Dienstag, 20. August 2024

 

Tollhaus Libyen – Wahl oder Nichtwahl des Staatsratsvorsitzenden

10. August 2024 / gelanews 

Betrug und Stimmenkauf bei Wahl des Staatsratsvorsitzenden bewirken weitere Spaltung des Landes

Wie das Durcheinander staatlicher Organe insgesamt die politische Lage kompliziert

Im heutigen Libyen existieren mehrere staatliche Organe, die das politische Leben bestimmen, sich entweder unterstützen oder als Gegenspieler verstehen. Dazu zählen das Parlament, mit dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh, und die vom Parlament bestimmte ‚Regierung‘ von Osama Haddad. Das Parlament ist international anerkannt, die Haddad-‚Regierung‘ dagegen nicht. Die von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ anerkannte Regierung nennt sich ‚Einheitsregierung‘ und sitzt in Tripolis. Ihr Regierungschef heißt Abdul Hamid Dabaiba, der unter Federführung der UN-Sondermission in Libyen mittels geduldetem Stimmenkauf an die Macht kam.

Daneben gibt es den Präsidialrat unter Mohammed al-Menfi, der sich als eine Art offizielles Staatsoberhaupt von Libyen und als Oberbefehlshaber der militärischen Kräfte im westlichen Libyen versteht. Im östlichen Libyen befehligt Khalifa Haftar mit Hilfe seines Sohnes Saddam Haftar die sogenannte Libysche Nationalarmee (LNA).

Der Hohe Staatsrat (HSC)

Ferner existiert ein Hoher Staatsrat (HSC), ein insgesamt fragwürdiges Organ, im Jahr 2015 von der ‚internationalen Gemeinschaft‘ im Rahmen des politischen Skhirat-Abkommens geschaffen, um der vom Westen hofierten Moslembruderschaft ein Mitspracherecht in der libyschen Politik zu sichern. Obwohl nur als beratendes Gremium eingesetzt, verstand sich der Hohe Staatsrat als Gegenspieler des Parlaments und des Haftar-Militärs im östlichen Libyen und arbeitete eng mit der sogenannten ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis zusammen. Der HSC maßt sich ein Mitspracherecht bei Gesetzgebungsverfahren und bei wichtigen nationalen Entscheidungen an, die eigentlich allein dem Parlament obliegen sollten.

Doch da in Libyen selten etwas so ist, wie es zu sein scheint, haben sich aufgrund unterschiedlicher Interessen die Bündnispartner in Libyen neu aufgestellt. Die einstigen Gegenspieler, der Haftar-Clan im östlichen Libyen und der Dabaiba-Clan im westlichen Tripolis, scheinen sich darauf verständigt zu haben, alles dafür zu tun, damit die chaotische Situation in Libyen beibehalten wird, um durch ein in zwei Regierungen gespaltenes Land die eigene Macht aufrechtzuerhalten und damit auch die Kontrolle ausländischer Mächte zu gewährleisten, deren Interessen sie vertreten, und die als Gegenleistung wiederum sie an der Macht halten.

Nicht im Sinne von Dabaiba und Haftar haben sich, erhofft und doch unerwartet, vor Kurzem bei einem Treffen in Kairo Vertreter des Parlaments und des Staatsrats darauf geeinigt, eine neue Einheitsregierung für ganz Libyen zu bestimmen, die das Land gemäß vom Parlament verabschiedeter Wahlgesetze zu Parlaments- und Präsidentschaftswahlen führt. Dazu ist es nötig, sowohl die Dabaiba-‚Regierung‘ im Westen als auch die ‚Haddad‘-Regierung im Osten zu Gunsten einer neuen Einheitsregierung aufzulösen.

Für Libyen könnte dies einen wichtigen Schritt bei der Überwindung der Spaltung des Landes bedeuten.

Die Wahl des Staatsratsvorsitzenden

Auch wenn die Vertreter des Staatsrats in Kairo der Einsetzung einer neuen, einheitlichen Regierung zustimmten, zeigten sich die Staatsratsmitglieder in dieser Frage gespalten, wie sich spätestens bei der Wahl des Staatsratsvorsitzende am 6. August 2024 zeigte. Libyen wäre eben nicht der kaputte Staat, der seit dem Nato-Krieg des Jahres 2011 im Chaos versinkt, wäre nicht auch diese Wahl dazu genutzt worden, weitere Spaltungen zu provozieren.

Zur Wahl standen drei Kandidaten: der bisherige Vorsitzende Mohamed Takala, der dem Dabaiba-Lager nahesteht, der Moslembruder Khaled al-Mischri, der bereits Vereinbarungen mit dem Parlamentspräsidenten Agila Saleh traf und einer neuen Regierung positiv gegenübersteht, und als dritter Kandidat Adel Karmous, ebenfalls ein Kandidat der Moslembruderschaft. Nach einem ersten Wahlgang, bei dem Takala 67 Stimmen, al-Mischri 54 und Karmous 17 Stimmen erhalten hatte, wurde eine Stichwahl durchgeführt, deren Ergebnis knapper nicht hätte sein können: 69 Stimmen für al-Mischri und 68 Stimmen für Takala, bei einem leeren und einem ungültigen Stimmzettel.

Der ungültige Stimmzettel

Der ungültige Stimmzettel enthielt den Namen „Takala“, dieser war jedoch nicht in der dafür vorgegebenen Rubrik eingetragen, sondern auf der Rückseite des Stimmzettels vermerkt. Mohamed Takala forderte daraufhin, dass ein dritter Wahlgang durchgeführt werden müsse. Diesem Ansinnen verweigerten sich die al-Mischri-Anhänger. Als es daraufhin zu tumultartigen Szenen kam, die in Schlägereien ausarteten, schaltete sich das Fernsehen aus der Live-Übertragung aus. Auch die Wahl zweier Stellvertreter des Vorsitzenden konnte nicht mehr durchgeführt werden.

Khaled al-Mischri erklärte sich „aufgrund des Wahlergebnisses als den rechtmäßigen Vorsitzenden des Staatsrates“. Jede weitere Eskalation sei eine „Verschwörung gegen den Staatsrat“. Dagegen ließ Mohamed Takala wissen, er wolle beim Obersten Gerichtshof juristisch gegen die Wahl al-Mischris vorgehen. Per Video kündigte er für den 20. August eine Wiederholung der Stichwahl an, falls bis dahin die Justiz keine eindeutige Entscheidung getroffen habe.

Al-Mischri erklärte, Takala sei nicht autorisiert, einen Wahlgang am 20. August anzukündigen. Seine Anrufung der Justiz sei nichts weiter als ein Versuch, Zeit zu gewinnen, da für die Beilegung derartiger Streitigkeiten kein Gericht, sondern laut Geschäftsordnung der Rechtsausschuss des Staatsrats zuständig ist. Da die Auszählung vollkommen transparent vor einem großen Fernsehpublikum stattgefunden hatte, war offensichtlich, dass der Takala-Vertreter die Auszählung und die Wertung eines Stimmzettels als „ungültig“ nicht beanstandet hatte.

Nach Einschätzung eines Anwalts ist mit der Angabe des Namens auf der Rückseite des Wahlzettels die gebotene Vertraulichkeit einer geheimen Wahl nicht mehr gewährleistet und somit der Wahlzettel ungültig. Grundsätzlich stellt sich die Frage, mit welcher Intention ein Wähler den Namen „Takala“ auf die Rückseite des Wahlzettels schrieb. Sollte damit bei einer möglichen Wahlniederlage von Takala dessen Spaltungsversuchen bereits Vorschub geleistet werden?

Am 8. August nahm der Rechtsausschuss Stellung und erklärte, dass der umstrittene Stimmzettel nicht gültig ist und somit nicht gezählt wird. Al-Mischri hätte damit die Wahl zum Staatsratsvorsitz mit 69 zu 68 Stimmen knapp gewonnen. Es wurde allerdings eine Gruppe gebildet, die einen Kompromiss zwischen Takala und Mischri ausarbeiten soll, um die Spaltung des Staatsrats zu überwinden.

Dieser versöhnliche Ansatz stieß im Takala-Lager auf keine Resonanz. Es wird berichtet, dass Takala von Walid al-Lafi, dem Kommunikationsminister der Dabaiba-‚Regierung‘, die Anordnung erhielt, den Staatsrat zu spalten und einen parallelen Rat mit Sitz in den Konferenzräumen des Rixos Hotels einzurichten. Das Ziel scheint zu sein, eine Einigung um jeden Preis zu verhindern und die Spaltung des Staates auf allen Ebenen aufrechtzuerhalten. Anstatt sich bei Niederlagen einer Mehrheit zu beugen, wird weiter gespalten.

Die von Betrug, Korruption und Stimmenkauf überschattete Wahl

Wie peinlich, dass auf dem im Netz verfügbaren Video von der live übertragenen Wahl zu sehen ist, wie sich Takala an ein Mitglied des Staatsrats wendet und ihm mitteilt, dass Walid al-Lafi von ihm eine Liste mit den Namen derjenigen erhalten hat, die für ihn stimmen werden. Takala sagte auch, dass al-Lafi ihm versprochen habe, das Geld zu überweisen, und dass „alles in Ordnung sei“.

Inzwischen gibt es Berichte, wonach Walid al-Lafi 15 Mitglieder des Staatsrates kontaktierte und mit ihnen übereinkam, als Gegenleistung für die Zahlung von 200.000 bis 300.000 USD ihre Stimme für Takala abzugeben. Namentlich genannt werden: Mama Suleiman, Mona Kokla, Ali Abdel Aziz, ad-Dari al-Khair, Ahmed Hamouma, Abkda Kaslala, Fatima Taliuh, Muhammad Okha Sidi.

Offengelegt wurde auch durch den ehemaligen Direktor der Medienabteilung im Dabaibas-Außenministerium, Mohamed Tawil, dass Abdul Hamid Dabaiba am 3. August mehr als zwanzig Entsendungsbeschlüsse für die Ehefrauen und Kinder mehrerer Mitglieder des Staatsrats unterzeichnete. Zu den neu Entsandten gehören Khaled Mohamed Muftah Takala, Sohn von Mohamad Takala, und Salah Mohamed Muammar Takala, sein Privatsekretär und Cousin.

Daneben wurde dem Staatsratsmitglied Baschir al-Housh vom Dabaiba-Außenministerium für die Dauer von vier Jahren Zahlungen als Experte der Arabischen Maghreb Union zugesagt.

Bekannt wurde auch, dass eine Forderung al-Mischris, Mobiltelefone im Wahlraum während der Abstimmung zu verbieten, von Takala und seinen Anhängern abgelehnt wurde.

Entführung oder Verhaftung von Nizar Kawan

Als wären die mehr als befremdlichen Vorkommnisse um die Wahl des Staatsratsvorsitzenden nicht genug, wurde auch noch ein Entführungsversuch des Staatsratsmitglieds und stellvertretenden Vorsitzenden der Demokratischen Partei, Nizar Kawan, gemeldet.  Nachdem am 5. August Kawan die Staatsratssitzung verließ, soll er kurzzeitig entführt worden sein. Einem privaten Sicherheitsdienst soll es gelungen sein, die Kontrolle über ein Entführungsfahrzeug zu erlangen und dieses an die Staatsanwaltschaft zu übergeben.

Tatsächlich wurde Nizar Kawan von der Inneren Sicherheit verhaftet und in den Gewahrsam der Staatsanwaltschaft übergeben. Die Innere Sicherheit soll Telefongespräche von Kawan abgehört haben, bei denen es um Zahlungen aus Katar im Gegenzug für die Stimmabgabe für Adel Karmous ging.

Der libysche Journalist Khalil al-Hassi vermerkte dazu, dass Entführungen wie jene von Nizar Kawan normal seien, da solche Personen für Organisationen tätig sind, die die öffentlichen Kassen plündern, Geldwäsche betreiben und deren Geschäftsmodell aus Bestechung und Korruption besteht. Hier ist anzumerken, dass soeben der Ölminister der Dabaiba-Regierung, Khalifa Abdel Sadiq, von der Staatsanwaltschaft wegen staatsschädigender Geschäfte verhaftet wurde.

Ja, so tickt Libyen – nachdem es dreizehn Jahre von ausländischen Mächten beherrscht wird.

Hoffnung auf al-Mischri

In der Zeitung Al-Arab London war zu lesen, dass die Nichtanerkennung des Wahlergebnisses als ein Putsch der Moslembruderschaft zu werten sei. Die Rückkehr von al-Mischri, der schon einmal, von 2018 bis zu seiner Ablösung durch Takara im Jahr 2023, den Staatsratsvorsitz innehatte, sei eine schwere politische Niederlage für Dabaiba und die Mächte, die hinter ihm stehen.

Vertreter etlicher libyscher Gruppen haben inzwischen an die Staatsratsmitglieder appelliert, das Wahlergebnis anzuerkennen. Denn al-Mischri wird als Vertreter jener Kräfte gesehen, die eine Annäherung der Positionen von Staatsrat und Parlament im Sinne einer Überwindung der Spaltung bewirken könnten. Beide Gremien zusammen könnten dann Druck auf die ‚internationale Gemeinschaft‘ und die UN-Mission ausüben, die Bildung einer einheitlichen Regierung zu akzeptieren und so den Weg zu Wahlen ebnen.

Hält das Waffenstillstandsabkommen?

Die Scharmützel bei der Wahl zum Staatsratsvorsitzenden könnten bald in den Schatten gestellt werden durch die besorgniserregenden Entwicklungen im militärischen Bereich. So stehen sich an der algerischen Grenze im Südwesten Libyens, bei Ghadames, waffenstarrende Einheiten der Dabaiba-‚Regierung‘ und der Haftar-LNA gegenüber.

Und am 9. und 10. August wurden schwere Kämpfe mit Toten aus Tadschura, nahe der Hauptstadt Tripolis, gemeldet. Die Lage ist explosiv, die Spannungen steigen.

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