Montag, 25. September 2017



Libyen im freien Fall

Libyen. Politische Gefangene, Zentralbank und Milizen, geheime Sarradsch-Papiere und ein obskurer Polit-Neuling

Noch immer sitzen tausende Libyer in Gefängnissen
Bei einem von der UN-Sondermission für Libyen in Tunis veranstalteten Workshop wurde bekannt, dass heute immer noch tausende Soldaten und andere ehemals im Dienste Gaddafis gestandene Personen ohne juristische Anhörung oder Prozess gefangen gehalten werden, die meisten seit 2011. Es sollen über das ganze Land verstreut etwa 8.000 Gefangene sein, davon 900 Frauen im Ruhaimi-Gefängnis in einem Vorort von Tripolis. Die Mehrzahl der Frauen zählte einst zu den Mitgliedern von Gaddafis Revolutionsgarde.
In Bani Walid wurde die Zahl der Gefangenen mit hundert angegeben, die meisten davon ehemalige Soldaten.
Nicht in diesen Zahlen enthalten ist die hohe Anzahl von Gefangenen, die von Milizen in geheimen Militärgefängnissen eingekerkert sind.[1]
Dazu erklärt Miriam al-Fatah, die beim Grünen Widerstand aktiv ist: „Im Ganzen dürften es 70.000 Kriegsgefangene sein, die in geheime Gefängnisse gebracht wurden, dazu 30.000 Frauen. Bis heute wissen wir nicht, wer von ihnen noch am Leben oder schon tot ist. Was wir von Mitarbeitern von Human Rigths Watching und Ärzte ohne Grenzen wissen, ist, dass die Milizen viele der Gefangenen in Krankenhäuser brachten, um sie dort zusammenflicken zu lassen. Anschließend wurden sie wieder in die Gefängnisse eingeliefert und erneut geschlagen oder vergewaltigt, so lange, bis sie tot waren. Aus diesem Grund haben die Ärzte ohne Grenzen die Zusammenarbeit mit den Milizen eingestellt. In den letzten sechs Jahren wurden eine Menge Leichen gefunden, die allerdings so verstümmelt waren, dass sie nicht einmal die eigene Mutter hätte identifizieren können.
Der Hauptverantwortliche für all diese Gräueltaten ist Abdulhakim Belhadsch, der zur sogenannten Libyan Islamic Fighting Group, LIFG, gehört. Die LIFG wurde am 6. Oktober 2001 von den Vereinten Nationen gemäß Paragraph 8(c) der Resolution 1333 (2000) als Verbündete der Terrorgruppe al-Kaida, die für Terroranschläge in Europa und Afrika verantwortlich ist, gelistet.“[2]

Die Finanzierung der Tripolis-Milizen

In Tripolis gibt es etwa 20 Milizen, die einen größeren Einfluss haben. Eine der wichtigsten ist heute die islamistische RADA-Miliz unter Führung von Abdel Rauf Kara. Die RADA-Miliz wird der schwersten Menschenrechtsverletzungen und der Zerstörung von Sufi-Heiligtümern in Tripolis beschuldigt. hre Mitglieder sind als gestrenge Sittenwächter verrufen. Kara hat sich nun auf die Seite der ‚Einheitsregierung‘ von Sarradsch geschlagen.
So unglaublich es klingt, doch bezahlt werden die Kämpfer der Milizen von der libyschen Zentralbank. Diese extrem-islamistischen Milizen, die eigentlich entwaffnet und aus der Stadt vertrieben werden sollten, erhalten ihren monatlichen Sold so, als wären sie reguläre Militärstreitkräfte. Könnten die Milizen nicht am einfachsten ihres Einflusses beraubt werden, wenn man ihnen den Geldhahn zudreht? Nur leider sind diese radikal-islamistischen Milizen die letzten militärischen Strohhalme, an die sich eine völlig unglaubwürdige ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch klammern muss. Für den Sold der Milizen, die die Hauptstadt terrorisieren, ist Geld da, während es für die Bevölkerung nur unter schwierigsten Bedingungen möglich ist, an Bargeld zu gelangen.
Die Zusammenarbeit von Sarradsch mit ausländischen Kräften
Da in Libyen nichts geheim bleibt, auch wenn es nicht für öffentliche Ohren bestimmt ist, gelangte kürzlich ein Originaldokument an die Öffentlichkeit, dass Sarradsch wieder einmal als Handlanger ausländischer Kräfte zeigt, die sich am libyschen Staatsvermögen bereichern wollen.
In dem Dokument vom 5. 09. 2017, das Sarradsch unterzeichnete, werden zur allgemeinen Empörung der Libyer neben zwei anderen US-Amerikanern und einem Niederländer auch Ron Noble, der von 2000 bis 2014 Generalsekretär von Interpol war, beauftragt, noch im Ausland verborgene libysche Bankkonten und Besitztümer aufzuspüren. Sie erhalten das Recht, für Libyen zu verhandeln, vor Gerichten zu klagen und Mitarbeiter zu entlohnen und zwar in Höhe von maximal zehn Prozent des Wertes von Gütern und Bankguthaben und von zwanzig Prozent des aufgedeckten Barvermögens.[3]
Die Libyer betrachten dies zurecht als Diebstahl an ihren Vermögenswerten. Als hätten sich die 2011 gegen Libyen kriegführenden Länder nicht schon genug bereichert, alle Vermögenswerten aus den Banken gestohlen und den Goldschatz im Wert von sechs Milliarden US-Dollar und ebenso viel Silber verschwinden lassen. 

In Tripolis taucht ein alter Bekannter als obskurer Mitspieler auf

Ein gewisser Abdul Basit Igtet macht in Tripolis von sich reden und versucht, politisch mitzumischen. Er wird von Sadek al-Ghariani, Moslembruder und Großmufti in Tripolis, und anderen radikal-islamistischen Milizen unterstützt.
Schon im Juni 2014 erschien in libyanwarthetrouth ein Artikel, der sich intensiv mit Igtet und seiner Frau Sarah Bronfman beschäftigt.
Demnach stammt Abdul Iglit aus Bengasi, sein Vater galt als radikaler Islamistenführer. Wegen Unterschlagung mehrerer Millionen Dollar wurde Iglit sen. in Gaddafi-Zeiten zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Sein Sohn floh in die Schweiz, wo er über zwanzig Jahre im Exil zubrachte und sich die vom Vater ins Ausland geschafften Millionen aneignen konnte. Mit dem Geld baute er ein Unternehmen auf und wurde zum Multimillionär. Mit den Millionen versuchte er 2014, sich den Posten des libyschen Premierministers in der Nachfolge von Ali Seidan zu sichern.
Damals zog er seine Kandidatur zurück, sagte aber, er wolle libyscher Präsident werden, wenn eine neue Verfassung in Kraft sei.[4]
Igtet, der Vertreter von Kapitalismus und Freiem Markt, sei dafür eingetreten, Israel den Bau einer Militärbasis in den Grünen Bergen zu gestatten. Nicht überraschend wird Igtet vor allem von John McCain unterstützt. In seiner Schweizer Zeit pflegte Igtet den Kontakt zu dem Moslembruder Emad Elbannani.
Igtet ist verheiratet mit der US-Amerikanerin Sarah Bronfman, Tochter und Erbin des Milliardärs Edgar Bronfman, dem die Whiskey-Destille Seagram gehört. Edgar Bronfman war fast dreißig Jahre lang Vorsitzender des Jüdischen Weltkongresses.
Sarah Bronfman soll gemeinsam mit ihrer Schwester Clare unter dem Einfluss der laut Forbes Magazine „dunklen und manipulativen“ NXIVM-Organisation[5] (sprich ‚nex-i-am‘) des Keith Raniere[6] stehen, die mit klassischen Gehirnwäschetechniken arbeitet und dank ihrer reichen Gönner ein enormes Vermögen angehäuft hat.
Ob dieser Einfluss Igtet dazu veranlasst haben mag, auf die Frage, wie er die enormen Probleme in Libyen in den Griff bekommen wolle, die wirre Äußerung getan hat, es müssten vier Probleme, nämlich „Angst, Gier, Liebe und Sex“ gelöst werden?
2014 lehnten alle Stammesführer die Zusammenarbeit mit Igtet ab, nicht zuletzt aufgrund seiner Ehe mit Sarah Bronfman, die als libysche ‚First Lady‘ nicht tragbar sei. Nun ist Basit Igtet zurück auf dem politischen Parkett und hat mit Unterstützung des Radikal-Islamisten und Großmuftis Ghariani für den 25. September zu einer Großdemonstration auf dem Grünen Platz in Tripolis aufgerufen.
Kapitalismus trifft Moslembruderschaft trifft Whiskey am Grünen Platz in Tripolis. Darauf einen Seagram! Kann es in Libyen noch weiter bergab gehen?

Angelika Gutsche, 20.09.2017



[1] www.libyaherald.com/2017/09/13/unsmil-puts-long-term-detention-of-libyan-prisoners-without-trial-under-spotlight/
[2] Abdelhakim Belhadj wird auch ‚Emir der LIFG‘ genannt. Die LIFG wurde nach 9/11 als Terrororganisation verboten. Mudschaheddin, die nach dem Kampf in Afghanistan nach Libyen zurückgekehrt waren, hatten sie 1980 gegründet. Belhadsch saß in Tripolis im Gefängnis und war mit weiteren zehn Führungskräften der LIFG, darunter Sami al-Saadi und Khalid al-Scharif, und 214 anderen Islamisten am 23. März 2010 entlassen worden. 2011 war die LIFG hauptverantwortlich für den Sturz Gaddafis. Es wird geschätzt, dass etwa 800 LIFG-Kämpfer unter Führung von Belhadsch an den Kämpfen gegen die libysche Armee beteiligt waren. Führende Mitglieder der LIFG, die sich 2011 in Libyan Islamic Movement umbenannte, gehörten ab März 2011 zum National Transitional Council (NTC). (nach: https://wikispooks.com/wiki/Abdelhakim_Belhadj)


[3]
I, the undersigned Fayez al-sarraj the president
of internationally recognized Libyan government
Dr rutsel silvester j-martha Netherlands passport
no. NPKKRPP49, born in curacao (kingdom of he
Netherlands) 31. December 1955.
Mr ron noble, USA passport no. 506358220 born in, 24
december 1956.
Mr. jhano ajemian, USA passport no. 422102814 born
in, 28 october 1956.
Mr james hackney, USA passport no. 438520483 born
on 11 august 1950
To take the necessary and appropriate domestic and
international legal procedure within all nations to
discover and recover Libyan money and property
smuggled and hidden abroad, and to remove any
kinds of camouflage, and to work to recover such
monies and deposit these monies in accounts which
belong to the arise with government of Libyan
They have the right to negotiate and raise retrieval
lawsuits before the courts
to have the right to authorize, cooperate and use
appropriate consultants and experienced in relevant field
in order to complete their mission to have the right to
negotiate and contract to pay for consultants and
collaborators within the agreed percentage in the
contract, maximum compensation would be 10% (ten
percent), of the value of goods and the recovered bank
assets and 20% (twenty percent) of the value of
recoverable liquid cash assets including all expenses and
fees, insurance, shipping air transport and services
necessary, to complete the revovery of funds for the
benefit of the benefit oft he libyan state
Mr: Fayez al-sarraj the president of Internationally
Recognized Libyan government
Unterschrift und Stempel

[4] Von US-amerikanischer Seite wird gerade schwer daran gearbeitet, die monarchische Verfassung, die bis 1969 in Kraft war, wieder einzuführen.
[5] https://en.wikipedia.org/wiki/NXIVM
[6] Keith Raniere, Gründer von NXIVM, eines in vielen Bereichen tätigen sog. Marketing-Unternehmens, das von Kritikern als sektenähnlich bezeichnet wird. Raniere selbst bezeichnet sich als „vanguard“ (Avantgarde). Ehemalige Partnerinnen, die aus NXIVM ausgestiegen sind, bezeichneten ihn als gefährlich bzw. gaben an, er würde seine Studenten zur Befriedigung seiner Spielleidenschaft und seiner sexuellen Neigungen missbrauchen. https://en.wikipedia.org/wiki/Keith_Raniere

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