Verschleierung und Moslembrüder
Arabische Welt. Grundsätzlich sollte sich
jede Frau so kleiden können, wie es ihr gefällt. Warum die
Gesichtsverschleierung trotzdem verboten gehört.
In einer mitteleuropäischen Großstadt aufgewachsen fehlt mir die Fantasie,
um mich in eine Frau zu versetzen, die außerhalb der eigenen vier Wände eine
Burka, einen Tschador oder einen Nikab trägt, also ihr Gesicht versteckt. Wie
muss es sich anfühlen, die Umwelt durch Stoff gefiltert zu betrachten
beziehungsweise von anderen nur als schematischer Umriss und nicht als Person
wahrgenommen zu werden? Ich kenne keinen Roman und kein Buch, dass diese
Situation aus der Sicht einer Verschleierten beschreibt. Mir scheint, diese
Frauen haben nicht nur kein Gesicht, sie haben auch keine Stimme.
In meiner Stadt sind im Sommer etliche Familien aus den arabischen
Golfstaaten unterwegs. Die Frauen sind schwarz gewandet und haben das Gesicht
bedeckt. Meine Stadt ist tolerant, liebt einen Hauch von Exotik und gibt sich
weltoffen: Man guckt zwar ein bisschen, aber leben und leben lassen, das ist
die Devise. Diese Touristen sind unsere Gäste, die viel Geld, vor allem in
teuren Parfümerien und schicken Dessous-Läden der Stadt lassen. Da mag unter
mancher schwarzen Kutte so manches nicht ganz so Keusche verborgen sein,
vermutet man.
Und es fällt mir eine Geschichte ein, die ich irgendwann gelesen habe. Es
heißt darin, arabische Männer verbergen ihre Frauen vor den Blicken anderer,
damit diese nicht überprüfen können, ob die Frau wirklich so schön ist, wie vom
Ehemann prahlerisch behauptet.
Dies ist meine kleine, westliche Sicht auf die Dinge. Allerdings geht meine
Sicht nicht über den Tellerrand meiner mitteleuropäischen Großstadt hinaus, was
in einem gewissen Widerspruch zu der Weltoffenheit steht, die ich mir so gerne
zugutehalte.
Es ist bei uns
common sense, dass sich jeder und jede kleiden kann,
wie immer er oder sie möchte. Allerdings stößt diese Freiheit auch bei uns an
Grenzen: Entkleidet sich eine Frau so weit, dass sie das sittliche Empfinden
stört, wird dies nicht geduldet. Es gibt also durchaus ein gesellschaftlich
nicht mehr toleriertes Zuviel oder ein Zuwenig an Stoff zur Bedeckung unseres
Körpers. Und auch bei dem geltenden Vermummungsverbot stößt das Freiheitsgebot
an seine Grenzen.
Die Muslimbruderschaft und die Kontrolle über die Frauen
Ein Perspektivwechsel ist wichtig. Denn eine muslimische Frau, die sich
durchaus als religiös versteht, aber eine Verschleierung ablehnt, nimmt die
Zunahme von immer mehr Frauen mit Tschador oder Nikab im Straßenbild vieler
nordafrikanischen Städte als Bedrohung ihrer persönlichen Freiheit wahr; eine
Veränderung, die sie beängstigt. Denn welcher ideologische Hintergrund verbirgt
sich hinter der Verschleierung? Hat sich der Nikab in den arabischen Ländern
nicht längst als Waffe im politischen Kampf etabliert?
[1] Ist die Verschleierung nicht Ausdruck
eines rückwärtsgewandten Menschenbildes? Haben nicht die Wahhabiten aus Saudi
Arabien, die Salafisten aus Katar, die Moslembrüder aus der Türkei unendliches
Leid über die arabischen Länder Nordafrikas gebracht, indem sie den politischen
Islam mit Waffengewalt in diesen Ländern durchsetzten und damit die Kontrolle
über die jeweiligen Regierungen übernahmen? Die heutigen Kriege in Libyen und
Syrien gehen auf das Konto der Moslembruderschaft, die im Schulterschluss mit
westlichen Staaten ihre Ideologie und die Kontrolle über diese Länder
durchsetzen wollte. Wieviel Brutalität und Gewalt hat der politische Islam auch
über Länder wie Ägypten und Tunesien gebracht.
Ist es nicht gerade für die Länder Nordafrikas, durch das Mittelmeer und
eine gemeinsame Geschichte mit Europa verbunden, eine Zumutung, dass sich ihre
Frauen hinter einem Schleier verbergen sollen, den sie schon lange fallen
gelassen haben? Wer sein Gesicht verbirgt, transportiert damit ein politisches
Bekenntnis, ein Bekenntnis zum politischen Islam und gegen die Trennung von
Kirche und Staat, zur Scharia und gegen einen säkularen Rechtskodex, zur
Unterdrückung der Frau und gegen die Gleichberichtigung der Geschlechter.
Ein Bericht des Bayerischen Rundfunks und entsprechende Artikel in den Regionalzeitungen
warfen dieser Tage ein bezeichnendes Licht auf das Frauenbild im politischen
Islam.
[2] Es geht dabei um das von der
Moslembruderschaft dominierte Islamische Zentrum München (IZM), das
muslimischen Männern empfiehlt, im Ehestreit als letztes Mittel die Frau zu
schlagen. Auf der Internetseite heißt es zum Thema „Frau im Islam“, dass der
Mann im Falle einer „in größeren Schwierigkeiten steckenden Ehe“ zu drei
Maßnahmen verpflichtet sei: „Ermahnung, Trennung im Ehebett und Schlagen“.
Einmal ganz davon abgesehen, dass dieser Ratschlag impliziert, Eheprobleme
würden ausschließlich durch das Verhalten der Frau verursacht, ist das Schlagen
von Frauen eine Körperverletzung, auch wenn dieses Schlagen laut Aussagen des
IMZ eher einen „symbolischen Charakter“ haben sollte. Die Münchner
Staatsanwaltschaft fühlte sich allerdings nicht dazu berufen, gegen die
Moslembrüder zu ermitteln. Das IMZ wurde lediglich dazu aufgefordert, die
Formulierung auf der Internetseite zu löschen. Übrigens handelt es sich beim
IZM um die seit Jahrzehnten hochumstrittene Freimanner Moschee, die vom
Bayerischen Verfassungsschutz beobachtet und dem Netzwerk der extremistischen
Muslimbruderschaft zugerechnet wird und die seit 1990 weltweit führend in der
Formulierung der islamistischen Politik ist.
[3] Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft hat
sich mit Nachdruck von den Zielen der Moslembruderschaft distanziert.
Jedem, der für den politischen Islam eintritt, sollte sich im Klaren darüber
sein, was dieser impliziert. Jeder, der meint, eine Frau sollte ihr Gesicht
verdecken dürfen, sollte sehen, dass die Verschleierung nicht nur einen
Unterdrückungsmechanismus, sondern auch ein Bekenntnis zum politischen Islam
darstellt. Die Moslembrüder betrachten sich als den Nicht-Moslems überlegen,
sie glauben an die moralische Überlegenheit der Männer über die Frauen und
unterstellen dem weiblichen Geschlecht, die Moral der Männer zu korrumpieren.
Der politische Islam und sein reaktionäres Welt- und Frauenbild bringen zu
Unrecht die gesamte arabische und koranische Welt in Verruf. So erscheint es
verständlich, dass in arabischen Ländern wie Marokko und Algerien das Tragen
eines Nikab verboten ist.
Gerade Muslima in islamisch geprägten Ländern, die eine
Verschleierungspflicht nicht im Koran begründet finden und sich keinem
Verschleierungszwang unterwerfen wollen, reagieren mit Entsetzen auf das immer
häufigere Auftreten von Frauen mit Nikab in der arabischen Öffentlichkeit, das
sie als klares Bekenntnis zur Moslembruderschaft und zum politischen Islam
begreifen. Die Angst dieser moslemischen Frauen um ihre Freiheitsrechte ist nur
zu verständlich. Mit dem Schleiergebot für Frauen geht auch ein
männerdominiertes Erb-, Scheidungs- und Familienrecht einher.
In der libyschen Staat Sirte fand sich nach der Machtübernahme durch
islamistische Extremisten ein Anschlag zur weiblichen Kleiderordnung. Der zu
tragende Hidschab sollte folgendermaßen beschaffen sein:
1. Er muss aus festem Stoff gearbeitet sein und darf nichts vom Körper
preisgeben
2. Er muss locker sitzen
3. Er muss den ganzen Körper bedecken
4. Er darf nicht attraktiv sein
5. Er darf nicht der Kleidung von Ungläubigen oder Männern ähneln
6. Er darf nicht auffällig und ein Blickfang sein
7. Er darf nicht parfümiert sein
[4]
Nach freier Kleiderwahl für Frauen liest sich das nicht gerade. Und auch
nicht nach „leben und leben lassen“. Sondern nach brutaler Beschränkung von
weiblicher Selbstbestimmung und schlimmer Diskriminierung von Frauen, die sich
nicht nur dieser Kleiderordnung, sondern auch nicht dem Mann unterwerfen
wollen.
Einst hatte Ata Türk seinen türkischen Landsleuten verboten, einen Fez zu
tragen. Er galt als Zeichen der Rückständigkeit. Heute weiß kaum noch jemand,
was ein Fez ist. Würde man den Frauen in den nordafrikanischen Staaten das
Tragen von Burkas, Nikabs und Gesichtsschleiern verbieten, wüsste vielleicht
schon in zwanzig Jahren auch niemand mehr, was ein Nikab ist. Jeder, der sich
gegen die Moslembruderschaft stellt, führt auch einen Kampf für die Rechte der
Frau.
Der Autor Mohamed el-Doufani schreibt in seinem Artikel: „Es geht um die
Grundlage einer liberalen und pluralistischen Gesellschaft. Während die
Verteidiger des muslimischen Schleiers in seinen verschiedenen Variationen
argumentieren, dass Frauen entscheiden sollten, ob sie ihn tragen oder nicht,
stellt allein die Verbreitung des Schleiers ein Zeichen der Ausbreitung der
totalitären Ideologie des Islamismus, verbreitet von der Muslimbruderschaft,
dar. Persönliche Freiheit, Gleichstellung der Geschlechter, Toleranz,
Demokratie und das Miteinander verschiedener Religionen stehen dem sowohl auf
der individuellen als auch auf der gesellschaftlichen Ebene diametral
entgegen.“
Wenn man den Schleier bekämpft, bekämpft man ein Symptom des politischen
Islams. Ein Zurückdrängen des politischen Islams selbst kann nur gelingen, wenn
der Staat wieder die Verantwortung für die sozialen Belange seiner Bürger
übernimmt und diese nicht den Moslembrüdern und deren Verteilung von Almosen
überlässt, finanziert mit den Geldern der Golfstaaten. Der Staat muss Flagge
zeigen bei Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Wohlfahrt und im Gesundheitswesen,
anstatt diese Themen den Moslembrüdern zu überlassen. Nur so lässt sich der
Spuk des politischen Islams beenden.
-----
[1] https://www.redressonline.com/2018/11/the-niqab-represents-a-pernicious-ideology-and-its-spread-should-worry-us-all/
[2] https://www.idea.de/gesellschaft/detail/islamisches-zentrum-muenchen-gibt-umstrittene-empfehlungen-110002.html
[3] https://www.freitag.de/autoren/gela/nazis-moslembrueder-und-cia
[4] https://www.redressonline.com/2018/11/the-niqab-represents-a-pernicious-ideology-and-its-spread-should-worry-us-all/