Gefährlicher Nervenkrieg über Atomabkommen zwischen Iran und USA
Schattenkrieg in Westasien: Während Atomverhandlungen laufen und Israel auf Krieg drängt, werden im Iran angebliche Informationen über brisante israelische Geheimdokumente – auch über Atomanlagen und -pläne – veröffentlicht.
Ein iranischer Journalist veröffentlichte Informationen über Dokumente, die der iranische Geheimdienst angeblich durch Cyberattacken in Israel ausspionieren konnte, während aus dem Iran zu hören war, dass man über eine Unmenge an strategischen israelischen Daten verfüge. Diese Veröffentlichung dürfte einen maßgeblichen Einfluss auf die Atomverhandlungen haben, die gegenwärtig zwischen den USA und dem Iran laufen. Während sowohl der Iran als auch die USA eine Friedenslösung anstreben, scheint Israel auf einen Angriff gegen iranische Atomanlagen zu setzen.
Der Nervenkrieg eskaliert
Für kommenden Sonntag, den 15. Juni, sind im Oman Verhandlungen zwischen dem US-Sondergesandten Steve Witkoff und dem Iran geplant. Während immer wieder Gerüchte kursieren, dass die Gespräche abgesagt seien, beurteilte Witkoff die Atmosphäre als „positiv“.
Parallel zu den laufenden Verhandlungen tagte in Wien am 11. Juni 2025 bis spät in die Nacht die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) zum Thema Atomanreicherung im Iran. Anschließend erklärte die IAEO offiziell, dass der Iran seine nuklearen Verpflichtungen nicht einhält. Die Resolution wurde von 19 Ländern, darunter USA, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, unterstützt. Russland, China und Burkina Faso stimmten gegen die Resolution. Elf Länder enthielten sich der Stimme, darunter Südafrika, Indien, Pakistan, Ägypten, Indonesien und Brasilien.
Irans Reaktion erfolgte umgehend. Zukünftig wolle der Iran seine Produktion von angereichertem Uran erheblich steigern und eine dritte Anreicherungsanlage in Betrieb nehmen, seine IR-1-Zentrifugen der ersten Generation durch moderne IR-6-Zentrifugen ersetzen und die Zusammenarbeit mit der Internationalen Atomenergiebehörde erheblich einschränken sowie möglicherweise Inspektoren ausweisen.
Diese Entwicklung könnte dazu führen, dass Trump das Ende der Gespräche zwischen den USA und dem Iran erklärt und damit den Weg für eine israelische Militäraktion frei macht.
Es läuft ein angespannter Nervenkrieg um Krieg oder Frieden, der über widersprüchliche Informationen zu Friedens- oder Kriegsbereitschaft, Drohungen und Falschinformationen im Netz ausgetragen wird. Sogar die Analysedaten zur Häufigkeit des Besuchs von Pizzerien nahe des Weißen Hauses in Washington dienen als Indikator dafür, ob dort etwa die Krisenstimmung ansteigt. Spekulationen zirkulierten, ob Israel auch ohne die Zustimmung der USA den Iran angreifen wird oder ob abgewartet wird, bis die IAEO-Verhandlungen als gescheitert gelten und anschließend die Verhandlungen zwischen dem Iran und den USA abgebrochen werden und Israel grünes Licht erhält, den Iran anzugreifen.
Die brisanten israelischen Geheimdokumente
Zu diesem Nervenkrieg zählt sicher auch die Veröffentlichung des brisanten Inhalts der angeblich vom Iran erbeuteten israelischen Geheimdokumente.
Es darf vermutet werden, dass sich die in einem Video dokumentierte Äußerung des US-Präsidenten Donald Trump auf diese Dokumente bezieht: „Ich habe immer daran geglaubt, dass wir ein Abkommen mit dem Iran schließen werden, aber vor ein paar Wochen war ich noch optimistischer als jetzt. Ich glaube, dass sie es hinauszögern, und das ist eine Schande. Irgendetwas ist mit dem Iran passiert, ich bin jetzt viel weniger zuversichtlich, was ein Abkommen angeht.“
Der Inhalt dieser erbeuteten Dokumente könnte durchaus der Grund dafür sein, dass „irgendetwas mit dem Iran passiert“ ist. Sie sollen beinhalten:
– einen streng geheimen israelischen
Vier-Jahres-Plan zur Weiterentwicklung von Atomwaffen
– Standorte und Daten zu nuklearen, militärischen und industriellen Anlagen
– Informationen über die Einfuhr von Waffen aus den USA und die Standorte der
Waffenlager
– Informationen über massive Bestechungsgelder, die vier wichtigen Personen der
arabischen Welt gezahlt wurden, um das Abraham-Abkommen mit Israel
voranzutreiben
– Vollständige Persönlichkeitsprofile von 23 israelischen Spionen und ihrem
regionalen Kontaktnetz
– Informationen über sechs Millionen israelische Nutzer von Facebook,
Instagram, Telegram und Twitter
– Informationen über 400.000 Gerichts- und Strafakten der israelischen Justiz
– Persönliche Informationen über Netanjahu und seine Frau, einschließlich
medizinischer Befunde, Zeugenaussagen und Bestechungsfällen
– Informationen aus Netanjahus Privatbüro, darunter sechs
Vier-Terabyte-Festplatten und 1.720 Blätter Verschlusssachen
– Informationen aus der Überwachung der israelischen Opposition durch den Shin
Bet Geheimdienst, einschließlich Aufnahmen von versteckten Kameras in
Badezimmern und Schlafzimmern sowie von Mobiltelefonen und PCs
– Tausende von hochauflösenden Kopien von Luftbildern aller israelischen Städte
und von wichtiger Infrastruktur
– 40.000 Stunden CCTV-Filmmaterial von sensiblen Militär- und
Sicherheitsstandorten
Der erste Teil der von Iran erbeuteten israelischen Dokumente wurde inzwischen von der Nachrichtenagentur Fars News veröffentlicht. Daraus geht hervor, dass zwischen Rafael Grossi, dem derzeitigen Generaldirektor der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO), und israelischen Personen ein reger Austausch besteht.
Sollte auch nur ein Teil der Dokumente der Realität entsprechen, wäre es für Israel sicher empfehlenswert, sich nicht zu einem Angriff auf den Iran hinreißen zu lassen. Sollte der Iran auf der Grundlage seiner geheimdienstlichen Erkenntnisse zurückschlagen, könnte dies nicht nur für Israel vernichtende Folgen haben, sondern einen Weltbrand auslösen.
Eine Einschätzung von Kevork Almassian
Der immer gut informierte
geopolitische Analyst Kevork Almassian erklärte zu den iranischen
Veröffentlichungen:
„Die angeblich erfolgreiche Geheimdienstoperation des Iran in Israel ist
nicht lustig, sondern stellt einen gefährlichen Wendepunkt dar. In einer Welt,
in der psychologische Operationen als Diplomatie getarnt sind und die Grenze
zwischen Sabotage und Sanktionen schon lange verschwimmt, ließ der Iran gerade
eine geopolitische Bombe platzen. Die Erklärung Teherans, man habe sich eine
Unmenge „strategischer und sensibler Daten“ gesichert, darunter Tausende von
Dokumenten im Zusammenhang mit israelischen Atomanlagen, ist nicht bloß ein
Erfolg der Geheimdienste – sie stellt eine tektonische Verschiebung im
anhaltenden Schattenkrieg in ganz Westasien dar.
Um es klar zu sagen: Es geht hier nicht um Spionage-Theatralik. Es handelt sich um eine kalibrierte, strategische und zeitlich abgestimmte Operation, die nun droht, die jahrzehntelange Geheimhaltung um Israels nicht deklariertes Atomwaffenarsenal und die heuchlerische Architektur deren sogenannter „Nichtverbreitung“ in der Region aufzudecken.
Der Iran hat den gesamten Fund noch nicht freigegeben, und das allein ist eine strategische Botschaft. Das iranische Geheimdienstministerium prahlt nicht damit, wie es Israels Abwehrmaßnahmen überwinden konnte. Vielmehr setzt der Iran diese Informationen nicht zur Stärkung seines Egos, sondern als politische Waffe ein.
Soweit uns bekannt ist, betreffen diese Dokumente nicht nur die nukleare Infrastruktur Israels. Sie legen angeblich auch die Zusammenarbeit Israels mit den USA und mehreren europäischen Mächten offen.
Mit anderen Worten: Dies stellt nicht nur eine Bedrohung für die Glaubwürdigkeit Israels dar – es droht auch die gesamte Komplizenschaft des Westens bei der Ermöglichung der nuklearen Hegemonie Israels in der Region aufzudecken, während gleichzeitig von Teheran eine Nullanreicherung verlangt wird.
Dies kann den globalen Diskurs über die sogenannte iranische „nukleare Bedrohung“ neu justieren. Jetzt fragen Sie sich vielleicht: Warum jetzt? Warum sollte man mit einer Enthüllung an die Öffentlichkeit gehen?
Es gilt zu verstehen: Der Iran versucht nicht, Debatten auf X zu gewinnen. Diese Ankündigung kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, da sich das politische Klima ändert.
Sollten die Atomgespräche scheitern, droht Trump mit Krieg. Israel verschärft seine Drohungen gegen iranische Atomanlagen. Und in Wien und Genf droht das Scheitern einer weiteren Runde der Atomverhandlungen.
Ich glaube, dass Teherans Vorgehen vielschichtig ist. Erstens: Der Iran hat sich stets für einen „atomwaffenfreien Nahen Osten“ eingesetzt. Die Aufdeckung der israelischen Atomgeheimnisse verleiht diesem Aufruf beispielloses moralisches und diplomatisches Gewicht. Plötzlich ist der Iran nicht mehr der Angeklagte, sondern der Ankläger.
Zweitens: Die Geschichte zeigt, dass Nationen nicht aus Bosheit, sondern aus Notwendigkeit nach Atomwaffen streben. Pakistan hatte Indien, die Sowjetunion die USA, China beide zum Feind. Sollte der Iran den gleichen Weg einschlagen, hätte er nun seinen Casus Belli: einen feindlichen, atomar bewaffneten Nachbarn, der von den USA geschützt wird.
Drittens: Der Iran erinnert seine Bürger und regionalen Verbündeten an seine Fähigkeiten – nicht nur zur Verteidigung, sondern auch, um sie auszumanövrieren.
Dies ist zwar ein Triumph für den iranischen Geheimdienst, aber auch ein gefährlicher Wendepunkt. Vergessen wir nicht die bitteren Lehren der Vergangenheit. Den Anhängern der sogenannten Achse des Widerstands zufolge hat die reformistische politische Elite in Teheran wiederholt beste Gelegenheiten verstreichen lassen.
Die Raketen der Hisbollah blieben im Depot, als ihre Basis verlangte, gehört zu werden. Der strategische Moment in Syrien wurde übersehen. Man glaubte den Versprechen des Westens, obwohl man es besser hätte wissen sollen.
Und machen wir uns nichts vor: Die derzeitige US-Regierung hat die Absichten hinter der Operation True Promise 2 falsch eingeschätzt. Sie glaubte an Waffenstillstandsgespräche der USA, während die israelischen Operationen unvermindert weitergingen. Diese Fehleinschätzung kostete Blut und Glaubwürdigkeit.
Aus diesem Grund argumentieren Kritiker, dass selbst dieser monumentale Erfolg des Geheimdienstes zu einer Fußnote auf dem regionalen Schachbrett werden könnte, wenn ihm nicht entschlossene Maßnahmen sowohl diplomatischer als auch militärischer Art folgen.“ (1)
Das gefährliche Spiel mit dem Feuer muss beendet werden
Der israelische Präsident Netanjahu dringt auf Krieg, auch um zu verhindern, dass seine Koalition mit der ultra-orthodoxen Partei bricht und Neuwahlen abgehalten werden müssen. Eine diesbezügliche Lesung in der Knesset wurde gerade auf nächste Woche verschoben. Die Information darüber, über welche Geheimdokumente aus Israel der Iran verfügt, sollte Israel davon abhalten, militärisch gegen den Iran vorzugehen. Allerdings steht zu befürchten, dass sich Israel wie schon so oft, in seiner Hybris zu irrationalen Handlungen hinreißen lässt. Iran befindet sich derzeit jedenfalls in höchster militärischer Alarmbereitschaft.
Die Eskalation in Westasien wird von allen Beteiligten immer mehr auf die Spitze getrieben und diese könnte für die gesamte Welt äußerst riskant werden. Selbst Tulsi Gabbard, Director of National Intelligence in Trumps Kabinett, erklärte: „Die Welt ist heute näher an den Rand der nuklearen Zerstörung als je zuvor.“
Doch wenn sich niemand mehr vor einem Nuklearkrieg fürchten soll, müsste zunächst Westasien, inklusive Israel, zur atomwaffenfreie Zone erklärt werden.
—
(1) Ausführlicher
wird diese Einschätzung der Geheimdienstoperationen des Iran in Israel und die
Machtverschiebung im Nahen Osten in einem Gespräch zwischen Kevork Almassian
und dem geopolitischen Analysten Ehsan Safarnejad erörtert:
https://www.youtube.com/live/9_2v46od2VM
A. Gutsche
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