Wechselvolles Spannungsfeld: Libyen, Dschihadisten und der Westen
Die Annäherung der
britischen Regierung unter Tony Blair an Gaddafis Libyen, die vorherige
Unterstützung von al-Kaida und der endgültige Verrat Libyens durch David
Cameron.
In einem Interview mit SputnikNews[1]
spricht der Journalist Mustafa Fetouri über das Verhältnis zwischen
Großbritannien und Libyen in den Jahren 2004 und 2005. Unter Tony Blair[2]
habe eine Wiederannäherung Großbritanniens an Libyen stattgefunden. Ab 9/11,
also ab 2001, sei Blair gemeinsam mit dem damaligen US-Präsidenten Bush in den
Antiterrorkampf gezogen und habe bedingungslos die Kriege der USA in
Afghanistan und im Irak unterstützt.
Zu dieser Zeit habe Libyen die beste Datensammlung über
Terroristen und terroristische Organisationen besessen, einschließlich al-Kaida
in Pakistan und Afghanistan. Diese Daten hätten sich auch über die Zeiträume
erstreckt, in denen die USA noch bin Laden in Afghanistan im Kampf gegen die
Sowjetunion unterstützt habe. Diese Wiederannäherung und Anti-Terror-Zusammenarbeit
habe aber Gaddafi nicht darüber hinwegtäuschen können, dass die Briten die
libysche Regierung nicht wirklich mochten. Es gab immer einen ‚Plan B‘: Wann
immer sich eine günstige Gelegenheit böte, wollte man sie ergreifen, um Gaddafi
loszuwerden, ihn komplett zu vernichten.
Mustafa Fetouri: „Wir sollten uns daran erinnern, dass diese
Regierungen – besonders die USA, Großbritannien und Frankreich – sich nicht
viel um ihre Verpflichtungen und Versprechungen scheren, die sie anderen
Regierungen gegenüber eingegangen sind, vor allem wenn es sich dabei um
Regierungen handelt, mit denen sie schlechte Erinnerungen wie mit Libyen unter
Gaddafi verbinden. Gaddafi vertraute ihnen nie, aber in den letzten zehn Jahren
seiner Herrschaft hat er sich nicht sehr um die alltäglichen
Regierungsgeschäfte gekümmert und etwas das Gespür verloren – diese Gelegenheit
nutzte der Westen.“
Fetouri zeigt sich verwundert darüber, dass Abdelhakim
Belhadsch trotz seiner dunklen al-Kaida-Vergangenheit als Terrorist vom Westen
rehabilitiert wurde.[3]
Wenn man bereit ist, dies alles zu vergessen, müsse man auch andere Dinge
vergessen können, zum Beispiel all das, was man Gaddafi vorwarf und das jeder
Wahrheit entbehre.
Die 90er Jahre
Doch wie sah das Verhältnis des Westens einerseits zu Libyen,
andererseits zu al-Kaida und den islamistischen Dschihadisten in den 1990er
Jahren aus? Ein Schlaglicht darauf wirft der Mord an dem deutschen Ehepaar
Becker 1994 und ein libyscher Haftbefehl gegen Osama bin Laden 1998.
Am 10. März 1994 reiste das deutsche Ehepaar Silvan und Vera
Becker in Libyen ein. Kurz danach wurden sie ermordet. Der 56-jährige Silvan
Becker war ein hochrangiger Beamter des deutschen Bundesamtes für
Verfassungsschutz (BfV) und Anti-Terror-Experte, für den wie für alle
BfV-Mitarbeiter Libyen als Reiseland gesperrt war. Trotzdem hatten er und seine
Frau dorthin eine Urlaubsreise unternommen. Laut offizieller Version wurden sie
Opfer eines Raubüberfalls.
Tatsächlich überlebten zunächst beide Beckers schwerverletzt
den Überfall und wurden in ein ostlibysches Militärkrankenhaus gebracht. Verena
Becker erlag am 28. März 1994 ihren Verletzungen, ihr Ehemann soll noch bis zum
10. April gelebt haben.
Libyen machte libysche Afghanistan-Heimkehrer für die Morde
verantwortlich. Die Namen von drei Hauptverdächtigen wurden genannt: Faradsch
al-Alwan, Faez Abu Zeid al-Warfalli und Fardsch al-Chalabi, alle zu al-Mukatila
gehörig und mit dem Netzwerk von Osama bin-Laden in Verbindung stehend.
Welt online: „Am
16. März 1998 stellt das Justizministerium in Libyens Hauptstadt Tripolis den
ersten internationalen Haftbefehl gegen Osama bin Laden aus und leitete ihn an
Interpol im französischen Lyon weiter. Dort wurde das Dokument, das Welt Online vorliegt, für rechtmäßig
befunden, und am 15. April 1998 erließ Interpol offiziell den Haftbefehl gegen
den al-Quaida-Führer. Osama bin Laden sei dringend verdächtig, so behaupten die
libyschen Behörden, zwei deutsche Staatsbürger in Libyen getötet zu haben.“[4]
Gaddafi war somit der erste Staatschef, der den Saudi Osama bin Laden per
internationalem Haftbefehl suchen ließ. Allerdings wurden die Bemühungen um bin
Ladens Verhaftung vom Westen weitestgehend ignoriert.
Dafür habe es handfeste Gründe gegeben, meinte zumindest der
britische Geheimdienstler David Dhayler. Der britische Auslandsgeheimdienst MI6
habe nämlich eben mit diesen islamistischen Extremisten, die das Ehepaar Becker
ermordeten und zum Netzwerk von Osama bin Laden gehörten, eng
zusammengearbeitet. Deren gemeinsames Ziel sei die Ermordung Gaddafis bei einer
Militärparade in der Stadt Sirte gewesen. Dummerweise seien ihnen dabei die
deutschen Beckers in die Quere gekommen.
An einer Festnahme bin Ladens, der nach dieser Version schon
in den 90er Jahren mit den westlichen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat,
und einer tatsächlichen Aufklärung der Morde an dem Ehepaar Becker, ist den
westlichen Regierungen somit nicht gelegen gewesen.
Die libyschen Behörden informierten 1994 ihre deutschen
Kollegen über ihre Ermittlungsergebnisse, aus denen eindeutig hervorging, dass
eine libysch-islamische Kampfgruppe namens al-Mukatila,
die Morde begangen haben soll. Al-Mukatila
bestand aus ehemaligen libysch-stämmigen Afghanistan-Kämpfern mit engen
Verbindungen zu al-Kaida. 1988 waren
die Truppen der UdSSR aus Afghanistan abgezogen und nach dem Sieg der von den
USA unterstützten sogenannten Mudschahedin waren die libyschen Kämpfer nach
Libyen zurückgekehrt, um dort den Kampf gegen Gaddafi aufzunehmen, ebenfalls
mit Hilfe der westlichen Geheimdienste.
Am 8.10.2001 veröffentlichte Focus Online[5]
einen Artikel, in dem es neue Spuren im Fall des ermordeten
Verfassungsschützers Silvan Becker vorlegte. Dabei hätten Ermittlungen beim
9/11-Anschlag auf das World Trade Center in New York das FBI zum Mord des Jahres
1994 an dem Ehepaar Becker geführt. Ein Name auf der Fahndungsliste, die Libyen
1994 an Interpol übergeben hatte, tauchte jetzt wieder bei den 9/11-Attentätern
auf.
Auch die US-Justizbehörden mussten diese Einschätzung des
libyschen Geheimdiensts, die die Libyer eindeutig dem Terrornetzwerk Osama bin
Ladens zugeordnet hatten, bestätigen: Einer der Männer war an der Vorbereitung
der Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania des Jahres
1998 beteiligt gewesen.
Diese enge Verflechtung der Dschihadisten um bin Laden mit
den westlichen Geheimdiensten wirft insgesamt ein anderes Licht auf die
Vorgänge um 9/11 des Jahres 2001 und deren umstrittene Urheberschaft.
Es steht zu vermuten, dass die Urlaubsreise des Ehepaars
Becker nach Libyen nicht wirklich eine Urlaubsreise war, sondern durchaus einen
geheimdienstlichen Hintergrund hatte. Was wollte Silvan Becker, Spezialist für
islamistischen Extremismus, tatsächlich in Libyen? Welche Kontakte hatte er zu
den dort agierenden Dschihadisten der Bin-Laden-Truppe? Wurde Becker nach
Libyen gelockt und dann aus dem Weg geräumt? Was wusste der britische
Auslandsgeheimdienst MI6?
Welt Online
schreibt: „Der französische Terrorismus-Experte Jean-Charles Brisard, der in
einem Buch erstmals auf den von Gaddafi ausgestellten Haftbefehl für Bin Laden
hinwies, hält die libysche Darstellung von der Ermordung des deutschen Ehepaars
durch Islamisten für glaubhaft. „Die Behauptung ist sicherlich wahr", so
Brisard gegenüber Welt Online.
Laut Focus Online wurde
nach Beckers Tod „gemunkelt, der BfV-Spezialist habe – auf eigene Kappe oder im
bezahlten Auftrag eines ausländischen Geheimdienstes – Kontakte zu Islamisten
aufgenommen.“ Becker, Leiter der Abteilung 6 des Verfassungsschutzes
„Internationaler Terrorismus“ soll zuletzt über seine Arbeit zutiefst
frustriert gewesen sein. Dies dürfte nicht überraschen, wenn die Spuren der
islamistischen Kampfgruppen direkt zu den Kollegen der westlichen Geheimdienste
führten.
Der Anschlag auf die
Diskothek La Belle
Die TAZ hatte bereits kurz nach der Ermordung des Ehepaars
Beckers berichtet, Becker sei der hauptverantwortliche Ermittler des
Verfassungsschutzes beim Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle im Jahr 1986 gewesen, was vom
Verfassungsschutz allerdings bestritten wurde. Bei dem Attentat auf die Diskothek wurden drei Menschen getötet und es
waren viele Verwundete zu beklagen. Der Anschlag wurde Gaddafi in die Schuhe
geschoben und diente als Vorwand für die zehn Tage später erfolgten
Bombenangriffe auf Tripolis und Bengasi.[6]
Hatten Spuren Becker damals bereits zu islamistischen Terroristen und
westlichen Geheimdiensten geführt?
Die Kämpfer von al-Kaida, zunächst ausgebildet und
aufgerüstet als Bodentruppe der CIA und des MI6 gegen zunächst die Sowjetunion,
wurden nach dem Rückzug der UdSSR aus Afghanistan in die Staaten des Nahen
Ostens und Nordafrikas verbracht, wo sie als al-Kaida im Maghreb oder Libyan
Islamic Fighting Group in Libyen zum Einsatz kamen, zum einen um
Militäreinsätze zu rechtfertigen, zum anderen, um unliebsame Regierungen zu
stürzen.
Welche satanische Kabale betrieben die Geheimdienste um
al-Kaida, die sie vorgeblich bekämpften, schließlich aber gegen die libysche
Regierung einsetzten und so Gaddafi stürzten?
A. Gutsche
[1] https://sputniknews.com/analysis/201802211061849814-gaddafi-uk-betrayal-intelligence/
[2]
Tony Blair: von 1997 bis 2007 britischer Regierungschef
[3]
Belhadsch gehörte in Afghanistan al-Kaida an und wurde 2004 von der CIA von
Bangkok aus nach Libyen überstellt. Abdelhakim Belhadj wird auch ‚Emir der LIFG‘
genannt. Führende Mitglieder der LIFG, die sich 2011 in Libyan Islamic Movement umbenannte, gehörten ab März 2011 zum National Transitional Council (NTC).
Nach dem Sturz Gaddafi wurde Belhadsch in Libyen schnell zum Millionär, dem
inzwischen eine ganze Flugzeugflotte (Wings
Aviation Company) gehört. Er wurde Vorsitzender der Watan-Partei und
Kommandant der der Militärregierung in Tripolis.
[4] https://www.welt.de/politik/ausland/article13135627/Warum-Gaddafi-Terrorchef-Osama-Bin-Laden-jagte.html
[5] https://www.focus.de/politik/deutschland/geheimdienst-toedlicher-agentenkrimi_aid_192913.html
[6] https://www.freitag.de/autoren/gela/der-anschlag-auf-die-diskothek-la-belle
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