Mittwoch, 28. Dezember 2016



Westberlin in den 80er Jahren: die Libyen-Connection und der Geheimdienstsumpf – ein Agententhriller

Die folgenden Ausführungen stützen sich im Wesentlichen auf die Bücher von Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“ und von Manfred G. Meyer „Gaddafi, Koks und Knaben“ sowie auf Artikel der Zeitschrift ‚Der Spiegel‘.

Nicht nur die Geheimdienste, die sich alle im Berlin des Kalten Kriegs als der Schnittstelle zwischen Ost und West, zwischen den beiden Deutschlands, ein Stelldichein gaben, mischten bei den mörderischen Spielchen kräftig mit, sondern auch die Westberliner Halb- und Unterwelt hatte ihre Finger beim Gaddafi-Komplott im Spiel. Es tauchten zwielichtige Libyer im Westberlin der 80er Jahre auf, die 2011 beim Sturz Gaddafis erneut eine Rolle spielten.
Folgende Spur des Todes führte laut Mark Altten[1] ins Berlin des Kalten Krieges, wo Geheimdienste, halbseidene Unterwelt und Exillibyer tödliche Cocktails mixten:
„Am 21. Januar 1984 wurde in Rom der Libyer Ammar Taggazy von Unbekannten erschossen.
Am 28. Februar 1984 starb in Würzburg ein in Libyen tätiger Koch
Am 17. April 1984 verletzten in London Pistolenkugeln die Polizistin Yvonne Fletcher tödlich.
Mitte August 1984 fand das Leben des libyschen Geschäftsmannes Ali el-Gia-hour in einer Londoner Wohnung ein grausames Ende.
Am 14. Oktober 1984 wurde ein Anschlag auf eine libysche Einrichtung in Bonn verübt.
Am 13. Januar 1985 starb bei einem Anschlag in Rom der Libyer Farag Makhyoun.
Am 28. Feburar 1985 wurde in Wien der aus Libyen stammende Ezzedin al-Ghadamsi durch Schüsse schwer verletzt.“
Keines dieser Verbrechen, begangene zwischen Ende Januar 1984 und Ende Februar 1985, wurde jemals aufgeklärt.
Zu den zwielichtigen Figuren in Berlin gehörte der Bordellbesitzer Dieter Harbecke, der in einer ARD-Sendung auf die Frage „Ob was dran sei an dem Gerücht, dass er für ein paar Milliönchen Gaddafi habe liquidieren sollen?“ antwortete: „Kein Kommentar.“ Dann aber zugab, dass die Sache eine Schuhnummer zu groß für ihn gewesen sei.[2]
Die wichtigste deutsche Figur in dem ganzen Spiel war der Berliner Großbauunternehmer Hilmar Hein, dem viele lukrative Aufträge vom Berliner Senat zuflogen und der gute Beziehungen zum Baukonzern Bilfinger unterhielt, der in Libyen tätig war. Auf Heins Firmengelände wurden Straftaten geplant und Diebesgut eingelagert. Den offiziellen Stellen war das Treiben Heins bekannt, trotzdem konnte sich der Bauunternehmer über Jahre in Sicherheit wiegen, bis er im März 1985 verhaftet wurde.
Hein wurde von Manfred Meyer[3], mit dem ihm eine „außergewöhnlich feste Männerfreundschaft“ verband, als liebestoller, bisexueller und exzentrischer Multimillionär und Zappelphilipp beschrieben, der sogar mit dem Schah von Persien befreundet war.
Seit Mitte der 70er Jahre hatte Hein Kontakte zu arabischen Staaten wie Saudi-Arabien und Kuweit sowie zum Iran. Ihm war klar, dass in den Ölländern das große Geld zu verdienen war. Über einen libanesischen Staatsbürger konnte er 1977 die ersten Verbindungen nach Libyen knüpfen. Hein lernte Ragab Mabruk Zatout kennen, der zu dieser Zeit nicht nur im libyschen Tobruk eine Baufirma besaß, sondern auch beste Kontakte zur libyschen Führung hatte. Zatout verschaffte Hein ein Treffen mit Muammar al-Gaddafi und dem ehemaligen libyschen Premierminister Abdel Salem Dschalloud. Anschließend besuchte Zatout Hein häufig in Berlin; zwischen dem deutschen und dem libyschen Bauunternehmer entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis.
Ende der 70er Jahre verließ Zatout Libyen. Er kam zunächst nach Berlin, wo ihm Hein zwanzig falsche Diplomatenpässe von der bolivianischen Botschaft besorgte. Als Roberto Zatout, bolivianischer Staatsangehöriger, reiste der Libyer in die USA und ließ sich in Texas nieder. Der Spiegel schrieb: „Zatout bestreitet später, dass er jemals für die CIA gearbeitet habe, und doch scheint es eine Verbindung zu geben.“[4] Und Hein meinte: „dass er es „in Libyen in seinem Streben nach Geld zu weit getrieben“ habe, weshalb „der libysche Staat sich dagegen gewehrt haben musste.“[5]
Hein besuchte Zatout in den USA, Zatout kam nach Deutschland. Zwei Brüder im Geiste, denen es nicht in erster Linie um Politik ging, sondern um den Kick, der einsetzt, wenn man das ‚große Geld‘ macht, auch mit kriminellen Methoden. Später dokumentierte die Staatsschutzabteilung des Bundeskriminalamts die Reiseaktivitäten Zatouts, soweit dies möglich war.
Hein sagte später bei den Ermittlungsbehörden aus, Zatout habe eine Exportfirma betrieben, die einen Ableger in Südkorea hatte, der Libyen belieferte. Südkorea, ein Verbündeter der USA und von den USA abhängig, war ein wichtiger Geschäftspartner Libyens. Als 2011 der NATO-Krieg gegen Libyen begann, waren 47 südkoreanische Unternehmen, davon 24 Baugesellschaften, mit 1400 südkoreanischen Arbeitskräften in Libyen aktiv.[6]
Laut Hein hatte sich Zatout mittlerweile zum Regierungsgegner gewandelt, er hätte „der Politik Gaddafis gegenüber eine feindliche Haltung“ eingenommen. Zatout habe „aber nicht in erster Linie politische Überlegungen angestellt“, sondern sei „zum Regimegegner geworden, weil seine finanziellen Interessen in Libyen vom dortigen Staat nicht mehr geteilt worden waren.“ Erst später korrigierte sich Hein und meinte, Zatout hätte vor allem politische Interessen verfolgt. Zatout stilisierte sich zunehmend zum Regimegegner, doch darf davon ausgegangen werden, dass es ihm in erster Linie um den eigenen Profit ging.
Mittlerweile hatte Zatout seinen Firmensitz ins US-amerikanische Virginia verlegt, nicht allzu weit von der CIA-Zentrale in Langley entfernt. Inzwischen befürwortete er für Libyen eine Monarchie, was sich mit den Vorstellungen der CIA gedeckt haben dürfte. Man erinnere sich: Auch 2011 marschierten die ‚Aufständischen‘ unter der monarchistischen Flagge und liebäugelten mit der Wiedereinsetzung eines Königs. Von den US-Behörden erhielt Zatout Personenschutz, da er als gefährdete Person galt.
Hein sagte in Berlin aus, dass Zatout auch über gute Kontakte zu sudanesischen Regierungskreisen verfügte. Im Sudan hatte am 7. Oktober 1981 die von der CIA unterstützte National Front for the Salvation of Libya (Nationale Front für die Rettung Libyens – NFLS), deren Ziel der Sturz Gaddafis war, ihre Gründung bekannt gegeben, laut CIA die größte und aktivste libysche Oppositionsgruppe. Deren Mitglieder hatten sich vorab in der Kairoer Wohnung des Libyers Dschaballah Matar getroffen. Matar war der Kopf des gegen Gaddafi gerichteten Komplotts.
Dschaballah Matar war bei der Berliner Staatsanwaltschaft und Polizei genauso aktenkundig wie beim Bundesamt für Verfassungsschutz, beim MAD und BND sowie beim CIA, MI6 und bei Scotland Yard. Ursprünglich war Matar Libyens Botschafter bei der UNO in New York, legte sein Amt jedoch 1973 nieder, angeblich aus Protest gegen die Politik Libyens. Die Familie Matar kehrte zunächst nach Libyen zurück, bevor sie 1979, wie damals viele reiche Libyer, nach Ägypten emigrierte.
Heins Mitarbeiter, der Waffenspezialist Helmut Nägler, fertigte aus Deko-Pistolen scharfe Waffen. In der späteren Anklageschrift (AZ 68 Js 43/85) der Westberliner Staatsanwaltschaft heißt es, dass „die Waffenbesorgungen durch den Angeschuldigten Hilmar Hein [den Schlüssel lieferten für] die offenkundigen politischen Aktivitäten der gesondert verfolgten Zatout und Matar.“[7] Damit wurden eindeutig Hilmar Hein und seine Mitarbeiter in das politische Komplott gegen Gaddafi miteinbezogen. Nägler sagte aus „mitunter hätte Hein diese [Waffen] erhalten“.
Der terroristische Geheimbundes der Gaddafi-Gegner nannte sich ‚El Burkan‘ (Vulkan). Pistolenbastler Nägler von der Berliner Staatsanwaltschaft danach befragt, gab zu Protokoll, dass Zatout zum inneren Zirkel dieser Gruppe gehöre.
Ende 1983 kam Zatout gemeinsam mit Matar nach Berlin. Zu Hein sagte er: „Wenn Gaddafi weg bist, dann bist du unser Mann in Deutschland. Dann kommst du groß raus.“[8] Matar hatte gute Kontakte zu einer Düsseldorfer Baufirma, die auch in Libyen arbeitete. Mit Hilfe von Baufirmen war es möglich, als Mitarbeiter getarnte Agenten und Regierungsgegner nach Libyen einzuschleusen.
Der stinkreiche Matar besaß neben seiner Wohnung in Kairo nicht nur einen Landsitz im englischen Yorkshire, sondern auch eine Adresse im US-amerikanischen Virginia, nur wenige Blocks von Zatouts Haus entfernt. Bei der CIA, die ihr weltpolitisches Hauptaugenmerk auf Libyen gelenkt hatte, waren dies bestimmt gern gesehene Nachbarn, nicht nur um Material gegen Libyen zu sammeln, sondern auch, um Agenten anzuwerben. Mark Altten schreibt: „Zahllose Agenten wurden auf Gaddafi angesetzt, versuchten, ihm auf den Fersen zu bleiben, ihm überallhin zu folgen, ihn und seinen Tross zu fotografieren, seine Streifzüge in die Wüste zu dokumentieren, seinen Nachrichtenverkehr zu entschlüsseln und seine Telefongespräche und andere Gespräche mitzuhören.“
Hein stand auch zu einem der reichsten Männer der damaligen Welt, dem aus Saudi-Arabien stammenden Waffenhändler Adnan Kashoggi, in Beziehung. Auf dessen Luxusyacht, die im Hafen von Nizza vor Anker lag, waren auch Politiker wie der Berliner Innensenator Heinrich Lummer (CDU) gern gesehene Gäste.
Als Matar wieder einmal in Berlin auftauchte, besuchte das Trio Hein, Zatout und Matar das Bordell ‚Regina‘, wo sie den Chef des Etablissements, den ehemaligen Fremdenlegionär Dieter Harbecke kennenlernten. Laut Mark Altten ein „Mann fürs Grobe“. Der Spiegel vom September 1988 bezeichnete ihn allerdings als ‚Polizeispitzel‘.[9] Es kursierte das Gerücht, er sei „ein regelrechter V-Mann, die kriminelle Legende die sichere Tarnung“.
Helmut Nägler gab an, Hein habe ihn gefragt, ob nicht gewisse Leute bereit wären, für zehn Millionen Mark einen bestimmten Auftrag zu erledigen. Hein hatte ein Angebot weitergeleitet, das ihm von der Zatout-Gruppe um die Jahreswende 1983/84 gemacht worden war: Zehn Millionen Mark für die Eliminierung Gaddafis. Jahre später berichtete Der Spiegel, dass Zatouts und Matars Mittelsmännern in London Hein den großen Plan erzählt hätten. „Sie wollen Anschläge auf die libyschen Botschaften, die Volksbüros, in Bonn und Brüssel verüben. Aber das soll nur der Anfang sein: Es gehe darum, Gaddafi zu beseitigen. Ob er ihnen helfen könne? >Es gibt 30 Millionen Dollar dafür<.“[10] Hein begab sich auf Killer-Suche, so von mehreren Personen aktenkundig bezeugt.
Manfred Meyer war der Privatchauffeur Heins, sein Intimus und daneben eine Art Mädchen für alles. Meyer sagte bei einem Rundfunkinterview: „Hein und ich… dass wir beide dann irgendwann in Tripolis sitzen […] und dass wir dann ein Leben haben, und er hat dann das gesamte Haushaltsbudget, was Libyen praktisch mit Europa hat. Und er würde dann praktisch in Libyen so ‚ne Art wie Handelsbeauftragten machen.“ Daneben arbeitete Meyer unter dem Decknamen ‚Cheops‘ für die DDR-Staatssicherheit, die ihn richtigerweise für einen Doppelagenten hielt, der gleichzeitig Kontakte zur CIA pflegte. Es lag auf der Hand, dass Meyer die US-Botschaft in Ostberlin mit Koks belieferte.
Dank Nägler konnten Anfang Januar 1984 die ersten fünf bis zehn Waffen von Hein an Zatout übergeben werden. Manfred Meyer gab über den Waffentransport nach Rom öffentlich zum Besten: Hein „fährt mit seinem weißen, mit dem 500er SEC, ich mit dem blauen 190er hinterher. Sind wir rübergefahren nach Rom. Also über Wörgl, da haben wir übernachtet […] und dann nach Rom. Und dann drüben in Rom war dann auch Zatout da … wegen einer Waffe.“[11]
Am 21. Januar wurde in Rom auf Ammar Daw Moktar Taggazy, den Chef des libyschen Volksbüros, auf offener Straße geschossen. Nach drei Wochen erlag Taggazy seinen schweren Verwundungen. Zur Zeit des Anschlags hatte sich auch der Bordellbesitzer Harbecke in der Stadt aufgehalten.
Zwei Tage nach dem Mordanschlag auf Taggazy stand in der Washington Post zu lesen, dass sich die bis dahin unbekannte Terrorgruppe ‚El Burkan‘ zu dem Attentat bekannt hatte. Die Westberliner Staatsanwaltschaft stellte zu Heins Beteiligung später fest, sie sei „nicht belegbar, wenn auch sehr wahrscheinlich.“
Helmut Nägler hatte sich am 28. Febuar 1984 mit vier Pistolen Walther PP 7,65 mm auf den Weg nach London gemacht. Bei einer Vernehmung sagte Olaf Janick, ebenfalls ein Mitarbeiter von Hein, er hätte im Auftrag von Hein die Fahrkarten für Nägler bestellt. Hein habe pro Waffe 25.000 DM bekommen. Die Waffen, die für Zatout bestimmt waren, wurden in London von Dschaballa Matar in Empfang genommen. Obwohl Hein nachweislich am 28. Feburar nicht in London war, wurde an diesem Tag dort von einer Person seine Kreditkarte benutzt. Hein schuf sich damit ein Alibi: Denn am 28. Februar wurde in Würzburg der Koch Helmut Krug erschossen, der für die Baufirma Bilfinger Berger in Libyen arbeitete. Er war in einer Wohnung praktisch hingerichtet worden. Erst Jahre später gab Manfred Meyer der Polizei die Hinweise auf die Verbindungen zwischen Krug und dem Nachtclub ‚Regina‘ in Berlin. Es wurde vermutet, Krug sei bei der Terroristengruppe ‚El Burkan‘ in Ungnade gefallen.
Der nächste Anschlag fand in Großbritannien statt, dem Hauptsitz libyscher Exilgruppen wie National Front fort he Salvation of Libya (NFSL) oder der Libyschen Befreiungsorganisation, die alle einen ausgezeichneten Draht zur CIA hatten, von der sie finanzielle Mittel bezogen. Zatout nahm eine bedeutendende Stellung bei ‚El Burkan‘ ein, zu deren Anführern Dschaballah Matar gehörte.
Laut dem US-Magazin Newsweek demonstrierten am 17. April 1984 73 Gaddafi-Gegner vor dem Libyschen Volksbüro am Londoner St. James‘ Square. Die Demonstration hatte die NFSL organisiert. Plötzlich waren Schüsse zu hören, von denen die britische Polizistin Yvonne Fletchers tödlich getroffen wurde. Ein Fernsehteam war wundersamer Weise vor Ort und hatte den Tod von Yvonne Fletcher gefilmt, der in den Abendnachrichten um die ganze Welt ging. Es hieß, die Schüsse seien aus dem zweiten Stock des Hauses abgeben worden, dort, wo sich die Räume des Volksbüros befanden. Die öffentliche Stimmung kippte. Während sich vorher Gaddafi in der westlichen Öffentlichkeit durchaus gewisser Sympathien erfreute und ein aggressiver Akt gegen Libyen auf keinerlei Verständnis gestoßen wäre, kam es nun nicht nur in Großbritannien, sondern auch in den USA und in Europa zu Anti-Gaddafi-Protesten. Neben den libyschen Diplomaten wurden auch alle Libyer, die eine Verbindung zur Dschamahirija hatten, aus Großbritannien ausgewiesen.
Schnell wurde klar, was es mit den Vorgängen um das Volksbüro am St. James‘ Square in London tatsächlich auf sich hatte. Reagan und Thatcher erhofften sich, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG), Haupthandelspartner mit Libyen waren Italien, die BRD und Griechenland, nun dazu bringen zu können, alle Wirtschaftsbeziehungen mit Libyen abzubrechen. Allerdings war die EWG dazu nicht bereit. Zu undurchsichtig waren die Vorgänge um den 17. April 1984 in London.
Erst 1997 wurde der Autopsiebericht der getöteten Yvonne Fletcher publik gemacht. Aus dem Einschusswinkel ging hervor, dass der Schuss nicht aus dem zweiten Stock des Hauses abgegeben worden sein konnte, wo sich das Volksbüro befand, sondern aus mindestens dem sechsten Stockwerk, wenn nicht aus einer noch höher gelegenen Etage. Als das ARD-Magazin Panorama dazu Manfred Meyer befragte, sagte dieser: „Wir haben ganz offen darüber gesprochen, dass es unsere Waffe war. Das ist unser Ding, so haben wir gesprochen damals.“[12]
Ende April des gleichen Jahres 1984 reiste Hilmar Hein nach Thailand. Dort traf er sich mit Zatout sowie mit John Poindexter, Sicherheitsberater von Präsident Reagan und in die Iran-Contra-Affaire verwickelt, und mit Oliver North, Mitarbeiter des Nationalen Sicherheitsrats und CIA-Agent, ebenfalls in die Iran-Contra-Affaire involviert. Oliver North kümmerte sich laut Der Spiegel „um die Absetzung unliebsamer Staatschefs. Er erinnert sich noch gut an die Memos von ‚El Burkan‘ und der NFSL, die über seinen Schreibtisch gingen.“[13] In Bangkok hatten nicht nur die CIA, sondern auch der israelische Geheimdienst Mossad, Hauptniederlassungen.
In Libyen selbst war es schon im April zu einem Brandanschlag auf die Universität von Tripolis gekommen, im Mai griff die LNSA eine militärische Anlage in der Nähe von Tripolis an. Der Journalist Jack Anderson berichtete in einem Artikel, der in mehreren amerikanischen Zeitungen erschien, dass die Terroristengruppe von der CIA finanziert und ausgebildet worden war.
Schon wenige Tage später, am 8. Mai 1984, griffen NFSL-Leute das Hauptquartier und die Privatwohnung von Gaddafi, die Bab el-Asisija-Kaserne in Tripolis, an. Laut Süddeutscher Zeitung kam es zu einem fünfstündigen Feuergefecht, bei der alle Angreifer und Dutzende von Gaddafi-Leibwächtern getötet wurden. Gaddafi selbst überlebte. In den Berliner Polizeiakten steht: „Zatout ist der Mitbegründer der libyschen Dissidentenbewegungen ‚Libyan National Salvation Army‘.“[14] Und: „Zatout ist als Angehöriger der LNSA anzusehen, der auch Matar zuzurechnen sein dürfte. Als Deckbezeichnung dieser Gruppierung wurde auch der Name ‚El Burkan‘ bekannt.“[15] Sowohl Hein als auch Harbecke brüsteten sich in Berlin mit einer mittelbaren Urheberschaft an dem Putschversuch.
In Westberlin hatten sich schon Gaddafi-Gegner zur Siegesfeier versammelt. Daraus wurde nichts. Stattdessen wurden in Libyen etwa 8500 Personen festgenommen.
Die Süddeutsche Zeitung schrieb am 16. Mai 1984: „Libysche Regimegegner haben nach eigenen Angaben in der vergangenen Woche mehrere militärische und zivile Einrichtungen in Tripolis und Bengasi zerstört. Wie eine sudanesische Radiostation unter Berufung auf ein Kommuniqué der Nationalen Front zur Rettung Libyens (NFSL) meldete, legten Kommandos der NFSL den Zentralcomputer des Luftwaffenstützpunkts Abrak bei Tripolis lahm. Einen Tag darauf habe ein zweites Kommando eine Radiostation in der Nähe von Bengasi gesprengt und den Sendemast von Radio Tripolis beschädigt.“

Mohammed Jussef al-Magariaf war der erste Präsident der LNSA. Der Spiegel berichtete im Juni 2011, dass sich al-Magariaf nicht nur mit dem FBI getroffen habe, sondern auch Kontakt zu Zatout hatte. Sowohl Magariaf als auch Dschaballah Matar wurden 1990 in Kairo festgenommen und der libyschen Justiz übergeben.
Zwischenzeitlich war das Misstrauen zwischen Zatout und Hein immer stärker angewachsen. Es ging um 30 Millionen Dollar, die für den Mord an Gaddafi ausgelobt waren. Zehn Millionen Mark hatte Hein schon aus seiner Privatschatulle an den Bordellbesitzer Harbecke gezahlt, er wollte mit auf Zatout ausgestellten Treuhandschecks in Vorlage treten. Doch von Zatout kam keine ‘Knete‘ rüber. Wie Mark Altten berichtet, „lagern noch heute auf einer französischen Bank in Genf einige Millionen, an die nur heranzukommen ist, wenn zwei Unterschriften aus dem Dreigestirn Matar-Zatout-Hein vorgelegt werden können.
In der Mordsache Gaddafi traute keiner mehr keinem. So schoss Harbecke, der sich ausgebootet fühlte, zur Warnung auf Heins Auto. Hein legte sich daraufhin einen Bodyguard zu: den Boutique-Besitzer Moshe Ben Ari, den das Bundeskriminalamt laut dem Stern zu einer „Schlüsselfigur der osteuropäischen organisierten Kriminalität in Deutschland“ zählt. [16] Ben Ari war israelischer Staatsbürger und stand im Dienste des Mossad. Dieser Geheimdienst konnte, wie andere auch, in Westberlin aufgrund des Besatzungsstatuts der Stadt unbehelligt schalten und walten. Wenn ein Mossad-Mann wie Ben Ari Hein beschützte, kann man daraus schließen, dass Israel, der CIA und dem MI6 die Ermordung Gaddafis ein Herzensanliegen war. Hein gab später vor Gericht zu, von Ben Ari mindestens eine Pistole erhalten zu haben.
Ohne von hohen Stellen in der Politik gedeckt zu werden, waren diese kriminellen Umtriebe in Westberlin schlichtweg undenkbar. Eine besondere Rolle spielte dabei der CDU-Innensenator Heinrich Lummer, dessen Mitarbeit beim Bundesnachrichtendienst ein offenes Geheimnis war und dessen Bekanntschaft Hein sich rühmte: Man habe mit Lummer „schöne Stunden in diversen Rotlicht-Gaststätten verbracht und ihn als zuverlässigen Freund kennengelernt“. So erklärt sich, dass Hein keinerlei Probleme hatte, an amtliche Dokumente wie Führerscheine oder Personalausweise zu gelangen oder sogar Strafakten verschwinden zu lassen. Lummer wurde auch verdächtigt, in Heins Waffenschiebereien für die libysche Exilterrorgruppe ‚El Burkan‘ verwickelt zu sein.
Laut polizeilichen Notizen trafen sich im Frühsommer 1984 Hein, Ben Ari und einige Belgier auf einer Autobahnraststätte in Belgien. In den Gesprächen soll es um Anschläge in Brüssel, Genf oder Zürich gegangen sein.
Und es folgte der nächste Tote in diesem blutigen Jahr. Am 20. August 1984 wurde Ali el-Dschahur (el-Giahour), ein libyscher Geschäftsmann, mit einer Walther PP mit aufgesetztem Schalldämpfer in London durch Genickschuss liquidiert. Dies geschah in einer Wohnung, die vermutlich von Zatout angemietet worden war. Die Tatwaffe wurde in der mit Wasser gefüllten Badewanne hinterlassen.
Zum Zeitpunkt des Mordes an el-Dschahur hielten sich sowohl Hein als auch sein Bodyguard Moshe Ben Ari in London auf; beide kehrten am 20. August nach Berlin zurück. Manfred Meyer sagte später aus, dass am 25. August 1984 bei einem Gartenfest in Frohnau ganz offen über diesen Mord gesprochen wurde.
Als ein Jahr später New Scotland Yard für Ermittlungen bezüglich des el-Dschahur-Mordes in Berlin auftauchte und Nägler die Mordwaffe vorlegte, bestätigte dieser, sowohl die Pistole als auch den Schalldämpfer wiederzuerkennen: „Bezüglich der mir vorgelegten Waffe kann ich sagen, dass dies offensichtlich eine Waffe sein muss, die von mir umgebaut beziehungsweise verändert wurde. […] bin ich hundertprozentig davon überzeugt, dass die Waffe von mir umgebaut wurde.“ Diese Aussage wurde auch von Harbecke bestätigt: „Ich bin mir sicher, dass es sich hier um die Pistole handelt, die ich dem Chef der Gerüstbaufirma Hein, Herrn Hilmar Hein, übergeben habe.“
Wie die New York Times berichtete, wurde gegen das Mordopfer el-Dschahur in Zusammenhang mit einer Serie von Bombenanschlägen ermittelt. El-Dschahur war 1980 aus dem Exil nach Libyen zurückgekehrt und hatte seine Loyalität zur Dschamahirija erklärt. Er lebte später wieder in England. Von dort machte er auch einmal einen Ausflug nach Berlin, um sich mit Hein zu treffen. Wollte er testen, ob Hein umzudrehen war?
Bei einem USA-Flug hatte Hein seinen Geschäftspartner Werner Stange gefragt, ob er bereit wäre, Gaddafi für zehn Millionen Mark aus dem Weg zu räumen. Allerdings hätte Hein auch die Idee geäußert, die Seiten zu wechseln und Zatout an Gaddafi zu verraten. Mit Ideologie hatte Hein wohl wenig im Sinn, es ging immer nur um Geld und Koks. Manfred Meyer beschrieb den Zustand Heins, nachdem dieser ‚ein Näschen genommen‘ hatte. „Wie ein armer Irrer stierte der Multimillionär Löcher in die Luft, während er sich besorgniserregend von Schüttelkrämpfen gepackt an der Schreibtischkante festklammerte… Sein wirrer Blick ließ mich das Schlimmste befürchten.“[17]
Hein wurde von Zatout schon lange nicht mehr als zuverlässig eingestuft.
Ein anderer Mitarbeiter von Hein, Olaf Janick, gab später zu, von Hein als ‚Hitman‘, also Auftragsmörder, angeheuert worden zu sein: „Hilmar Hein fragte mich auch mal, ob ich bereit sei, für den Betrag von 10.000.000 DM jemanden umzulegen. […] Das Geld sollte auf ein Schweizer Konto eingezahlt werden. Wer ermordet werden sollte, war mir nicht genannt worden, Hein sagte mir aber, dass es sich um einen Mann handeln sollte, der viel Unrecht getan habe, Leute quäle, selbst Leute umbringen ließe und ein Schwein sei. Ich sagte Hein, dass ich für 10.000.000 DM dazu bereit wäre, jemanden im Ausland umzubringen. Meine Fluchtwege sollten gesichert werden. Ich sprach Hilmar Hein später noch einmal darauf an, und zwar im Frühjahr 1984, und er sagte mir, es habe noch Zeit.“
Im Herbst 1984 lobte Hein einen weiteren Anschlag bei Nägler aus. Für 30.000 DM sollte ein Brandanschlag auf die libysche Volksvertretung in Bonn verübt werden. Auch Meyer war in den Anschlag involviert, der zunächst mit Panzerfäusten, dann mit Handgraten und zu guter Letzt nur noch mit zwei Molotowcocktails auf das libysche Gesundheitsbüro ausgeführt wurde. Der Sachschaden betrug tausend DM.
Weniger harmlos war das nächste Attentat. Am 13. Januar 1985 wurde in Rom der libysche Kulturattaché Farag Omar Makhyoun vor seiner Wohnung von zwei Angreifern erschossen. Zu der Tat bekannte sich die Terrororganisation ‚El Burkan‘. Interpol Wiesbaden schrieb dazu, „dass die Tatwaffe im Mordfall zum Nachteil des Kulturattachés des libyschen Volksbüros in Rom, Makhyoun, Farag Omar, … aus einer Berliner Werkstatt stammen dürfte.“ Und weiter: „Nach hier vorliegenden Erkenntnissen sollte Exillibyer Zatout […] an diesem Mord beteiligt gewesen sein. Außerdem steht er im Verdacht, bei dem Mord zum Nachteil Taggazy am 21. Januar 1984 in Rom beteiligt gewesen zu sein.
Die Spur der Tatwaffe für den Mord an Makhyoun führte zunächst zu dem belgischen Waffenhändler William Apikian, den im Sommer 1984 Hein und Meyer in Belgien aufgesucht hatten. „Aus Belgien sollen in der Folgezeit auch Waffen geliefert worden sein“, so das BKA. Und im Westberliner Polizeibericht heißt es, sowohl Nägler als auch Meyer hätten anhand eines Fotos die Waffe als eine durch die Berliner Werkstatt gegangene Pistole identifiziert. Der vierte Mord an Libyern, bei dem die Mordwaffe nach Westberlin wies.
Am 25. Februar 1985 stellte sich Manfred Meyer in Berlin der Polizei und gab an, mit einem Mord in Wien beauftragt zu sein. Von einem gewissen Levenzon sei ein Mordanschlag in Zusammenarbeit mit dem Mossad-Agenten Moshe Ben Ari geplant. Doch die Polizei wollte davon nichts wissen und schickt Meyer wieder nach Hause. Dabei war der israelische Staatsbürger Gennadij Levenzon bereits polizeilich bekannt, da bei ihm bei der Ausreise nach Belgien im September 1984 zwei Pistolen mit Schalldämpfern gefunden worden waren.
So konnte die Anschlagsserie der Mordbuben am 28. Februar 1985 eine Fortsetzung finden. Auf offener Straße wurden sieben Schüsse auf den ehemaligen Chef der libyschen Botschaft in Wien, Ezzedin al-Ghadamsi, abgegeben. Ghadamsi überlebte den Anschlag schwerverletzt. Die Täter wurden nicht gefasst, merkwürdigerweise hinterließen sie aber wiederum in einer Seitenstraße die Tatwaffe mit Schalldämpfer. Was heute die an Terrortatorten gefundenen Personaldokumente sind, waren zu damaligen Zeiten die Mordwaffen, die sich zu bestimmten Personengruppen zurückverfolgen ließen. Im Gegensatz zu heute wurden die Tatverdächtigen allerdings nicht sofort zwecks Spurenverwischung unverzüglich erschossen, sondern von der Justiz äußerst milde behandelt.
Manfred Meyer packte aus und die Berlin-Gang wanderte auf die Anklagebank. In seinem Buch schreibt er: „Nach insgesamt einem Gesamtjahr in der Moabiter U-Haft und einem Jahr im offenen Strafvollzug wurde im September 1989 das dritte und letzte Jahr meiner Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Noch weniger Bestrafung wäre unanständig und wahrscheinlich selbst mir peinlich gewesen.“ Auf seiner Website www.justizwillkuer-berlin.de, auf der er auch Originaldokumente veröffentlicht, heißt es heute: „Ich schäme mich nicht, dass ich die von Westberlin aus in Europa mordende exillibysch-deutsche Terrororganisation "Al Burkan" 1984 an das DDR- Ministerium für Staatssicherheit verraten habe.“ „Ich schäme mich, dass ich erst 1985 bei "Al Burkan" ausgestiegen bin und die 23-jährige englische Polizistin Yvonne Fletcher nicht vor ihrer Ermordung durch "Al Burkan" in London bewahrt habe.“ „Und ich schäme mich, dass ich am Freitag den 4. April 1986 vor allem um mein eigenes Leben, aber nicht intensiver für das Leben der Menschen in der Westberliner Diskothek La Belle gekämpft habe.“
Nachdem die Westberliner Polizei zwei Jahre gegen Hilmar Hein und dreizehn weitere Angeklagte ermittelt hatte, wurde Hein in 30 von 67 Anklagepunkten schuldig gesprochen und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.[18] 1991 wurde er vorzeitig auf freien Fuß gesetzt. Legte er die Spuren zu sich und der ‚El-Burkan‘-Gruppe absichtlich?
Nägler lebt heute in der Schweiz, in einer Villa, die einst Hilmar Hein gehörte. Hein reist oft in die Schweiz, um Nägler zu besuchen.
Dieter Harbecke wurde im Hein-Prozess für Waffenlieferungen nur zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und zur Zahlung von 12.000 DM verurteilt. Bei einer Explosion auf einem Boot an der Rhone-Schleuse bei Lyon erlitt er schwere Verbrennungen. Es reiste eine Mordkommission aus Westberlin an, um zu prüfen, ob es sich nicht um einen Mordanschlag gehandelt haben könnte. Bestätigt wurde dies nicht.
Rageb Zatout, der von der Washington Post als „Auftragskiller der Libyer, CIA-Doppelagent und Agent provocateur“ eingeschätzt wurde, gab sich 2011 als Gaddafi-Opfer. Bereits am 11. April 2011 gründete er mit anderen Exilanten in Bengasi die New Libya Party, in der wohl nur er selbst eine ‚Hoffnung für die Demokratie‘ sieht. Die Partei habe in den USA, Kanada und Deutschland Anhänger. Das lässt sich denken, vor allem unter den Geheimdiensten. In Libyen dürfte sich die Zahl der Anhänger in engen Grenzen halten.
Der Spiegel schrieb Zatout glatt im Juni 2011 zum heute wichtigen „Mann der libyschen Opposition“ hoch, „ein Berater der Aufständischen“. Er stellte dies unter anderem bei einem Interview von CNBC Arabiya unter Beweis, wo er seine Vorstellungen des ‚neuen Libyens‘ verbreiten konnte. Ansonsten pendelte Zatout zwischen Bengasi und den USA. Der Mann, der sofort eine eigene Website[19] betrieb, weiß, wie man im Geschäft bleibt.
Der Spiegel: „Hilmar Hein und Ragab Zatout haben sich mit Libyens Diktator Muammar al-Gaddafi angelegt, lange bevor die UNO tagte und die NATO ihre Bomber losschickte. Hein hat dafür fünf Jahre im Gefängnis gesessen. Zatout tritt inzwischen als Politiker in arabischen Nachrichtensendern auf.“[20] Dort brüstet er sich damit, gemeinsam mit Dschaballah Matar am 6. Januar 1981 die Terrororganisation Libyan National Salvation Army (LNSA) ins Leben gerufen zu haben. Der Spiegel weiter: „Heute, wo die ganze Welt mit Gaddafi abrechnen will, sieht es plötzlich so aus, als hätten die beiden von Anfang an auf der richtigen Seite der Geschichte gestanden, nicht nur der libysche Abtrünnige, auch der Berliner Gerüstbauer.“ Killer, die sich damit brüsteten, Diplomaten und eine unschuldige Polizistin auf dem Gewissen zu haben, sollen plötzlich auf der ‚richtigen Seite‘ gestanden sein? Botschafter zu erschießen kann wohl niemals die richtige Seite sein, sondern ist in jedem Fall kaltblütiger Mord! Wie schnell Der Spiegel hier alle rechtsstaatlichen Bedenken über Bord schmeißt, ist schon erstaunlich.
Dschaballah Matar wurde im März 1990 in Kairo festgenommen und nach Libyen ausgeliefert, wo er bis 2011 in Tripolis im Gefängnis saß. Ab 2010 war Hischam Matar, der Sohn Dschaballah Matars, ein umworbener Interviewpartner der westlichen Medien, der seinen Vater, der auf der Liste von amnesty international stand, geschickt als Opfer des ‚Gaddafi-Regimes‘ aufbaute. Selbstverständlich kam dabei die Vorgeschichte des Dschaballah Matars, die zurück in die 70er und 80er Jahre führt, nicht nur Sprache. Ein anderer Sohn von Dschaballah Matar heißt Ziad Matar. Er forderte 2011 ebenfalls die Freilassung seines Vaters und wollte ein schnelleres Tempo der NATO-Operationen in Libyen. Er war, wie auch sein Vater und sein Bruder, ein führendes Mitglied der NFSL.
Zu simpel klingt die Schlussfolgerung, dass die Gruppe ‚El Burkan‘ um den Exillibyer Zatout und die halbseidene Gruppe um den Berliner Bauunternehmer jeweils die Strippenzieher der Anschläge und Morde in den 80er Jahren waren. Wer stand wirklich hinter diesen Anschlägen? Mark Altten schreibt, dass „diese Morde für die Westberliner Terror-Gang juristisch folgenlos“ blieben. […] Im ‚El-Burkan‘-Komplott deutete … vieles darauf hin, dass solche geheimdienstlich-terroristischen Operationen perfekt abgesichert waren.“ Und er stellt die Frage, „ob der Mossad direkte Hilfestellung für ‚El Burkan‘ leistete.“ Es hatten sicher nicht nur der Mossad, sondern auch die CIA und andere westliche Geheimdienste ihre Finger im Spiel. Ob auch der libysche Innenminister Junes Belgassen mit der Anschlagsserie etwas zu tun gehabt haben könnte, wie Altten andeutet, bleibt fragwürdig. Manfred Meyer meint immer noch, die Hein-Gangster hätten „die getäuschte CIA wie einen Tanzbären am Nasenring durch die weltpolitische Arena gezogen.“ Wer da wen am Nasenring gezogen hat, ist ganz sicher nicht so eindeutig zu klären.
Sicher dagegen ist, dass viele Menschen ihr Leben verloren, und dass darüber nur solche Informationen und Details in Artikel oder Buchform an die Öffentlichkeit gelangten, von denen man irgendwann auch wollte, dass die Öffentlichkeit sie erfährt. Wie immer liegt die Deutungshoheit ausschließlich in den Händen des politischen und medialen Mainstreams.


[1] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011
[2] ARD-Sendung „Mahagony an der Spree“ am 6.8.1989, zitiert in „Die Zeit“, nach: Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“
[3] Manfred G. Meyer „Gaddafi, Koks und Knaben – ein CIA-Mordkomplott“, Berlin 2012
[4] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-79175780.html - Der Spiegel 27.6.2011
[5] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011
[6] Laut dem südkoreanischen Rundfunksender KBS, nach: Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“
[7] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011
[8] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011
[9] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13528916.html
[11] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011
[12] Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“, Berlin 2011
[13] Der Spiegel, Juni 2011
[14] Berliner Polizeiprotokoll vom 31.7.1985, nach: Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“
[15] Berliner Polizeiprotokoll vom 11.9.1985, nach: Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“
[16] Stern vom Oktober 1994, nach: Mark Altten „Das Gaddafi-Komplott“
[17] Manfred Meyer „Gaddafi, Koks und Knaben“
[18] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13522238.html
[19] http://rmz-kawater.blogspot.com/2011/09/blog-post_30.html

Donnerstag, 22. Dezember 2016



LIBYEN-KURZMELDUNGEN


Die Kurzmeldungen zu Libyen sind der Website www.welt-im-blick.de entnommen und laufen dort unter der Rubrik "Kurz und knapp in zwei Sätzen".
Der Libyen-Krieg stellte den Beginn einer neokolonialen Offensive des Westens gegen Afrika dar. Ihm vorangegangen war 2011 bereits der französische Kampfeinsatz gegen die Elfenbeinküste. Nun ist Syrien das nächste Opfer. Deswegen werden wir auch über diese Konflikte und die westliche Destabilisierungspolitik in Afrika berichten.

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Demokratische Republik Kongo: Lumumbistischer Parteiführer verhaftet
22.12.2016. Franck Diongo, Präsident der radikal-antikolonialen kleinen Oppositionspartei MLP (Fortschrittliche Lumumbistische Bewegung) und gewählter Wahlkreisabgeordneter aus Kinshasa, wurde dieser Tage von der Polizei verhaftet, nachdem diese zuvor sein Haus gestürmt und ihn verprügelt hatte. Der ebenso autoritäre wie unfähige Staatspräsident Joseph Kabila, der sich weigert, Präsidentschaftswahlen einzuberufen, obwohl seine Amtszeit seit Montag abgelaufen ist, geht aktuell knallhart gegen alle oppositionellen Bestrebungen vor, bei denen ein Machtwechsel gefordert wird.



Parlamentswahlen in der Elfenbeinküste: Ouattara-Regime sichert sich seine Macht trotz Verlusten
22.12.2016. Bei den Parlamentswahlen hat die Koalition von Anhängern des jetzigen Diktators Alessane Ouattara und jenen der 33-jährigen Diktatur von Staatsgründer Felix Houphouet-Boigny nur noch 155 von 255 Mandaten (vorher 211) erzielt. Die übrigen Stimmen gingen hauptsächlich an Kleinparteien und an die linke Ivorische Volksfront (FPI) des 2011 von Ouattara gestürzten Präsidenten Laurent Gbagbo, die aber auch nur drei Sitze erhielt, da sie gespalten in den Wahlkampf zog und ein Teil von Gbagbos Anhängern an der Strategie des Wahlboykottes gegen das neoliberale Putschistenregime Ouattaras festhielt.

Montag, 19. Dezember 2016



Eingesperrt und Entmenschlicht: Bericht über Menschenrechtsverstöße an Migranten

Libyen. Ein neuer UN-Bericht über die Situation von Migranten in Libyen liegt vor

Die UN-SMIL (United Nations Support Mission in Libya) und das UN-Büro des Hohen Menschenrechtskommissars haben einen Bericht über die unvorstellbaren Menschenrechtsverletzungen und den Missbrauch von Migranten in Libyen unter dem Titel „Detained and Dehumanised: Report on Human Rights Abuses against Migrants in Libya“ (Eingesperrt und Entmenschlicht: Bericht über Menschenrechtsverstöße an Migranten in Libyen) veröffentlicht.[1]
Die Migranten werden in Gefangenenlagern eingesperrt, von denen die meisten unter der Aufsicht der ‚Abteilung für den Kampf gegen illegale Migration‘ stehen. Sie haben dort keinen Zugang zu Anwälten oder zur Justiz. Sie werden weder registriert, noch gibt es ein legales Prozedere.
Es wird auch von Gefangenenlagern berichtet, die von bewaffneten Gruppen kontrolliert werden. Inmitten des politischen Chaos‘, das in Libyen herrscht, betreiben diese Gruppen ihre eigenen Lager und arbeiten dabei mit kriminellen Banden und Schmugglern zusammen.
Der Bericht beschreibt auch, wie Bewaffnete, angeblich Angehörige der Libyschen Küstenwache, Migranten missbrauchen. Sie bringen sie zurück zur Küste, schlagen sie, rauben sie aus und bringen sie dann in die Gefangenenlager.
„Der Zusammenbruch des Justizsystems führt dazu, dass Straftäter nicht mehr verfolgt werden. Deshalb konnten bewaffnete Gruppen, kriminelle Banden, Schmuggler und Menschenhändler die Kontrolle über den Migrantenstrom, der durch Libyen zieht, übernehmen“, heißt es weiter in dem Bericht.
Frauen aus dem Sudan sei empfohlen worden, sich Drei-Monats-Anti-Baby-Spritzen vor ihrer Abreise nach Libyen geben zu lassen, für den Fall, dass sie unterwegs vergewaltigt werden.
Der Hohe UN-Kommissar für Menschenrechte, Zeid Ra’ad al Hussein, sagte: „Die Liste der Gewalttaten und Missbrauchsfälle ist ebenso lang wie schrecklich. Das ist, einfach gesagt, eine Menschenrechtskrise, die hunderttausende Menschen betrifft.“
Die hygienischen Zustände in den Lagern spotten jeder Beschreibung. Manche Räume sind so überfüllt, dass sich die Migranten nicht einmal hinlegen können, teilweise gibt es in den Zellen nur die Möglichkeit, die Notdurft auf dem Boden zu verrichten. In einigen Lagern haben die Infektionserkrankungen daher stark zugenommen.
In dem Bericht werden die zuständigen libyschen Behörden aufgefordert, die am meisten schutzbedürftigen Migranten sofort freizulassen. Es sollte zu einem Ende aller willkürlichen Gefangennahmen kommen. Die Anzahl der Gefangenenlager müsse reduziert, Männer und Frauen müssten getrennt untergebracht, die Bedingungen in den Lagern verbessert und die Gefangenen vor Folter und anderen Formen des Missbrauchs geschützt werden. Und als mittelfristiges Ziel soll die irreguläre Migration entkriminalisiert und ein Asylgesetz ausgearbeitet werden.


A. Gutsche


  https://vivalibya.wordpress.com/2016/12/13/migrants-in-libya-facing-human-rights-crisis/

Donnerstag, 15. Dezember 2016



Ketzerische Fragen


Unter dem Titel "Ketzerische Fragen" hatte ich mir 2011 zu Zeiten des Libyen-Krieges ein Profil bei der Zeitung "FREITAG" eingerichtet. Allerdings gab es dann bezeiten Empörung über einige Fragen, die ich bezüglich des Krieges stellte, so daß ich das Profil dann einschlafen ließ.
Gestern fand ich die Datei wieder und veröffentliche hier nun den Text:
 

14.6.2011
Zu den Rebellen übergelaufene Offiziere der libyschen Regierungstruppen berichteten, die NATO-Bombardements haben die militärische Schlagkraft der Armee auf ein Fünftel ihrer ursprünglichen Stärke dezimiert. Damit währe die Regierungsarmee kaum noch in der Lage, gegen „Zivilisten“, die ja selbst bewaffnet sind mit schweren Waffen, vorzugehen.
Wenn die NATO wirklich mit ihrem Einsatz Zivilisten schützen will, wäre es da nicht besser und glaubwürdiger, sie stoppt ihr Bombardement der Millionenstadt Tripolis?



30.5.2011
Charles Bouchard, kanadischer Oberbefehlshaber des NATO-Überfalls auf Libyen, kritisierte am 27. Mai 2011 in der Tageszeitung „der standard“ die Verwendung von Anti-Personen-Minen durch die libysche Regierung. Diese Minen (aus westlicher Produktion) stünden im Gegensatz zu internationalem Recht und würden die Bevölkerung in Gefahr bringen.
"Minen unterscheiden nicht zwischen Kindern und Erwachsenen", sagte Bouchard.
Und die NATO-Bomben, welche täglich über Libyen abgeworfen werden, unterscheiden die etwa zwischen Kindern und Erwachsen?



27.4.2011
Lutz Herden schreibt im FREITAG, die NATO will nach eigenem Bekunden, so lange weiterbomben, bis Ghaddafi einem Waffenstillstand zustimmt. Aber dies hat er ja auf dem Treffen mit Vertretern der Afrikanischen Union (AU) bereits getan, nur die Rebellen verweigern sich einem Waffenstillstand. Wäre es da nicht sinnvoller, die NATO bombardierte Benghasi und andere Rebellenhochburgen, um einen Waffenstillstand zu erreichen?



27.4.2011
Die NATO erklärt, sie müsse die Gebiete Libyens, die noch unter Kontrolle der Regierung stehen, bombardieren, um mit ihren Bomben „Zivilisten“ besser schützen zu können.
Was für „Zivilisten“ sollen das aber sein, die mit eigenen Panzern und Raketenwerfern durch die Gegend fahren? Ab wann ist man für die NATO ein „Zivilist“? Wenn man gegen Ghaddafi ist?



21.4.2011
Dem libyschen Machthaber Muammar al-Ghaddafi wird vorgeworfen, (bewaffnete) „Zivilisten“ zu töten oder einen „Krieg gegen das eigene Volk zu führen“. Deswegen muß Libyen bombardiert und Ghaddafi gestürzt werden. Tatsächlich hat er aber nichts anderes gemacht, als Israel, wenn es wieder einmal gewalttätige Proteste der Palästinenser gibt – nämlich den Aufstand relativ präzise und brutal niederzuschlagen.
Warum also gibt es keine Flugverbotszone über Israel und kein Bombardement von Militärstützpunkten in diesem Land durch die NATO?
Es wäre doch, der Argumentation für den Libyen-Krieg folgend, nur gerecht...


12.12.2016

Trump siegte und die Börsen jubeln

Reset in den USA. Wird ExxonMobil Präsident Rex Tillerson Außenministers der USA? Tillerson ist bekannt für seine guten Beziehungen zu Moskau. - Das Scheitern der Außenpolitik Clintons.
Ein Grund für den Anstieg der Börsenkurse nach Trumps Wahlsieg dürfte die Möglichkeit eines kompletten Neustarts der USA in den internationalen Beziehungen sein. Dieser wird dringend benötigt, um weltwirtschaftlich im Geschäft zu bleiben. Nach dem kompletten Scheitern der US-Außenpolitik einer Hillary Clinton geht es nach dem Sieg der syrischen Regierung mit Hilfe vor allem Russlands, dem voraussichtlichen Erstarken einer souveränen libyschen Regierung und der Hinwendung des NATO-Partners Türkei nach Asien darum, den Schaden für die Wirtschaftsmacht USA möglichst zu begrenzen.
In den genannten Ländern wäre es für die USA unter einer Präsidentin Clinton kaum mehr möglich, ins Geschäft zu kommen. Clinton trug als Außenministerin die Verantwortung, den Regime-Change in Libyen und Syrien mittels dschihadistischer Söldnermilizen in Gang gesetzt, die Länder zerbombt und zerstört zu haben. Das wäre aus Sicht der USA vielleicht das kleinere Problem, das größere ist, dass das Kalkül nicht aufgegangen ist, dass es nicht gelungen ist, Marionettenregierungen in diesen Ländern zu installieren. Den Stellvertreterkrieg in Syrien hat Russland gewonnen und in Libyen wird wieder ein souveräner Nationalstaat erstarken, auch wenn es dort noch eine sogenannte ‚Einheitsregierung‘ gibt, die im Grunde völlig bedeutungslos ist, da sie von niemanden im Land unterstützt wird. Russland hat durch den Sieg aller Hetze zum Trotz international enorm an Prestige gewonnen, die russische Wirtschaft konnte trotz aller Sanktionen nicht in die Knie gezwungen werden, Putin ist im eigenen Land beliebt wie nie und hat einen neuen Freund gewonnen, den türkischen Präsidenten Erdogan.
Die Wahl Donald Trumps ist somit die Notbremse für eine US-amerikanische Außenpolitik, die den USA nichts als hohe Kosten, ein bestürzendes Image nicht nur in den arabischen Ländern, und nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei sogar den Verlust der Kontrolle über den NATO-Partner gebracht hat. Die USA haben sich selbst aus den Geschäften mit wichtigen erdölfördernden Ländern katapultiert. Diese Geschäfte müssen wiederbelebt werden, Exxon-Boss Tillerson steht für den Reset.
Im verlorenen Syrienkrieg kommt der Türkei eine Schlüsselrolle zu. Der Architekt, der im Verlauf des arabischen Frühlings in Absprache mit den USA und der NATO übernommenen türkischen Rolle, war der damalige Ministerpräsident Ahmet Davutoğlu. Er wollte die Türkei in Anlehnung an alte osmanische Großmachtträume unter der Vorherrschaft sunnitischer Islamisten zur wichtigsten Regionalmacht im Nahen Osten und Nordafrika machen.
Es fielen die alten Regime in Tunesien und Ägypten. Auch in Libyen schienen die Pläne zunächst aufzugehen. Russland verhielt sich neutral, ihm lag nicht viel an Gaddafi mit seiner sozialistischen Dschamahirija und seinem ungebrochenen Unabhängigkeitsstreben von jeglicher Großmacht. Die NATO hatte zwar nicht so leichtes Spiel wie gedacht, doch nach fast einem Vierteljahr Bombardements und dem Einsatz dschihadistischer Söldnertruppen, geführt von US-amerikanischen, britischen und französischen Sondereinsatzkommandos, war nicht nur Gaddafi ermordet, sondern das ganze Land ins Chaos gestürzt.
Doch als sich abzeichnete, dass Libyen nur das Appetithäppchen für Syrien gewesen war, sah Russland plötzlich seine ureigensten Interessen massiv bedroht. Der syrische Präsident Assad war Russlands Verbündeter. In Syrien befindet sich der einzige mediterrane Militärstützpunkt Moskaus, Tartus, den Russland zum Auftanken braucht. Russland sah eine rote Linie überschritten. Es würde nicht zulassen, dass seine militärischen Stützpunkte von der Nato übernommen werden. Dieser Versuch des Westens war schon auf der Krim, wo die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist, gescheitert.
Assad hatte auch die Unterstützung Irans. Der syrische Präsident hatte Katar nicht erlaubt, eine Ölpipeline durch Syrien zu bauen, um dessen Mittelmeerhäfen für die Verschiffung ihres Öls auf die europäischen Märkte zu nutzen, dies aber sehr wohl dem Iran gestattet.
Doch von dieser politischen Großgemengelage ließ sich Clinton in ihrer Hybris nicht beirren. Sie schickte wieder ihre dschihadistischen Hilfstruppen los, von al-Kaida, über al-Nusra bis zum IS, getarnt als ‚gemäßigte Opposition‘, schelmisch auch als ‚Rebellen‘ bezeichnet. Libyen lieferte die Blaupause, nun sollte es Assad an den Kragen gehen und eine islamistische Marionettenregierung, gesponsert von Katar und Saudi-Arabien und durchgedrückt von einer sogenannten ‚internationalen Gemeinschaft‘, die Macht in Syrien übernehmen. Wie auch schon in Libyen wurden Waffen und Kämpfer über die Türkei ins Land geschleust, erfolgte die logistische Unterstützung durch geheime Sonderkommandos der USA, Großbritanniens und Frankreichs. Als sich der IS immer mehr in Syrien ausbreitete, durften verschiedene NATO-Mitglieder auch mal ein paar Bomben über dem Land abschmeißen. Der Kampf gegen den IS rechtfertigte jeden Völkerrechtsbruch. Nur sollte der IS nicht wirklich vernichtet werden, denn er wurde aus zweierlei Gründen gebraucht: zum einen, um die Bombardierungen zu rechtfertigen, die versehentlich auch mal die syrische Armee trafen, zum anderen, um nützliche Idioten gegen die syrische Armee kämpfen zu lassen.
Zunächst schien alles nach Wunsch zu laufen. Doch dann griff plötzlich auf Wunsch Syriens ganz völkerrechtskonform die russische Luftwaffe ein. Nun wurden nicht mehr Sanddünen gebombt, sondern der IS tatsächlich angegriffen, ebenso wie dschihadistische Gruppierungen, beispielsweise die al-Nusra-Front. Auch Iran und Hisbollah unterstützten die Assad-Regierung. Der Krieg wurde immer verbissener und blutiger, der Preis für den Sieg immer höher.
Als die Türkei auf syrischem Gebiet ein russisches Flugzeug abschoss und die Piloten ermordet wurden, war für Russland Schluss mit lustig. Es verhängte schmerzende Sanktionen gegen die Türkei. Keine russischen Touristen mehr an Antalyas Stränden, keine türkischen Tomaten in Moskauer Supermärkten, die geplante Öl-Pipeline auf Eis gelegt. Die wirtschaftliche Situation der Türkei verdüsterte sich zusehends. Dazu kam internationale Kritik an der Türkei: Sie wurde als Dschihadisten-Pate gebrandmarkt – die Durchlässigkeit der syrisch-türkischen Grenze für Kämpfer und Waffen ließ sich nicht länger vertuschen.
Vielleicht hätte die Türkei dies alles noch hingenommen, doch dann tat sich für die Türkei die Ungeheuerlichkeit eines kurdischen Staates an ihrer Grenze auf. Die USA unterstützten die Kurden, dafür kämpften die Kurden gegen die syrische Armee. Für die Türkei war eine rote Linie überschritten: An der türkischen Grenze durfte es keinen Kurdenstaat geben.
Die Kurden wollten den USA erlauben, drei Militärbasen auf kurdischem Gebiet zu errichten, eine davon war bereits in Betrieb. Dass dies in diesem geostrategisch wichtigen Gebiet nicht wünschenswert war, darüber dürften sich Türken, Syrer, Iraner, Iraker und Russen einig gewesen sein.
Die Türkei riss das Ruder herum, sie war in zu schwere Wasser geraten. Die Unterstützung der Dschihadisten wurde eingestellt, Davutoğlu zum Bedauern der Europäer im Mai 2016 entmachtet.
Im Juni 2016 besuchte Erdogan Putin, entschuldigte sich für den Flugzeugabschuss und traf Absprachen über das weitere Vorgehen in Syrien. Es hieß, türkische Generäle reisten nach Damaskus, um sich mit den dortigen syrischen, russischen und iranischen Kollegen zu beraten.
Welche Ungeheuerlichkeit für die USA und die westlichen Staaten! Ein NATO-Mitglied, einst Bollwerk im Nahen Osten und im Besitz des größten Soldatenkontingents, hatte praktisch die Seiten gewechselt. Vermutet hatte man schon lange, dass Erdogan ein unsicherer Kantonist war. Deshalb hatte man vorsorglich einen Staat im Staat aufgebaut: Das Gülen-Netzwerk überzog nicht nur das ganze Land, sondern vor allem auch die Armee. Die Zeit für einen Militärputsch war gekommen. Auch Erdogan musste weg.
Wie bekannt, misslang Mitte Juli 2016 der Militärputsch, auch weil das Volk auf die Straßen strömte und die Demokratie und seinen gewählten Präsidenten verteidigte.
Für die USA, die EU und die NATO war das der Supergau. Erdogan war erbost, auch weil der türkische NATO-Stützpunkt Ircelik bei dem Putsch eine wichtige Rolle spielte: Von hier starteten die Flugzeuge, die die Bomber auftanken sollten, die gleich anfangs das türkische Parlament bombardiert hatten. Die New York Times hatte noch des nachts fälschlicher Weise berichtet, Erdogan sei nach Deutschland geflohen. Und die europäischen Regierungen waren in der Verurteilung des Militärputsches zunächst äußerst zurückhaltend. Erdogan machte zwar nur den im US-amerikanischen Exil sitzenden Gülen für den Putsch verantwortlich, doch wer hinter Gülen stand, war ein offenes Geheimnis.
In der Türkei setzte eine Säuberungswelle ein, die gnadenlos jede Opposition verfolgte, nicht nur das Gülen-Netzwerk, sondern vor allem auch kurdische Politiker. Als in NATO-Ländern wie Griechenland und Deutschland türkische Generäle um Asyl baten, war die Absurdität perfekt. Erdogan wandte sich vom Westen ab und dem Osten und Asien zu. Es hieß, Moskau hätte an Erdogan iranische Geheimdienst-Erkenntnisse weitergegeben und ihn so vor dem Putsch gewarnt.
Als Kolateralschäden der Kriege in Libyen und Syrien steht das Kurdenproblem wieder ganz oben auf der internationalen Krisenagenda und die Europäer kämpfen verzweifelt mit dem Flüchtlingsproblem. Für die Türkei sind die syrischen Flüchtlinge ein Faustpfand, die das Stillhalten der Europäischen Union beim türkischen Krieg gegen die Kurden garantiert.
Um die aus Libyen über das Mittelmeer kommenden afrikanischen Flüchtlinge zu stoppen, haben die Europäer bisher noch keine Lösung. Dazu bedürfte es einer stabilen Regierung in Libyen. Hier hat man mit der islamistisch gestützten, sogenannten ‚Einheitsregierung‘ eindeutig auf die falsche Karte gesetzt.
Die desaströse US-Außenpolitik unter Außenministerin Clinton ist krachend gegen die Wand gefahren. Im Moment versucht der jetzige US-Außenminister John Kerry, mit nicht allzu großem Gesichtsverlust aus der syrischen Katastrophe herauszukommen. Aber bei so etwas erweisen sich die Russen ja meist als Gentlemen, ein Charakterzug, der den US-amerikanischen Politikern komplett fehlt.
Den USA bleiben nur noch übrig, die Scherben irgendwie zu kitten, die sie beim Zerbrechen von Staaten angerichtet haben. Wäre dies mit einer Präsidentin Clinton und deren Administration und CIA-Freunden, mit denen sie das Schlamassel zu verantworten hat, denkbar? Wohl kaum. Ein ‚weiter so‘ hätte auf einen großen Krieg mit Russland zugesteuert. Da wären wahrscheinlich sogar die sonst USA-hörigen Europäer ausgestiegen. Das ‚fuck the EU‘ gab auch ihnen zu denken.
Libyen und Syrien liegen nicht am Hindukusch, sondern am Mittelmeer, nur wenige Kilometer von der europäischen Küste entfernt, ein Teil der Türkei gehört zum europäischen Kontinent. Die Bevölkerung dieser Länder wollte keinen Regime-Change, ausgeführt von durchgeknallten Hardcore-Islamisten, und auch keine US-gesteuerten Marionettenregierungen.
Die sogenannte syrische Opposition sitzt derweil in Europa in den Kaffeehäusern und sieht zu, wie sich die einfältigen Islamisten in einem Spielchen verheizen lassen, das sie nicht durchschauen.
Auch die Menschen in den westlichen Ländern sind nicht mehr bereit, über jedes Stöckchen zu springen, dass ihr die Politik und die Medien ihnen vorhalten: Der Kampf der Guten für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte gegen die Bösen, Diktatoren, Regime und Tyrannen. So einfach ist nicht einmal mehr das Weltbild von Lieschen Müller gestrickt.
Was bedeutet das für die USA?
Ein Reset musste her, um die Welt wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Denn der Preis ist inzwischen auch für die USA zu hoch. Horrende Militärausgaben, immer mehr Verbündete, die von den Fahnen gehen, Rechtsruck und Erstarken der nationalen Idee in Europa, Abwahl von treuen Gefolgsleuten (Ausnahme: Angela Merkel), scheitern von als wichtig angesehener Handelsabkommen.
Trump musste her, um zum Beispiel die von Clinton geschassten CIA-Leute wieder einzusetzen, die unter anderem wegen des gemeinsamen Kampfes gegen Islamisten gute Beziehungen zu den Geheimdiensten des alten Libyens hatten und gegen den NATO-Krieg in Libyen waren. Damit das Öl fließt und die US-amerikanischen Konzerne auch in Nordafrika wieder einen Fuß auf den Boden bekommen. Trump wird vermutlich einen Exxon-Mann mit guten Beziehungen zu Moskau zum Außenminister machen. Ein Versuch, Russland von seinen neuen Verbündeten zu lösen. Denn der Schulterschluss Russlands mit China und dem Iran ist für die USA in vielerlei Hinsicht gefährlich: Zusammen sind sie stark.
Und wieder einmal hat Giuseppe Tomasi di Lampedusa recht, wenn er in „Der Leopard“ feststellt: Alles muss sich ändern, damit es so bleibt, wie es ist.
Die Börsen jubeln.

Angelika Gutsche





Dienstag, 13. Dezember 2016



LIBYEN-KURZMELDUNGEN


Die Kurzmeldungen zu Libyen sind der Website www.welt-im-blick.de entnommen und laufen dort unter der Rubrik "Kurz und knapp in zwei Sätzen".
Der Libyen-Krieg stellte den Beginn einer neokolonialen Offensive des Westens gegen Afrika dar. Ihm vorangegangen war 2011 bereits der französische Kampfeinsatz gegen die Elfenbeinküste. Nun ist Syrien das nächste Opfer. Deswegen werden wir auch über diese Konflikte und die westliche Destabilisierungspolitik in Afrika berichten.

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Chile: Allendes Enkel fordert die Verhaftung Kissingers
13.12.2016. Pablo Sepulveda Allende, Enkel des ehemaligen gewählten chilenischen Präsidenten Salvador Allende, schrieb an die norwegischen Behörden und forderte diese auf, den früheren US-Außenminister und mutmaßlichen Kriegsverbrecher Henry Kissinger zu verhaften, der in Oslo eine „Friedensrede“ hielt und 1973 einen Putsch gegen Salvador Allende inszeniert hatte, bei dem dieser ums Leben kam. Er sei „schockiert über die Ehrung“, die Kissinger in Norwegen wiederfahre, obwohl dieser in zahlreiche Kriegsverbrechen in Indochina, Lateinamerika und Osttimor verwickelt ist.



Schande über Österreich: NATO-Nazi wird Bundespräsident!
13.12.2016. Mit der Niederlage des oppositionellen Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer gelingt es nun Alexander van der Bellen, dem Kandidaten des neoliberale Establishments und Freihandelsbefürworter, das Amt des Bundespräsidenten zu übernehmen. Was die wenigsten wissen: van der Bellen befürwortete 2011 den völkerrechtswidrigen NATO-Überfall auf Libyen und reiht sich damit in die traurige Reihe größenwahnsinniger westlicher Politiker ein, die Eroberungsfeldzüge gegen andere Staaten unterstützen!


Montag, 12. Dezember 2016



Anhaltende Proteste und Demonstrationen in Tripolis

Libyen. Ein Vergewaltigungsvideo schlägt hohe Wellen. Die Bevölkerung ist empört.

Die anhaltenden Proteste gegen die islamistischen Milizen in Tripolis erreichten einen neuen Höhepunkt, seit vor wenigen Tagen auf Facebook ein Video der „Revolutionären Brigaden von Tripolis“ aufgetaucht ist, dass zeigt, wie in Tripolis eine Frau von Milizenmitgliedern vergewaltigt wird. Das Video rief im ganzen Land Empörung und Abscheu hervor. In Tripolis fanden auf Plätzen und in den Straßen Demonstrationen mit hunderten Teilnehmern statt. Gefordert wurden Gerechtigkeit für die Frau, das Ende der Kriminalität und die Wiederherstellung einer Rechtsordnung. Die Vergewaltiger müssten bestraft werden. Die Proteste würden so lange anhalten, bis alle Milizen aus Tripolis verschwunden sind.
Tarhouna, die Stadt aus der die Frau stammt, drohte damit, Tripolis anzugreifen, sollten die Vergewaltiger nicht unverzüglich übergeben werden.