Kurznachrichten Libyen – 19.02.2021
Libyen. Stimmen zum 10. Jahrestag des gewaltsamen Umsturzes in Libyen / Dabaiba in Ägypten / AI beschuldigt Milizen Menschenrechtsverbrechen
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17. Februar 2011 - zehn Jahre danach
+ 15.02.: Gaddaf ad-Dam. SputnikNews schreibt: „Am
Montag jährte sich der Beginn der libyschen ‚Revolution‘ zum zehnten Mal - eine
Reihe von Aufständen, die in einer NATO-Intervention und der Aufteilung des
Landes in instabile Teilstaaten gipfelten. Ahmed Gaddaf ad-Dam, Cousin und
enger Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Muammar Gaddafi, erinnerte in einem
Exklusivinterview mit Sputnik Arab an die Ereignisse von
2011, die sein Land von einer der wohlhabendsten afrikanischen Nationen in
einen gescheiterten Staat verwandelten.“
Gaddaf ad-Dam: >Libyen war keine Bedrohung für den Weltfrieden. Ein
Eingreifen solcher Art von Seiten des UN-Sicherheitsrats war nicht
gerechtfertigt<“. Er nahm damit Bezug auf die UN-Resolution 1973 von 2011,
die einen sofortigen Waffenstillstand forderte und eine Flugverbotszone über
Libyen ausrief. Doch selbst diese Resolution sah nicht vor, dass Libyen
dermaßen massiv gebombt werden sollte, >mit dieser massiven Menge von
Kampfflugzeugen – vierzigtausend Luftangriffe und zehntausende
Raketenangriffe<.
https://sputniknews.com/middleeast/202102151082080973-how-it-happened-gaddafis-aide-recalls-origins-of-2011-revolution-that-destroyed-libya/
Am 4. Januar 2011, also wenige Tage vor dem >Aufstand<, lobte ein
Bericht des UN-Menschrechtsrats Gaddafis Libyen in den höchsten Tönen: Menschenrechte
wurden demnach umfassend garantiert, ganz besonders die Frauenrechte. (Dank für
den Hinweis an Fx). Zum Nachlesen:
https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/16session/A-HRC-16-15.pdf
+ 15.02.: Ahmed Gaddaf-ad-Dam. Der Politiker der Libyschen
Nationalen Kampffront, Cousin und Vertrauter Muammar al-Gaddafis, Ahmed
Gaddaf ad-Dam, forderte, die Umstände der Ermordung des verstorbenen Oberst
Gaddafi offenzulegen und die Verantwortlichen für seinen Tod zur Rechenschaft
zu ziehen.
Die Aggression gegen Libyen 2011 sei eine ungerechtfertigte Aggression gewesen.
Auch wenn die damaligen Forderungen der libyschen Jugend vielleicht berechtigt
waren, eine ‚Revolution‘ hätten sie - anders als in Tunesien und Ägypten -
nicht gerechtfertigt. Die Libyer hätten ein gutes Leben gehabt, das
Pro-Kopf-Einkommen sei das höchste in ganz Afrika gewesen. Es habe keinen Grund
für eine Revolution gegeben.
Acht Monate lang sei von mit westlichen Ländern verbündeten Kräften versucht
worden, Oberst Gaddafi zu töten. Wo immer er auch sein Zelt aufstellte, seien
Flugzeugangriffe erfolgt. Als bei Sirte sein Konvoy von Raketen getroffen
wurde, sei er noch am Leben gewesen. Seine anschließende Ermordung sei nie vor
dem IStGH geahndet worden, obwohl es sich dabei um ein Kriegsverbrechen
gehandelt habe. Die Weigerung, die Ermordung des Oberst Gaddafi aufzuklären,
bestätige die Heuchelei der internationalen Gemeinschaft und auch die Lügen der
in den arabischen Ländern aktiven Menschenrechtsorganisationen.
https://almarsad.co/en/2021/02/16/gaddaf-al-dam-libyan-youth-demands-may-have-been-legitimate-but-did-not-require-a-revolution/
+ 15.02.: SputnikNews:„Vor dem Arabischen Frühling war
Libyen das wohlhabendste Land Afrikas, mit dem höchsten Human Development
Index (HDI), der niedrigsten Kindersterblichkeit und der höchsten
Lebenserwartung auf dem Kontinent. Heute ist Libyen unter mehreren
Kriegsparteien aufgeteilt, hat Sklavenmärkte und dient als Hotspot für
Migranten und Flüchtlinge, die bereit sind, Leib und Leben zu riskieren, um
nach Europa zu gelangen. Trotz seines Reichtums an Energieressourcen sind weite
Teile des Landes nach wie vor von Gas, Strom und Wasser abgeschnitten.
Zehn Jahre nach den Protesten in Bengasi im Februar 2011, die schließlich zum
Sturz der Gaddafi-Regierung führten und von westlichen Medien als libysche
‚Revolution‘ bezeichnet wurden, reagieren viele Libyer zynisch bezüglich der
‚Früchte‘ der ‚Revolution‘ als da sind Chaos und Unruhen.“
Dazu der libysche Autor Hussein Miftah: „Es gab keine
‚Revolution‘. Das Chaos, in dem wir leben, war nur die Folge der Neuordnung der
Region durch externe Akteure. Das ist klar, wenn man sich ansieht, welche
Kräfte in unserem Land präsent sind und aus welchem Grund“.
Laut Miftah kontrollieren Ableger der Moslembruderschaft „einen Teil des
libyschen Territoriums. Früher hätten sie sich das nicht einmal träumen lassen.
Jetzt werden sie von der Türkei unterstützt, die ihnen Geld und Waffen schickt.
Sie kooperieren auch mit anderen extremistischen Bewegungen des politischen Islams
in Nordafrika und erleben eine wahre Blütezeit“.
Naser Said, der Sprecher der Libyschen Nationalen
Volksbewegung, eine Partei, die 2012 von ehemaligen
Dschamahirija-Funktionären gegründet wurde, sagte, dass der Aufstand von 2011
Libyen um Jahrzehnte zurückgeworfen hat: „Die Ereignisse haben die Situation im
Land auf den Stand der 1950er Jahre zurückgeworfen, als die Libyer ohne Strom,
ohne medizinische Versorgung und in Armut leben mussten.“ Die Libyer müssten
ihre Unabhängigkeit zurückerobern, auch wenn noch nicht klar sei, wie oder wann
dies geschehen kann. „Acht Monate lang dauerte eine offenkundige
Militärintervention der NATO. Dies war die größte und längste Militäroperation
der Allianz außerhalb ihrer Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg“, mit Ausnahme
von Afghanistan. „Heute haben wir weder Staatlichkeit noch Infrastruktur.
Hunderttausende libysche Familien wurden aus ihren Häusern vertrieben, ihre
Städte und Dörfer zerstört. Tausende von Libyern wurden kaltblütig getötet“.
Allerdings wird die sogenannte ‚Revolution‘ von 2011 von den heutigen
Machthabern wie Adel Karmous, Mitglied des Hohen Staatsrats in
Tripolis, immer noch verteidigt. Das damalige Regime habe Libyen vierzig Jahre
nur geschadet. Die ‚Revolution‘ habe ihre Ziele erreicht. Das libysche Volk
habe gegen ein autoritäres Führungssystem revoltiert. Verantwortlich für das
heutige Chaos sei das Fehlen einer neuen Führungspersönlichkeit. Der Weg des
neuen Libyens habe gerade erst begonnen.
https://sputniknews.com/middleeast/202102151082084421-there-was-no-revolution-libyans-reflect-on-decade-of-chaos-that-followed-gaddafis-ouster/
Es steht zu befürchten, dass den Befürwortern der 2011-‚Revolution‘ ihre
Widersprüche nicht einmal auffallen. Der Protest gegen ein autoritäres
Führungssystem wird bejubelt und gleichzeitig eine neue Führungspersönlichkeit,
die alles wieder in den Griff bekommt, gefordert. Eine völlig abstruse
Rechtfertigung des gewaltsamen Sturzes des Dschamahirija-Regierung im Jahre
2011 stand heute im Internet zu lesen: „Vor 2011 war nichts besser, aber heute
ist alles schlechter“.
+ 16.02.: NewYorkTimes: Zur Jubiläumsbeflaggung und den
Lichterketten in Tripolis anlässlich des 10. Jahrestags der
‚Februar-Revolution‘ schreibt die NewYorkTimes: „Vor den Banken, wo
einige Kunden seit sechs Stunden Schlange stehen, um ihre Gehälter abzuholen,
an den Tankstellen, wo Treibstoff nur sporadisch verfügbar ist, und im
Tripolis-Vorort Ain Zara, wo Ahmed al-Gammoudi letztes Jahr zwei Monate lang
ohne Strom lebte, erscheint die Festbeleuchtung als der reine Hohn.“
Zehn Jahre nach dem Sturz der Dschamahirija und der Ermordung Muammar al
Gaddafi stellt sich die Situation in Tripolitanien wie folgt dar: „Was sie [die
Bewohner] beschäftigt, sind die abtrünnigen Milizen, die die Hauptstadt nahezu
kontrollieren, zeitweilige Stromausfälle, Krankenhäuser, die durch den
Coronavirus und den Mangel an Medikamenten überfordert sind, und die steigenden
Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Milch und Tomatenmark. Benzin ist
mancherorts nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen, in fast allen Orten
bilden sich aufgrund des Mangels an Bargeld täglich stundenlange Schlangen vor
den Banken.“
https://www.nytimes.com/2021/02/16/world/middleeast/libya-government-qaddafi.html?smid=tw-share
Wie zynisch sind Feierlichkeiten anlässlich eines sehr reichen, aber
kaputten Landes und einer leidenden Bevölkerung.
+ 18.02.: UNSMIL: Der neue UN-Sonderbeauftragte für Libyen
(UNSMIL) Jan Kubis gratuliert dem libyschen Volk zum 10. Jahrestag der
17.-Februar-Revolution. Kubis fügte hinzu, dass das libysche Volk die Chance
habe, einen Staat aufzubauen, „der auf Demokratie, Gerechtigkeit,
Rechtsstaatlichkeit, der Achtung der Menschenrechte und der Gleichberechtigung
aller Menschen, sowohl der Frauen als auch der Männer, basiert.“
https://libyareview.com/10450/kubis-congratulates-libyans-on-17-february-revolution/
Wie wunderbar!
+ 19.02.: Sebha/Angriff. Während einer Feier zum 10.
Jahrestag des 17. Februar 2011 kam es in Sebha zu einem Angriff. Ein Kind wurde
getötet und 29 weitere Personen verletzt. Das libysche Parlament hat den
Angriff auf das Schärfste verurteilt. Nähere Einzelheiten sind nicht bekannt.
Es wurde eine Untersuchung eingeleitet.
https://www.libyaherald.com/2021/02/18/unsmil-and-hor-condemn-sebha-attack-on-civilians-during-17-february-celebrations/
+ 17.02.: Tripolis/Entführung. Der libysche Sänger Ramadan
Salem, bekannt als ‚Maniglesias‘, ist in der libyschen Hauptstadt Tripolis
entführt worden. Salem hatte zuvor an den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der
libyschen ‚Revolution‘ teilgenommen.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1362325015446884353
Neu eingesetzte ‚Interimsregierung‘
+ 18.02.: Dabaiba/Ägypten. Der designierte Premierminister
von Tripolis, Abdel-Hamid Dabaiba, wurde in Kairo vom ägyptischen Präsidenten
es-Sisi im Beisein des ägyptischen Premierministers und des Chefs des
ägyptischen Geheimdiensts empfangen. Laut dem Sprecher der ägyptischen
Regierung habe Dabaiba seine Wertschätzung für die Unterstützung Ägyptens im
Kampf gegen Terrorismus und Extremismus ausgedrückt. Dabaiba freue sich auf den
Aufbau einer umfassenden Partnerschaft mit Ägypten in den Bereichen Sicherheit,
Stabilität, Entwicklung und Reformen. Beide Seiten vereinbarten eine enge
Zusammenarbeit.
https://libyareview.com/10453/libyan-pm-dbaiba-meets-president-al-sisi-in-cairo/
Hört, hört!
+ 16.02.: UN/‘Interimsregierung‘. In einem Telefongespräch
mit dem designierten Vorsitzenden des Präsidialrats, Mohamed Menfi, und dem
designierten Premierminister Abdel-Hamid Dabaiba forderte UN-Generalsekretär
Guterres den sofortigen Abzug aller ausländischen Truppen und Söldner aus
Libyen. Er forderte auch, dass die neue Regierung auf die Abhaltung von Wahlen
2021 hinarbeiten müsse.
https://libyareview.com/10426/guterres-calls-for-the-withdrawal-of-foreign-fighters-from-libya/
+ 08.02.: ‚Interimsregierung‘/Analyse von Emadeddin
Badi und Wolfram Lacher. Es heißt in CarnegieEndowment:
„Diese neue Exekutive hat die Aufgabe, eine Regierung der nationalen Einheit zu
bilden, die wiederum Libyen auf allgemeine Wahlen im Dezember 2021 vorbereiten
soll. Die UN-geleiteten Verhandlungen, die zur Wahl des neuen Exekutivorgans
führten, der eine etablierte und nicht rechenschaftspflichtige Elite entmachten
sollte, hat stattdessen jedoch genau diese Elite rehabilitiert – und ihr
erlaubt, die Gespräche zu dominieren und deren Ergebnis zu gestalten. Das
Abkommen wird den Zugang zur Beute innerhalb dieser politischen Klasse neu
ordnen und somit seinen Befürwortern ermöglichen, sich weiterhin an offizielle
Positionen zu klammern. Es ist für sie auch ein Anreiz, Fortschritte in
Richtung Wahlen zu blockieren.“
Weiter heißt es: „Bei den Verhandlungen wurden alle inhaltlichen Differenzen,
die zwischen den libyschen Konfliktparteien bestehen, ausgeklammert – wie etwa
die Frage, wer eine vereinheitlichte Armee führen sollte oder wie die
Rechenschaftspflicht für die Verbrechen während der Kriege der vergangenen
Jahre sichergestellt werden sollte. Anstatt einen politischen Konsens als
Grundlage für eine einheitliche Regierung zu schmieden, wurden unter den 74
Mitgliedern des LPDF Mehrheitsentscheidungen getroffen mit dem Ergebnis, dass
die vier Personen, die zur Führung der neuen Exekutive gewählt wurden, keine
gemeinsame politische Vision verbindet. Ihr einziges gemeinsames Interesse war
es, mit Hilfe verschiedener lokaler Gruppierungen und Einzelpersonen die
notwendigen Stimmen zusammenzubringen. Jede der vier gewählten Personen wird
nun von konkurrierenden Fraktionen unter Druck gesetzt werden, sich mit einer
Berufung in die neue Regierung zu revanchieren. Das verheißt nichts Gutes für
die Fähigkeit der neuen Exekutive, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.“
Der Wahlprozess habe viele Verlierer hervorgebracht, so dass von einer
Einheitsregierung keine Rede sein könne. Die Liste der Sieger habe nur 53
Prozent der Stimmen im LPDG erreicht, wobei das LPDG selbst nicht repräsentativ
für die politische und militärische Landschaft Libyens sei. Die neue Exekutive
Libyens stehe auf einer extrem schmalen Basis. Vor Ort werde das LPDG weithin
als eine Zusammenkunft opportunistischer, gieriger Politiker mit wenig
Legitimität oder Einfluss gesehen. Dieser Eindruck herrsche auch unter den
bewaffneten Gruppen vor.
Im Gegensatz zu den drei Mitgliedern des Präsidialrats, die über keine
nennenswerte eigene Machtbasis verfügen, habe Premierminister Abdel-Hamid
Dabaiba durchaus Einfluss, weil er und sein Cousin und Geschäftspartner Ali
Dabaiba, der dem LIFG angehört, seit 2011 den Reichtum, den sie als
Führungskräfte unter Gaddafi auf dubiose Weise angehäuft haben, dazu nutzten,
mehrere Milizen in ihrer Heimatstadt Misrata zu finanzieren. Dementsprechend
umstritten ist der neue Premierminister Dabaiba. Er und seine Liste hätten sich
nicht deshalb durchgesetzt, weil sie überzeugt haben, sondern weil die
Niederlage ihrer Konkurrenten sichergestellt werden sollte. Dazu zählten vor
allem Aguila Saleh als Vertreter des Parlaments im Osten und Fatih Bashagha, als
Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis. „Dabaiba gewann auch die
Unterstützung von Politikern und mit ihnen verbündeten mafiaähnlichen Milizen
in Tripolis und Zawiya, die mit Bashagha auf Kriegsfuß standen.“
Dies alles scheint darauf hinauszulaufen, dass konkurrierende Fraktionen die
Gelegenheit ergreifen werden, sich den libyschen Ölreichtum gemeinsam unter den
Nagel zu reißen sowie ihre jeweilige Klientel und Milizen zu stärken – so wie
es die bisherigen Regierungen nach 2011 taten, einschließlich der Ende 2015
gebildeten ‚Einheitsregierung‘.
Von LNA-Oberbefehlshaber Khalifa Haftar wird erwartet, dass er eine ambivalente
Haltung gegenüber dem neuen Regierungsgremium beibehält, die gelegentlich in
offene Feindseligkeit umschlagen dürfte, während gleichzeitig die
Möglichkeiten, die die neue Struktur bietet, maximal ausgenutzt werden. Die
Chancen für eine Einigung über die Zusammenführung der libyschen Streitkräfte
wird gleich Null eingeschätzt, dazu säße das Misstrauen zu tief.
Es sei zu vermuten, dass die ‚Interimsregierung‘ auf die gleichen Probleme
stoßen wird wie ihre Vorgängerin, die ‚Einheitsregierung‘. Ihre Legitimation
durch das Parlament und auch durch das LIFG sei wegen fehlender Mehrheiten
unwahrscheinlich. Unterdessen würden die ausländischen Akteure weiterhin
versuchen, die libyschen Spaltungen aufrechtzuerhalten, um die sich daraus für
sie ergebenden wirtschaftlichen Vorteile zu nutzen. Das Ziel, Wahlen
abzuhalten, sei in weite Ferne gerückt.
https://carnegieendowment.org/sada/83839
Verschiedenes
+ 16.02.: Verfassungsreferendum/Saleh. Parlamentspräsident
Aguila Saleh erklärte, das Referendum über eine Verfassung erst nach den
Präsidentschaftswahlen im Dezember abhalten zu wollen. Es sei wichtig, den
Verfassungsentwurf nicht überstürzt zu verabschieden, „weil er fast die
Einstimmigkeit des libyschen Volkes erfordert.“ Die Abstimmung über die
Verfassung soll in drei Bezirken (Tripolis, Kyrenaika, Fessan) stattfinden, wobei
jeweils mindestens 50 Prozent Ja-Stimmen für die Annahme notwendig sind.
https://libyareview.com/10383/ageela-saleh-parliament-to-vote-on-confidence-of-interim-government/
Sollte auf die Abhaltung des Verfassungsreferendums vor den Wahlen
bestanden werden, könnte dies die Wahlen bis in alle Ewigkeit hinauszögern.
Auf Twitter heißt es dazu: „Lasst den Countdown für die Wahlen beginnen.
Ich will keine verflixten Ausreden hören, warum sie nicht rechtzeitig
organisiert werden können, warum die Ergebnisse wegen niedriger Wahlbeteiligung
oder Wahlfälschungen nicht zählen oder irgendeine andere lahme Ausrede, um die
Ergebnisse zu kippen.“
https://twitter.com/ibnthabit/status/1362373569766907909
+ 19.02.: Wahlen/Politiker. LibyaDesk: „Eine
mögliche Bedrohung für freie und faire Wahlen im Dezember zeichnet sich in den
jüngsten Bestrebungen der politischen Eliten in Libyen ab. Politiker aller
Seiten drängen auf indirekte Präsidentschaftswahlen (über ein neues Parlament),
um direkte Präsidentschaftswahlen zu vermeiden. Der Grund für diesen Vorstoß
ist, dass 200 Abgeordnete leichter zu beeinflussen sind als 6 Millionen Libyer.
Die meisten Status-quo-Politiker befürchten, dass sie keine Chance auf ein
Regierungsamt haben werden, wenn die Entscheidung dem libyschen Volk überlassen
wird. Die Ergebnisse des LPDF bestätigen diese Argumentation.
https://twitter.com/LibyaDesk/status/1362707795041275904
+ 18.02.: Milizen/Menschenrechtsverbrechen. Laut Amnesty
International ist das libysche Volk Tötungen, Entführungen, Folter und
Zwangsvertreibungen ausgesetzt. AI veröffentlichte einen ausführlichen Bericht
zum Thema „Menschenrechte in Libyen seit 2011“. Demnach haben die bisherigen
Regierungen „Anführer von Milizen gefördert und legitimiert, die für
abscheuliche Gewalttaten verantwortlich sind“.
Seit dem Sturz der Dschamahirija-Regierung versuchten die verschiedenen
Regierungen in Tripolis, die Milizen in eine militärische Struktur zu
integrieren. Dazu wurden sie vom Staat finanziert.
Eine dieser Milizen ist die Abu-Salim-Central-Security-Force unter dem
Kommando von Abdel-Ghani al-Kikli (alias Gheniwa). Al-Kikli wurde im Januar zum
Leiter einer neuen militärischen Einheit ernannt, der Stability Support
Authory, die mit weitreichenden Befugnissen zur Strafverfolgung
ausgestattet und direkt dem Präsidialrat unterstellt ist. Genau jenen
Kikli-Milizen wirft AI schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen
vor. Dazu Diana Etahawy von AI: „Solange die Verantwortlichen für die Verstöße nicht
vor Gericht gestellt, sondern mit Machtpositionen belohnt werden, solange
werden Gewalt, Chaos, systematische Menschenrechtsverletzungen und das endlose
Leiden der Zivilbevölkerung, die das Nach-Gaddafi-Libyen charakterisieren,
unvermindert weitergehen“.
Nachdem bereits in den Jahren 2013 und 2014 al-Kikli-Milizen Entführung, Folter
und Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen wurden, die auch zum Tod von
Häftlingen führten, unterstellte die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis 2016 diese
Milizen dem Innenministerium und verschaffte ihnen somit einen legalen Status,
unter dem es für sie noch einfacher war, ihren Menschenrechtsverbrechen
nachzugehen. Insbesondere musste sich die al-Kikli-Miliz den Vorwurf von
sexueller Gewalt gegen weibliche Gefangene gefallen lassen.
Und außergerechnet der berüchtigte Haitham at-Tadschuri, Kommandant der Miliz Tripoli
Revolutionaries Brigade (TRB), dem willkürliche Verhaftungen und
gewaltsames Verschleppen sowie Folter von Zivilisten vorgeworfen wird, ist seit
Januar 2021 Stellvertreter von al-Kikli.
Die gleichen Verbrechen, denen die Milizen von al-Kikli und at-Tadschuri
beschuldigt werden, werden von AI auch der ar-Rada-Miliz unter dem Kommando von
Abdel-Rauf Kara vorgeworfen und sind bei der UN dokumentiert. Die ar-Rada-Miliz
wurde 2018 in das Innenministerium der ‚Einheitsregierung‘ integriert.
Außerdem wurde im September 2020 Emad at-Trabulsi, Kommandant einer Miliz für
öffentlichen Sicherheit, zum stellvertretenden Leiter der Nachrichtendienste
befördert. Auch Trabulsis Miliz werden schwere Verbrechen an Migranten,
einschließlich des Verschleppens von Menschen vorgeworfen.
https://libyareview.com/10459/amnesty-international-gna-legitimised-armed-militias-in-libya/
https://almarsad.co/en/2021/02/19/amnesty-international-libyan-governments-have-legitimised-militia-leaders-guilty-of-war-crimes/
https://twitter.com/amnesty/status/1361948576499314696
Man muss schon als Menschenrechtsverbrecher ziemlich was auf dem Kerbholz
haben, um in der ‚Einheitsregierung‘ Karriere zu machen.
+ 18.02.: Belhadsch/‘Einheitsregierung‘/Türkei. Der
ehemalige Anführer der dschihadistischen LIFG und Chef der libyschen Al-Watan-Partei,
Abdel-Hakim Belhadsch, lobte die Türkei: Indem sie die ‚Einheitsregierung‘
unterstütze, trete sie für die Einheit und Stabilität Libyens ein. Belhadsch
setzte sich in einem Interview auch für die Beibehaltung der zwischen der
Türkei und der ‚Einheitsregierung‘ im November 2019 getroffenen Abkommen (Memoranden
of Understanding) ein und begrüßte den neu bestimmten Präsidialrat.
Gegen Belhadsch liegt ein Haftbefehl der libyschen Generalstaatsanwalt vor.
https://libyareview.com/10456/belhaj-hails-turkey-for-supporting-stability-in-libya/
+ 16.02.: Williams/Politisches Isolationsgesetz. Die
amtierende UN-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, sagte, der Ausschluss
von Anhängern des ehemaligen Gaddafi-Regimes sei eine der Hauptursachen für den
Konflikt im Land. Williams wies darauf hin, dass das Politische Isolation
Gesetz des Jahres 2013, dass alle Beamten der Gaddafi-Ära von öffentlichen
Ämtern ausschloss, den Konflikt befeuert habe.
Williams: „Die Libyer sind erschöpft“. Es gebe eine Menge Herausforderungen. So
bräche, wenn nichts unternommen werde, im Sommer die Stromversorgung zusammen.
Auch verwüste die Covid-19-Pandemie das Land.
https://libyareview.com/10399/stephanie-williams-excluding-gaddafi-supporters-drove-conflict-in-libya/
+ 16.02.: Sabrata/Versammlungen. Parlamentsmitglieder, die
sich in Sabrata versammelt hatten, um die Zusammenführung des Parlaments zu
beraten, wurden von dschihadistischen Sprechchören gestört. Die Parlamentarier
forderten daher strengere Sicherheitsvorkehrungen für ihre Treffen.
Said al-Obaidi, der den Schura-Räten und der Moslembruderschaft nahesteht,
hatte zeitgleich vor versammelten Dschihadisten-Anhängern eine Rede gehalten. https://twitter.com/ObservatoryLY/status/1361689023404720133
https://libyaherald.com/2021/02/16/77-
+ 17.02.: Entführung. Eine Gruppe von libyschen Aktivisten
und Anwälten fordert die Freilassung von Widad asch-Schergi. Die junge Libyerin
wurde in Zawiya (westlich von Tripolis), entführt. Ihre Familie hat seit dem 2.
Februar nichts mehr von ihr gehört.
https://twitter.com/ClaudiaGazzini/status/1362096593026039817
+ 17.02.: Migration. Laut der Internationale
Organisation für Migration (IOM) summierten sich in den letzten beiden
Jahren die Zahl der libyschen Migranten, die auf dem Seeweg in Italien ankamen,
auf 582. Im Jahr 2019 verzeichnete die IOM 196 Libyer, während sie im letzten
Jahr 386 Libyer registrierte. Aufgrund der schlechten Lebensverhältnisse machen
sich auch immer mehr Libyer auf den gefährlichen Weg, um auf ‚Todesbooten‘ über
das Mittelmeer Europa zu erreichen.
https://www.libyaherald.com/2021/02/17/582-illegal-libyan-migrants-arrived-in-italy-over-the-last-two-years-iom/
Febr.: LMd schreibt in dem Artikel „Frankreichs
Krieg im Sahel“: „Der Urfehler wurde allerdings schon 2011 begangen, als eine
französisch-britische Militärintervention unter der Flagge der Nato das Regime
von Muammar al-Gaddafi wegbombte. Und zwar ohne Rücksicht auf Frankreichs Verbündete
im Sahel. >Ich habe davon aus dem Radio erfahren<, empörte sich damals
der nigrische Präsident Mahamadou Issoufou – und gegen den Widerstand der
Afrikanischen Union, die sich um eine Vermittlung bemühte.
Die Folge waren fast zehn Jahre Bürgerkrieg mit einem florierenden Waffenhandel
und einem regen Hin und Her von Kämpfern, die einen Flächenbrand in der ganzen
Region auslösten. Für die Instabilität in der Sahelregion habe dieses Ereignis
nach wie vor eine >Multiplikatorwirkung<, so der mauretanische Staatschef
und derzeitige G5-Sahel-Vorsitzende Mohamed Ould Ghazouani. Er ist überzeugt,
dass es eine dauerhafte Stabilisierung der Sahelregion ohne eine Lösung des
Libyenkonflikts nicht geben wird.“
LeMondediplomatique / Februar 2021
+ 16.02.: Wettereskapaden. Wintereinbruch in Libyen.
https://twitter.com/MLNA2021/status/1361605084413652998
19.02.2021