Dienstag, 26. Juni 2018



Libyen: Experimentierfeld für US-Drohneneinsätze



 

Libyen/USA. Seit 2011 wurden von den USA in Libyen etwa 550 Luftangriffe mit Drohnen geflogen. Das ist mehr als in Somalia, dem Jemen oder Pakistan. Insgesamt kamen bei Luftangriffen verschiedener Kriegsparteien allein zwischen 2012 und 2018 zwischen 242 und 392 Zivilisten ums Leben und mehr als 524 wurden verwundet.

The Intercept berichtet unter dem Titel „Geheimer Krieg“, dass Libyen zu den Ländern gehört, in denen am meisten Luftangriffe mit Drohnen geflogen werden und dass die Schätzung bezüglich der Anzahl der Einsätze, die unter Ex-Präsident Obama geflogen wurden, mehr als verdoppelt werden muss.
Wie aus Aussagen von US-Behördenmitarbeitern zu schließen sei, wurden beispielsweise 2016 in vier Monaten etwa 300 Drohnenangriffe in Libyen geflogen. Diese Zahl sei sieben Mal höher als die für das ganze Jahr 2016 offiziell für Somalia, dem Jemen und Pakistan bekannt gegebenen 42 Drohneneinsätze.
Auch unter Trump seien die Drohnenangriffe in Libyen fortgesetzt worden, seit letzten Herbst sollen es laut Presseerklärungen 18 gewesen sein. Allerdings gingen die angegebenen Zahlen auseinander: Africom sprach nur von 11 Angriffen. Es bestehe keine Einigkeit, wie Luftschläge definiert und gezählt werden.
Zitiert wird Daphne Eviatar von Amnesty International in den USA: „Vermutlich wissen nur sehr wenige Leute außerhalb der US-Regierung, dass die USA in Libyen kämpfen, geschweige denn, dass dort hunderte von tödlichen Drohnenangriffen durchgeführt werden. Und die USA scheinen es sich genau zu überlegen, welche Einsätze bekanntgegeben werden und welche nicht. Da es sich um unbemannte Flugzeuge handelt, die von Basen im Ausland gestartet werden, ist es für die USA sehr einfach, bei Bedarf diese Operationen geheim zu halten. Wir sehen zunehmend, dass die USA, vor allem außerhalb offizieller Kriegszonen wie es der Irak und Syrien sind, im Geheimen operieren und nicht einmal bekanntgeben, unter welchen rechtlichen Rahmenbedingungen sie dort operieren und welche Regeln für die Einsätze gelten.“
Die Luftschläge gegen Libyen hatten 2011 begonnen. Im Rahmen des Nato-Einsatzes Odyssey Dawn bombardierten die USA und acht weitere Länder Libyen, um Muammar al-Gaddafi zu stürzen. Seit 2012 machten die USA, drei weitere Staaten und drei bewaffnete libysche Gruppierungen mit den Luftschlägen in Libyen weiter. Dabei wurden nach Angaben von New America[1] und Airwars[2] von 2012 bis 2018 zwischen 242 und 392 Zivilisten getötet und etwa 524 verletzt. Niemand werde für diese Taten zur Verantwortung gezogen.
Africom selbst behauptet, Vorsichtsmaßnahmen zur Vermeidung von Kolateralschäden zu treffen. Es gebe für 2017 keine glaubwürdigen Hinweise auf zivile Opfer, d.h. Africom streitet einfach alles ab, auch wenn es anderslautende Zeugenaussagen gibt, ebenso wie die anderen Kriegsparteien, die in Libyen aktiv sind und Angriffe auf Gegner fliegen.
Wie The Intercept schreibt, bauten die USA in den Jahren 2001 bis 2011 ihre bewaffnete Drohnenflotte auf und entwickelten dafür Einsatzpläne. Seither muss Libyen als Testgelände für die Entwicklung neuer Taktiken in der Drohnenkriegsführung herhalten.
Von April 2011 an starten für sechs Monate US-Drohnen ihre Einsätze vom sizilianischen Sigonella aus. Sie feuerten dabei laut einem US-amerikanischen Kommandanten über Libyen mehr als 243 Hellfire Missiles ab. Dies entspricht mehr als 20 Prozent aller jemals seit Entwicklung des Systems abgefeuerten Hellfire Missiles.
Als nach dem Sturz und der Ermordung von Muammar al-Gaddafi in Libyen das große Chaos ausgebrochen war und sich dschihadistische Milizen breitmachen konnten, stationierten die USA 2013 auf ihrer sizilianischen Militärbasis zusätzlich MQ-1-Predators und MQ-9-Reapers, „der größere und tödlichere Cousin des Predators“ für den Einsatz in Libyen.
2016 starteten die USA die Operation Odyssey Lightning für den Kampf gegen den IS, der sich in der libyschen Stadt Sirte festgesetzt hatte. Die Obama-Regierung erklärte die Stadt zu einem "Gebiet aktiver Feindeshandlungen. Richtlinien, die zum Schutz der Zivilbevölkerung erlassen worden waren, wurden gelockert und gaben den US-Militärs relativ freie Hand bei der Bombardierung der Stadt. Der Oberkommandierende von Africom, Waldhauser, bestätigte den Einsatz von mehr als 500 Luftangriffen in der Zeit von August bis Oktober 2016 in Libyen. Später hieß es, es sollen „nur“ 495 gewesen sein, von denen mehr als 60 Prozent von MQ-9 Reapern-Drohnen ausgeführt worden waren. Den Rest flogen bemannte Kampfjets, die von Flugzeugträgern im Mittelmeer gestartet waren.
The Intercept schreibt: „Sirte wurde zum Ground Zero, um neue Konzepte des urbanen Kampfes zu testen.“ Vielfach seien Drohnen beteiligt gewesen, die lokale Kräfte und US-amerikanische Spezialeinsatzkräfte unterstützten. In einer Stellungnahme einer der beteiligten Drohnenpiloten heißt es: „Es wurden bei diesen Operationen neue Taktiken und Angriffsmöglichkeiten entwickelt, die vorher noch kaum erprobt waren.“ Bei etwa 70 Prozent der Einsätze unterstützten die Drohnen militärische Einheiten beim Straßenkampf.
Während laut Schätzungen von Africom etwa 800 bis 900 IS-Kämpfer bei der Operation Odyssey Lightning getötet wurden, wurden keine zivilen Opfer erwähnt, die es laut New America und Airwars aber durchaus gegeben habe. Laut Waldhauser „könne Odyssey Lightning als Blaupause für zukünftige US-Operationen in der Region dienen“.
Neben den drei von den USA ausgewiesenen Kriegszonen Afghanistan, Irak und Syrien waren Teile Libyens im Dezember 2016 für kurze Zeit auch auf dieser Liste vermerkt.
Laut dem Council on Foreign Relations seien während der Obama-Zeit 542 Drohnen-Angriffe geflogen worden. Dabei seien schätzungsweise 3.797 Personen, einschließlich 324 Zivilisten, ums Leben gekommen. Unter Präsident George W. Bush sollen es noch 57 Drohneneinsätze gewesen sein.
Dabei ging es in der Berichterstattung völlig unter, dass Libyen zu den meist bombardierten Ländern der Erde gehört.
Während der ersten acht Monate der Trump-Regierung wurden in Libyen keine Drohnenangriffe geflogen. Dies habe sich letzten Herbst geändert. Seitdem wären in Libyen 18 Mal Drohnen zum Einsatz gekommen. Africom kläre inzwischen über Luftangriffe nicht mehr auf, sondern gebe nur noch auf Anfrage Auskunft. Details bleiben ganz im Dunkeln.
Ein Aktivist erklärt in The Intercept: „Präsident Obama hinterließ in weiten Teilen der Welt ein Vermächtnis der expansiven Ansprüche der Kriegsbefugnisse ohne Genehmigung durch den Kongress, wobei tödliche Luftschläge und zivile Opferzahlen bis zum Ende seiner Amtszeit weitgehend geheim gehalten wurden." Präsident Trump nutze dies nun weiter zu Lasten des demokratischen Systems.

Um einen Eindruck zu bekommen, welche Zerstörungen die Luftschläge in Libyen anrichten, sollte man sich den Artikel auf The Intercept im Original ansehen:


Angelika Gutsche, 24.6.2018


[1] Think tank in Washington
[2] hat die Überwachung von Luftangriffen zur Aufgabe mit Sitz in Großbritannien

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen