Kurznachrichten Libyen – 27.09.2020
+ 23.09.: Demonstrationen in Tripolis.
Gegen die 24-stündigen Stromausfälle in Tripolis gingen erneut
Demonstranten auf die Straße. Sie blockierten mit brennenden Reifen
Hauptverkehrsstraßen. https://libyareview.com/?p=6770
+ Foto: https://twitter.com/MstrMax11/status/1309249944981843968/photo/1
„Stromausfall“ sollte als Synonym für Unzufriedenheit mit der politischen Lage gelesen werden.
+ 25.09.: Kämpfe zwischen Milizen der ‚Einheitsregierung‘.
In Tripolis eskalieren Kämpfe zwischen verschiedenen Milizen der
‚Einheitsregierung‘, bei denen sogar Flugabwehrgeschütze und Panzer
eingesetzt werden. So werden Bilder gepostet, die zeigen, wie Rauch aus
dem Waffenlager der Sicherheitsmiliz in Tadschura aufsteigt. Es soll
mindestens vier Tote und mehrere Verletzte gegeben haben.
Als Grund
wird Tötung von zwei Mitgliedern der Tadschura-Lions-Miliz durch die
Daman-Miliz genannt. Der Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘
Salah ad-Din an-Namrusch will nun seinerseits mit Gewalt gegen die
beiden Milizen vorgehen und hat ihre Auflösung verkündet.
https://libya.liveuamap.com/en/2020/25-september-smoke-rose-from-inside-the-missile-camp-belonging
https://twitter.com/MstrMax11/status/1309480423454457857/photo/1
https://libyareview.com/?p=6796
Libysches Erdöl
+ 25.09.: Sarradsch begrüßt Öffnung der Erdölanlagen.
Nun hat sich auch der Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ Fayez
as-Sarradsch positiv zu der Wiedereröffnung der Ölanlagen und die
Aussicht auf Beendigung der Feindseligkeiten geäußert. Er hob die
Bedeutung der Berliner Libyen-Konferenz hervor und stellte fest, dass
der Libyenkonflikt nicht gewaltsam zu lösen sei. Er bat die UN um
Unterstützung bei den für das nächste Jahr anvisierten Wahlen. Er rief
auch zum politischen Dialog mit allen Fraktionen und Regionen Libyens
auf.
https://libyareview.com/?p=6777
+ 26.09.: Wiederaufnahme des Betriebs auf dem Hamada-Ölfeld (südlich von al-Dschabal al-Gharbi) der Arabian Gulf Oil Company
(AGOCO) im Rahmen der neuen Vereinbarung. Das Ölfeld besteht aus
mehreren Feldern: (MN8) (MN5) (MN7) und der Ölanlage Zawiya. Poduziert
werden täglich 10.000 Barrel, die zur Raffinerie in Zawiya gepumpt
werden.
https://twitter.com/ObservatoryLY/status/1309848322228793344
+ 27.09.: Auch das große as-Sarrir-Ölfeld hat seine Arbeit wieder aufgenommen.
https://twitter.com/MahmudM27830556/status/1309939815463489537
+ 26.09.: Ahmed Maitiq, stellvertretender Premierminister der ‚Einheitsregierung‘ aus Misrata, traf am 26.09. in der Türkei ein, um laut der Website von OilPrice an verschiedenen Arbeitstreffen teilzunehmen.
Am
18. September hatte Maitiq die Schaffung einer gemeinsamen Kommission
angekündigt, die die Öleinnahmen kontrollieren und eine „gerechte
Verteilung“ dieser Einnahmen gemäß den festgelegten Bestimmungen
sicherstellen soll.
Auch der Sprecher der LNA al-Mismari hatte
erklärte, dass die Erdölvereinbarung mit Maitiq die Bildung einer
Kommission zur Verteilung der Öleinnahmen beinhaltet, die aus libyschen
Stammesscheichs und Mitgliedern des libyschen Parlaments und Ahmed
Maitiq besteht.
https://libyareview.com/gna-deputy-pm-maiteeq-arrives-in-turkey/
+ 26.09.: Der Vorsitzende der National Oil Corporation (NOC) Mustafa Sanella traf sich mit Vertretern der italienischen ENI. Es ging dabei um die Verbesserung der Leistungen der Mellitah Oil und Gas Company (MOGC).
Sanella bestätigte, dass das NOC die Arbeit in den Ölfeldern aufgenommen hat, die als sicher gelten.
https://libyareview.com/noc-chairman-holds-meeting-with-eni-delegation-in-tripoli/
Die Mellitah Oil und Gas Company (MOGC) ist die größte Erdölgesellschaft in Libyen. Sie ist für die Verwaltung von Ölfeldern im ganzen Land zuständig ebenso wie für drei Ölplattformen, auf denen Offshore gefördert wird. Daneben ist sie auch verantwortlich für die Ölpipelines, die über tausende von Kilometern Libyen durchziehenden. MOGC exportiert über eine 516 km lange Unterwasserpipeline, die den Mellitah-Industriekomplex mit der italienischen Küste verbindet und von Green Stream verwaltet wird, aufbereitetes Erdgas nach Italien. Daneben deckt MOGC auch den lokalen Bedarf an Erdgas für die Versorgung der libyschen Kraftwerke.
+ 27.09.: Ein Video gibt Eindruck über die schlechte Versorgungslage bei Diesel-Kraftstoff in der libyschen Hauptstadt Tripolis:
https://twitter.com/Love4Libya/status/1309598886458257408
+ 24.09.: Saif al-Islam Gaddafi politisch aktiv. LibyaDesk
schreibt auf Twitter: Wie es scheint, wurde Mussa Ibrahim von Saif
al-Islam Gaddafi beauftragt, sein politisches Team wiederzubeleben und
neu zu organisieren. Vermutlich ist er mit dem Plan von Gaddafi und der
Vorbereitung auf die nächste Phase der politischen Gespräche befasst.
https://twitter.com/LibyaDesk/status/1309209407176269825
Mussa
Ibrahim war Informationsminister der Dschamahirija-Regierung während
des Nato-Krieges gegen Libyen und diente bis zuletzt Muammar al-Gaddafi
als Sprecher. Im Oktober 2019 meldete sich Mussa Ibrahim bei RT zu Wort: https://deutsch.rt.com/international/93487-gaddafis-sprecher-wir-haben-recht/
Migranten
+
25.09.: Mindestens 13 Migranten starben, nachdem ein Flüchtlingsboot
vor der libyschen Küste gekentert war (Internationale Organisation für
Migration).
https://libyareview.com/?p=6794
+ 25.09.: Franziska Vilmar von Amnesty International
fordert die Europäische Union erneut auf, „jede Kooperation mit Libyen
von der Einhaltung von Menschenrechten abhängig zu machen. Niemand darf
von der libyschen Küstenwache nach Libyen zurückgebracht werden. Die in
dem Land grassierende Straffreiheit führt dazu, dass niemand zur
Verantwortung gezogen wird, der die Rechte geflüchteter Menschen oder
gar die Menschen selbst mit Füßen tritt“. In dem AI-Artikel heißt es
weiter: „Während die eine Hälfte der aus Seenot abgefangenen Menschen
zurück in offizielle Haftlager gebracht wird, gilt die andere Hälfte als
verschwunden. Diese Menschen werden in von Milizen betriebene
inoffizielle Haftlager – wie zum Beispiel die berüchtigte Tabakfabrik in
Tripolis – verbracht, zu denen keine internationale Organisation Zugang
hat. Von diesen verschleppten Menschen verliert sich jede Spur.“ Seit
2016 hat „die von der EU unterstützte libysche Küstenwache geschätzt
60.000 Frauen, Männer und Kinder auf See abgefangen und nach Libyen
zurückgebracht, 8.435 davon allein im Jahr 2020 (Stand: 14. September).“
https://www.amnesty.de/allgemein/pressemitteilung/libyen-menschen-auf-der-flucht-sind-gefangen-einer-spirale-der-gewalt
Verschiedenes
+
26.09.: Die syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte teilte mit,
dass in den letzten zehn Tagen mehr als 1.200 Söldner, die auf der Seite
der ‚Einheitsregierung‘ von der Türkei nach Libyen gebracht worden
waren, nach dem Auslaufen ihrer Verträge nach Syrien zurückgekehrt sind.
Nach
den Statistiken des SOHR sind bisher insgesamt etwa 18.000 syrische
Söldner nach Libyen gekommen, darunter 350 Kinder unter 18 Jahren.
Insgesamt seien etwa 8.500 der pro-türkischen Söldner nach Ablauf ihrer
Verträge nach Syrien zurückgekehrt.
https://libyareview.com/?p=6803
+
Im ägyptischen Hurghada soll unter ägyptischer Schirmherrschaft und mit
Einverständnis der UNO ein Treffen der Militärs der verfeindeten
libyschen Parteien stattfinden.
https://libya.liveuamap.com/en/2020/26-september-the-meeting-of-the-libyan-military-in-hurghada
In Libyen bewegt sich gerade viel.
+
26.09.: Der Innenminister der ‚Einheitsregierung‘ und Moslembruder,
Fatih Baschagha, sagte bei einem Treffen mit dem niederländischen
Botschafter in Libyen, Lars Tummers, er sei bereit, die diplomatischen
Vertretungen in Libyen zu sichern. Er dankte den Niederlanden auch für
die Einrichtung einer Aufklärungsmission, „die den Verbrechen der
Haftar-Milizen und den Verbrechen der russischen Wagner-Söldner
nachgehen wird“.
https://almarsad.co/en/2020/09/26/ready-to-secure-embassies-and-diplomatic-missions-in-libya-says-bashagha-to-dutch-ambassador/
Diese
Aussagen lassen Einiges befürchten. Zum einen ist es nicht
gerechtfertigt, von „Haftar-Milizen“ zu sprechen, da Haftar vom
demokratisch gewählten und international anerkannten Parlament
beauftragt wurde, wieder eine libysche Armee aufzubauen, eben die LNA.
Zum anderen ist die Frage, wie es denn um die Aufklärung der von den
Milizen der ‚Einheitsregierungen‘ begangenen Kriegsverbrechen steht, man
denke nur an das al-Shatti-Massaker oder an die jüngsten Vorkommnisse
in den von den Milizen eingenommenen Städten.
Und im Moment bekämpfen
sich die Milizen in Tripolis gegenseitig, anstatt dass sie irgendjemand
oder irgendetwas beschützen. Und erst vor wenigen Tagen schossen in
Tripolis Baschaghas Sicherheitskräfte mit scharfer Munition auf
Demonstranten.
Was Tripolis betrifft, unterliegen die
Sicherheitskräfte von Baschagha den Befehlen aus der Türkei und werden
von syrischen Söldnern unterstützt, die schlimmer
Menschenrechtsverletzungen wie Entführungen, Vergewaltigungen und Morde
beschuldigt werden. EU-Staaten in einem arabischen Land lassen sich also
mehr oder weniger direkt von Erdogan, syrischen Extremisten und den
Moslembrüdern, die auch Verbindungen zu al-Kaida pflegen, beschützen?
Absurd!
26.09.: Stephanie Williams,
stellvertretende Vorsitzende der UN-SMIL, betonte die Notwendigkeit,
ausländische Streitkräfte und Söldner aus Libyen abzuziehen und die
politischen Gespräche voranzutreiben. Es sei inakzeptabel, dass nach wie
vor täglich Militärgüter nach Libyen gelangten. Sie forderte die beiden
kriegführenden Parteien auf, ausländische Streitkräfte und Söldner
innerhalb von 90 Tagen nach Unterzeichnung des
Waffenstillstandsabkommens abzuziehen.
Sie forderte auch den Schutz
von Sirte und seiner Umgebung: „Wir legen großen Wert auf den Schutz von
Sirte und anderen bewohnten Gebieten in der Zentralregion Libyens ...
mehr als 90% des libyschen Erdöls befinden sich dort.... Deshalb müssen
wir die dortige Ölinfrastruktur schützen“.
Williams meinte, dass die Durchführung von Präsidentschaftswahlen die Krise in Libyen lösen würde.
https://libyareview.com/?p=6807
[Wer
muss die libysche Ölinfrastruktur schützen? Doch wohl die Libyer selbst
und nicht die UNO. Wie dieser Schutz auszusehen hat und wie bzw. durch
wen er gewährleistet werden soll, sagte Williams nicht.
+
26-09.: Der italienische Premierminister Giuseppe Conte erklärt in
seiner Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen, dass eine
politische Lösung der einzige Weg zur Lösung der libyschen Krise sei.
Er bestätigte, dass der Frieden in Libyen erreicht wird, wenn die
ausländische Einmischung aufhört.
https://libyareview.com/?p=6801
Das
sagt ausgerechnet Italien, das selbst Truppen in Libyen stationiert hat
und militärisch fest an der Seite der ‚Einheitsregierung‘ steht und für
die Ausrüstung und Bezahlung der berüchtigten libyschen Küstenwache
verantwortlich ist.
26.09.: Sabine Kebir bietet auf Freitag
eine gute Darstellung der derzeitigen Situation in Libyen. Unter
anderem heißt es dort: „Was gerade geschieht, ist auch das Ergebnis
einer Selbstermächtigung der kriegsgepeinigten libyschen
Zivilbevölkerung. Den Anfang September begonnenen und noch anhaltenden
Demonstrationen in Tripolis – dem Protest gegen die seit Jahren
zusammengebrochene Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern, die das
Verlangen nach einem Abzug ausländischer Söldner einschließt – folgten
wenig später ähnliche Aktionen im Osten Libyens. […] Der Oberste
Stammesrat steht hinter solchem Protest und gibt zu verstehen, im
Ausland getroffene Entscheidungen über Libyen nicht mehr anerkennen zu
wollen – es müsse endlich Wahlen geben.“
Sabine Kebir sieht die
jetzige Bewegung in Libyen durch einen Anstoß der Trump-Regierung
ausgelöst. Sie schreibt: „Dass die USA nun die gleiche Konfliktpartei
unterstützen wie Russland, ist für die deutsche Außenpolitik, besonders
Heiko Maas, hochpeinlich. […] Die jahrelangen Friedensbemühungen von UN
und EU werden jäh als das entlarvt, was sie stets waren: wirkungslos.“ [Man möchte hinzufügen: nicht nur wirkungslos, sondern sogar kontraproduktiv.]
https://www.freitag.de/autoren/sabine-kebir/akt-der-selbstermaechtigung
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