Nun hat es auch die EU kapiert: Ohne Stämme geht es nicht
Libyen.: Eine Studie
kommt zu dem Schluss, dass Tribalismus die wichtigste Organisationsform in
Libyen ist und es keinen starken Nationalstaat geben kann ohne Einbeziehung der
Stammesvertretungen. Diese Einsicht dürfte von besonderer Bedeutung für die
Nationalkonferenz sein, die noch im März abgehalten werden soll.
Unter dem Titel „Libysche Stämme im Schatten von Krieg und
Frieden“[1] veröffentlichte das niederländische
Institut für internationale Beziehungen Clingendael[2] im Februar 2019
eine Studie, die zu dem Schluss kommt, dass beim Wiederaufbau des libyschen
Staates die starke Stammesstruktur Libyens berücksichtigt werden muss. Es sei
notwendig, alle lokalen und Stammeskräfte einzubeziehen.
Insgesamt hat Libyen über sechs Millionen Einwohner, davon gehören 90 Prozent einem Stamm an, die restlichen zehn Prozent leben insbesondere in den Städten des Nordens.[3] Wie die Studie ausführt, gibt es in Libyen über hundert Stämme, von denen dreißig eine wichtige Rolle spielen. Etwa 90 Prozent der Libyer seien eine Mischung aus Arabern oder ethnischen Arabern und Berbern. Minderheitenstämme sind die nomadischen Tuareg, die Tibu im Süden und die Berber, deren Population auf etwa 200.000 geschätzt wird und die vor allem in den Nafussa-Bergen und in der Küstenstadt Zuwara siedeln.
Insgesamt hat Libyen über sechs Millionen Einwohner, davon gehören 90 Prozent einem Stamm an, die restlichen zehn Prozent leben insbesondere in den Städten des Nordens.[3] Wie die Studie ausführt, gibt es in Libyen über hundert Stämme, von denen dreißig eine wichtige Rolle spielen. Etwa 90 Prozent der Libyer seien eine Mischung aus Arabern oder ethnischen Arabern und Berbern. Minderheitenstämme sind die nomadischen Tuareg, die Tibu im Süden und die Berber, deren Population auf etwa 200.000 geschätzt wird und die vor allem in den Nafussa-Bergen und in der Küstenstadt Zuwara siedeln.
Nachdem die Studie die geschichtliche Tradition der Stämme
und ihre politische Rolle in Libyen in einem kurzen historischen Abriss
darstellt, erläutert sie die Rolle der Stämme seit der Ermordung Gaddafis und
des Zusammenbruchs des Staates und seiner Institutionen und Sicherheitssysteme
im Jahr 2011. Es wird ausgeführt, dass die Libyer gezwungen waren „auf ihre
kommunalen und lokalen und auf die auf ihrer Stammeszugehörigkeit beruhenden
Netzwerke zurückzugreifen, um ihr Überleben zu sichern. Die Stämme boten
stabile soziale Institutionen, die Unterstützung, Schutz und Dienstleistungen
für die libysche Bevölkerung gewährleisteten.“
Ein interessantes Ergebnis dieser Studie ist die Erkenntnis,
dass die Libyer sehr genau zwischen lokalen Stammesmilizen und bewaffneten
Gruppen unterscheiden, von denen erstere hohes Vertrauen und Rückhalt genießen
im Gegensatz zu den bewaffneten Gruppen.
Daneben wird betont, dass die Stämme für einen gemäßigten
Islam stehen und so Schutz vor militanten Islamisten bieten. Außerdem seien sie
bereit, zentrale staatliche Behörden zu akzeptieren. Und sie schützen Gemeinden
vor äußeren Bedrohungen wie bewaffnete Milizen, Schmugglern und Dschihadisten.
Seit dem Zusammenbruch Libyens sei es immer wieder zu
Zusammenstößen zwischen einzelnen Stämmen gekommen, zum Teil aus Rache, zum
Teil aus alten Rivalitäten, zum Teil, um sich Vorteile zu sichern.
Besonders problematisch stelle sich dar, dass diejenigen
Stämme, die 2011 Gaddafi unterstützten, bisher von der politischen
Entscheidungsfindung ausgeschlossen blieben, obwohl sie einen beträchtlichen
Anteil an der Gesamtbevölkerung bilden. Genannt werden zum Beispiel Tuareg,
al-Qadhadhfa, al-Warfalla, Tarhouna, Wirschefana und Tawerga. Die Ausgrenzung
dieser bedeutenden und machtvollen Stämme aus dem politischen Prozess führe in
Libyen zur Instabilität. „Solange diese Stämme vernachlässigt werden, wird jede
politische Führung geschwächt, v.a. weil die Stämme bewaffnet sind, große
Gebiete kontrollieren und so den Staat militärisch herausfordern können.“
Letzterer Satz der Studie ist entlarvend. Seit 2011 wurde
versucht, die Stämme, die Gaddafi unterstützten, auszuschalten. Nur hat sich
das aufgrund der tatsächlichen Gegebenheiten nicht verwirklichen lassen. So
heißt es in der Studie: „Tribalismus ist die wichtigste Organisationsform in
Libyen. Es kann keinen starken Nationalstaat geben, außer unter Einbeziehung der
Stammesvertretungen.“
Die Studie spricht daher unter anderen folgende Empfehlungen
aus: Jede Regierung sollte das Stammessystem zur Konfliktlösung (urf)
nutzen. Längerfristig sollten das traditionelle und das formale Justizsystem
miteinander verknüpft werden. Aus der Aussöhnung der Stämme könne ein
Nationalrat, bestehend aus den Kommunen und Stammesältesten, hervorgehen. Dabei
sollen die Stämme einen festen Platz im Zivilstaat einnehmen. Und es sollten
alle Stämme und Gemeinschaften beim Prozess des Staatsaufbaus vertreten sein.
Diese Erkenntnisse der Studie sind nun wirklich nichts Neues
und hinterlassen einen schalen Geschmack. Schon im Jahre 2016 sagten bei einer
Befragung, die im LibyaHerald[4] veröffentlicht wurde, dass sechzig
Prozent der Libyer der Aussage zustimmten, dass die Stämme die Sicherheit einer
Gemeinschaft garantieren können. Stämme sind wichtig, um Recht und Ordnung
aufrechtzuerhalten und auch den Frieden.
Bisher wurden all diese Tatsachen, auf die sich die libysche
Gesellschaft stützt und stützte missachtet. Nach dem Nato-Krieg wurde zunächst
versucht, Libyen zu teilen und wieder eine Monarchie zu installieren, dann
wollte man Libyen eine vom Westen installierte Regierung überstülpen. Dieser
Plan ist am Widerstand der Stämme und Städte gescheitert. Denn tatsächlich
bilden in Libyen die Stammesräte eine starke Zivilgesellschaft, wobei Konsens
und Interessenausgleich wichtige Schlüsselbegriffe sind.
Vor 2011 erfolgte über die Stammesräte die Verteilung der
Öleinnahmen an die Bevölkerung, die Bereitstellung von lokalen Dienstleistungen
wie Strom, Wasser, Abwasser- und Müllentsorgung. Stammesrecht und
Stammesregierungen nahmen auch innerhalb der Städtepolitik eine wichtige
Stellung ein. Selbstverständlich war es den Stämmen bewusst, dass ein
Nationalstaat für stammesübergreifende Projekte wie ein soziales Sicherungs-
und das Bildungssystem verantwortlich zeichnen muss, ebenso wie für große
Investitionsprogramme und eine Außenvertretung. Bis 2011 nahm die Dschamahirija
diese Aufgaben wahr.
Eine Aussöhnung zwischen den Stämmen vollzieht sich von der
Öffentlichkeit unbemerkt schon lange im Hintergrund, denn den Libyern ist klar,
dass sie nichts gewinnen können, wenn sie das Land ausländischen Mächten
überlassen. Diesen Versöhnungsprozess können nun sowohl die Vereinten Nationen
als auch die EU nicht länger ignorieren, ebenso wenig, welchen Machtfaktor,
auch militärisch, die Stämme bilden. So versuchen sie jetzt über die
Nationalkonferenz noch ein kleines Zipfelchen Einfluss geltend zu machen und
ihr Gesicht zu wahren.
Die Nationalkonferenz soll noch im März abgehalten werden,
wobei Ort und Teilnehmer weiterhin geheim sind. Es gibt Spekulationen, dass
Sirte oder Bani Walid, einst die Städte, in denen Gaddafi bis zuletzt den
größten Rückhalt hatte, Austragungsort sein könnten. Ziel der Konferenz soll
Aussöhnung und Absprache über das weitere politische Vorgehen, auch
hinsichtlich von Wahlen, sein.
Die libyschen Stämme werden ihre Probleme meistern und für
ihr Land Unabhängigkeit und Souveränität erkämpfen.[5]
A. Gutsche
[2] Clingendael ist ein führender Think
Tank und eine Akademie für internationale Angelegenheiten
[4] www.libyaherald.com/2017/07/13/op-ed-in-libya-only-one-system-of-law-is-functioning-and-its-not-state-law/
[5] Siehe auch meinen Blog-Beitrag vom 17.7.2017:
https://www.freitag.de/autoren/gela/libyen-ist-eine-stammesgesellschaft
[5] Siehe auch meinen Blog-Beitrag vom 17.7.2017:
https://www.freitag.de/autoren/gela/libyen-ist-eine-stammesgesellschaft
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