Donnerstag, 25. Februar 2021

 

Kurznachrichten Libyen – 19.02.2021

Libyen. Stimmen zum 10. Jahrestag des gewaltsamen Umsturzes in Libyen / Dabaiba in Ägypten / AI beschuldigt Milizen Menschenrechtsverbrechen

Angelika Gutsche |

17. Februar 2011 - zehn Jahre danach

+ 15.02.: Gaddaf ad-Dam. SputnikNews schreibt: „Am Montag jährte sich der Beginn der libyschen ‚Revolution‘ zum zehnten Mal - eine Reihe von Aufständen, die in einer NATO-Intervention und der Aufteilung des Landes in instabile Teilstaaten gipfelten. Ahmed Gaddaf ad-Dam, Cousin und enger Vertrauter des ehemaligen Präsidenten Muammar Gaddafi, erinnerte in einem Exklusivinterview mit Sputnik Arab an die Ereignisse von 2011, die sein Land von einer der wohlhabendsten afrikanischen Nationen in einen gescheiterten Staat verwandelten.“
Gaddaf ad-Dam: >Libyen war keine Bedrohung für den Weltfrieden. Ein Eingreifen solcher Art von Seiten des UN-Sicherheitsrats war nicht gerechtfertigt<“. Er nahm damit Bezug auf die UN-Resolution 1973 von 2011, die einen sofortigen Waffenstillstand forderte und eine Flugverbotszone über Libyen ausrief. Doch selbst diese Resolution sah nicht vor, dass Libyen dermaßen massiv gebombt werden sollte, >mit dieser massiven Menge von Kampfflugzeugen – vierzigtausend Luftangriffe und zehntausende Raketenangriffe<.
https://sputniknews.com/middleeast/202102151082080973-how-it-happened-gaddafis-aide-recalls-origins-of-2011-revolution-that-destroyed-libya/
Am 4. Januar 2011, also wenige Tage vor dem >Aufstand<, lobte ein Bericht des UN-Menschrechtsrats Gaddafis Libyen in den höchsten Tönen: Menschenrechte wurden demnach umfassend garantiert, ganz besonders die Frauenrechte. (Dank für den Hinweis an Fx). Zum Nachlesen:
https://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/16session/A-HRC-16-15.pdf

+ 15.02.: Ahmed Gaddaf-ad-Dam. Der Politiker der Libyschen Nationalen Kampffront, Cousin und Vertrauter Muammar al-Gaddafis, Ahmed Gaddaf ad-Dam, forderte, die Umstände der Ermordung des verstorbenen Oberst Gaddafi offenzulegen und die Verantwortlichen für seinen Tod zur Rechenschaft zu ziehen.
Die Aggression gegen Libyen 2011 sei eine ungerechtfertigte Aggression gewesen. Auch wenn die damaligen Forderungen der libyschen Jugend vielleicht berechtigt waren, eine ‚Revolution‘ hätten sie - anders als in Tunesien und Ägypten - nicht gerechtfertigt. Die Libyer hätten ein gutes Leben gehabt, das Pro-Kopf-Einkommen sei das höchste in ganz Afrika gewesen. Es habe keinen Grund für eine Revolution gegeben.
Acht Monate lang sei von mit westlichen Ländern verbündeten Kräften versucht worden, Oberst Gaddafi zu töten. Wo immer er auch sein Zelt aufstellte, seien Flugzeugangriffe erfolgt. Als bei Sirte sein Konvoy von Raketen getroffen wurde, sei er noch am Leben gewesen. Seine anschließende Ermordung sei nie vor dem IStGH geahndet worden, obwohl es sich dabei um ein Kriegsverbrechen gehandelt habe. Die Weigerung, die Ermordung des Oberst Gaddafi aufzuklären, bestätige die Heuchelei der internationalen Gemeinschaft und auch die Lügen der in den arabischen Ländern aktiven Menschenrechtsorganisationen.
https://almarsad.co/en/2021/02/16/gaddaf-al-dam-libyan-youth-demands-may-have-been-legitimate-but-did-not-require-a-revolution/

+ 15.02.: SputnikNews:„Vor dem Arabischen Frühling war Libyen das wohlhabendste Land Afrikas, mit dem höchsten Human Development Index (HDI), der niedrigsten Kindersterblichkeit und der höchsten Lebenserwartung auf dem Kontinent. Heute ist Libyen unter mehreren Kriegsparteien aufgeteilt, hat Sklavenmärkte und dient als Hotspot für Migranten und Flüchtlinge, die bereit sind, Leib und Leben zu riskieren, um nach Europa zu gelangen. Trotz seines Reichtums an Energieressourcen sind weite Teile des Landes nach wie vor von Gas, Strom und Wasser abgeschnitten.
Zehn Jahre nach den Protesten in Bengasi im Februar 2011, die schließlich zum Sturz der Gaddafi-Regierung führten und von westlichen Medien als libysche ‚Revolution‘ bezeichnet wurden, reagieren viele Libyer zynisch bezüglich der ‚Früchte‘ der ‚Revolution‘ als da sind Chaos und Unruhen.“
Dazu der libysche Autor Hussein Miftah: „Es gab keine ‚Revolution‘. Das Chaos, in dem wir leben, war nur die Folge der Neuordnung der Region durch externe Akteure. Das ist klar, wenn man sich ansieht, welche Kräfte in unserem Land präsent sind und aus welchem Grund“.
Laut Miftah kontrollieren Ableger der Moslembruderschaft „einen Teil des libyschen Territoriums. Früher hätten sie sich das nicht einmal träumen lassen. Jetzt werden sie von der Türkei unterstützt, die ihnen Geld und Waffen schickt. Sie kooperieren auch mit anderen extremistischen Bewegungen des politischen Islams in Nordafrika und erleben eine wahre Blütezeit“.
Naser Said, der Sprecher der Libyschen Nationalen Volksbewegung, eine Partei, die 2012 von ehemaligen Dschamahirija-Funktionären gegründet wurde, sagte, dass der Aufstand von 2011 Libyen um Jahrzehnte zurückgeworfen hat: „Die Ereignisse haben die Situation im Land auf den Stand der 1950er Jahre zurückgeworfen, als die Libyer ohne Strom, ohne medizinische Versorgung und in Armut leben mussten.“ Die Libyer müssten ihre Unabhängigkeit zurückerobern, auch wenn noch nicht klar sei, wie oder wann dies geschehen kann. „Acht Monate lang dauerte eine offenkundige Militärintervention der NATO. Dies war die größte und längste Militäroperation der Allianz außerhalb ihrer Grenzen nach dem Zweiten Weltkrieg“, mit Ausnahme von Afghanistan. „Heute haben wir weder Staatlichkeit noch Infrastruktur. Hunderttausende libysche Familien wurden aus ihren Häusern vertrieben, ihre Städte und Dörfer zerstört. Tausende von Libyern wurden kaltblütig getötet“.

Allerdings wird die sogenannte ‚Revolution‘ von 2011 von den heutigen Machthabern wie Adel Karmous, Mitglied des Hohen Staatsrats in Tripolis, immer noch verteidigt. Das damalige Regime habe Libyen vierzig Jahre nur geschadet. Die ‚Revolution‘ habe ihre Ziele erreicht. Das libysche Volk habe gegen ein autoritäres Führungssystem revoltiert. Verantwortlich für das heutige Chaos sei das Fehlen einer neuen Führungspersönlichkeit. Der Weg des neuen Libyens habe gerade erst begonnen.
https://sputniknews.com/middleeast/202102151082084421-there-was-no-revolution-libyans-reflect-on-decade-of-chaos-that-followed-gaddafis-ouster/
Es steht zu befürchten, dass den Befürwortern der 2011-‚Revolution‘ ihre Widersprüche nicht einmal auffallen. Der Protest gegen ein autoritäres Führungssystem wird bejubelt und gleichzeitig eine neue Führungspersönlichkeit, die alles wieder in den Griff bekommt, gefordert. Eine völlig abstruse Rechtfertigung des gewaltsamen Sturzes des Dschamahirija-Regierung im Jahre 2011 stand heute im Internet zu lesen: „Vor 2011 war nichts besser, aber heute ist alles schlechter“.

+ 16.02.: NewYorkTimes: Zur Jubiläumsbeflaggung und den Lichterketten in Tripolis anlässlich des 10. Jahrestags der ‚Februar-Revolution‘ schreibt die NewYorkTimes: „Vor den Banken, wo einige Kunden seit sechs Stunden Schlange stehen, um ihre Gehälter abzuholen, an den Tankstellen, wo Treibstoff nur sporadisch verfügbar ist, und im Tripolis-Vorort Ain Zara, wo Ahmed al-Gammoudi letztes Jahr zwei Monate lang ohne Strom lebte, erscheint die Festbeleuchtung als der reine Hohn.“
Zehn Jahre nach dem Sturz der Dschamahirija und der Ermordung Muammar al Gaddafi stellt sich die Situation in Tripolitanien wie folgt dar: „Was sie [die Bewohner] beschäftigt, sind die abtrünnigen Milizen, die die Hauptstadt nahezu kontrollieren, zeitweilige Stromausfälle, Krankenhäuser, die durch den Coronavirus und den Mangel an Medikamenten überfordert sind, und die steigenden Preise für Grundnahrungsmittel wie Reis, Milch und Tomatenmark. Benzin ist mancherorts nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen, in fast allen Orten bilden sich aufgrund des Mangels an Bargeld täglich stundenlange Schlangen vor den Banken.“
https://www.nytimes.com/2021/02/16/world/middleeast/libya-government-qaddafi.html?smid=tw-share
Wie zynisch sind Feierlichkeiten anlässlich eines sehr reichen, aber kaputten Landes und einer leidenden Bevölkerung.

+ 18.02.: UNSMIL: Der neue UN-Sonderbeauftragte für Libyen (UNSMIL) Jan Kubis gratuliert dem libyschen Volk zum 10. Jahrestag der 17.-Februar-Revolution. Kubis fügte hinzu, dass das libysche Volk die Chance habe, einen Staat aufzubauen, „der auf Demokratie, Gerechtigkeit, Rechtsstaatlichkeit, der Achtung der Menschenrechte und der Gleichberechtigung aller Menschen, sowohl der Frauen als auch der Männer, basiert.“
https://libyareview.com/10450/kubis-congratulates-libyans-on-17-february-revolution/
Wie wunderbar!

+ 19.02.: Sebha/Angriff. Während einer Feier zum 10. Jahrestag des 17. Februar 2011 kam es in Sebha zu einem Angriff. Ein Kind wurde getötet und 29 weitere Personen verletzt. Das libysche Parlament hat den Angriff auf das Schärfste verurteilt. Nähere Einzelheiten sind nicht bekannt. Es wurde eine Untersuchung eingeleitet.
https://www.libyaherald.com/2021/02/18/unsmil-and-hor-condemn-sebha-attack-on-civilians-during-17-february-celebrations/

+ 17.02.: Tripolis/Entführung. Der libysche Sänger Ramadan Salem, bekannt als ‚Maniglesias‘, ist in der libyschen Hauptstadt Tripolis entführt worden. Salem hatte zuvor an den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der libyschen ‚Revolution‘ teilgenommen.
https://twitter.com/LibyaReview/status/1362325015446884353

Neu eingesetzte ‚Interimsregierung‘

+ 18.02.: Dabaiba/Ägypten. Der designierte Premierminister von Tripolis, Abdel-Hamid Dabaiba, wurde in Kairo vom ägyptischen Präsidenten es-Sisi im Beisein des ägyptischen Premierministers und des Chefs des ägyptischen Geheimdiensts empfangen. Laut dem Sprecher der ägyptischen Regierung habe Dabaiba seine Wertschätzung für die Unterstützung Ägyptens im Kampf gegen Terrorismus und Extremismus ausgedrückt. Dabaiba freue sich auf den Aufbau einer umfassenden Partnerschaft mit Ägypten in den Bereichen Sicherheit, Stabilität, Entwicklung und Reformen. Beide Seiten vereinbarten eine enge Zusammenarbeit.
https://libyareview.com/10453/libyan-pm-dbaiba-meets-president-al-sisi-in-cairo/
Hört, hört!

+ 16.02.: UN/‘Interimsregierung‘. In einem Telefongespräch mit dem designierten Vorsitzenden des Präsidialrats, Mohamed Menfi, und dem designierten Premierminister Abdel-Hamid Dabaiba forderte UN-Generalsekretär Guterres den sofortigen Abzug aller ausländischen Truppen und Söldner aus Libyen. Er forderte auch, dass die neue Regierung auf die Abhaltung von Wahlen 2021 hinarbeiten müsse.
https://libyareview.com/10426/guterres-calls-for-the-withdrawal-of-foreign-fighters-from-libya/

+ 08.02.: ‚Interimsregierung‘/Analyse von Emadeddin Badi und Wolfram Lacher. Es heißt in CarnegieEndowment: „Diese neue Exekutive hat die Aufgabe, eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, die wiederum Libyen auf allgemeine Wahlen im Dezember 2021 vorbereiten soll. Die UN-geleiteten Verhandlungen, die zur Wahl des neuen Exekutivorgans führten, der eine etablierte und nicht rechenschaftspflichtige Elite entmachten sollte, hat stattdessen jedoch genau diese Elite rehabilitiert – und ihr erlaubt, die Gespräche zu dominieren und deren Ergebnis zu gestalten. Das Abkommen wird den Zugang zur Beute innerhalb dieser politischen Klasse neu ordnen und somit seinen Befürwortern ermöglichen, sich weiterhin an offizielle Positionen zu klammern. Es ist für sie auch ein Anreiz, Fortschritte in Richtung Wahlen zu blockieren.“
Weiter heißt es: „Bei den Verhandlungen wurden alle inhaltlichen Differenzen, die zwischen den libyschen Konfliktparteien bestehen, ausgeklammert – wie etwa die Frage, wer eine vereinheitlichte Armee führen sollte oder wie die Rechenschaftspflicht für die Verbrechen während der Kriege der vergangenen Jahre sichergestellt werden sollte. Anstatt einen politischen Konsens als Grundlage für eine einheitliche Regierung zu schmieden, wurden unter den 74 Mitgliedern des LPDF Mehrheitsentscheidungen getroffen mit dem Ergebnis, dass die vier Personen, die zur Führung der neuen Exekutive gewählt wurden, keine gemeinsame politische Vision verbindet. Ihr einziges gemeinsames Interesse war es, mit Hilfe verschiedener lokaler Gruppierungen und Einzelpersonen die notwendigen Stimmen zusammenzubringen. Jede der vier gewählten Personen wird nun von konkurrierenden Fraktionen unter Druck gesetzt werden, sich mit einer Berufung in die neue Regierung zu revanchieren. Das verheißt nichts Gutes für die Fähigkeit der neuen Exekutive, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen.“
Der Wahlprozess habe viele Verlierer hervorgebracht, so dass von einer Einheitsregierung keine Rede sein könne. Die Liste der Sieger habe nur 53 Prozent der Stimmen im LPDG erreicht, wobei das LPDG selbst nicht repräsentativ für die politische und militärische Landschaft Libyens sei. Die neue Exekutive Libyens stehe auf einer extrem schmalen Basis. Vor Ort werde das LPDG weithin als eine Zusammenkunft opportunistischer, gieriger Politiker mit wenig Legitimität oder Einfluss gesehen. Dieser Eindruck herrsche auch unter den bewaffneten Gruppen vor.
Im Gegensatz zu den drei Mitgliedern des Präsidialrats, die über keine nennenswerte eigene Machtbasis verfügen, habe Premierminister Abdel-Hamid Dabaiba durchaus Einfluss, weil er und sein Cousin und Geschäftspartner Ali Dabaiba, der dem LIFG angehört, seit 2011 den Reichtum, den sie als Führungskräfte unter Gaddafi auf dubiose Weise angehäuft haben, dazu nutzten, mehrere Milizen in ihrer Heimatstadt Misrata zu finanzieren. Dementsprechend umstritten ist der neue Premierminister Dabaiba. Er und seine Liste hätten sich nicht deshalb durchgesetzt, weil sie überzeugt haben, sondern weil die Niederlage ihrer Konkurrenten sichergestellt werden sollte. Dazu zählten vor allem Aguila Saleh als Vertreter des Parlaments im Osten und Fatih Bashagha, als Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis. „Dabaiba gewann auch die Unterstützung von Politikern und mit ihnen verbündeten mafiaähnlichen Milizen in Tripolis und Zawiya, die mit Bashagha auf Kriegsfuß standen.“
Dies alles scheint darauf hinauszulaufen, dass konkurrierende Fraktionen die Gelegenheit ergreifen werden, sich den libyschen Ölreichtum gemeinsam unter den Nagel zu reißen sowie ihre jeweilige Klientel und Milizen zu stärken – so wie es die bisherigen Regierungen nach 2011 taten, einschließlich der Ende 2015 gebildeten ‚Einheitsregierung‘.
Von LNA-Oberbefehlshaber Khalifa Haftar wird erwartet, dass er eine ambivalente Haltung gegenüber dem neuen Regierungsgremium beibehält, die gelegentlich in offene Feindseligkeit umschlagen dürfte, während gleichzeitig die Möglichkeiten, die die neue Struktur bietet, maximal ausgenutzt werden. Die Chancen für eine Einigung über die Zusammenführung der libyschen Streitkräfte wird gleich Null eingeschätzt, dazu säße das Misstrauen zu tief.
Es sei zu vermuten, dass die ‚Interimsregierung‘ auf die gleichen Probleme stoßen wird wie ihre Vorgängerin, die ‚Einheitsregierung‘. Ihre Legitimation durch das Parlament und auch durch das LIFG sei wegen fehlender Mehrheiten unwahrscheinlich. Unterdessen würden die ausländischen Akteure weiterhin versuchen, die libyschen Spaltungen aufrechtzuerhalten, um die sich daraus für sie ergebenden wirtschaftlichen Vorteile zu nutzen. Das Ziel, Wahlen abzuhalten, sei in weite Ferne gerückt.
https://carnegieendowment.org/sada/83839

Verschiedenes

+ 16.02.: Verfassungsreferendum/Saleh. Parlamentspräsident Aguila Saleh erklärte, das Referendum über eine Verfassung erst nach den Präsidentschaftswahlen im Dezember abhalten zu wollen. Es sei wichtig, den Verfassungsentwurf nicht überstürzt zu verabschieden, „weil er fast die Einstimmigkeit des libyschen Volkes erfordert.“ Die Abstimmung über die Verfassung soll in drei Bezirken (Tripolis, Kyrenaika, Fessan) stattfinden, wobei jeweils mindestens 50 Prozent Ja-Stimmen für die Annahme notwendig sind.
https://libyareview.com/10383/ageela-saleh-parliament-to-vote-on-confidence-of-interim-government/
Sollte auf die Abhaltung des Verfassungsreferendums vor den Wahlen bestanden werden, könnte dies die Wahlen bis in alle Ewigkeit hinauszögern.
Auf Twitter heißt es dazu: „Lasst den Countdown für die Wahlen beginnen. Ich will keine verflixten Ausreden hören, warum sie nicht rechtzeitig organisiert werden können, warum die Ergebnisse wegen niedriger Wahlbeteiligung oder Wahlfälschungen nicht zählen oder irgendeine andere lahme Ausrede, um die Ergebnisse zu kippen.“
https://twitter.com/ibnthabit/status/1362373569766907909

+ 19.02.: Wahlen/Politiker. LibyaDesk: „Eine mögliche Bedrohung für freie und faire Wahlen im Dezember zeichnet sich in den jüngsten Bestrebungen der politischen Eliten in Libyen ab. Politiker aller Seiten drängen auf indirekte Präsidentschaftswahlen (über ein neues Parlament), um direkte Präsidentschaftswahlen zu vermeiden. Der Grund für diesen Vorstoß ist, dass 200 Abgeordnete leichter zu beeinflussen sind als 6 Millionen Libyer. Die meisten Status-quo-Politiker befürchten, dass sie keine Chance auf ein Regierungsamt haben werden, wenn die Entscheidung dem libyschen Volk überlassen wird. Die Ergebnisse des LPDF bestätigen diese Argumentation.
https://twitter.com/LibyaDesk/status/1362707795041275904

+ 18.02.: Milizen/Menschenrechtsverbrechen. Laut Amnesty International ist das libysche Volk Tötungen, Entführungen, Folter und Zwangsvertreibungen ausgesetzt. AI veröffentlichte einen ausführlichen Bericht zum Thema „Menschenrechte in Libyen seit 2011“. Demnach haben die bisherigen Regierungen „Anführer von Milizen gefördert und legitimiert, die für abscheuliche Gewalttaten verantwortlich sind“.
Seit dem Sturz der Dschamahirija-Regierung versuchten die verschiedenen Regierungen in Tripolis, die Milizen in eine militärische Struktur zu integrieren. Dazu wurden sie vom Staat finanziert.
Eine dieser Milizen ist die Abu-Salim-Central-Security-Force unter dem Kommando von Abdel-Ghani al-Kikli (alias Gheniwa). Al-Kikli wurde im Januar zum Leiter einer neuen militärischen Einheit ernannt, der Stability Support Authory, die mit weitreichenden Befugnissen zur Strafverfolgung ausgestattet und direkt dem Präsidialrat unterstellt ist. Genau jenen Kikli-Milizen wirft AI schwere Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen vor. Dazu Diana Etahawy von AI: „Solange die Verantwortlichen für die Verstöße nicht vor Gericht gestellt, sondern mit Machtpositionen belohnt werden, solange werden Gewalt, Chaos, systematische Menschenrechtsverletzungen und das endlose Leiden der Zivilbevölkerung, die das Nach-Gaddafi-Libyen charakterisieren, unvermindert weitergehen“.
Nachdem bereits in den Jahren 2013 und 2014 al-Kikli-Milizen Entführung, Folter und Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen wurden, die auch zum Tod von Häftlingen führten, unterstellte die ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis 2016 diese Milizen dem Innenministerium und verschaffte ihnen somit einen legalen Status, unter dem es für sie noch einfacher war, ihren Menschenrechtsverbrechen nachzugehen. Insbesondere musste sich die al-Kikli-Miliz den Vorwurf von sexueller Gewalt gegen weibliche Gefangene gefallen lassen.
Und außergerechnet der berüchtigte Haitham at-Tadschuri, Kommandant der Miliz Tripoli Revolutionaries Brigade (TRB), dem willkürliche Verhaftungen und gewaltsames Verschleppen sowie Folter von Zivilisten vorgeworfen wird, ist seit Januar 2021 Stellvertreter von al-Kikli.
Die gleichen Verbrechen, denen die Milizen von al-Kikli und at-Tadschuri beschuldigt werden, werden von AI auch der ar-Rada-Miliz unter dem Kommando von Abdel-Rauf Kara vorgeworfen und sind bei der UN dokumentiert. Die ar-Rada-Miliz wurde 2018 in das Innenministerium der ‚Einheitsregierung‘ integriert.
Außerdem wurde im September 2020 Emad at-Trabulsi, Kommandant einer Miliz für öffentlichen Sicherheit, zum stellvertretenden Leiter der Nachrichtendienste befördert. Auch Trabulsis Miliz werden schwere Verbrechen an Migranten, einschließlich des Verschleppens von Menschen vorgeworfen.
https://libyareview.com/10459/amnesty-international-gna-legitimised-armed-militias-in-libya/
https://almarsad.co/en/2021/02/19/amnesty-international-libyan-governments-have-legitimised-militia-leaders-guilty-of-war-crimes/
https://twitter.com/amnesty/status/1361948576499314696
Man muss schon als Menschenrechtsverbrecher ziemlich was auf dem Kerbholz haben, um in der ‚Einheitsregierung‘ Karriere zu machen.

+ 18.02.: Belhadsch/‘Einheitsregierung‘/Türkei. Der ehemalige Anführer der dschihadistischen LIFG und Chef der libyschen Al-Watan-Partei, Abdel-Hakim Belhadsch, lobte die Türkei: Indem sie die ‚Einheitsregierung‘ unterstütze, trete sie für die Einheit und Stabilität Libyens ein. Belhadsch setzte sich in einem Interview auch für die Beibehaltung der zwischen der Türkei und der ‚Einheitsregierung‘ im November 2019 getroffenen Abkommen (Memoranden of Understanding) ein und begrüßte den neu bestimmten Präsidialrat.
Gegen Belhadsch liegt ein Haftbefehl der libyschen Generalstaatsanwalt vor.
https://libyareview.com/10456/belhaj-hails-turkey-for-supporting-stability-in-libya/

+ 16.02.: Williams/Politisches Isolationsgesetz. Die amtierende UN-Gesandte für Libyen, Stephanie Williams, sagte, der Ausschluss von Anhängern des ehemaligen Gaddafi-Regimes sei eine der Hauptursachen für den Konflikt im Land. Williams wies darauf hin, dass das Politische Isolation Gesetz des Jahres 2013, dass alle Beamten der Gaddafi-Ära von öffentlichen Ämtern ausschloss, den Konflikt befeuert habe.
Williams: „Die Libyer sind erschöpft“. Es gebe eine Menge Herausforderungen. So bräche, wenn nichts unternommen werde, im Sommer die Stromversorgung zusammen. Auch verwüste die Covid-19-Pandemie das Land.
https://libyareview.com/10399/stephanie-williams-excluding-gaddafi-supporters-drove-conflict-in-libya/

+ 16.02.: Sabrata/Versammlungen. Parlamentsmitglieder, die sich in Sabrata versammelt hatten, um die Zusammenführung des Parlaments zu beraten, wurden von dschihadistischen Sprechchören gestört. Die Parlamentarier forderten daher strengere Sicherheitsvorkehrungen für ihre Treffen.
Said al-Obaidi, der den Schura-Räten und der Moslembruderschaft nahesteht, hatte zeitgleich vor versammelten Dschihadisten-Anhängern eine Rede gehalten. https://twitter.com/ObservatoryLY/status/1361689023404720133
https://libyaherald.com/2021/02/16/77-

+ 17.02.: Entführung. Eine Gruppe von libyschen Aktivisten und Anwälten fordert die Freilassung von Widad asch-Schergi. Die junge Libyerin wurde in Zawiya (westlich von Tripolis), entführt. Ihre Familie hat seit dem 2. Februar nichts mehr von ihr gehört.
https://twitter.com/ClaudiaGazzini/status/1362096593026039817

+ 17.02.: Migration. Laut der Internationale Organisation für Migration (IOM) summierten sich in den letzten beiden Jahren die Zahl der libyschen Migranten, die auf dem Seeweg in Italien ankamen, auf 582. Im Jahr 2019 verzeichnete die IOM 196 Libyer, während sie im letzten Jahr 386 Libyer registrierte. Aufgrund der schlechten Lebensverhältnisse machen sich auch immer mehr Libyer auf den gefährlichen Weg, um auf ‚Todesbooten‘ über das Mittelmeer Europa zu erreichen.
https://www.libyaherald.com/2021/02/17/582-illegal-libyan-migrants-arrived-in-italy-over-the-last-two-years-iom/

Febr.: LMd schreibt in dem Artikel „Frankreichs Krieg im Sahel“: „Der Urfehler wurde allerdings schon 2011 begangen, als eine französisch-britische Militärintervention unter der Flagge der Nato das Regime von Muammar al-Gaddafi wegbombte. Und zwar ohne Rücksicht auf Frankreichs Verbündete im Sahel. >Ich habe davon aus dem Radio erfahren<, empörte sich damals der nigrische Präsident Mahamadou Issoufou – und gegen den Widerstand der Afrikanischen Union, die sich um eine Vermittlung bemühte.
Die Folge waren fast zehn Jahre Bürgerkrieg mit einem florierenden Waffenhandel und einem regen Hin und Her von Kämpfern, die einen Flächenbrand in der ganzen Region auslösten. Für die Instabilität in der Sahelregion habe dieses Ereignis nach wie vor eine >Multiplikatorwirkung<, so der mauretanische Staatschef und derzeitige G5-Sahel-Vorsitzende Mohamed Ould Ghazouani. Er ist überzeugt, dass es eine dauerhafte Stabilisierung der Sahelregion ohne eine Lösung des Libyenkonflikts nicht geben wird.“
LeMondediplomatique / Februar 2021

+ 16.02.: Wettereskapaden. Wintereinbruch in Libyen.
https://twitter.com/MLNA2021/status/1361605084413652998

19.02.2021

 

Montag, 22. Februar 2021


Zehn Jahre Trauer um Libyen

† Libyen. 17. Februar 2011: Libyen musste zerstört werden, weil es erfolgreich war.

Angelika Gutsche |

Der Krieg gegen Libyen begann vor zehn Jahren am 17. Februar 2011. Neun Monate später war das bis dahin wohlhabendste Land Afrikas zerstört, wurden viele seiner Menschen gefoltert, getötet, gefangengenommen, wurde Muammar al-Gaddafi brutal ermordet und sein geschändeter Leichnam in Misrata zur Schau gestellt.

Libyen hatte bis 2011 ein erstklassiges Sozialsystem, eine ausgezeichnete Infrastruktur, die medizinische Versorgung war kostenlos, die Krankenhäuser modern ausgestattet, die Ausbildung kostete nichts und der Staat vergab Auslandsstipendien für seine Studenten. Noch 2010 fand sich die Libyan Arab Djamahirija auf Platz 53 des Human Development Index der Vereinten Nationen wieder. [1] Libyen hatte den höchsten Lebensstandard in ganz Afrika erreicht und war in Bezug auf Frauen- und Menschenrechte innerhalb der arabischen Ländern führend. Das hatte ausgerechnet dieser „tollwütige Hund“ Gaddafi mit seinem Dschamahirija-„Schurkenstaat“ (Ronald Reagan) erreicht.

Im April 2011, vor zehn Jahren, als der Nato-Krieg gegen Libyen schon richtig Fahrt aufgenommen hatte, schrieb ich in meinem ersten Blogbeitrag mit dem Titel „Trauer um Libyen“: „Dies ist ein ausgesprochen dummer Krieg, angezettelt von USA, Großbritannien und Frankreich, direkt vor den Türen Europas, nur wenige Seemeilen von Malta, Zypern und den italienischen Inseln entfernt. Er wird uns mehr bewegen als die Kriege in Afghanistan und im Irak, nicht alleine durch die nun einsetzenden Flüchtlingsströme aus Afrika. Und wie wird alles enden? Zu befürchten ist, dass aus diesem Krieg nur Verlierer und ein zerstörtes Libyen hervorgehen werden.“[2]

Damals war ich noch der Meinung, dass die USA und ihre Mittäter nicht aus bösem Willen, sondern aus Dummheit gehandelt hätten. Heute weiß ich, welch nachlesbar perfider Plan hinter all dem stand und immer noch steht. Ich habe dazu gelernt in Sachen Weltpolitik, Geheimdienste, die Instrumentalisierung religiöser und politische Bewegungen und Minderheiten. Vieles wollte ich gar nicht wissen, weil es schlaflose Nächte bereitet und an dieser Welt verzweifeln lässt.

Ich habe Bücher wie David Talbots „Schachbrett des Teufels“ und Bob Woodwards „Geheimcode Veil – Reagan und die Kriege der CIA“ gelesen und mich nach der Lektüre dieser Büches gefragt, wie ein Mensch, der solcher psychologischer Kriegsführung und solchen Verleumdungskampagnen ausgesetzt war wie Gaddafi, es schaffte, daran nicht zu zerbrechen. Wie schaffte es auch das kleine Libyen mit seinen sechs Millionen Einwohnern den übermächtigen USA fast vierzig Jahre lang Paroli zu bieten?

Viel wurde geschrieben über den Anschlag auf ein PanAm-Zivilflugzeug, bei dem am 21. Dezember 1988 über Lockerbie 270 Menschen ums Leben kamen. Mit der nachweislich fälschlichen Zuschreibung des Lockerbie-Anschlags gelang es den USA und Großbritannien, den Namen Gaddafi zum Synonym für Terrorismus zu machen und Gaddafis guten Ruf, den er auch dank seines Charismas bei der damaligen westlichen Jungend genoss, für immer zu zerstören.

Libyens Weg durch die Geschichte führt entlang der Schnittkante zwischen Europa und Afrika, beide Kontinente verbunden durch das Mittelmeer. So war Libyen durch alle Zeiten das Objekt der Begierde ausländischer Mächte und deren Wunsch nach dem Zugriff auf Afrika. Und so wurde mit der Zerschlagung Libyens Afrika in seiner Gesamtheit getroffen und seinem Streben nach Unabhängigkeit und Wohlstand ein vorläufiges Ende bereitet. Unter der Vortäuschung einer humanitären Intervention lebten Imperialismus und Kolonialismus wieder auf, wurde die gesamte Sahelzone destabilisiert.

Wir bereisten Libyen in den Jahren zwischen 2000 und 2005 und haben ein interessantes Land mit liebenswerten und hilfsbereiten Menschen kennengelernt und wunderbare Erfahrungen gesammelt. Heute ist es kaum noch möglich, Länder Nordafrikas zu bereisen. Nicht nur Kriege, sondern auch Corona und die damit verbundenen Reisebeschränkungen verhindern, sich vor Ort und in Gesprächen ein Bild von dem Geschehen in fremden Ländern zu machen. Dies wird es den Mächtigen im Zusammenspiel mit willfährigen Medien erleichtern, mit Lügen und der Vorspiegelung falscher Tatsachen ein Aufbäumen gegen die wirklichen Ungerechtigkeiten dieser Welt und das Leiden in ihr zu verhindern.

Angesichts der Verwüstungen, die der Krieg gegen Libyen angerichtet hat, der Wunden, die der Nato-Bombenterror 2011 schlug, der militärischen und politischen Kämpfe, die eine ungeliebte Moslembruderschaft an die Macht brachten und heute noch dort hält, und dem Zerfall aller staatlichen und Sicherheitsstrukturen, scheint der Wunsch, mit dem ich 2011 meinen ersten Artikel zu Libyen beendete, zwar in weite Ferne gerückt, ist aber nichtsdestotrotz immer noch lebendig: „Dabei wäre es doch so wünschenswert, dass uns bei Libyen nicht mehr die Namen von Kriegsschauplätzen einfielen, sondern wieder die Namen der einzigartigen Naturschönheiten wie Akakus-Gebirge und Mandara-Seen oder der wunderbaren Kulturdenkmäler wie das antik-römische Leptis Magna oder das alt-griechische Kyrene. Und nicht zuletzt sei gedacht der vielen gastfreundlichen Menschen, die uns auf unseren Reisen durch Libyen begegneten und die hoffentlich bald wieder in Frieden in ihrem Land leben können.“

[1] Bis 2019 war Libyen auf den 110. (!) Platz abgerutscht.
hdr.undp.org/sites/default/files/reports/270/hdr_2010_en_complete_reprint.pdf

[2] https://www.freitag.de/autoren/gela/trauer-um-libyen

16.02.2021

 

10 Jahre Krieg - Was 2011 wirklich geschah

Libyen. Im Februar 2011 begann ein Krieg, der Libyen seiner Freiheit, Souveränität und seines Wohlstands beraubte und der bis heute andauert.

Angelika Gutsche |

In Bengasi kam es am 15. Februar 2011 zu ersten Anti-Gaddafi-Protesten von wenigen hundert Personen. Es erfolgte ein von im Ausland lebenden Libyern initiierter Aufruf zum ‚Tag des Zorns‘ am 17. Februar 2011. Ihm folgten in einigen Städten mehrere Tausend Demonstranten. Bereits fünf Jahre vorher war es in Bengasi am 17. Februar bei Protesten gegen die Mohammed-Karikaturen zu Gewalttätigkeiten gekommen, als von Islamisten das italienische Konsulat in Brand gesteckt wurde. Bei den damaligen Unruhen waren zehn Personen ums Leben gekommen. Es war also klar, aus welcher Richtung auch 2011 die Proteste kamen.

Die Demonstrationen schlugen umgehend in Gewalttätigkeiten um. Die FAZ berichtete am 18. Februar 2011 von 200 Demonstranten in Bengasi, die des Nachts Brandsätze gelegt, Steine geworfen und den Rücktritt der Regierung gefordert hatten. Von den 14 Verletzten seien zehn Angehörige der Sicherheitskräfte gewesen. Am 21. Februar schrieb die Presseagentur AFP, bewaffnete Islamisten hätten in Derna, das schon immer eine Hochburg der Dschihadisten gewesen war, den Hafen und ein nahe gelegenes Armeedepot gestürmt, Soldaten und Zivilisten als Geiseln genommen und zu erschießen gedroht, falls sich die libysche Armee nicht aus der Stadt zurückziehe. Und die britische BBC zitierte Bauarbeiter aus der Türkei, die berichteten, wie achtzig Mitarbeiter ihrer Firma aus dem Tschad mit Äxten von ‚Aufständischen‘ niedergemetzelt wurden. Man beschuldigte sie, Söldner Gaddafis zu sein. Nicht berichtet wurde, dass bereits am 15. Februar in Zinten und al-Baida Polizeistationen brannten und Polizisten nach späteren Aussagen von Ärzten mit schweren Brandwunden in die Krankenhäuser eingeliefert werden mussten. Zwei Polizisten wurden in Bengasi gelyncht. Mit dieser brachialen Vorgehensweise gelang es den extremistischen Islamisten, Bengasi schon nach fünf Tagen unter ihre Gewalt zu bekommen.[1]

Gezielte Aktionen von agents provocateurs, die in Demonstrationen schossen, Polizisten ermordeten und Polizeireviere in Flammen aufgehen ließen, forderten die Staatsmacht heraus, die eingreifen musste. Daniele Ganser bemerkt, dass „in allen drei NATO-Kriegen [Libyen, Syrien und Ukraine] auf verdeckte Kriegsführung gesetzt wurde… es waren Geheimoperationen, welche die Situation eskalieren ließen, während die Drahtzieher im Hintergrund blieben. Für den UNO-Sicherheitsrat und die Bevölkerung in den NATO-Ländern sind solche Konflikte schwer zu durchschauen, da die an der verdeckten Kriegsführung beteiligten Länder jegliche Kontakte zum Kriegsschauplatz leugnen und ihre Spuren verwischen.“[2]

In dieser Lage ging das libysche Militär mit Maschinenpistolen gegen die ‚Aufständischen‘ vor. Auch wenn es nun tatsächlich unter den Aufständen Todesopfer gab, bestätigten weder die UNO, noch das Pentagon oder westliche Botschaften, dass Gaddafi – wie von der westlichen Presse behauptet – friedliche Demonstranten aus der Luft angreife. Auch der Bundesregierung lagen keine Beweise für eine Bombardierung vor.

Während des sogenannten ‚Arabischen Frühlings‘ hatten der amerikanische Geheimdienst CIA und der britische Geheimdienst MI6 Aufständischengrupen unterstützen und gezielt Spannungen zwischen den verfeindeten Gruppen geschürt. Die Vorgänge in Libyen waren vom Ausland gesteuert. Laut Jürgen Todenhöfer gelangten Waffen und Geld ins Land, „Hauptsponsor war […] in Libyen das kleine Katar.“[3]

Muammar al-Gaddafi hielt eine emotionale Rede, in der er sagte, „es sind nur sehr wenige“, „es sind ein paar Terroristen“. Er verwies auf al-Kaida-Führer und bezeichnete diese als „Ratten“. In den westlichen Medien wurden Aussagen Gaddafis nicht nur aus dem Zusammenhang gerissen, sondern er wurde auch falsch zitiert. Seine Aussage, er werde „Libyen Stück für Stück, Haus für Haus, Wohnung für Wohnung, Gasse für Gasse“ von diesen ‚Rebellen‘ säubern, wurde in einem geschmacklos abgemischten Video eines israelischen Reporters weltweit verbreitet und der britische Außenminister William Hague behauptete, Gaddafi hätte damit gedroht, „von Haus zu Haus, von Zimmer zu Zimmer zu gehen und sich an der Bevölkerung von Bengasi zu rächen“. „Viele Leute werden sterben.“[4]

Gaddafi hatte zwar den gewalttätigen ‚Rebellen‘ massiv gedroht, frei erfunden war jedoch die Behauptung, seine Drohungen hätten sich gegen die Zivilbevölkerung gerichtet. Der UN-Menschenrechtsbeauftragte Richard Falk meinte, der „Grad der Unterdrückung“ in Libyen sei nicht „durchdringender und schwerer“ als in anderen autoritär regierten Staaten gewesen.[5]

Muammar al-Gaddafis Sohn, Saif al-Gaddafi, beschreibt die damaligen Vorgänge Jahre später[6]:Die Agonie Libyens begann am 15. Februar 2011 mit den üblichen Protesten und Demonstrationen für die im Abu-Salem-Gefängnis Inhaftierten. Die Demonstrationen wurden schon bald von Mitgliedern dschihadistischer Gruppen wie der Libyan Islamic Fighting Group LIFG gekapert. Sie griffen Polizeistationen und Armeeunterkünfte in Derna, Bengasi, Misrata und az-Zawja an, um Waffen für den geplanten Krieg gegen das libysche Volk und seine rechtmäßige Regierung zu erbeuten.

Gleichzeitig wurde eine Propagandamaschinerie in Gang gesetzt. Daran beteiligt waren Al-Jazeera, Al-Arabia, BBC, France 24 und andere Sender, die das libysche Volk aufforderten, sich gegen die Staatspolizei zu stellen, als diese versuchte, Regierungsgebäude und Volkseigentum vor Angriffen und Plünderungen zu schützen.

Auf Straßen, Brücken und in den Gebäuden der Sicherheitskräfte spielten sich entsetzliche Szenen ab, in deren Verlauf die Demonstranten unvorstellbare Verbrechen gegen die Menschlichkeit begingen. Sicherheitskräften, Militärpersonal und Polizisten wurden die Kehlen durchschnitten, es wurde ihnen das Herz herausgerissen und ihre Körper zerstückelt. Es war eine Show von tierischer Brutalität.

Nur ein Beispiel: Am 16. Februar 2011, dem ersten Tag der Unruhen, haben die sogenannten friedlichen Demonstranten einen Mann namens Musa al-Ahdab ermordet und verbrannt. Am selben Tag wurde in Bengasi ein Polizeioffizier ermordet und seine Extremitäten in Stücke geschnitten.

Solche barbarischen Handlungen wurden von den bewaffneten Demonstranten ausgeführt, genauso wie sie Panzer, Maschinengewehre und Flags in den Städten Misrata, Bengasi und al-Azawija einsetzten. Diese Handlungen und weitere solche Szenen sind gut dokumentiert und können auf youtube und anderen sozialen Medien angesehen werden.

Die tatsächlichen Opferzahlen standen im Gegensatz zu dem, was von den voreingenommenen Medien berichtet wurde. […] Die behauptete hohe Anzahl von Opfern blieb eine rein statistische Zahl, ohne Bekanntgabe der Namen oder Identitäten, ebenso wenig wie von Opferfamilien Schadensersatz von der Regierung gefordert wurde.

Die Propagandakampagne und die Lügen, die mit Verunglimpfungen des Militärs einhergingen, betrafen nicht nur die erhöhten Opferzahlen, sondern man behauptete auch, das Regime benutze Militärflugzeuge, um Zivilisten anzugreifen. Es wurde von Vergewaltigungen durch Armeeangehörige und Sicherheitskräfte berichtet. Es hieß, in den Panzern sei Viagra gefunden worden,[7] auch sollten afrikanische und algerische Söldner in der libyschen Armee kämpfen und Piloten sich nach Malta abgesetzt haben. Bis heute konnte für keine einzige dieser Behauptungen ein Beweis gefunden werden. Die Vereinten Nationen, Amnesty International, Human Rights Watch sowie Untersuchungen des Westens konnten keinen einzigen der insgesamt 8.000 Fälle bestätigen, die von den libyschen Oppositionellen gemeldet worden waren.“

So wie auch heute noch stellten sich die Vorgänge in den internationalen Medien völlig anders dar als vor Ort in Libyen. Thierry Meyssan schreibt: „Im Gegensatz zu den Informationen aus Bengasi und von den Vereinten Nationen versicherten die in Tripolis anwesenden Diplomaten und Journalisten, dass dort nichts auf eine Revolution hindeutete.“ Meyssan weist noch einmal ausdrücklich darauf hin, dass die Grundlagen für das Grüne Buch von Muammar al-Gaddafi, das die theoretische Grundlage der Regierungsform einer libyschen Dschamahirija bildete, maßgeblich durch die Lektüre der französischen freiheitlichen Sozialisten des 19. Jahrhunderts beeinflusst worden war. Charles Fourier und Pierre-Joseph Proudhon hätten Gaddafis Denken geprägt.

Selbst die Washington Post musste widerstrebend eingestehen: „Viele Libyer scheinen Gaddafi zu unterstützen.“ Weiter: „Aber nach sechs Tagen alliierter Bombenangriffe auf libysche Militärziele ist klar, dass Gaddafi in den weiträumigen Gebieten, die jenseits der von Rebellen beherrschten Enklaven im Osten des Landes liegen, auf die kämpferische Loyalität eines bedeutenden Teils der Bevölkerung zählen kann.“ Weiter: „Sogar Gaddafis Gegner, die sich ihren Unmut nur außerhalb der Hörweite von Regimebefürwortern äußern trauten, räumen ein, dass der Mann, der Libyen für mehr als 42 Jahre regierte, nun wirklich Unterstützung braucht.“[8]

Dessen ungeachtet wurde in Genf eine Sitzung des UN-Menschenrechtsrats einberufen. Dort behauptete die Libysche Liga für Menschenrechte, dass der „Diktator“ sein „eigenes Volk massakriere“. Eine plötzlich erschienene libysche Delegation bestätigte diese Zeugenaussagen und erklärte sich mit dem libyschen Volk und seiner Erhebung gegen den Diktator solidarisch.

Der UN-Sicherheitsrat verabschiedete daraufhin die Resolution 1970, die auch den Einsatz von Gewalt vorsah. Über Libyen wurde ein Embargo verhängt und die Sache an den Internationalen Strafgerichtshof weitergeleitet. Das Credo der internationalen Medien lautete: „Der Diktator muss weg.“

In Bengasi wurde am 27. Februar der Libyen National Transitional Council (LNTC), der Nationale Übergangsrat, eingesetzt, der sich aus Mitgliedern der Muslimbruderschaft, Exilpolitikern zweifelhaften Rufes, königstreuen Idris-Anhängern und einigen Überläufern aus der Dschamahirija-Regierung zusammensetzte. Immer mit dabei: ein special representative der USA namens Christopher Stevens, der später in Bengasi von Islamisten ermordete US-Botschafter für Libyen. Der Nationale Übergangsrat, der unverzüglich vom Westen als legitime Vertretung der ‚libyschen Bevölkerung‘ anerkannt wurde, forderte im Einklang mit Stevens mit Nachdruck eine Flugverbotszone über Libyen. Auch wollte Stevens ein erhöhtes militärisches Engagement in Libyen mittels Lufteinsätze und Spezialkräften am Boden.[9]

Der libysche Justizminister Abdul Dschalil stellte eine provisorische Regierung auf. Dschalil setzte ein Krisenkomitee ein, dessen Vorsitz Mahmud Dschibril einnahm, der bis vor kurzem noch die Nummer zwei in Gaddafis Kabinett gewesen war. Die Moslembrüder hatten sowohl im LNTC als auch in der Regierung das Sagen. Die alte monarchische Flagge wurde aus der Mottenkiste geholt und der Sohn des ehemaligen König Idris, Mohamed Senussi, erklärte sich bereit, in Libyen wieder die Macht zu übernehmen.

Dschalil gab im Mai 2014 in einem Interview des Senders al-Arabia zu, 2011 gelogen zu haben: „Gaddafi gab niemals den Befehl, Demonstranten zu töten. Das taten Scharfschützen aus dem Westen. Die Getöteten, die wir vorzeigten, waren Ausländer, die wir in libysche Kleidung gesteckt hatten.“[10] Dschalil hatte 2011 auch behauptet, dass in Kabinettssitzungen der Dschamahirija die Anwerbung von Söldnern aus dem Tschad und Niger zur Niederschlagung des Aufstands beschlossen worden waren. Noch am 13. März warnte er, die Länder, die sich nicht am Sturz Gaddafis beteiligten, würden keinen Zugang zu den libyschen Ölvorkommen bekommen[11]. Allerdings musste er schon im August 2011 eingestehen, bewusst falsch ausgesagt zu haben. Er habe mit seinen Aussagen die Gaddafi-Unterstützer verunsichern wollen. Sein wichtigster Beweggrund sei gewesen, die Scharia als die Grundlage der Gesetzgebung im ‚neuen‘ Libyen einzuführen. Es soll ein von Israel und Abd al-Dschalil unterzeichnetes Dokument existieren, in dem Israel Dschalil seine Unterstützung versichert. Eine Militärbasis an der libysch-algerischen Grenze wurde geplant.

Obwohl viele Afrika- und Libyenkenner vor der Gefahr eines failed state in Libyen warnten, forderte Mahmud Dschibril vor dem Europaparlament in Straßburg eine „humanitäre“ Intervention in Libyen.

In der UN-Resolution 1973 heißt es, dass „die in der Libysch-Arabischen Dschamahirija derzeit stattfindenden ausgedehnten und systematischen Angriffe gegen die Zivilbevölkerung möglicherweise Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.“ Es heißt ausdrücklich „möglicherweise“, d.h. diese Vorwürfe waren nicht durch unabhängige Quellen bestätigt. Es wurde eine „sofortige Waffenruhe und ein vollständiges Ende der Gewalt und aller Angriffe und Missbrauchshandlungen gegen Zivilpersonen“ gefordert und es sollte eine Lösung für die Krise gefunden werden, die den legitimen Forderungen des libyschen Volkes gerecht wird – diese Forderung erging an alle an dem Konflikt beteiligten Parteien, nicht ausschließlich an die Kräfte der Dschamahirija. Gefordert wurde explizit ein Dialog. Dies wurde von den kriegsführenden Mächten und ihren Mitstreitern unterlaufen, obwohl auch die AU, Venezuela, Russland und die Türkei versuchten, Verhandlungen in Gang zu setzen. Zu keiner Zeit deckte die UN Resolution einen Regime-Change und den Sturz Gaddafis, d.h. im Klartext: Es handelte sich beim Nato-Krieg gegen Libyen um einen Völkerrechtsbruch und einen völkerrechtswidrigen Krieg.

Jean-Paul Pougala schreibt[12]: „Es ist bestürzend, um es milde auszudrücken, dass zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen Krieg gegen ein Volk erklärt worden ist, ohne dass auch nur der leiseste Versuch zu einer friedlichen Lösung der Krise erkundet worden ist.“

Bereits vor Verhängung einer Flugverkehrszone waren Spezialeinheiten aus den USA, Großbritannien und Frankreich im Lande und unterstützten die ‚Aufständischen‘, die ihre Waffen von den USA, Katar und Saudi Arabien bezogen. Bereits am 6. März berichtete der Guardian, dass vier Tage vorher eine britische Spezialeinheit im Osten Libyens festgenommen worden war. Der britische SAS (Special Air Service) wurde in Bengasi gegen die Flugabwehr der libyschen Armee eingesetzt.[13] Daniele Ganser zitiert den Mirror vom 20. März 2011: „Hunderte britische SAS-Soldaten haben seit drei Wochen zusammen mit Rebellengruppen in Libyen operiert. Die Elitesoldaten wurden mit Hubschraubern im Land abgesetzt und setzten die Landesverteidigung außer Kraft.“ Und: „Die Elitesoldaten haben die wichtigste strategische Waffe der libyschen Armee ins Visier genommen, das SAM-5-Raketensystem.“

Auch der Independent berichtete am 7. März 2011, dass Agenten des MI6 im Raum Bengasi den Machtwechsel unterstützt hätten. Und die New York Times schreibt am 30. März: „[Es] haben kleine CIA-Einheiten als eine westliche Schattenarmee seit mehreren Wochen in Libyen gearbeitet.“ Daniele Ganser stellt klar „ dass auch die CIA vor der Verabschiedung der UNO-Resolution 1973 illegal in Libyen aktiv war.“ Und ein Mitarbeiter der US-Regierung erklärt: „Präsident Obama hat vor mehreren Wochen einen geheimen Beschluss unterzeichnet, welcher der CIA den Auftrag gibt, die Rebellen mit Waffen zu unterstützen.“ Über Obamas Außenministerin Hillary Clinton ist seit ihrer E-Mail-Affäre bekannt, dass sie über einschlägig bekannte Waffenhändler Waffen an al-Kaida-Leute liefern ließ, die auf der Terroristenliste der USA standen.

Da der UNO-Sicherheitsrat erst am 4. März 2011 die Flugverbotszone gefordert hatte, bedeutet dies, dass die Spezialeinheiten ohne UNO-Mandat und illegal die Souveränität Libyens missachteten und einen aggressiven Akt gegen das Land begingen.

Am 17. März 2011 startete Frankreich den ersten Angriff auf Libyen. Eine vorher über Libyen verhängte Flugverbotszone stellte eine ausländische militärische Oberhoheit über Libyen her, in deren Folge französische und britische Maschinen ungehindert das Land bombardieren konnten. Nicht nur libysche Militärstellungen und die Infrastruktur des Landes wurden zerstört, sondern unter dem Label „Schutz der Bevölkerung“ auch die Städte Sirte und Bani Walid als Hochburgen von Gaddafi-Anhängern. Die damals begangenen Kriegsverbrechen kamen bis heute nicht zur Anklage. Dagegen wurden Gaddafi immer hanebüchenere Verbrechen zur Last gelegt, kein Griff in die unterste Verleumdungsschublade war zu schmutzig. Karin Leukefeld schrieb: „Keine Recherche, keine Überprüfung, Medien werden Teil der Manipulation.“

Wie sehr der Krieg gegen Libyen auf Falschinformationen und Lügen fußte, bestätigte 2016 ein Untersuchungsbericht des britischen Parlaments.[14] Er kam zu dem Ergebnis, dass „diese Politik nicht von einer genauen Geheimdienstarbeit geprägt war. Beispielsweise überschätzte die Regierung fälschlicherweise die Bedrohung der Zivilisten und sie sahen nicht, dass ein signifikanter Teil der Rebellen aus Islamisten bestand. Im Sommer 2011 wurde die begrenzte ‚Intervention zum Schutz von Zivilisten‘ zur opportunistischen Politik des Regimewechsels mit militärischen Mitteln ausgeweitet. [...] Das Ergebnis war der politische und ökonomische Kollaps, Kämpfe zwischen Milizen und zwischen Stämmen, eine humanitäre und eine Migrantenkrise, umfangreiche Menschenrechtsverletzungen, die Verbreitung des Waffenarsenals von Gaddafi in der ganzen Region und das Anwachsen des IS in Nordafrika.“ Alison Pargeter[15] äußerte sich in dem Bericht schockiert über den Mangel an Wissen „über die historische und regionale Komplexität in Libyen“. Es sei nie gefragt worden, wieso der Aufstand in Bengasi und nicht in der Hauptstadt Tripolis begonnen habe und die Bedeutung der Stämme und Regionen sei unberücksichtigt geblieben.

Der Bericht folgert: Die Luftangriffe durch die NATO haben die Bedrohung durch islamistische Extremisten noch verschlimmert, der Aufstand der ‚Rebellen‘ hätte kaum Erfolg gehabt, wenn er keine militärische Unterstützung durch das Ausland erfahren hätte, Medien wie Al-Jazeera und Al-Arabiya verbreiteten unbewiesene Gerüchte über Gaddafi und die libysche Regierung, die NATO-Bombardierungen stürzten Libyen in eine humanitäre Katastrophe, tötete tausende Menschen und vertrieb hunderttausende, wodurch Libyen aus dem Land mit dem höchsten Lebensstandard zu einem vom Krieg zerrütteten, failed state wurde. Der Ausschuss für auswärtige Angelegenheiten erklärt: „Trotz seiner Rhetorik wurde die Annahme, Muammar Gaddafi hätte das Massaker an Zivilisten in Bengasi angeordnet, nicht durch verfügbare Beweise belegt.“

Hätte sich die NATO-Intervention auf die Vorgabe der UN gehalten, Zivilisten zu schützen, hätte sie laut dem Bericht ihren Einsatz bereits nach zwei Tagen beenden können. Denn bereits am 20. März 2011 zogen sich die libyschen Regierungstruppen etwa 40 Meilen (60 km) aus Bengasi zurück.[16] Es wurde jedoch dieser ‚Schutz der Bevölkerung‘ nicht in einen ‚Regimewechsel‘ umgewandelt, wie oft behauptet, sondern er war von Anfang an das Ziel. Während der damalige Premierminister David Cameron noch am 21. März 2011 dem House of Commons versicherte, dass mit der Intervention kein Regimewechsel herbeigeführt werden soll,[17] unterzeichnete er gemeinsam mit Barack Obama und Nicolas Sarcozy bereits im April 2011 ein Schreiben, in dem als Kriegsziel eine „Zukunft ohne Gaddafi“ angegeben wurde.[18]

In der Untersuchung kommt auch Amnesty International zu Wort, das feststellte: „die Berichterstattung in vielen westlichen Medien vermittelte von Anfang an eine sehr einseitige Sichtweise des Geschehens. Die Protestbewegung wurde als völlig friedlich dargestellt, während die Sicherheitskräfte des Regimes unbewaffnete Demonstranten massakrieren.“ AI fand auch keine Beweise, dass Viagra an die Soldaten ausgegeben und Frauen vergewaltigt wurden.

Als Lord Richards[19] gefragt wurde, ob er gewusst habe, dass Abdelhakim Belhadsch und andere al-Kaida Mitglieder, die Verbindungen zur Libyan Islamic Fighting Group LIFG hatten, an der Rebellion im März 2011 teilgenommen haben, sagte er nur, dies wäre eine „Grauzone“ gewesen.

Zusammenfassend stellt der Parlamentsbericht fest: „Das Ergebnis war der politische und wirtschaftliche Zusammenbruch, Krieg zwischen Milizen und Stämmen, humanitäre Krisen und Migrantenkrisen, weit verbreitete Menschenrechtsverletzungen, die Verbreitung von Waffen des Gaddafi-Regimes in der Region und das Wachstum des IS in Nordafrika.“

Insgesamt flog die NATO in Libyen 26.000 Einsätze und zerstörte bei 9.500 Angriffen 6.000 Ziele. Frankreich allein flog 5316 Einsätze und warf 1000 Bomben und 100 Missiles bei 1000 Angriffen ab.[20]

Das Ziel war erreicht: Libyen war in einen kaputten Staat mit einer zerstörten Infrastruktur gebombt geworden und, was sich in der Zukunft noch schlimmer auswirken sollte, es wurden auch seine politischen und seine Sicherheitsstrukturen zerstört.

Nun sollte der nächste Schritt angegangen werden: Ein den westlichen Mächten höriges Marionetten-Regime musste etabliert werden, das deren ökonomische und geopolitische Interessen bedient. Daran wird bis heute gearbeitet.

Ulrich Kienzle zieht das Resümee[21]: „Das libysche Chaos ist zu einer viel größeren Bedrohung für Europa geworden, als Gaddafi es je war. Immer mehr Flüchtlinge aus Afrika drängen nach Europa, das hilflos reagiert. Libyen, ein Paradebeispiel für das Versagen westlicher Politik. Ein Pulverfass am Mittelmeer. Direkt vor den Toren Europas.“

Und Vijay Prashad schreibt: „Libyer - ein Volk, das diesem Krieg überlassen ist, der niemals enden wird. Ein Volk, das in Öl und Angst begraben ist, ein Volk, das auf der Suche nach der Heimat ist, die ihm genommen wurde.“[22]

[1] Joachim Guilliard „Hand in Hand. Bewaffneter Aufstand in Libyen.“ In: Junge Welt, 18.2.2011

[2] Daniele Ganser „Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren“, Zürich 2016

[3] Jürgen Todenhofer „Volk gegen Volk“ in: Süddeutsche Zeitung, 3.9.2012

[4] https://publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/11902.htm

[5] Thierry Meyssan, „Before our very Eyes. Fake Wars and Big Lies. From 9/11 to Donald Trump“, ProgRessive 2019

[6] https://www.freitag.de/autoren/gela/eine-philippika-von-saif-al-islam-gaddafi

[7] https://humanrightsinvestigations.org/2012/11/14/amnesty-international-and-the-human-rights-industry/ RAPE CLAIMS

[8] Liz Sly: Many Libyans appear to back Gaddafi, Washington Post, 24. März 2011

[9] www.thedailybeast.com/articles/2012/09/12/remembering-libyan-ambassador-christopher-stevens.html

[10] Freitag.de/autoren/gela/ 2014???? (Interview!)

[11] Wikipedia „Mustafa abd al-Dschalil“

[12] https://www.pambazuka.org/human-security/lies-behind-wests-war-libya

[13] Daniele Ganser „Illegale Kriege. Wie die NATO-Länder die UNO sabotieren“, 2016

[14] https://publications.parliament.uk/pa/cm201617/cmselect/cmfaff/119/11902.htm

[15] Alison Pargeter - Spezialistin für Libyen am Royal United Services Institut

[16] http://edition.cnn.com/2011/WORLD/africa/03/21/libya.civil.war/index.html?hpt=T1&iref=BN1

[17] HC Deb, 21 March 2011, col. 703 [Commons Chamber]

[18] http://www.bbc.com/news/world-africa-13090646

[19] Lord Richards – ehemaliger Chef des Verteidigungsstabs (GB)

[20] https://vivalibya.wordpress.com/2017/11/03/khaled-k-al-hamedi-prosecuting-nato-for-war-crimes-in-libya/

[21] Ulrich Kienzle „Tödlicher Naher Osten: Eine Orientierung für das arabische Chaos“, 2017

[22] Vijay Prashad in: https://www.counterpunch.org/2020/01/31/the-war-in-libya-will-never-end/

17.02.2021

 

Dienstag, 9. Februar 2021

Kurznachrichten Libyen – 04.02.2021

Libyen. Umstrittenes Libysch-Politische Dialogforum (LPDF) tagt in Genf und will neue ‚Übergangsregierung‘ und weitere Exekutivorgane bestimmen – Sicherheitslage angespannt.

Angelika Gutsche |

+ 01.02.: Milizen/Machtkampf. Milizen aus Tripolis und der West- und Bergregion Libyens, die die Operation der ‚Einheitsregierung‘ Vulkan des Zorns" unterstützen, gaben eine Erklärung zu den jüngsten politischen Entwicklungen ab. Sie beschuldigten UNSMIL (UN-Sondermission für Libyen), für das fünfjährige Chaos verantwortlich zu sein und nicht-konsensfähige Persönlichkeiten gewählt zu haben.
Nach einem Treffen von Gemeindeführern, Parlamentsmitgliedern und des Beratenden Staatsrats wurde vereinbart, dass sich alle Milizen in der westlichen Region zusammenschließen, um Streitigkeiten zu lösen und alle Straßenverbindungen zwischen den Städten zu öffnen.
Der Kampf gegen Terrorismus, Kriminalität, Schmuggel, illegale Einwanderung werde weitergeführt und die Rückkehr aller Vertriebenen in ihre Häuser in der westlichen Region sichergestellt.
Stark angegriffen wurde die von Fathi Bashagha initiierte Operation snake hunting (Schlangenjagd) des Innenministeriums der ‚Einheitsregierung‘. Die ‚Einheitsregierung‘ wurde aufgefordert, alle Milizen der Operation Vulkan des Zorns“, die sich gegen die LNA gerichtet hatte, in die militärischen und Sicherheitsinstitutionen zu integrieren.
https://almarsad.co/en/2021/02/01/militias-from-tripoli-western-and-mountain-regions-formation-of-new-government-will-obstruct-elections/
In der explosiven Atmosphäre stehen alle Milizen und Streitkräfte Gewehr bei Fuß – sollten sie durch die in dieser Woche fallenden Entscheidungen in Genf ausgebootet werden.

+ 03.01.: Angst vor Kämpfen in Tripolis. Auf Twitter heißt es: „Der Verkehr in Tripolis dreht heute durch. Es gibt lange Warteschlangen an den Tankstellen, obwohl es reichlich Benzin gibt, denn die Leute haben (zu Recht) Angst, dass es zu Zusammenstößen kommen könnte, je nachdem, was in Genf passiert.“
https://twitter.com/ibnthabit/status/1356899063426408449

+ 01.02.: Ölfelder/PFG-Forderungen. Seit einiger Zeit kommt es zu Arbeitsniederlegungen der PFG-Angestellten (Petroleum Facilities Guide) in den verschiedenen Erdölverarbeitungsanlagen und Verladehäfen, so z.B. in Hariga im Osten des Landes. Die PFG-Angestellten fordern von der ‚Einheitsregierung‘ die Auszahlung ihrer Gehälter, mit denen die ‚Einheitsregierung‘ bis zu zwölf Monate im Rückstand ist. Es wurde ein zehntägiges Ultimatum gesetzt. Die PFG-Mitglieder sind auch empört über die Streichung ihrer Zulagen und beharren auf deren Weiterzahlung. Sie drohten „alle Erdölfelder stillzulegen, wenn ihre Forderungen nicht erfüllt werden“. Neben den Ölanlagen von as-Sider und Ras Lanuf könnte auch die al-Zawiya-Ölraffinerie im westlichen Libyen betroffen sein. https://libyareview.com/10008/libyas-noc-urges-government-to-pay-pfg-salaries/
Die Drohung mit der Stilllegung der Ölfelder hat auch politische Gründe und mit den Vorgängen in Genf zu tun.

+ 02.02. LPDF/Wahlfarce in Genf/Kuhhandel. Der erste Versuch der 74 LPDF-Mitglieder, in Genf einen dreiköpfigen Präsidialrat (PC) zu bestimmen, ist gescheitert. Keiner der 45 Kandidaten, je einer pro Region, hat die vorgeschriebenen 70 Prozent Zustimmung erhalten. Die meisten Stimmen erhielten für den Fessan mit 42,9 % Seif an-Nasr, für die Kyrenaika mit 39,1 % Parlamentspräsident Agila Saleh und für Tripolitanien mit 22,2 %, der Vorsitzende des Hohen Staatsrates, Khaled Mishri. Der Wahlprozess geht nun in ein Listensystem über, wo ein politischer Kuhhandel stattfinden wird und ein Kompromiss für den dreiköpfigen Präsidialrat wahrscheinlicher ist.
https://www.libyaherald.com/2021/02/02/lpdf-first-round-of-voting-for-pc-fails-to-meet-70-percent-threshold-move-to-list-system-next/
Mit diesen Pseudoprozentzahlen wird eine Wahl vorgespielt. Das ist Heuchelei. 74 von der UNSMIL handverlesene LPDF-Mitglieder bestimmen in Genf die neue libysche ‚Interimsregierung‘. Dem libyschen Volk wird ihr Selbstbestimmungsrecht vorenthalten. Gefordert werden sofortige demokratische Neuwahlen durch das gesamte libysche Volk!
Höchst umstritten ist auch die neu eingeführte Sollbruchstelle zwischen den drei libyschen Provinzen. Die eigentliche Spaltung des Landes ist eine politische und keine regionale.

+ 31.01.: LPDF/Wahlen. Der Kandidat Moin Kikhia zum Stimmenkauf im Guardian: „In früheren Sitzungen gab es Behauptungen, dass Stimmen für eine Million Dollar gekauft wurden. […] Die UNO versprach, die Anschuldigungen zu untersuchen, aber es wurde nie ein Bericht veröffentlicht. Es ist sehr schwierig für gewöhnliche Libyer, die von der Korruption die Nase voll haben, dem Prozess zu vertrauen, besonders wenn die Regeln erst während des laufenden Verfahrens aufgestellt werden.“
Und das Forumsmitglied Elham Saudi sagte: „Wenn die Kandidaten für die Interimsregierung die ganz geringen Eignungskriterien ignorieren und das libysche Gesetz ‚übersehen‘, welche Garantien haben wir dann, dass sie die Roadmap umsetzen oder Wahlen [angeblich am 24.12.2021] abhalten?“
https://www.theguardian.com/world/2021/jan/31/libyan-delegation-heads-to-geneva-pick-interim-prime-minister

+ 02.02.: LPDF/Agila Saleh. Parlamentspräsident Agila Saleh erklärte während seiner Bewerbungsrede zur Wahl in den neuen Präsidialrat, dass die Unabhängigkeit der Justiz der Garant für Freiheit sei. Das erste Ziel bestehe darin, die Justiz und die Sicherheitsdienste zu unterstützen. Es dürfe niemand außerhalb der gesetzlichen Vorgaben inhaftiert werden. Weiter sagte Saleh, dass das Libysche Politische Abkommen (Skhirat-Abkommen) des Jahres 2015 weder vom libyschen Parlament angenommen noch in die Verfassungserklärung aufgenommen wurde; auch wurde Fayez as-Sarradsch nicht wie es vorgeschrieben war durch das Parlament ernannt. Das Parlament habe zweimal die ‚Einheitsregierung‘ abgelehnt und ihre Ablösung gefordert. Besondere Beachtung fand der Satz Salehs, dass der Marsch der LNA gegen Tripolis ein Fehler gewesen sei.
https://libyareview.com/10043/ageela-saleh-promises-to-unify-libya/
Es stellten auch die anderen Kandidaten ihre politischen Vorstellungen und ihr Programm vor. Die meisten setzen allerdings für ihre Umsetzung einen stabilen Staat voraus, als dass sie in der Lage wären, einen solchen zu schaffen.

+ 03.02.: LPDF/Kandidaten. Der Verfassungsexperte Faiq al-Basha wies darauf hin, dass die Kandidaten keine klaren Antworten zu den Wahlen sowie zur Machtübergabe bei den Wahlen im Dezember gegeben haben. Auch Agila Saleh schränkte den Willen zur Übergabe der Macht durch echte Wahlen in Libyen im Dezember mit dem Nachsatz ein: „wenn die Umstände es erlauben“.
https://almarsad.co/en/2021/02/02/khaled-mishris-answers-at-lpdf-shows-he-will-not-honour-december-elections/
Die Kandidaten scheinen sich auch nicht geäußert zu haben, wie sie es mit der Türkei oder sonstigen ausländischen Mächten halten oder wie sie zur Moslembruderschaft stehen. Sie zogen sich auf Allgemeinplätze zurück.

+ 03.02.: LPDF/Oliver Owcza. Der deutsche Botschafter Oliver Owcza auf Twitter: „Ermutigende Fortschritte bei den LPDF-Konsultationen in Genf: Engagierte Kandidaten legen ihre politischen Visionen dar; harte Fragen setzen Präzedenzfälle für die Rechenschaftspflicht; und Online-Streaming sichert Transparenz für alle Libyer!“
https://twitter.com/GermanAmbLBY/status/1356982749165481984
Die Libyer dürfen online zusehen, wie im Ausland über ihre Köpfe hinweg ihre Regierung und ihre Zukunft bestimmt werden? Ein Hohn!

+ Die Verfassungsrechtlerin Azza Maghur hinterfragt kritisch, ob die Komplexität der Bildung einer neuen ‚Interimsregierung‘, die nicht länger als zehn Monate bis zu allgemeinen Wahlen im Amt bleiben soll, gerechtfertigt ist. Sie hinterfragt kritisch, ob der Traum von echten Wahlen in Libyen wahr werden wird, um damit den Weg des Landes zur Demokratisierung freizugeben und den Institutionen in Libyen über die Interimsphase hinaus Legitimität zu verleihen, denn die vorgesehene Roadmap schaffe neue Behörden, die alles noch komplizierter machen. So werde parallel zum Präsidialrat ein neues Gremium geschaffen: das Nationale Dialogforum (NDF). Die Regierungsgewalten in Libyen sollen also sein: das Parlament, der Präsidialrat, eine ‚Einheitsregierung‘, ein Hoher Staatsrat und ein Nationales Dialogforum. Und das alles für einen Zeitraum von weniger als einem Jahr. Folglich hat Libyen mit seinen kaum sieben Millionen Einwohnern fünf Behörden, von denen keine einzige wirklich legitimiert ist. Das Chaos sei komplett, da sich die „Zuständigkeiten dieser Behörden überschneiden und einander widersprechen können.“ Es wird zu einem Kompetenzgerangel kommen, da „das NDF sich selbst die Befugnis gegeben hat, Gesetze zu erlassen, einschließlich der Verfassungsregelung und des Wahlgesetzes, falls diese nicht innerhalb von sechzig Tagen nach Beginn der Übergangsphase erlassen werden.“ Zum Obersten Gerichtshof schreibt Maghur: „In Ermangelung politischer oder administrativer Mechanismen zur Streitbeilegung wird die Justiz nicht in der Lage sein, die zu erwartenden Krisen zu bewältigen, die sich aus der Vielzahl der Befugnisse, der Myriade von Zuständigkeiten und der Kompliziertheit des Systems selbst ergeben.“ Mit dem Wachstum der Institutionen und ihrer Ämter werde auch die Korruption immer zügellosere Formen annehmen. Maghur befürchet, dass „diese Behörden in einen dunklen Tunnel der Anarchie und Streitigkeiten geraten, zumal sie keine Legitimität haben.“
https://almarsad.co/en/2021/02/01/exclusive-azza-maghur-the-next-presidential-council-and-the-powers-of-the-new-regime-in-libya/
Die neue, von der UN eingesetzten ‚Interimsregierung‘ wird genauso wenig eine Übergangsregierung sein, wie die von ihr eingesetzte ‚Einheitsregierung‘ eine Einheitsregierung war, sondern das Chaos in Libyen nur vergrößern.

+ 01.02.: Waffenstillstand/Friedensbemühungen. Auf Reuters heißt es: „Ein Waffenstillstand vom Oktober forderte, dass alle ausländischen Söldner das Land verlassen und die Hauptküstenstraße, die West und Ost verbindet, wieder geöffnet werden sollte. Doch laut UN sind die Söldner geblieben und die Straße bleibt geschlossen.“ Die Menschen müssten deshalb einen beschwerlichen und gefährlichen Umweg durch Wüstengebiete auf sich nehmen, um von Tripolis nach Bengasi zu gelangen. Ein Fahrer aus Bengasi: „Die Straße ist schwierig und es gibt viele Plünderungen“.
Laut Reuters beschuldigten sich beide Seiten, weiterhin aufzurüsten und neue Verteidigungsanlagen zu errichten. Die Friedensgespräche seien ernstgemeint, wie dies die Einhaltung der Waffenruhe bestätige. Jedoch seien die „Herren, die auf den politischen Stühlen sitzen“, die Haupthindernisse für Frieden.
https://www.reuters.com/article/us-libya-security/closed-highway-and-dangerous-desert-detour-underline-challenges-to-libyan-peace-idUSKBN2A12ZC
Am 04.02. finden neue Gespräche zur Öffnung der Küstenstraße innerhalb der 5+5-Militärkommission statt.

+ 04.02.: Libyen/Spaltung. Der Parlamentarier Ibrahim ad-Darsi lobt die UNSMIL und Stephanie Williams und sieht in Libyen ein neues Süd-/Nordkorea entstehen: „Wir können nicht ignorieren, dass es ein östliches Libyen und ein westliches Libyen geworden ist, und Sirte ist die Waffenstillstandslinie zwischen der ‚Einheitsregierung‘ und der Libyschen Nationalen Armee (LNA). Es ist wie die 38. Linie zwischen Nord- und Südkorea.“
https://libyareview.com/10088/libyan-mp-unification-of-libyan-army-impossible/
Dieser Vergleich ist an den Haaren herbeigezogen und spielt ausländischen Akteuren in die Hände, die sich ein schwaches, gespaltenes und nicht souveränes Libyen wünschen. Die historischen, politischen und geographischen Voraussetzungen in Korea und Libyen sind völlig andere. Eine Teilung Libyens würde vielen ausländischen Playern ins Kalkül passen, hätte sich aber spätestens mit der Abhaltung von echten Wahlen in Libyen erledigt.

+ 02.02.: Brot/Fessan. Bäckereibesitzer in Sebha kündigten die Einstellung der Arbeit aufgrund der hohen Kosten für benötigte Zutaten, insbesondere Mehl, an. Sie forderten die zuständigen Behörden auf, Materialien und Mehl zu vernünftigen Preisen bereitzustellen, da der Preis für einen Doppelzentner Mehl (100 kg) in der Gemeinde etwa 250 LD erreicht hat. Die Besitzer wiesen darauf hin, dass die den Bäckereien zugewiesene Treibstoffmenge 3.000 Liter beträgt, aber nur sporadisch eintrifft.
https://libyareview.com/10039/bakeries-in-southern-libya-to-close-as-flour-prices-spike/

01.02.: Menschenrechtsverletzungen. Die Nationale Kommission für Menschenrechte in Libyen (NCHRL) äußerte ihre tiefe Besorgnis über das organisierte Verbrechen und die eskalierende Kriminalität in den Städten Sabrata und Surman (westliches Libyen). In beiden Städten wurde ein starker Anstieg von Diebstählen, Plünderungen und bewaffneten Raubüberfällen gemeldet. „Dies ist veranlasst durch das Sicherheitsvakuum, die Verbreitung von Waffen und die Kontrolle dieser Städte durch bewaffnete Gruppen und Gesetzlose“. NCHRL macht dafür das Innenministerium der ‚Einheitsregierung‘ unter Fathi Bashagha verantwortlich.
https://libyareview.com/10037/human-rights-commission-concerned-by-reports-of-crime-in-sabratha-and-surman/

+ 04.02.: Migranten. Die Ocean Viking rettete 121 Menschen (darunter 19 Frauen und zwei Kleinkinder) von einem in Seenot geratenen überfüllten Schlauchboot in internationalen Gewässern vor al-Khoms.
https://twitter.com/SOSMedIntl/status/1357255098230013955

+ 01.02.: Kriminalität. Laut dem Crime Prevalence Index, der das allgemeine Ausmaß der Kriminalität in 135 Staaten bewertet, ist Libyen bei den gefährlichen Ländern auf dem 20. Platz. Der Kriminalitätsindex basiert auf Kriterien wie Mord, Raub und Vergewaltigung. Die Hauptstadt Tripolis belegt den 50. Platz unter den weltweit einbezogenen Städten und damit nach Damaskus den zweithöchsten in der arabischen Welt. Tripolis wird von der ‚Einheitsregierung‘ kontrolliert.
https://libyareview.com/10017/libya-ranks-20th-in-world-crime-index/

+ 03.02.: Wasserversorgung. Laut Unicef sind mehr als vier Millionen Libyer, darunter 1,5 Millionen Kinder, mit drohender Wasserknappheit konfrontiert. Die Probleme in der Wasserversorgung seien auf das Fehlen der Mittel für den Kauf von Materialien und Ersatzteilen für die erforderlichen Wartungsarbeiten zurückzuführen. Es komme durch Versickern zu Verlusten von bis zu 50 Prozent des Wassers. Nur 45 Prozent der Haushalte und Institutionen seien an das öffentliche Abwassernetz angeschlossen; Abwasser lande in Sickergruben, was zu einer Verschmutzung des Grundwasser führt. Ein Großteil der Abwässer wird ungereinigt ins Mittelmeer geleitet. Auch die Meerwasserentsalzungsanlagen könnten nicht gewartet werden, wodurch ihre Effizienz stark eingeschränkt ist.
https://almarsad.co/en/2021/02/03/unicef-over-4-million-libyans-including-1-5-million-children-will-face-water-shortage/
Bis 2011 war die Wasserversorgung Libyens durch das gut funktionierende libysche Vorzeigeprojekt Man-Made-River gedeckt. Nicht nur die libysche Zementröhrenfabrik wurde 2011 durch einen Nato-Angriff zerstört.
Siehe auch: https://www.freitag.de/autoren/gela/das-great-man-made-river-projekt

+ 03.02.: Syrische Söldner/Türkei. Laut Abdul Rahman von der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte bereite die Türkei neue Verschickungen von Söldnern aus Syrien nach Libyen vor. Ziel von Erdogan sei es, die neue ‚Interimsregierung‘ und die internationale Gemeinschaft damit zu kompromittieren, denn nach den Vereinbarungen der 5+5-Militärkommission hätten alle Söldner und ausländischen Militärs das libysche Territorium bis zum 23. Januar komplett geräumt haben müssen. Er warnte, dass die Unzufriedenheit der dschihadistischen Söldner in Libyen mit dem Ausbleiben von versprochenem Sold steigen könnte und sie versuchen würden, sich nach Europa abzusetzen.
https://almarsad.co/en/2021/02/02/syrian-observatory-turkey-training-new-batches-of-syrian-mercenaries-for-libya/

+ 03.02.: ‚Einheitsregierung‘/Großbritannien. Es fanden Gesprächen zwischen dem Stabschef der militärischen Kräfte der ‚Einheitsregierung‘ und dem Militärattaché der britischen Botschaft in Libyen statt mit dem Ziel, die militärische Zusammenarbeit zu verstärken.
https://almarsad.co/en/2021/02/03/al-haddad-and-bavin-discuss-strengthening-military-cooperation-between-gna-and-uk/

+ 02.02.: Irini/Überwachung Waffenstillstand. Der Kommandeur der EU-Operation Irini, Admiral Fabio Agostini, bestätigte, dass Irini bei der Überwachung des aktuellen Waffenstillstandsabkommens in Libyen eine Rolle spielen könnte: Irini sei „dazu bereit, wenn die libyschen Behörden oder die Vereinten Nationen darum bitten und nach der Zustimmung der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“.
Die Operation IRINI wurde von der EU im Jahr 2020 ins Leben gerufen, um das UN-Waffenembargo gegen Libyen zu überwachen. Sie ist stark kritisiert worden, weil sie die Aufstockung der Waffen und der militärischen Kräfte in Libyen nicht verhindern konnte.
https://www.libyaherald.com/2021/02/02/irini-ready-to-monitor-libya-ceasefire/
Alle wollen militärisch in Libyen intervenieren.

+ 04.02.: Deutschland/USA/Libyen. In Berlin forderte der deutsche Außenminister Heiko Maas die USA dazu auf, ihr Engagement in Libyen zu erhöhen: „Die Vereinigten Staaten haben die Mittel und den Einfluss, eine größere Rolle zu spielen“.
https://libyareview.com/10080/berlin-wants-biden-administration-to-engage-more-in-libya/

+ 01/21.: Deutsches Militär/Iran. Guido Steiner in Bundesakademie für Sicherheitspolitik. „Politiker, Diplomaten und Wissenschaftler haben in den letzten Jahren häufig argumentiert, dass es in erster Linie gelte, eine kriegerische Auseinandersetzung zwischen Iran und seinen Gegnern zu verhindern. Das noch wichtigere Interesse der Bundesrepublik sollte aber sein, eine nukleare Bewaffnung von Regionalstaaten zu verhindern. Notwendige Konsequenz dieser Interessendefinition könnte es im Extremfall sein, auch einen Militärschlag der USA und/oder Israels gegen Iran zu unterstützen, falls dieser notwendig werden sollte, um eine nukleare Bewaffnung des Landes zu verhindern.“
https://www.baks.bund.de/de/arbeitspapiere/2021/kalter-krieg-im-nahen-osten-der-iranisch-saudische-konflikt-dominiert-die-region
Militärschläge gegen den Iran unterstützen? Entgegen des Völkerrechts? Ohne UN-Mandat? Nicht mit Trump für Frieden, sondern mit Biden für Krieg.

+ 02.02.: Deutsches Militär/Syrien/Türkei. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar ist zu Gesprächen mit Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer in Berlin. Es soll dabei auch darum gehen, dass sich die Türkei einen weiteren völkerrechtswidrigen Angriffe gegen Eziden und die nordsyrische Selbstverwaltung legitimieren lassen will. Vieles deutet darauf hin, dass es der Türkei um die Einverleibung von Teilen Nordsyriens und des Nordiraks in das türkische Staatsgebiet geht. Dabei zählt Erdogan auf den Rückhalt durch Deutschland.
https://www.heise.de/tp/features/Angriffsplaene-der-Tuerkei-auf-Nordostsyrien-und-Shengal-im-Nordirak-5042708.html
Quo vadis, Deutschland?

04.02.2021