Die Italiener in Libyen
Libyen/Italien. 1920er und 1930er Jahre
Benito Mussolinis hatte im Oktober 1922 in Italien die Macht
ergriffen. Der Duce errichtete einen totalitären Staat mit dem erklärten Ziel,
das antike Römische Reich wieder aufleben zu lassen. Die Machtergreifung der
Faschisten hatte für Libyen verheerende Auswirkungen. Gegen die von Mussolini
ausgerufene ‚Wiedereroberung‘ und ‚Ausweitung des Kolonialbesitzes‘
organisierte sich der libysche Widerstand, während Idris ins Exil nach
Großbritannien flüchtete.
Italienische Truppen überrumpelten ein Militärlager der
Senussi, ermordeten die Hälfte der Soldaten und nahmen den Rest in
Gefangenschaft. Der italienische Generalgouverneur für Libyen kündigte alle
laufenden Verträge. 1927 wurde die Gleichstellung von Italienern, Libyern und
Mutterland-Italienern aufgehoben. Jeder Widerstand im Land sollte von nun an
kompromisslos unterdrückt werden.
Die Libyer leisteten weiter Widerstand, Brennpunkte waren
zunächst Tripolitanien und der Fessan. In den Nafusa-Bergen wurde jedes Dorf zu
einer Festung ausgebaut. Als es den Italienern dank ihrer waffentechnischen
Überlegenheit – sie kämpften mit Panzern und Flugzeugen gegen die nur mit
Gewehren ausgerüsteten Libyer – gelang, in Tripolitanien die Stämme zu bezwingen,
gingen sie als nächstes gegen die Kyrenaika vor. Dort führte seit 1923 der
Senussi-Scheich Omar al-Muchtar den Widerstand der Freischärler an, ein
Partisan und Freiheitsheld, der mit dem Kampf seiner kleinen Partisanengruppe
zwanzigtausend italienischen Soldaten Paroli bot und damit Geschichte schrieb.
Omar al-Muchtar gehörte zum Stamm der Minifa, hatte eine traditionelle
Erziehung bei den Senussi genossen und trug den Titel eines Bevollmächtigten
des Emirs.
General Rodolfo Graziani, 1929 von Benito Mussolini nach
Libyen entsandt und Vizegouverneur der Kyrenaika, sollte dort den jahrelangen
Widerstand der Bevölkerung gegen die italienische Besatzung brechen. Seine
Methoden waren äußerst brutal, so wurden zum Beispiel Stammesführer in großer
Höhe über ihren Heimatdörfern aus Flugzeugen geworfen, Libyerinnen als
Sexsklavinnen für die Kolonialtruppen gehalten und Brunnen vergiftet. Jede
Unterstützung der Aufständischen wurde mit dem Tode bestraft, auch Frauen und
Kinder wurden ermordet. In den Jahren 1927/28 wurde nachgewiesener Weise von
den Italienern Giftgas eingesetzt. Die libysche Bevölkerung wurde in eigens
errichteten Konzentrationslagern in der westlichen libyschen Wüste interniert,
um sie davon abzuhalten, die Aufständischen zu unterstützen. Graziani selbst
gab an, dass er 139.192 Menschen einsperren ließ, etwa 80.000 davon Beduinen.
Wie viele Menschen dabei zu Tode kamen, ist nicht in Zahlen bekannt, geschätzt
wurden bis zu 800.000. Neben den Massenerschießungen kamen zehntausende an
Hunger zu Tode. Die Frauen wurden vergewaltigt, Heiligtümer geschändet. Der
dänische Journalist Holmboes berichtet über seinen Besuch in einem solchen
Lager. „Es war ein immenses Camp mit ca. 1500 Zelten und einer Bevölkerung von
8000, umgeben von Stacheldraht und Maschinengewehrposten an allen Eingängen…
Kinder kamen uns entgegen, in Lumpen gehüllt und unterernährt… die Menschen
schienen krank und deprimiert, viele haben schwer deformierte Hände und Arme.“[1]
Trotz aller Anstrengungen gelang es Graziani nicht, den
Widerstand der Libyer zum Erlöschen zu bringen. In nur einem Jahr kam es laut
Graziani zu 53 größeren Kämpfen und 210 Scharmützeln. Um die Rebellen von
jeglichem Nachschub abzuschneiden, ließ er die Grenze zu Ägypten auf
dreihundert Kilometer mit Stacheldraht sichern. Am 11. September 1931 nahmen
die Italiener Omar al-Muchtar gefangen, nur fünf Tage später wird der
70-Jährige öffentlich gehenkt. Der Mythos des Volkshelden lebt bis heute
ungebrochen weiter. Sein heldenhafter Kampf wird in dem Kolossalfilm „Omar Mukhtar
- der Löwe der Wüste“[2]
bilderstark beschrieben.
In einem Artikel der Arbeiterillustrierten[3]
(Nr. 23/1931) hieß es: „…Reizende Fliegeraufnahmen, die das Herz jedes modernen
Photographen erfreuen würden, zeigen den neckischen Effekt, den platzende Fliegerbomben
in der Beduinenstadt Bu‘gen hervorrufen. Nicht umsonst hat man auf dem letzten
Flugtag in Rom am Ufer des Tiber ein kleines Araberdorf aufgebaut, um daran das
Einschlagen von Fliegerbomben zu demonstrieren.“ Tatsächlich regnete es zur
Abschreckung unter dem Befehl von Marschall Italo Balbo bis 1934 Sprengbomben
auf libysche Zeltlager, Dörfer und auf die Oasenbevölkerung.
Bis 1932 hatten die Italiener nicht nur Tripolitanien,
sondern auch den Fessan und zuletzt die Kyrenaika zurückerobert, die 1927
wieder an die Türkei gefallen war.
Die Italiener enteigneten immer mehr libysches Land, bis
1930 hatten bereits 200.000 Hektar den Besitzer gewechselt. Begründet wurde
diese Landnahme mit dem Hinweis, die Libyer würden das Land nicht fachgerecht
bearbeiten. So kam General Graziani in Garian in den Genuss von 731 Hektar
Land, Exgouverneur Graf Volpi verfügte in Misrata über 1.000 Hektar und der
Ritter des Großordens, Chavolini, besaß 1.200 Hektar.
Zwischen 1938 und 1939 kamen über 30.000 neue Siedler in Libyen
an, die meisten waren Bauern aus Norditalien. Die Einheimischen waren von den
neuen Kolonialstrukturen ausgeschlossen. Sie wurden von ihren Besitzungen
vertrieben oder sollten den unumschränkten italienischen Herrschern als Knechte
dienen. Der Bestand der Herden bei den Wüstenstämmen war um achtzig Prozent
geschrumpft. Gab es 1910 in der Kyrenaika 713.000 Schafe und 33.300 Kamele, so
von den Italienern gezählt, waren es 1933 nur noch 98.000 Schafe und 2.600
Kamele[4] .
Damit war die traditionelle Infrastruktur Libyens vernichtet.
A. Gutsche
[1] Zitiert nach John Wright „Libya“,
London, Ernest Benn, 1969
[2] „Omar
Mukhtar - der Löwe der Wüste“ aus dem Jahre 1980, Regie Moustapha Akkad, mit
Anthony Quinn in der Hauptrolle und Oliver Reed als sein Gegenspieler Graziani
[3] Arbeiterillustrierten Nr. 23/1931
[4] E.E. Evans-Pritchard, „The Sanussi
of Cyrenaica“. Oxford 1949
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