gebrachten Söldner. Als Hauptgefahrenquelle nennt er die nur 70 km von der tunesischen Grenze entfernte libysche Stadt Sabrata, wo sich auch IS-Leute aufhielten.
https://almarsad.co/en/2020/08/10/former-tunisian-intelligence-director-warns-of-danger-of-militants-that-turkey-sends-to-libya/
+ 11.08.: Der deutsche Außenminister Maas ist zu Besuch in Moskau. Auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem russischen Außenminister Lawrow wird das Festhalten an den Beschlüssen der Berliner Libyenkonferenz verkündet.
Lawrow sagte, man gehe davon aus, dass an der territorialen Integrität und Souveränität Libyens festgehalten werde,welche2011 durch das Nato-Abenteuer und gegen den Beschluss des UN-Sicherheitsrats grob gestört worden seien.
https://deutsch.rt.com/live/105472-live-aussenminister-maas-und-sein-kollege-aus-russland-lawrow-treffen-sich-in-moskau/
+ 06.08.: Die USA haben gegen drei Schmuggler, Faysal al-Wadi, Musbah Mohamad Wadi und Noureddin Milood Musbah, Sanktionen verhängt, ebenso davon betroffen ist das in Malta ansässige Unternehmen Alwefq Ltd. Ein Schiff wurde konfisziert. Al-Wadi arbeitete mit einem Schmugglernetzwerk zusammen, das Treibstoff und Drogen über den Hafen von Zuwara (westliches Libyen) nach Malta schmuggelt.
Das libysche Parlament hat die Sanktionen begrüßt.
https://libyareview.com/?p=5469
+ 10.08.: Wie CNN berichtet, hat sich US-Präsident Trump entschlossen, in Libyen nicht direkt einzugreifen, sondern sich aus dem Konflikt herauszuhalten. Grund sei die Besorgnis über eine mögliche Konfrontation zwischen Ägypten und der Türkei. Trump wolle sich nicht „in einen weiteren schmutzigen Nahostkonflikt einmischen“, die daran Beteiligten sollten den Konflikt untereinander klären.
https://libyareview.com/?p=5544
+ 11.08. Der tschadische Präsident Idriss Deby beharrt darauf, dass die afrikanischen Staaten bei der Suche nach einer Lösung des Libyenkonflikts miteinbezogen werden müssten. Er warf der internationalen Gemeinschaft vor, die Afrikanische Union und die afrikanischen Länder ausschließen zu wollen. Deby wies darauf hin, dass Rebellengruppen Südlibyen als Basis für ihre Aktivitäten nutzen und die tschadische Armee im Tibesti-Gebiet angreifen. Der Präsident erklärte, dass diese Rebellengruppen in den Reihen der Milizen in Misrata und im Süden kämpfen. Die Lage in Libyen habe die Sicherheitsprobleme in der gesamten Sahelzone verschärft. Der Konflikt in Libyen sei nun zu einem Stellvertreterkrieg geworden, in dem es um konkurrierende wirtschaftliche Interessen ginge. Deby frage: „Wer profitiert nach der Ermordung von Gaddafi vom Öl? Sind es die Libyer?“.
https://libyareview.com/?p=5589
+ 07.08.: Der Präsident des ägyptischen Parlaments Abdel-Aal sagte, das inzwischen fast allen klar geworden sei, dass in Libyen das Ziel verfolgt werden, das Land in Kantone aufzuteilen, die von bewaffneten Milizen kontrolliert werden, die ausländischen Interessen dienen. „Ägypten hat sich immer auf die Seite der Libyer gestellt, um die Einheit des Landes zu erhalten. Wir glauben, dass eine faire und solide Lösung des Libyenkonflikts nur durch die Libyer selbst möglich ist.“
Die Kairo-Initiative unterstützte laut Abdel-Aal einen Waffenstillstand ab dem 8. Juni, der die ausländischen Mächte in Libyen verpflichte, sich zurückzuziehen und die bewaffneten Milizen zu zerschlagen. Ziel der Türkei dagegen sei es, „Libyen zu spalten, eine Führungsrolle zu übernehmen, die Identität des Volkes aufzulösen, um die Ressourcen des Landes zu kontrollieren“.
Die internationale Gemeinschaft sollte sich auch ihrer Verantwortung stellen und der Intervention der Türkei entgegentreten, die die Spannungen in der Region eskalieren lasse und negativ auf die Bemühungen um eine politische Lösung wirke.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58382
+ 08.08.: Ein Artikel auf Ahval beleuchtet die fragwürdigen Verbindungen des in Washington beheimateten Think-Tanks Atlantic Council (AC) zur Türkei. Gerade zu der Zeit, als Erdogans Leibwächter Demonstranten vor der türkischen Botschaft angriffen, sei der Präsident des AC, Fred Kempe, zu einem Treffen mit Erdogan gegangen. Der AC, der sich als überparteiliche Denkfabrik bezeichnet, habe sich auch nicht daran gestört, als türkische Behörden brutal gegen Regierungskritiker vorgingen. Er würde auch nicht die problematischen Beziehungen der Türkei zu Europa und „das Abenteurertum des Landes im Nahen Osten“ thematisieren, dafür habe Fred Kempe Beziehungen zu türkischen Unternehmen, die ihrerseits enge Beziehungen der Familie Erdogan pflegen.
AC habe von der türkischen Regierung Mittel in Millionenhöhe erhalten und stärke dafür das Image der Erdogan-Regierung in den USA. Ein Blick auf die Arbeit des AC zeige, wie Lobbyisten, Regierungsbeamte, reiche Spender und unabhängige Experten eine unauflösliche Symbiose eingegangen sind. Bereits letztes Jahr hieß es bei Ahval: „Der AC hat finanzielle Unterstützung von mehreren staatlichen Institutionen der Türkei erhalten, darunter vom türkischen Armeecollege und der Petroleum Pipeline Corporation (BOTAŞ)“. Laut Expertenmeinung seien die von der AC an den Tag gelegten Aktivitäten so empörend, dass sie auch den Ruf aller anderen Think-Tanks ruinieren würden.
https://ahvalnews-com.cdn.ampproject.org/c/s/ahvalnews.com/united-states/atlantic-councils-turkish-links-cast-shadow-over-washington-think-tank-industry?amp
+ 10.08.: Der türkische Energieminister Fatih Donmez sagte, dass das Forschungsschiff Oruc Reis, in seinem Operationsgebiet angekommen sei. Die Türkei will zwischen dem 10. und 23. August Explorationen südlich einer Inselkette zwischen Kreta und Zypern durchzuführen. Athen erklärte hierzu, dass der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis dazu eine Sitzung des Nationalen Sicherheitsrates einberufen hat und das dortige Militär in Alarmbereitschaft versetzt wurde. Über die von der Türkei wieder aufgenommenen umstrittenen Bohr- und Explorationsarbeiten im östlichen Mittelmeer zeigt sich Brüssel äußerst besorgt.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58438


Heiko Maas überraschend in Tripolis

Libyen. Treffen von Maas mit Chef der ‚Einheitsregierung‘ as-Sarradsch / Auch katarischer und türkischer Verteidigungsminister vor Ort / Gefahr einer Teilung Libyens rückt näher 

Neben dem deutschen Außenminister Heiko Maas, der zu Gesprächen mit dem Chef der ‚Einheitsregierung‘, as-Sarradsch, am 17.08. nach Tripolis gekommen ist, waren am gleichen Tag auch der türkische Verteidigungsministers Hulusi Akar mit seinem Stabschef Yaşar Güler sowie der katarische Verteidigungsministers Muhammad al-Attiyah in Tripolis, um über die Einrichtung eines türkischen Marinestützpunktes in Misrata und eines türkischen Militärstützpunktes auf dem Luftwaffenstützpunkt al-Watiya zu sprechen sowie über eine verstärkte militärische Unterstützung der ‚Einheitsregierung‘ und deren militärische Mobilisierung westlich von Sirte. Wie inzwischen bekanntgegeben, wurde in diesen Punkten zwischen der Türkei, Katar und der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis Übereinstimmung erzielt.
Nach ihrer Ankunft am Mitiga-Flughafen von Tripolis machten sich Attiyah und Akar auf den Weg zum türkischen Hauptquartier des Mitiga-Militärstützpunktes. Auf Twitter wurden Fotos vom Treffen des katarischen, türkischen und stellvertretenden libyschen Verteidigungsministers der ‚Einheitsregierung‘ gepostet. Besondere Empörung ruft in Libyen hervor, dass mit der katarischen Delegation auch al-Marri mit nach Tripolis kam, jener al-Marri, der 2011 eine berüchtigte katarische Spezialeinheit in Tripolis befehligte, die finstere Sondereinsätze durchführte und in enger Verbindung mit der dschihadistischen LIFG (Libyan Islamic Fighting Group) und deren Kommandanten Belhadsch stand. Wie Fotos zeigen war al-Marri bei dem Treffen des katarischen und türkischen Verteidigungsministers mit dem Vorsitzenden des libyschen Hohen Staatsrats, Khaled al-Mishri, anwesend.

Diese zeitgleichen Besuche von Maas sowie des türkischen und katarischen Verteidigungsministers in Tripolis symbolisieren mehr als alles andere, wer heute in Tripolis das Sagen hat.
Nach der Ankunft von Maas in Tripolis war in dessen Rede kein Wort von Katar oder der Türkei zu vernehmen, sondern Maas erklärte: „... Mit dem Vorsitzenden des libyschen Präsidialrates Sarradsch, Außenminister Siala und Innenminister Bashaga werde ich über Wege aus dieser sehr gefährlichen Lage sprechen und u.a. für die Einrichtung einer demilitarisierten Zone rundum Sirte werben. Die Vereinten Nationen haben über UNSMIL dafür einen guten Vorschlag vorgelegt. Aber auch ein Ende der Ölblockade und die gerechtere Verteilung der Öleinnahmen sind entscheidend für eine Lösung des Konflikts in Libyen. Darüber werde ich mit dem Vorsitzenden der Nationalen Ölgesellschaft, Sanallah, sprechen. Auch die Situation der Flüchtlinge in Libyen wird Inhalt meiner Gespräche sein. Schon lange fordern wir, dass die Detention Center geschlossen und Alternativen im städtischen Umfeld geschaffen werden müssen. Außerdem müssen Schleusernetzwerke endlich wirksam bekämpft werden. Deutschland ist weiterhin bereit, mit seinen europäischen und internationalen Partnern Libyen auf diesem Weg zu unterstützen.
Den Konflikt in Libyen werde ich – neben weiteren Themen wie Iran, Syrien, Katar und Libanon – auch in Abu Dhabi ansprechen, dem zweiten Stopp meiner Reise. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit ihrem historischen Schritt zur Normalisierung der Beziehungen mit Israel in der vergangenen Woche gezeigt, dass sie einen wichtigen Beitrag zum Frieden in der Region leisten können. Ich werde dazu u.a. meinem Amtskollegen, Außenminister Abdullah bin Zayed Al Nahyan, gratulieren und mit ihm und anderen erörtern, wie wir diesen Schwung auch für Fortschritte beim Nahostfriedensprozess nutzen können. Angesichts der Entwicklungen mit Blick auf Israel hoffen wir auch beim Thema Libyen auf positive Signale aus Abu Dhabi. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben Einfluss auf General Haftar und wir erwarten, dass sie diesen – ganz im Sinne des Berliner Prozesses – auch nutzen. Nur wer sich an einem politischen Prozess beteiligt, wird Teil der Zukunft Libyens sein.“
Soweit Maas. Und nur als Erwähnung am Rande, die aber symbolisch für diese Art von Politinszenierungen gelten mag: In einem Bericht einer ARD-Nachrichtensendung ist zu sehen, wie Maas mit schusssicherer Weste die Bundeswehrmaschine verlässt. Neben ihm eine Dame im roten Kleid, ohne jede Sicherheitsvorkehrung. Was für eine lächerliche Show.
Der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ und Moslembruder Fatih Bashagha lobte selbstverständlich die Bemühungen der deutschen Regierung, Frieden und Sicherheit in Libyen herzustellen, und verwies auf „die politische Spaltung, die das Land derzeit erlebt“. Er forderte dazu auf, Druck auf die Länder auszuüben, die die LNA unterstützten.
Kein Wort von Maas zu Bashagha, dass die Türkei gerade auf dem libyschen Watija-Luftwaffenstützpunkt das 35 mm-Flugabwehrsystem KORKUT aufgestellt hat, wie die belgische Website Army Recognition berichtet, was einen weiteren eklatanten Verstoß gegen die UN-Resolutionen darstellt, die die Bewaffnung libyscher Gruppierungen verbieten. Und auch kein Wort zu der Ankündigung Katars, nun auch Militärberater nach Tripolis zu senden.
Es scheint eindeutig, dass Deutschland eng mit der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis, die fast komplett unter dem Einfluss der Moslembruderschaft, der Türkei und Katar steht, kooperiert. Klar ist auch, dass die VAE nun „Haftar“ unter Druck setzen soll. Doch was sind die genauen Bedingungen denen Haftar bzw. das libysche Parlament unter Aguila Saleh zustimmen soll?
Maas scheut sich nicht, den Libyern mit dem Satz „Nur wer sich an einem politischen Prozess beteiligt, wird Teil der Zukunft Libyens sein“ zu drohen. Maas spricht nur von den Berliner Beschlüssen der Libyen-Konferenz im Januar, die umzusetzen wären, nicht aber von den von Ägypten vorgelegten Kairo-Vorschlägen, die das libysche Parlament präferiert. Und wurde in Berlin nicht auch die Durchsetzung des Waffenembargos beschlossen? Wie passt das zusammen, dass gleichzeitig der türkische und katarische Verteidigungsminister in Tripolis sind und sich mit der ‚Einheitsregierung‘ auf eine weitere Aufrüstung einigen?
Der Maas-Vorschlag sieht in einem ersten Schritt die Entwaffnung und Demilitarisierung der 130.000-Einwohner-Stadt Sirte vor. Wie soll man sich das vorstellen? Wer soll Sirte schützen und die Einhaltung des Waffenstillstands durchsetzen? Könnten die deutschen Träume doch noch wahr werden, die nach der Errichtung einer Pufferzone ausländische „Friedenstruppen“ in Sirte sehen? Dies hieße im Klartext, ausländisches Militär als Besatzungsmacht ins Land zu holen. In diese Richtung deutet auch die Formulierung von Maas, einen „verlässlichen Waffenstillstand“ einrichten zu wollen. Deutsches Militär oder europäisches unter deutscher Führung in einer sogenannten „Friedensmission“ nach Libyen zu entsenden wäre eine Mission, die alles andere als Frieden bringen wird, weder Deutschland noch Libyen. Man kann Deutschland nur davor warnen, sich in Libyen die Finger zu verbrennen, wie es schon so viele andere taten.
Denn nicht nur das libysche Parlament und die LNA lehnen mit aller Schärfe diese Vorstellungen ab. Vom Parlamentspräsidenten Aguila Saleh kam der Vorschlag, in Sirte die Verwaltungseinrichtungen aus dem Osten und Westen zusammenzuführen und diese Institutionen von der LNA schützen zu lassen. Diese Vorstellungen dürften auch Frankreich, Ägypten, Saudi Arabien und Algerien unterstützen, von der VAE weiß man das inzwischen nicht mehr so genau. Das libysche Parlament warnte wiederholt vor Schritten, die „die Einheit und Unversehrtheit des libyschen Staates bedrohten oder auch nur einen Quadratzentimeter libysches Landes an ausländische Besatzer abtreten und die Rückkehr der Kolonialisierung mittels neuer Namensgebung in Betracht ziehen“.

Eine „demilitarisierte Zone“ rund um Sirte könnte dazu dienen, die Spaltung Libyens in einen Ost- und Westteil voranzutreiben. Wie vermeldet, hat inzwischen der Sprecher des türkischen Präsidenten, Ibrahim Kalin, erklärt, dass die Türkei im Prinzip den deutschen Aufruf zur Entmilitarisierung der libyschen Städte Sirte und Dschufra akzeptieren könne. Das westliche Libyen würde somit der Türkei zugeschlagen werden, die schon dabei ist, Militärstützpunkte in Misrata und Watija zu errichten
Maas flog von Tripolis gleich weiter in die Vereinigten Arabischen Emirate. Zu welchen Zugeständnissen wird die VAE bereit sein, nachdem es schon den Diplomatenaustausch mit Israel beschlossen hat? Und wie wird Saudi Arabien reagieren? Die VAE und Saudi Arabien ziehen schon seit einiger Zeit nicht mehr an nur einem Strang, z.B. wenn es gegen Katar geht, sondern befinden sich in Konkurrenz zueinander. Und Ägypten? Das hat wahrscheinlich nicht wirklich viel zu sagen, ist es doch durch den Corona-Lockdown und dem Wegfall der gesamten Tourismuseinnahmen mehr denn ja auf das Geld der VAE angewiesen.
Der ganze Libyen-Komplex riecht nach schäbiger Hinterzimmerdiplomatie. Die Kriegsmächte von 2011 sehen nach neun Jahren endlich ihre Ziele näher rücken. Den Libyern wurde klargemacht , dass ihr Konflikt nicht durch eine militärische Konfrontation und auch nicht in Libyen oder durch die Libyer gelöst werden kann, sondern dass die großen internationalen Player nun die Friedenslösung diktieren, nachdem sie sich untereinander geeinig haben.
Ein heißes Thema im wahrsten Sinne des Wortes gerade in Tripolis, wo schon wieder einmal für über 96 Stunden der Strom und somit auch die Klimaanlagen ausgefallen sind. Doch dies betrifft ja nur die Bevölkerung und wen interessiert die schon.
Maas ist in Libyen kein neutraler Vermittler, hinter ihm stehen knallharte wirtschaftliche und geopolitische Interessen, unter anderem geht es auch zwischen Deutschland und Frankreich um die Vorherrschaft in der EU. Und Katar tätigt Investitionen in Milliardenhöhe in Deutschland, wie könnte man es sich mit diesem Land verderben.
Nicht zu vergessen: Seit 2011 ist es das Ziel, in Libyen ein Vasallenregime zu etablieren, welches das Land fest im Westen verankert.
https://www.addresslibya.co/en/archives/58568
https://almarsad.co/en/2020/08/17/turkish-and-qatari-defense-ministers-meet-with-the-gna-in-tripoli/
http://en.alwasat.ly/news/libya/292574
https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/maas-tripolis/2375310
http://en.alwasat.ly/news/libya/292579
https://almarsad.co/en/2020/08/17/turkey-deploys-korkut-system-at-al-watiyah-airbase/
https://www.reuters.com/article/us-germany-qatar-investments/qatar-plans-to-invest-billions-of-dollars-in-germany-report-idUSKCN1LI0JP
https://twitter.com/mahmouedgamal44/status/1295328869889847301/photo/1
https://twitter.com/LibyaReview/status/1295360274162229249
https://libya.liveuamap.com/en/2020/17-august-turkish-presidential-spox-ibrahim-kalin-turkey
https://almarsad.co/en/2020/08/17/after-entry-in-bab-al-aziziyah-in-2011-qatars-al-marri-returns-to-tripoli-with-turkey-and-gna/
https://www.tagesschau.de/ausland/maas-libyen-105.html
13:22 18.08.2020