Freitag, 29. März 2019



Nur durch Wahlen wird Einigung möglich

Libyen/Portugal. Saif al-Islam Gaddafi streckt für künftige Zusammenarbeit Fühler nach Europa aus. Politische Arbeitsgruppe zu Gesprächen in Lissabon

Wie Jana Libyen berichtet, war die politische Arbeitsgruppe von Saif al-Islam Gaddafi unter Vorsitz von Mohamed Boudschaila am 20./21. März 2019 zu Besuch in Lissabon. Die Arbeitsgruppe wurde im Parlament während des Besuchs von Sérgio Sousa Pinto, Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten, empfangen und überbrachte den Gastgebern die Grüße von Saif al-Islam Gaddafi.
Die Mitglieder der Arbeitsgruppe gaben eine umfassende Darstellung der allgemeinen Situation in Libyen. Sie vertraten die Auffassung, dass zur Lösung der gegenwärtigen politischen Krise in Libyen baldmöglichst Wahlen abgehalten werden sollten. Erörtert wurden auch Art und Umfang der Zusammenarbeit zwischen Portugal und Libyen in der Zeit vor 2011.
Sérgio Sousa Pinto zeigte sich über das Treffen erfreut und betonte die Notwendigkeit, den politischen Prozess, an dem alle Libyer beteiligt werden müssten, voranzutreiben. Nur so könnten Stabilität und Frieden wieder im Land Einzug halten. Er legte auch Portugals Haltung in Bezug auf den Kampf gegen Terrorismus und illegale Migration dar.
Die portugiesische Zeitung Expresso brachte am 23. März ein Interview mit den Libyern unter der Überschrift „Nur Wahlen können ein politisch gespaltenes Land vereinen“. Und wiesen auf die Notwendigkeit hin, alle Parteien am politischen Prozess zu beteiligen.
In dem Interview ging es um die jüngsten politischen Entwicklungen in Libyen wie die von den Vereinten Nationen ausgerichtete Libysche Nationalkonferenz und die Möglichkeiten, Wege aus der gegenwärtigen Krise zu finden. Erörtert wurde die Rolle, die Saif al-Islam Gaddafi für die nationale Aussöhnung spielt, die als Voraussetzung für stabile Verhältnisse und die Abhaltung von Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gesehen wird. Es müsse der libyschen Bevölkerung ermöglicht werden, eine verlässliche Führung zu wählen, die die Sicherheit und Stabilität des Landes wieder herzustellen vermag.
Die Mitglieder der politischen Arbeitsgruppe von Saif al-Islam wurden auch vom offiziellen staatlichen Radiosender TSF interviewt, der ganz Portugal und Teile des Mittelmeerraums abdeckt. Hier konnten die libyschen Gäste die Lebensrealität in ihrem Land schildern. Die Regierungen, die nach 2011 an die Macht kamen, hätten sich als brüchig erwiesen. Es könne kaum die Grundversorgung aufrechterhalten werden, die staatlichen Institutionen seien von gesetzlosen Milizen übernommen und die Institutionen und Behörden aufgesplittert worden. Das Chaos habe den Wohlstand der Libyer verschlungen. Alle großen Entwicklungsprojekte, die im Jahr 2006 begonnen wurden, seien eingestellt worden.

A. Gutsche

Dienstag, 26. März 2019

Berichte aus einem Totenhaus

Libyen. Neue Berichte über horrende Zustände in den Migrantengefängnissen und die desolate Menschenrechtslage werfen ein Schlaglicht auf das Versagen der libyschen Regierungen.

Andrew Gilmour, stellvertretender Generalsekretär für Menschenrechte und Hoher Kommissar für Menschenrechte der Vereinten Nationen, stellte den Bericht über Folter und Misshandlungen von Flüchtlingen in Libyen dem Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen in Genf vor.
In dem Bericht heißt es, dass Migranten ab dem Moment, da sie libyschen Boden betreten, unvorstellbaren Grausamkeiten ausgesetzt sind. Gilmour sagte, dass die Berichte von Flüchtlingen, die nach ihrer Befreiung in Libyen in den Niger kamen, zu den erschütterndsten Schilderungen, die er jemals gehört hat, zählen.
„Jeder, egal ob Frau, Mann, Junge oder Mädchen, alle wurden vergewaltigt, viele mehrmals, und mit Elektroschocks gefoltert.“ Alle sagten, sie seien gezwungen worden, ihre Familie anzurufen. Die Angehörigen hätten dann ihre Schmerzensschreie anhören müssen und es wurde ihnen gesagt, wenn sie kein Lösegeld zahlen, wird weiter gefoltert. Die Täter sind Schmuggler, Menschenhändler, libysche Staatsbeamte und Mitglieder von Milizen.
Die europäischen Länder arbeiteten inzwischen mit der libyschen Küstenwache zusammen, damit die Menschen Europa nicht erreichen könnten, sondern die Schiffe bereits vor der libyschen Küste abgefangen werden. Gilmour warnte jedoch davor, die Migranten und Flüchtlinge in libysche Haftlager zurückbringen zu lassen, da sie dort gefoltert werden und anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind. Er forderte nicht nur ein Ende für Beschränkungen der Seenotrettung, sondern auch von der EU, die Unterstützung der libyschen Küstenwache einzustellen.
In Libyen inhaftierte Migranten würden entweder in offiziellen Gefängnissen oder in inoffiziellen Migrantenlagern, die von Milizen oder Menschenhändlern kontrolliert werden, untergebracht, wo sie schwerste Misshandlungen und Menschenrechtsverletzungen erleiden müssten.
Human-Rights-Watch (HRW) bedauerte in einem Bericht vom 21. März, dass die Menschenrechtsverletzungen in Libyen nur unter Punkt 10 der Generaldebatte der Vereinten Nationen abgehandelt werden, anstatt dass diesen Menschenrechtsverletzungen eine eigene Aussprache zugestanden wird.
Seit der letzten Resolution des Menschenrechtsrats habe sich in Libyen nichts geändert. Bewaffnete Gruppen, die auch den beiden libyschen Regierungen angehörten, griffen weiterhin Zivilisten an und verhinderten die Rückkehr Vertriebener in ihre angestammten Wohngebiete. Menschen würden entführt, gefoltert und verschwänden einfach.
Besonders kritisiert wurden auch die Beschränkungen, die die von der UN anerkannte ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis ausländischen Medien auferlegt. Auch würden Justizverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Tausende von Gefangenen würden über Jahre und in vielen Fällen ohne Anklage in Gefängnissen festgehalten. Auch HRW prangert die verheerenden Zustände in den libyschen Migrantengefängnissen an.
HRW resümierte: „Wie können wir in diesem Umfeld sinnvoll über technische Hilfen und Kapazitätsaufbau sprechen, wenn es keine ernsthafte Überwachung, keine öffentliche Berichterstattung, keine Verantwortlichkeiten gibt? Für das vierte Jahr in Folge haben die hier verabschiedeten Resolution nichts mit den tatsächlichen Erfordernissen vor Ort zu tun.“
HRW forderte erneut einen Sonderberichterstatter für Libyen einzusetzen.
Auch Ärzte ohne Grenzen kritisiert die Bedingungen, denen Migranten in Libyen ausgesetzt sind. Viele von ihnen seien unterernährt. In der Haftanstalt Sabaa in Tripolis sollen mehr als 300 Personen, darunter 100 Kinder, festgehalten werden. Vor allem die Kinder litten an Unterernährung. Manche Migranten erhielten nur alle paar Tage eine Mahlzeit, Neuankömmlinge die erste Mahlzeit erst nach vier Tagen. „Was wir heute in dieser einen Haftanstalt sehen, ist symptomatisch für ein ungerechtes und rücksichtsloses System, das keinerlei Kontrollen unterliegt und Migranten in Lebensgefahr.“
Die libyschen Behörden wurden aufgefordert, die in Sabaa inhaftierten Personen, von denen fast die Hälfte seit über sechs Monaten gefangen gehalten wird, freizulassen.

 A. Gutsche 





Montag, 25. März 2019



Ein bisschen Souveränität kehrt zurück


Libyen. Die Nationalkonferenz wird vom 14. bis 16. April 2019 in Ghadames stattfinden. 
Es handelt sich dabei um die erste große, zukunftsbestimmende Konferenz, die innerhalb Libyens abgehalten wird, an der nur Libyer teilnehmen und bei der es keine Ausschlüsse von Gruppen oder Stämmen gibt.  

Dies gab der UN-Sonderbeauftragte für Libyen, Ghassen Salamé, gestern in einer Pressekonferenz bekannt, nachdem die europäischen Länder und die USA in den vergangenen Tagen noch einmal ihre Duftnoten in Libyen gesetzt hatten.[1]

Die hauptsächlich von Tuareg bewohnte Stadt Ghadames liegt an der Grenze zu Algerien und Tunesien, so dass auch Libyer, die sich momentan in diesen Ländern aufhalten, zur Libyschen Nationalkonferenz (Multaqa al-Watani) erwartet werden. Der Austragungsort Ghadames wurde von der Mehrheit der Teilnehmer bestimmt, deren Zahl 120 bis 150 Personen umfassen wird. Ebenso wurde von den Teilnehmern festgelegt, dass ausschließlich Libyer an der Konferenz teilnehmen werden. Laut Salamé sollen die Ergebnisse der Konferenz den Weg für Wahlen ebnen. Die Konferenzteilnehmer werden auch den Wahltermin festlegen. Es sollen aber keinesfalls neue Gremien geschaffen werden, sondern eine Konsenslösung gefunden und falls nötig neue Pläne für das weitere Vorgehen erstellt werden.

Bedenkt man, dass bisher alle Konferenzen unter internationaler Beteiligung in Tunis, Paris und Rom unter Ausschluss der Städte und Stammesvertretungen stattfanden, könnte diese Libysche Nationalkonferenz einen wirklichen Fortschritt bedeuten, der wohl nur unter dem militärischen Druck und dem Vorrücken der LNA zustande gekommen ist. Deren militärische Stärke dürfte auch eine Sicherheitsgarantie für die Teilnehmer darstellen.

Die Nationalkonferenz ist ein Schritt in die richtige Richtung und könnte denjenigen politischen Akteuren, die von der Spaltung des Landes und dem jetzigen Chaos profitieren und somit an einer Aussöhnung und Vereinigung kein Interesse haben, das Wasser abgraben.

Salamé spricht vor dem UN-Sicherheitsrat

Salamé äußerte sich auch in einer Videozuschaltung vor dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zur Lage in Libyen. Er sagte, dass Libyen an einem entscheidenden Wendepunkt angekommen sei. Über den Vormarsch der LNA im Süden Libyens meinte er, dass trotz einiger kleiner Zwischenfälle die Ankunft der LNA positiv aufgenommen wurde und zur Stabilität beitrage. Als die LNA die Kontrolle über Murzuq im Südwesten übernahm, hätten Tibu aktiv Widerstand geleistet. Bei anschließenden Kämpfen seien mindestens 18 Bewohner von Murzuq getötet und 29 verwundet, sowie 90 Häuser in einer Racheaktion durch LNA-Kämpfer niedergebrannt worden. Salamé vermutet, dass die LNA nur noch über begrenzte finanzielle Mittel verfügt.
Bezüglich der Städte Sirte und Misrata bestätigte Salamé eine Mobilmachung der LNA in Dschufra und Patrouillen der LNA nahe Sirte. Dies habe zu Spannungen mit Misrata-Milizen geführt, die Sirte noch immer kontrollieren.
In der im Osten gelegenen Stadt Derna seien die Kämpfe beendet.[2]
Im Westen Libyens, in Tripolitanien, hätten lokale Milizen aufgrund der gegenwärtigen Spannungen mobilisiert. Der Waffenstillhalt in Tripolis halte aber bisher.

Hinsichtlich der Verhandlungen zwischen General Hafter und Sarradsch erklärte Salamé, dass beide akzeptiert hätten, dass Libyen demokratisch regiert werden wird und der Übergang friedlich verlaufen muss, sowie dass die Armee unter eine zivile Kontrolle gestellt wird. Alle nationalen Institutionen sollen wieder zusammengeführt werden und Wahlen Ende des Jahres stattfinden.
Die UN rechnet damit, dass bald UN-Mitarbeiter nach Bengasi zurückkehren können.

Des Weiteren teilte Salamé mit, dass gegen Schmuggler 100 Haftbefehle ausgestellt und 115 Tankstellen beschlagnahmt worden seien.
Laut Salamé verschlechterte sich die Infrastruktur innerhalb Libyens in einem besorgniserregenden Tempo. Dies betreffe Basisdienstleistungen wie Gesundheitswesen, Wasser- und Stromversorgung. Vier wichtige Brunnen des Man-Made-Rivers könnten kein Trinkwasser fördern, so dass die Wasserversorgung im Westen droht, zusammenzubrechen.
Es wird geschätzt, dass in Libyen 823.000 Menschen, darunter Migranten und 248.000 Kinder humanitäre Hilfe benötigen.
Dann forderte Salamé Wirtschaftsreformen ein und zwar u.a. in Form von „Abschaffung der Subventionen“, da diese zu viel Geld kosten würden. Was die Milizen Geld kosten und was im Rahmen von Korruption und Betrug dem Land an Finanzmittel verloren gingen, darüber schweigt sich Salamé weitgehend aus. Es kann auch nicht Sache der Vereinten Nationen sein, über die Finanz- und Innenpolitik Libyens zu entscheiden. Der Wegfall der Subventionen würde doch wohl bedeuten, dass sich die Versorgungslage der Bevölkerung noch dramatischer verschlechtert als dies jetzt schon der Fall ist. Man kann nur hoffen, dass Libyen zur Finanzierung des Wiederaufbaus nicht in die Schuldenfallen des IWF und der Weltbank tappt und sich ein neoliberales Wirtschaftsmodell überstülpen lässt. Dann würde die libysche Bevölkerung noch lange für den Krieg des Jahres 2011 bezahlen.

A. Gutsche





[1] Siehe meinen Blog-Beitrag: https://www.freitag.de/autoren/gela/us-hubschrauber-ueber-tripolis-und-diplomatie
[2] Dort hatte die LNA die Stadt komplett von islamistischen Kräften zurückerobert.

Donnerstag, 21. März 2019



Nun hat es auch die EU kapiert: Ohne Stämme geht es nicht

Libyen.: Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass Tribalismus die wichtigste Organisationsform in Libyen ist und es keinen starken Nationalstaat geben kann ohne Einbeziehung der Stammesvertretungen. Diese Einsicht dürfte von besonderer Bedeutung für die Nationalkonferenz sein, die noch im März abgehalten werden soll.

Unter dem Titel „Libysche Stämme im Schatten von Krieg und Frieden“[1] veröffentlichte das niederländische Institut für internationale Beziehungen Clingendael[2] im Februar 2019 eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass beim Wiederaufbau des libyschen Staates die starke Stammesstruktur Libyens berücksichtigt werden muss. Es sei notwendig, alle lokalen und Stammeskräfte einzubeziehen.

Insgesamt hat Libyen über sechs Millionen Einwohner, davon gehören 90 Prozent einem Stamm an, die restlichen zehn Prozent leben insbesondere in den Städten des Nordens.[3] Wie die Studie ausführt, gibt es in Libyen über hundert Stämme, von denen dreißig eine wichtige Rolle spielen. Etwa 90 Prozent der Libyer seien eine Mischung aus Arabern oder ethnischen Arabern und Berbern. Minderheitenstämme sind die nomadischen Tuareg, die Tibu im Süden und die Berber, deren Population auf etwa 200.000 geschätzt wird und die vor allem in den Nafussa-Bergen und in der Küstenstadt Zuwara siedeln.
Nachdem die Studie die geschichtliche Tradition der Stämme und ihre politische Rolle in Libyen in einem kurzen historischen Abriss darstellt, erläutert sie die Rolle der Stämme seit der Ermordung Gaddafis und des Zusammenbruchs des Staates und seiner Institutionen und Sicherheitssysteme im Jahr 2011. Es wird ausgeführt, dass die Libyer gezwungen waren „auf ihre kommunalen und lokalen und auf die auf ihrer Stammeszugehörigkeit beruhenden Netzwerke zurückzugreifen, um ihr Überleben zu sichern. Die Stämme boten stabile soziale Institutionen, die Unterstützung, Schutz und Dienstleistungen für die libysche Bevölkerung gewährleisteten.“
Ein interessantes Ergebnis dieser Studie ist die Erkenntnis, dass die Libyer sehr genau zwischen lokalen Stammesmilizen und bewaffneten Gruppen unterscheiden, von denen erstere hohes Vertrauen und Rückhalt genießen im Gegensatz zu den bewaffneten Gruppen.
Daneben wird betont, dass die Stämme für einen gemäßigten Islam stehen und so Schutz vor militanten Islamisten bieten. Außerdem seien sie bereit, zentrale staatliche Behörden zu akzeptieren. Und sie schützen Gemeinden vor äußeren Bedrohungen wie bewaffnete Milizen, Schmugglern und Dschihadisten.
Seit dem Zusammenbruch Libyens sei es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen einzelnen Stämmen gekommen, zum Teil aus Rache, zum Teil aus alten Rivalitäten, zum Teil, um sich Vorteile zu sichern.
Besonders problematisch stelle sich dar, dass diejenigen Stämme, die 2011 Gaddafi unterstützten, bisher von der politischen Entscheidungsfindung ausgeschlossen blieben, obwohl sie einen beträchtlichen Anteil an der Gesamtbevölkerung bilden. Genannt werden zum Beispiel Tuareg, al-Qadhadhfa, al-Warfalla, Tarhouna, Wirschefana und Tawerga. Die Ausgrenzung dieser bedeutenden und machtvollen Stämme aus dem politischen Prozess führe in Libyen zur Instabilität. „Solange diese Stämme vernachlässigt werden, wird jede politische Führung geschwächt, v.a. weil die Stämme bewaffnet sind, große Gebiete kontrollieren und so den Staat militärisch herausfordern können.“
Letzterer Satz der Studie ist entlarvend. Seit 2011 wurde versucht, die Stämme, die Gaddafi unterstützten, auszuschalten. Nur hat sich das aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten nicht verwirklichen lassen. So heißt es in der Studie: „Tribalismus ist die wichtigste Organisationsform in Libyen. Es kann keinen starken Nationalstaat geben, außer unter Einbeziehung der Stammesvertretungen.“
Die Studie spricht daher unter anderen folgende Empfehlungen aus: Jede Regierung sollte das Stammessystem zur Konfliktlösung (urf) nutzen. Längerfristig sollten das traditionelle und das formale Justizsystem miteinander verknüpft werden. Aus der Aussöhnung der Stämme könne ein Nationalrat, bestehend aus den Kommunen und Stammesältesten, hervorgehen. Dabei sollen die Stämme einen festen Platz im Zivilstaat einnehmen. Und es sollten alle Stämme und Gemeinschaften beim Prozess des Staatsaufbaus vertreten sein.
Diese Erkenntnisse der Studie sind nun wirklich nichts Neues und hinterlassen einen schalen Geschmack. Schon im Jahre 2016 sagten bei einer Befragung, die im LibyaHerald[4] veröffentlicht wurde, dass sechzig Prozent der Libyer der Aussage zustimmten, dass die Stämme die Sicherheit einer Gemeinschaft garantieren können. Stämme sind wichtig, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten und auch den Frieden.
Bisher wurden all diese Tatsachen, auf die sich die libysche Gesellschaft stützt und stützte missachtet. Nach dem Nato-Krieg wurde zunächst versucht, Libyen zu teilen und wieder eine Monarchie zu installieren, dann wollte man Libyen eine vom Westen installierte Regierung überstülpen. Dieser Plan ist am Widerstand der Stämme und Städte gescheitert. Denn tatsächlich bilden in Libyen die Stammesräte eine starke Zivilgesellschaft, wobei Konsens und Interessenausgleich wichtige Schlüsselbegriffe sind.
Vor 2011 erfolgte über die Stammesräte die Verteilung der Öleinnahmen an die Bevölkerung, die Bereitstellung von lokalen Dienstleistungen wie Strom, Wasser, Abwasser- und Müllentsorgung. Stammesrecht und Stammesregierungen nahmen auch innerhalb der Städtepolitik eine wichtige Stellung ein. Selbstverständlich war es den Stämmen bewusst, dass ein Nationalstaat für stammesübergreifende Projekte wie ein soziales Sicherungs- und das Bildungssystem verantwortlich zeichnen muss, ebenso wie für große Investitionsprogramme und eine Außenvertretung. Bis 2011 nahm die Dschamahirija diese Aufgaben wahr.
Eine Aussöhnung zwischen den Stämmen vollzieht sich von der Öffentlichkeit unbemerkt schon lange im Hintergrund, denn den Libyern ist klar, dass sie nichts gewinnen können, wenn sie das Land ausländischen Mächten überlassen. Diesen Versöhnungsprozess können nun sowohl die Vereinten Nationen als auch die EU nicht länger ignorieren, ebenso wenig, welchen Machtfaktor, auch militärisch, die Stämme bilden. So versuchen sie jetzt über die Nationalkonferenz noch ein kleines Zipfelchen Einfluss geltend zu machen und ihr Gesicht zu wahren.
Die Nationalkonferenz soll noch im März abgehalten werden, wobei Ort und Teilnehmer weiterhin geheim sind. Es gibt Spekulationen, dass Sirte oder Bani Walid, einst die Städte, in denen Gaddafi bis zuletzt den größten Rückhalt hatte, Austragungsort sein könnten. Ziel der Konferenz soll Aussöhnung und Absprache über das weitere politische Vorgehen, auch hinsichtlich von Wahlen, sein.
Die libyschen Stämme werden ihre Probleme meistern und für ihr Land Unabhängigkeit und Souveränität erkämpfen.[5]

A. Gutsche 

[2] Clingendael ist ein führender Think Tank und eine Akademie für internationale Angelegenheiten



US-Hubschrauber über Tripolis und hektische Diplomatie

Libyen. Sind die Tage der sogenannten 'Einheitsregierung' in Tripolis gezählt? Bringt die Nationalkonferenz eine Lösung oder wird der Konflikt militärisch gelöst?


Der US-amerikanische AFRICOM-Kommandant Thomas Waldhauser und der US-amerikanische Botschafter für Libyen, Peter Bodde, flogen am Dienstag, 19.3. nach Tripolis, um sich mit dem von der UN- und vom Westen eingesetzten sogenannten Regierungschef in Tripolis Fayez al-Sarradsch und dessen Militärführung in Person von Mohamed al-Scharif sowie seinem Stellvertreter zu treffen. Angeblich fand dieses Treffen im Rahmen der regelmäßigen Konsultationen zwischen den beiden Länder statt.

In der auf das Treffen folgenden Erklärung heißt es, man habe sich darauf verständigt, den UN-Sonderbeauftragten für Libyen, Ghassen Salamé, zu unterstützen und den demokratischen Prozess durch Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu konsolidieren, die auf die Nationale Konferenz folgen sollen.

Waldhauser betonte, dass die US-amerikanischen AFRICOM-Streitkräfte weiter gegen den IS in Libyen militärisch vorgehen werden. Wie smmlibya[1] schreibt, können die US-Militärhubschrauber, die augenblicklich über Tripolis kreisen, nur so verstanden werden, dass die USA die geschwächte und unbeliebte sogenannte 'Einheitsregierung' nicht nur auf politischem Wege, sondern auch mit militärischer Gewalt schützen will.

Von allen Teilnehmern wird ständig und nachdrücklich erklärt, es käme nur eine politische und keine militärische Lösung für Libyen in Frage. Kein Wunder, wenn man sich in der schwächeren  Position befindet, das heißt, es fehlt der Einheitsregierung nicht nur an militärischer Stärke, sondern auch an Rückhalt in der Bevölkerung.

Die in Libyen ausgebrochene diplomatische Hektik ist bemerkenswert. Khaled al-Mishri vom Präsidialrat in Tripolis ist gerade zu Gesprächen nach Moskau gereist. Ausgerechnet nach Moskau, das als Unterstützer der Libyschen Nationalarmee (LNA) in Ostlibyen gilt. Angeblich soll er versucht haben, Russland von einer weiteren Kooperation mit der LNA abzubringen und beispielsweise keine Geldnoten für den Osten Libyens zu drucken. Er soll auch für die Aufhebung des Waffenembargos, das auch für die 'Einheitsregierung' in Tripolis gilt, werben.

Das gleichzeitige Treffen zweier politischer Vertreter aus Tripolis, die für die 'Einheitsregierung' und somit für die EU und die UN sprechen, mit Vertretern der USA und mit Moskau, kann kein Zufall sein. Angesichts einer sich rasch verändernden Sicherheitslandschaft nicht nur im Süden des Landes versuchen al-Mishri und Fayez Sarradsch den politischen Prozess zu beschleunigen, weil sie befürchten, dass der weitere Vormarsch der LNA in Richtung Tripolis eine ernsthafte Bedrohung für ihre fragile Herrschaft darstellen könnte.

Natürlich dürfen auch die Franzosen nicht fehlen, die ebenfalls die LNA und General Hafter im Osten Libyens unterstützen, unter anderen mit Luftangriffen auf tschadische Oppositionsgruppen im nördlichen Tschad. So besuchte der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian ebenfalls die Gegenseite und war gerade in Tripolis bei Sarradsch. Fast zeitgleich fand in Tripolis ein Treffen zwischen Mitgliedern des Präsidialrats und 15 (!) EU-Botschaftern statt, bei dem es angeblich auch um die Abhaltung der Libyschen Nationalkonferenz ging. Letzte Woche traf sich auch General Hafter von der LNA nahe Bengasi mit dem UN-Sondergesandte für Libyen, Salamé, der für die Abhaltung der Nationalkonferenz federführend zeichnet. Eine Konferenz, die alle in heillose Aufregung zu versetzen scheint und die noch innerhalb dieses Monats abgehalten werden soll. Ort und Teilnehmer weiterhin unbekannt.

Letzte Woche hat sich General Hafter auch mit einer Delegation der Vereinten Nationen und der Afrikanischen Union nahe Bengasi getroffen.

Die Nervosität bei der 'Einheitsregierung' in Tripolis ist groß, nachdem ebenfalls letzte Woche ein Militäraufmarsch der LNA am südlichen Stadtrand von Sirte gemeldet wurde und darauf hin eine der 'Einheitsregierung' unterstellte Miliz ihre Mobilisierung verkündete. Die LNA soll insgesamt 85.000 Soldaten unter ihrem Kommando haben und über 3.500 Elitesoldaten verfügen. Die LNA, die auch ihre Luftwaffenbasis in Zentrallibyen verstärkt hat, ließ auf ihrer Website verlauten, sie zähle auf die Unterstützung von Gruppen innerhalb Tripolis und in den Vororten der Hauptstadt.

Eine der bedeutendsten Gegner der LNA und wohl die meist gehasste Stadt in Libyen ist Misrata, die eine treibende Kraft beim Sturz Gaddafis war und sich sowohl 2011 als auch im Bürgerkrieg 2014 äußerst brutal gegen ihre Gegner zeigte. Die politischen und militärischen Kräfte in Misrata sind jetzt gespalten und es scheint ein vorsichtiges Abwarten zu herrschen. Aufgrund der verschobenen Kräfteverhältnisse in Richtung LNA dürfte in Misrata der Angstschweiß fließen.

Im Westen von Tripolis wurden vor zwei Tagen neue bewaffnete Zusammenstöße gemeldet. Eine Schlüsselrolle schien dabei Mohammed al-Kashik aus Zinten zu spielen, der 2014 in Tripolis bei den Pro-Hafter-Milizen kämpfte. Heute steht er unter dem Kommando von Emad al-Tarabulsi, der ebenfalls ehemals pro Hafter kämpfte, dann aber dem Präsidialrat beitrat. Die jetzigen Zusammenstöße könnten dazu führen, dass der LNA der Einmarsch in Tripolis erleichtert wird.

Vor wenigen Tagen wurde von Schüssen und einem Attentatsversuch auf Sarradsch bei seiner Ankunft auf dem Mitiga-Flughafen in Tripolis berichtet. Auch wenn dies von Sarradschs Sprecher umgehend dementiert wurde, die Fotos von einem sichtlich besorgten Sarradsch, der umgeben von Sicherheitspersonal den Flughafen verlässt, kursierten im Netz. Es herrscht große Besorgnis bei der 'Einheitsregierung' in Tripolis.

 A. Gutsche







[1]          https://smmlibya.wordpress.com/2019/03/19/us-africom-commander-and-ambassador-to-libya-held-spontaneous-meeting-with-unity-governments-head-guaranteed-his-safety-amid-raising-concerns-over-khalifa-haftars-feasible-drive-to-tripoli/

Montag, 11. März 2019



LIBYEN-KURZMELDUNGEN


Die Kurzmeldungen zu Libyen sind der Website www.welt-im-blick.de entnommen und laufen dort unter der Rubrik "Kurz und knapp in zwei Sätzen".
Der Libyen-Krieg stellte den Beginn einer neokolonialen Offensive des Westens gegen Afrika dar. Ihm vorangegangen war 2011 bereits der französische Kampfeinsatz gegen die Elfenbeinküste. Nun ist Syrien das nächste Opfer. Deswegen werden wir auch über diese Konflikte und die westliche Destabilisierungspolitik in Afrika berichten.
Nun wird gegen Venezuela in der gleichen Strategie verfahren wie einst 2011 gegen Libyen.
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Tschad schließt seine Grenze zu Libyen
11.3.2019. Die Republik Tschad hat ihre Grenzen zum instabilen Nachbarland Libyen geschlossen, nachdem vor einem Monat Bewaffnete mit 50 Pick-ups in den Tschad eingedrungen waren und offenbar versuchen wollten, Präsident Idriss Déby zu stürzen. Dieser hat sich durch seine militärische Unterstützung des Westens beim „Kampf gegen den Terror“ eine derartige Wichtigkeit erarbeitet, daß er die Franzosen „bitten“ (wohl eher anweisen) konnte, mit ihrer Luftwaffe die Rebellion niederzuschlagen.



Rumänien will Goldreserven aus dem Ausland heimholen
11.3.2019. Die sozial-liberale Regierungskoalition hat eine Gesetzesinitiative vorgelegt, nach der mindestens 95% der Goldreserven des Landes in rumänischen Banken lagern sollen, was die rechte Opposition wieder zu einem geistlosen Aufquieken veranlaßt hat. Der umstrittenen Regierungskoalition ist aber offensichtlich bewußt, was mit Staaten passieren kann, die sich nicht bedingungslos dem Diktat von Brüssel und Washington unterwerfen, denn im Falle Venezuelas hat die Bank of England (BoE) 31 Tonnen Gold beschlagnahmt und weigert sich, der gewählten Regierung in Caracas Zugriff darauf zu gewähren. Auch das libysche Auslandsvermögen wurde 2011 von den NATO-Staaten blockiert



Oppoisition in USA und Großbritannien gegen Unterstützung von Putsch in Venezuela
11.3.2019. Die sozialdemokratische Labour-Partei in Großbritannien hat die Unterstützung der britischen Regierung für den selbsternannten  „Präsidenten“ Juan Guaido verurteilt und über ihre außenpolitische Leiterin Emily Thornberry erklären lassen, daß die Labour-Partei, wäre sie an der Macht, in der Venezuela-Krise der Diplomatie den Vorzug vor kurzfristigem Gewinndenken geben würde. Auch in den USA haben sich nicht nur die demokratischen Spitzenpolitiker Tulsi Gabbard und Bernie Sanders gegen Trumps Venezuela-Abenteuer ausgesprochen, sondern auch die Kommunistische Partei der USA, deren Vertreter Cameron Orr u.a. erklärte: "Wir geben jedes Jahr fast eine Billion Dollar für Krieg aus, und sie sagen, dass sie das Gesundheitswesen nicht finanzieren können.“



Internationaler Frauentag 2019

Libyen. Seit der westlichen Intervention 2011 haben Frauen in Libyen nicht mehr viel zu lachen.
 
Wie jedes Jahr seit 2011 ist es wieder Zeit daran zu erinnern, welches Elend die vorgetäuschte „Revolution“ mit dem daran anschließenden Nato-Krieg gegen Libyen vor allem für die libyschen Frauen gebracht hat. Nicht ohne Grund hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen 1977 den 8. März nicht nur zum Internationalen Frauentag ausgerufen, sondern zum „Tag für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ bestimmt. Denn es sind insbesondere die Frauen, die unter den Folgen von Krieg und Vertreibung und im speziellen Fall Libyens unter dem daraus hervorgegangenen Chaos bis heute zu leiden haben und deren einstmaligen Freiheitsrechte vor allem durch die vom Westen, inklusive Europa, seither hofierten Dschihadisten brutal beschnitten wurden.
Gerade im Hinblick auf andere islamisch-arabische Gesellschaften, man denke nur an Saudi-Arabien, kann gar nicht genug betont werden, welch einschneidende Konsequenzen der Sturz der libyschen Dschamahirija-Regierung, die sich die Gleichbehandlung und den Respekt für Frauen auf die Fahne geschrieben hatte, und die brutale Ermordung Gaddafis für die Frauen bedeutete und bis jetzt bedeutet. Muammar al-Gaddafi, der ein enges Verhältnis zu seiner Mutter hatte, schrieb: „Ich versprach meiner Mutter, die Situation der Frauen in Libyen zu verbessern.“ Dieses Versprechen hat er gehalten. Die Emanzipation der Frau war ein zentraler Bestandteil der 1969-Fatah-Revolution. Frauen sollte es ermöglicht werden, aktiv am gesellschaftlichen und politischen Leben teilzunehmen.

 Im Jahr 1996 verfügten bereits 43 % der Frauen über einen höheren Schulabschluss – ebenso viele wie Männer. Das Mindestheiratsalter wurde auf 18 Jahre festgesetzt, Kinderehen verboten. Frauen durften nicht zur Ehe gezwungen werden.
Ab 1973 wurden Frauen bei der Einreichung von Scheidungen bezüglich ihrer Rechte den Männern gleichgesetzt. Frauen konnten sich jederzeit scheiden lassen und alles, was sie in die Ehe eingebracht hatten, wurde ihnen zugesprochen.
1970 wurde eine Vielzahl von Gesetzen zur Lage der berufstätigen Frau verabschiedet, unter anderen das Recht auf gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit
[1][AIG1] [AIG2] [AIG3] [AIG4] . Das Renteneintrittsalter für Frauen wurde auf 55 Jahre festgesetzt.
1979 wurde in Tripolis eine Militärakademie für Frauen gegründet. Bouseyfi Kulthum war Libyens erste weibliche Pilotin.
Es war verboten, Frauen in ihrer Mobilität zu beschränken. Sie besaßen einen Pass und durften selbstverständlich Auto fahren.

Wie sehr die Menschenrechtslage und insbesondere die Rechte der Frauen in Libyen Verbesserungen in der Gaddafi-Zeit, d.h. in den Zeiten der Dschamahirija erfuhren, wird in einem Bericht des UN-Menschenrechtsrats über Libyen vom 4. Januar 2011 gewürdigt.
Die Delegation [des UN-Menschenrechtsrats] bestätigte, dass Frauen in der Libysch-Arabischen Dschamahirija hoch angesehen sind und ihre Rechte von allen Gesetzen und der Gesetzgebung garantiert werden. Diskriminierende Gesetze wurden aufgehoben. Libysche Frauen besetzen herausragende Positionen im öffentlichen Bereich, dem Justizwesen, der Staatsanwaltschaft, bei der Polizei und im Militär. Die libysche Gesetzgebung sichert auch die Rechte der Kinder, lässt Kindern mit besonderen Bedürfnissen, Älteren und Behinderten besondere Aufmerksamkeit zukommen.“ (Punkt 12 des Berichts)[2]
Mit der brutalen, menschenverachtenden und dem Völkerrecht widersprechenden Intervention der USA, Frankreich, Großbritanniens und deren Verbündeten 2011 in Libyen im vollen Bewusstsein, was für verheerende Folgen dies für die libysche Bevölkerung und insbesondere für die libyschen Frauen haben werde, wurden Frauenrechte barbarisch abgewürgt.
Dieser 8. März 2019 steht auch und insbesondere in Libyen für den Kampf für Frauenrechte, gegen Unterdrückung und insbesondere gegen die Gewalt, der Frauen ausgesetzt sind.

A. Gutsche


[1] Dieses Gesetz ist uns der Deutsche Bundestag bis heute schuldig geblieben. Wenn dies Jahr für Jahr wieder gefordert werden muss, geht klar daraus hervor, dass es sich bei deutschen Politikern dabei nur um Lippenbekenntnisse handelt. Es soll nicht wirklich den Frauen zur Emanzipation verholfen werden, sondern sie sollen für die Wirtschaft kompatibel gemacht werden, d.h. für möglichst wenig Lohn größtmögliche Leistung erbringen.
[2] Report oft he working group of universal periodic review; Human Rights Council; 4.1.011;
http://www2.ohchr.org/english/bodies/hrcouncil/docs/16session/A-HRC-16-15.pdf


Mit Gaddafi starb ganz Libyen

Libyen. „Wir vermissen Dich, Oberst Gaddafi! Der Aufschrei des gequälten libyschen Volkes“, so lautet die Überschrift eines Artikels im AfricanExponent

Wie die Bevölkerung erkennen musste, ist nach Gaddafi nicht nur nichts besser, sondern alles viel schlechter geworden. Das Land leidet nicht nur unter dem x-fachen Anstieg der Lebenshaltungskosten, dem Zusammenbruch der medizinischen Versorgung, dem Aufkommen des IS, der um sich greifenden Korruption und ständigen Stromausfällen, sondern es werden auch keine Gehälter mehr bezahlt. So kämpft jeder Libyer um das tägliche Überleben. Dazu ein Libyer im AfricanExponent[1]: „Diese Probleme hatten wir unter Gaddafi nie. Es gab immer Geld und Strom. Die Leute verdienten zwar nicht so viel, aber dafür war alles billig und das Leben war einfach.“
Auch die DailyMail[2] hat acht Jahre nach der sogenannten ‚Revolution‘ im Februar 2011 libysche Stimmen zur Situation im Land eingefangen. Stellvertretend für viele Libyer wird der 31-jährigen Mahommed aus Mursuk mit den Worten zitiert: „Ich war von Anfang an bei der Revolution dabei und habe gegen Gaddafi gekämpft. Vor 2011 habe ich Gaddafi über alles gehasst. Aber jetzt ist das Leben um so vieles härter. Nun bin ich der größte Anhänger von Gaddafi geworden.“ Und der Taxifahrer Mahmoud fügt hinzu: „Libyen war vorher viel besser.“
Ein anderer enttäuschter Libyer meint: „Wir hatten seit 2011 sieben Regierungen und was haben sie erreicht? Einzig neue Mülltonnen haben wir bekommen. Eine der bisherigen Regierungen hat sie in ganz Tripolis anbringen lassen. Wir deuten lachend auf die Mülltonnen, auf die einzige Errungenschaft, die uns die Revolution gebracht hat.“
Der politische Aktivist Fadiel sagte der Dailymail, dass "es besser werden sollte als zu Gaddafis Zeiten“, aber es blieb nur „das Chaos und alle bekämpfen sich gegenseitig. Es ist ein einziges großes Durcheinander.“
Der ehemalige Diplomat Abdusalem sagt: „Libyen ist mit Gaddafi gestorben. Wir sind keine Nation mehr, wir sind nur noch kriegführende Stammesgruppen, Städte und Gemeinden. Früher gab es nur einen Gaddafi, aber jetzt haben wir sechs Millionen kleine Gaddafis. Die sogenannte Revolution war Lüge, alles Lügen. Wir Libyer wussten nicht einmal, was das Wort Revolution bedeutet. Wir wurden 42 Jahre lang von Gaddafi behütet. Es war keine libysche Revolution, es war die Revolution der NATO, weil sie Gaddafi loswerden wollte.“
Und Salem, ein 26-jähriger Medizinstudent aus Tripolis, meint: „Seit 2011 wurden weit mehr Menschen getötet als während der Revolution und der 42 Jahre dauernden Gaddafi-Herrschaft zusammengenommen.“
Ein Jugendlicher: „Ich möchte diesem Chaos entfliehen und im Ausland studieren, aber ich warte schon ein Jahr auf einen neuen Reisepass. Und selbst wenn ich ihn bekomme, wird es schwierig sein, ein Visum zu erhalten, da alle Botschaften in Tripolis geschlossen sind. Ich fühle mich jetzt wie ein Gefangener in meinem eigenen Land. Ich fange an, mein eigenes Land zu hassen.“
Sara, 50, sagt: „Ich bin [früher] auch noch um Mitternacht allein ohne Angst nach Hause gegangen. Aber jetzt gehe ich nicht gern allein nach Einbruch der Dunkelheit nach draußen. Ich fühle mich nicht sicher.“
Die Klagen der Libyer darüber, was aus ihrem einst blühenden Land geworden ist, ließen sich endlos fortsetzen. Die meisten Libyer wünschen sich für ihre geschundene Heimat inzwischen nur noch Frieden und stabile politische Zustände.

A. Gutsche


[1] https://www.africanexponent.com/post/8016-we-miss-you-colonel-gaddafi-cry-the-troubled-libyans?fbclid=IwAR2G5X4QOrN0nEdWpVu1s2oLMFwj-fnUK66PVe59_aspq4aTCb1WOhicNdI
[2] https://www.dailymail.co.uk/news/article-3790721/Life-Libya-worse-David-Cameron-s-ill-conceived-military-action-against-Colonel-Gaddafi-created-six-million-little-Gaddafis-turned-ISIS-hotbed-say-people-HATED-feared-dictator.html#ixzz4LwnH6Wwn

Dienstag, 5. März 2019



Sarradsch: Ämterhäufung und Amtsanmaßung

Libyen. Fayez al-Sarradsch hat neben verschiedenen anderen Ämtern auch das Amt des ‚Präsidenten des Präsidialrats‘, des ‚Premierministers der Einheitsregierung‘, des ‚Oberkommandierenden der Streitkräfte‘ und des ‚Verteidigungsministers‘ inne.
Unter dem Titel „Ein neuer Diktator ist geboren“ veröffentlichte adresslibya.com am 26. Februar eine Auflistung der Titel und Ämter, mit denen Fayez al-Sarradsch in Tripolis aufwarten kann, und auf welch schamlose Art er Amtsanmaßung betreibt. 

Nach einem Treffen mit Fayez al-Sarradsch ernannte die Libysche Investitionsbehörde (Libyan Investment Authority - LIA) letzte Woche einen führenden Moslembruder zum neuen Mitglied des LIA-Verwaltungsrats. Damit kann ein islamistischer Hardliner mitbestimmen, wie die Erdöleinnahmen in Höhe von mehreren Milliarden Dollar ausgegeben werden. Doch damit nicht genug: Plötzlich hatte auch Sarradsch ein neues Amt inne: Er ist nun Mitglied des LIA-Kuratoriums.

Ein neuer Titel, mit dem sich Sarradsch schmücken kann. Sarradsch, der niemals von irgendjemanden gewählt wurde, stattdessen 2015 von der sogenannten ‚Internationalen Gemeinschaft‘ laut den Vereinbarungen des Skhirat-Abkommens, das niemals vom international anerkannten libyschen Parlament gebilligt wurde, eingesetzt worden war. Ohne jegliche Legitimation nennt sich Sarradsch seither einmal „Präsident des Präsidialrats“ oder „Premierminister der Einheitsregierung“.

Doch damit nicht genug. Von niemanden dazu ernannt, sieht sich Sarradsch auch als „Oberkommandierender der libyschen Armee“. In dieser Funktion hat er dutzende von Beförderungen in Führungspositionen und militärische Ernennungen ausgesprochen.

Im vergangenen September erließ Sarrasch die Resolution 270 (2018), mit der er sich selbst die Aufgaben und Befugnisse des Verteidigungsministers übertrug. Der gleiche Sarradsch, der stets seine Gegnerschaft zu Militärregierung und Militärdiktatur lautstark verkündet.

Als ob diese Ämter noch nicht reichen würden, hat sich Sarradsch auch zum Vorsitzenden der Generalversammlung der Libysch-Afrikanischen Flugholdingsgesellschaft (Libyan African Aviation Holding Company LAAHCO) ernannt. Die LAACO ist die größte afrikanische Luftfahrtgesellschaft und untersteht dem Transportministerium der ‚Einheitsregierung‘.

Auch in anderen Bereichen maßt sich Sarradsch ohne Rücksprache mit den anderen Präsidialratsmitgliedern weitreichende Befugnisse an. Er ernennt nach Gutdünken Minister und hochrangige Staatsbeamte oder setzt sie ab, ebenso wie Botschafter und Konsuln, die Libyen im Ausland vertreten. Selbstverständlich kommen durch Sarradschs Machtwort selbst die Präsidialratsmitgliedern ins Amt beziehungsweise werden daraus entfernt.

Sarradsch dürfte den Weltmeistertitel in der Disziplin Ämterhäufung gewonnen haben. Mit dieser vorgeblichen Machtfülle konnten weder der ehemalige König Idris aufwarten, noch Muammar al-Gaddafi, der kein formales Amt außer ‚Revolutionsführer‘ wahrgenommen hatte.

Süffisant wird erörtert, wie in Libyen wohl ein Treffen zwischen dem Präsidenten des Präsidialrats, des Verteidigungsministers und dem Oberkommandierenden der Streitkräfte ablaufen könnte. Vielleicht ohne Ergebnis, weil die Ansichten zu weit auseinanderlagen? Ein gefundenes Fressen für Satiriker aller Couleur.

Und libysche Blogger stellen die mehr als berechtigte Frage, wie das denn mit den Gehältern, Aufwendungsentschädigungen und Diäten aussieht, die Sarradsch aus all seinen Ämtern bezieht.

Doch trotz aller seiner Titel ist und bleibt Sarradsch ein nur vom Ausland aufgebauter und unterstützter Papiertiger, ohne Rückhalt in der libyschen Bevölkerung. So groß er auf internationalem Parkett herausgestellt wird, so klein ist sein Ansehen bei den Libyern. Er ist nicht einmal fähig, in der Hauptstadt Tripolis gegen gewalttätige Milizen, das organisierte Verbrechen und das allgemeine Chaos vorzugehen.

Wie lange will die internationale Gemeinschaft noch an Sarradsch als legitimen Präsidenten Libyens festhalten? Sie beruft sich dabei auf das niemals vom Parlament verabschiedete Skhirat-Abkommen (Libysche Politische Vereinbarung), von dem selbst die UN-Sondermission für Libyen und alle anderen politischen Parteien seit langem sagen, dass es komplett gescheitert sei.

A. Gutsche






Ominöses Treffen in Abu Dhabi (VAE)

Libyen/VAE. Auch wenn der Druck auf al-Sarradsch und General Hafter immer größer wird, verlauten von Beiden aus Abu Dhabi nur hohle Phrasen. 

Die VAE, die im Osten Libyens die Libysche Nationalarmee (LNA) und General Hafter unterstützt, hatte eingeladen. Wie groß muss der Druck auf die beiden politischen Kontrahenten al-Sarradsch aus Tripolis und General Hafter aus dem Osten wohl sein, dass sie sich zu diesem Treffen in Abu Dhabi bereitfanden?

Beendigung des ‚Notstands‘ auf dem Sharara-Ölfeld
Zunächst traf sich am 26. Februar in Abu Dhabi, der größten Stadt des Emirats, der „Vorsitzende des Präsidialrats“, Fayez al-Sarradsch, mit dem Vorsitzenden der National Oil Corporation (NOC). Die Beiden vereinbarten, den Notstand auf dem Sharara-Ölfeld, wie von der LNA nach dessen Einnahme gefordert, aufzuheben. Von einem Parlamentsmitglied in Tobruk wurde dies sarkastisch hinterfragt. Wieso müsse man sich in der weit entfernten VAE treffen, um Streitigkeiten beizulegen, wo doch zwischen dem Sitz von Sarradsch und dem Gebäude der NOC in Tripolis nur fünf Kilometer lägen? Gute Frage!

Treffen zwischen al-Sarradsch und Hafter
Wie die Vereinten Nationen einen Tag später mitteilten, kam es in Abu Dhabi überraschender Weise auch zu einem Treffen zwischen Fayez al-Sarradsch und General Hafter, dem Oberkommandierenden der LNA. Beide stimmten darin ein, dass Wahlen in Libyen nötig sind, um die nun seit acht Jahren anhaltenden politischen „Übergangsphasen“ zu beenden.
Das ist ja nun nicht gerade eine neue Erkenntnis. Der zunächst ins Auge gefasste Termin für Wahlen war der 10. Dezember 2018, der seitdem immer wieder verschoben wird. Ein konkreter Wahltermin wurde auch diesmal nicht genannt. Der Wahl soll eine sogenannte Nationale Konferenz vorausgehen. Ob und wann diese stattfinden wird, ist ebenfalls weiter unklar, ebenso ob sowohl Präsidentschafts- als auch Parlamentswahlen stattfinden sollen.
Ob Sarradsch und Hafter auch noch andere Abmachungen getroffen haben, die der Öffentlichkeit vorenthalten werden, darüber darf man spekulieren. Beide dürfte wohl die Angst vor dem Machtverlust umtreiben, kommt es tatsächlich zur Abhaltung von Wahlen.

Nichts geht ohne die Stammes- und Städteräte
Allen politischen Akteuren in Libyen sollte unmissverständlich klar sein, dass ohne die Einbeziehung aller Stämme, ihrer Ältestenräte und der Räte der Stämme und Städte, in Libyen keine Aussöhnung und Einigung möglich sein wird.
Durch die Einnahme der wichtigsten Ölfelder im Süden bzw. Südwesten Libyens und dadurch, dass die LNA nun die Kontrolle auf Gebiete bis in den Südwesten Libyens an die Grenze zu Algerien und in das Gebiet südöstlich von Mursuk ausdehnen konnte, haben die LNA und die mit ihr verbündeten Stämme als Machtfaktor noch einmal beträchtlich gewonnen.

A. Gutsche