Montag, 14. Februar 2022

 

Das libysche Parlament verabschiedet Roadmap und wählt Fathi Bashagha zum neuen Premierminister

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Die neue politische Roadmap

Das libysche Parlament nahm einstimmig eine neue politische Roadmap an, die den Weg zu Wahlen in Libyen weisen soll. In der Roadmap wird festgelegt, dass Wahlen spätestens innerhalb von 14 Monaten und nach Annahme eines überarbeiteten Verfassungsentwurfs stattfinden sollen. In dieser Zeit soll auch ein Abgleich des elektronischen Wählerverzeichnisses stattfinden.

Ein Parlamentsausschuss, der für die Erarbeitung der Roadmap verantwortlich zeichnet, wird sich mit dem Hohen Staatsrat beraten und innerhalb einer Woche die endgültige Form des Verfassungsentwurfs vorlegen, über den im Parlament abgestimmt werden wird.

Die Wahl Bashaghas zum neuen Premierminister

Nachdem am 07. Februar vor 110 Abgeordneten die Anhörung der Kandidaten für das Amt des Premierministers stattgefunden hatte, wurde am 10. Februar vom libyschen Parlament erwartungsgemäß und einstimmig Fathi Bashagha vom libyschen Parlament zum designierten Premierminister ernannt. Er soll den derzeitigen geschäftsführenden Premierminister Abdulhamid ad-Dabaiba ersetzen. Der Hohe Staatsrat (HSC) hatte mit einem Empfehlungsschreiben die Kandidatur von Bashagha unterstützt. Bashagha hat nun eine Woche Zeit, um eine Regierung zu bilden, welche vor dem Parlament zur Abstimmung gestellt wird und die den Namen „Regierung der Stabilität“ tragen soll.

Von den zunächst sieben Kandidaten waren, nachdem auch Ahmed Maitiq seine Kandidatur zurückgezogen hatte, nur zwei übriggeblieben: Fathi Bashagha, ehemals Milizenführer aus Misrata und Innenminister der vormaligen ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch, und Khaled Bibas aus Janzour bei Tripolis, der mit den dortigen Milizen verbunden ist und ehemaliger Leiter der Zivilregisterbehörde (CRA) war. Bibas trat letztendlich am 10. Februar nicht zur Wahl an, so dass Bashagha alleiniger Kandidat war.

Zum ersten Mal haben sich die bisher verfeindeten Parteien, Parlament und Hoher Staatsrat, über das weitere politische Vorgehen geeinigt. Der Hohe Staatsrat ist Vertreter der Moslembruderschaft, das Parlament unterstützt die Libysche Nationalarmee unter Haftar.

Bashagha erklärte bereits, er werde als neuer Übergangspremierminister bei den kommenden Wahlen nicht für das Präsidentenamt kandidieren. Auch für jeden seiner Übergangsminister bedeute eine Wahlkandidatur den gleichzeitigen Rücktritt vom ausgeübten Amt. Er sehe seine Aufgabe in der Beendigung der Übergangsphase und in der Vorbereitung von Wahlen sowie in der Zusammenführung der Institutionen, insbesondere der Armee und der Sicherheitskräfte.

Fathi Bashagha hatte sich schon im Rahmen des LPDF (Libyan Political Dialog Forum) als Gespann mit Agila Saleh zur Wahl als Premierminister gestellt, war aber der Kandidatenliste von Dabaiba unterlegen. Es verdichteten sich allerdings immer mehr die Vorwürfe, dass Dabaiba die Wahl in Genf gekauft habe. Trotzdem hatte das Parlament der Dabaiba-Übergangsregierung seine Zustimmung gegeben – allerdings war Dabaiba schon im letzten Jahr vom Parlament das Vertrauen entzogen worden. Er sollte sein Amt bis zu den Wahlen am 24.12. nur noch geschäftsführend ausüben.

Saif al-Islam al-Gaddafi und seine Präsidentschaftskandidatur

Keine geringe Rolle spielte in den vorangegangenen Verhandlungen Saif al-Islam al-Gaddafi, der Sohn des ermordeten Muammar al-Gaddafi, der mit dem Vorschlag an die Öffentlichkeit trat, anstatt Präsidentschaftswahlen zunächst Parlamentswahlen durchzuführen. Es wurde ein breites Bündnis geschmiedet, dem trotz aller bestehenden politischen Gegnerschaften neben Saif al-Islam, Agila Saleh, Fathi Bashagha und Khalifa Haftar auch libysche Stämme angehören. Allerdings bekräftigte der Anwalt von Saif al-Islam, Khaled az-Zaidi, erneut, dass Saif Al-Islam Muammar al-Gaddafi auf seiner Präsidentschaftskandidatur besteht. Er vertraue auf das libysche Volk, das durch Wahlen seinen Willen ausdrücken wird. Wichtig sei es, auf der baldmöglichsten Durchführung von Wahlen zu beharren. Nur so könnten nochmalige Spaltungen vermieden werden und es endlich zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen kommen.

Dabaiba – der abgewählte Premierminister

Bereits vorige Woche hatte Parlamentspräsident Agila Saleh erklärt, dass das Mandat von Abdelhamid ad-Dabaiba als Premierminister und seiner Übergangsregierung am 24. Dezember 2021 abgelaufen ist. Der 24. Dezember war das von der LPDF  festgesetzte Datum für Wahlen, die allerdings ausgesetzt wurden. Dabaiba sollte Libyen in die Wahlen führen, versagte aber kläglich bei dieser Aufgabe und klammert sich immer noch verzweifelt an die Macht. Der libysche Parlamentsabgeordnete Abdulmoneim al-Arfi beschuldigte Dabaiba, mit Hilfe seiner Milizen die Abhaltung von Wahlen vereitelt zu haben. Er klebe auf seinem Sessel und beabsichtige, noch mindestens zwei weitere Jahre im Amt zu bleiben. Daneben tauchen ständig neue Belege auf, die zeigen, dass der von Dabaiba vorgelegte Nachweis seines Master of Science-Abschlusses an der Universität von Regina (Kanada) gefälscht ist.

Trotz alledem erklärte die bisherige Übergangsregierung unter Dabaiba noch am 3. Februar, sie werde die Macht nicht jetzt, sondern erst nach abgehaltenen Wahlen abgeben. Die ‚internationale Gemeinschaft‘ würde dies unterstützen und die Festlegung eines neuen Wahltermins fordern. Am 08. Februar wandte sich Dabaiba selbst an die libysche Öffentlichkeit und bekräftigte seinen Willen, den Posten des Premierministers nicht aufgeben und die Macht nicht abgeben zu wollen. Er werde keine weiteren Übergangsphasen in Libyen akzeptieren.

Dies ist eine offene Kampfansage, von der zu befürchten steht, dass sie auch mit militärischen Mitteln ausgetragen werden könnte und der Friedensprozess in Libyen damit beendet wäre. Dabaiba zur Seite stehen die Türkei, die auf lukrative Verträge für Großbauprojekte hofft und um den Erhalt ihrer besetzten Militärbasen im westlichen Libyen fürchtet, sowie Milizen, die im Menschen-, Waffen- und Drogenhandel involviert sind und befürchten, ohne Dabaiba ihre Geschäftsgrundlagen zu verlieren.

Die Medien meldeten, dass angeblich in der Nacht auf Donnerstag, den 10. Februar, ein Attentat auf Dabaiba verübt worden sein soll, bei dem er allerdings unverletzt blieb. Die Vermutung, dass es sich gerade in der Nacht vor der Wahl eines neuen Premierministers  um eine Fake-Nachricht gehandelt haben dürfte, um den eigenen Rückhalt zu steigern und die Gegner zu diskreditieren, dürfte nicht zu weit hergeholt sein.

UNO und ‚internationale Gemeinschaft‘

Die UN-Sondermission für Libyen und die ‚internationale Gemeinschaft‘ wollen an Dabaiba als Übergangspremierminister bis nach Wahlen, deren Termin selbstverständlich von ihnen mit festgelegt wird, festhalten. Während die ‚internationale Gemeinschaft‘, allen voran die USA und die EU, ständig Wahlen fordern, wollen sie gleichzeitig Dabaiba im Amt halten, genau jenen Dabaiba, der dafür verantwortlich ist, dass am 24. Dezember keine Wahlen abgehalten wurden, und der mit seiner eigenen Kandidatur alle diesbezüglichen Vereinbarungen brach. Das Parlament hatte schon Ende Januar beschlossen, sowohl ausländische Botschafter in Libyen als auch die ‚Sonderberaterin‘ des UN-Generalsekretärs, Stephanie Williams, aufzufordern, „sich nicht in libysche Angelegenheiten einzumischen“.

Libyer schaffen Einigung aus eigener Kraft

Fathi Bashagha wird bedeutsame Milizen im westlichen Libyen in das gemeinsame Lager von Parlament und der LNA ziehen. So könnte eine Einigung der militärischen Kräfte aus dem Westen und Osten Libyens gelingen, die sich gemeinsam gegen die Milizen wenden, die Dabaiba im Westen unterstützen. Die Milizenmitglieder, die Bashagha folgen, könnten somit zu den Gewinnern des politischen Wandels werden.

Durch Verhandlungen hat sich die paradoxe Situation ergeben, dass Bashagha, der Moslembruder aus Misrata, nun als der Mann des Ostens gilt, der sich gemeinsam mit seinen Mitstreitern gegen Dabaiba im Westen des Landes stellt. Erwartet wird, dass sich Misrata auf die Seite Bashaghas schlägt, obwohl auch Dabaiba ihr Mann war.

Nicht umsonst hat die Türkei bereits im Osten Libyens an die Tür geklopft, sein Botschafter in Tripolis einen Besuch in Bengasi absolviert und sind Kontakte zu Saif al-Islam Gaddafi geknüpft worden.

Die Einigung zwischen den Kräften im Osten und Bashagha als Mann des westlichen Libyens riefen auch Griechenlands Botschafter Ioannis Stamatikos auf den Plan, der am 7. Februar in Tobruk mit Agila Saleh zusammentraf. Beide Seiten waren sich einig, dass das 2019 unterzeichnete türkisch-libysche Abkommen über Seegrenzen keine Gültigkeit habe. Währenddessen ließ die Türkei wissen, dass sie die Hauptstadt Tripolis als „rote Linie“ betrachte. Was immer das heißen mag.

Eindeutig dürfte die Legitimierung Bashaghas durch das Parlament auf der Grundlage eines breiten Bündnisses von bisherigen politischen Gegenspielern ein viel stärkeres Gewicht haben als eine Dabaiba-Regierung, die rein von ausländischen Interessen, jenen der Türkei und der ‚internationalen Gemeinschaft‘, künstlich am Leben gehalten werden soll.

Die Libysche Nationalarmee hat inzwischen die Wahl Bashaghas, einer ihrer bisher schärfsten Gegner, zum neuen Premierminister begrüßt. Bashagha selbst wird zu einer Pressekonferenz in Tripolis am Mitiga-Flughafen erwartet.

Der ‚internationalen Gemeinschaft‘ scheint die Kontrolle über den politischen Prozess in Libyen entglitten zu sein. Will sie eine militärische Konfrontation vermeiden, sollte sie zur Kenntnis nehmen, dass sich die Libyer ohne ihre Einmischung verständigt haben; und sie sollten Bashagha als Premierminister bis zur Abhaltung von Wahlen akzeptieren.

https://libyareview.com/21045/libyan-parliament-adopts-new-political-roadmap/
https://www.libyaherald.com/2022/02/08/hor-votes-unanimously-for-text-of-draft-road-map/
https://gela-news.de/saif-al-islam-gaddafi-und-seine-friedensloesung-fuer-libyen
https://twitter.com/smmlibya/status/1489155601003425793
https://libyareview.com/21018/libyan-mp-prime-minister-used-militias-to-disrupt-elections/
https://libyareview.com/21053/who-will-libyas-new-prime-minister-be-on-thursday/
https://twitter.com/alwasatengnews/status/1490656948131356675
https://libyareview.com/20947/libyan-government-refuses-to-step-down-until-elections/
https://twitter.com/smmlibya/status/1489501883760791552
https://www.libyaherald.com/2022/02/02/hor-demands-non-interference-in-libyan-affairs-by-some-foreign-ambassadors-and-stephanie-williams/
https://twitter.com/HusamKranda/status/1490380689744793600
https://www.libyaherald.com/2022/02/08/hor-listens-to-presentations-by-prime-ministerial-candidates-only-two-qualified/
https://libyareview.com/21066/libya-greece-stress-invalidity-of-turkish-maritime-agreement/
https://www.libyaherald.com/2022/02/09/i-will-not-hand-over-power-to-the-military-and-muslim-brotherhood-aldabaiba/
https://www.nzz.ch/international/quelle-libyscher-regierungschef-ueberlebt-angeblich-attentat-ld.1669050?kid=nl164_2022-2-9&mktcid=nled&ga=1&mktcval=164_2022-02-10&trco=&reduced=true
https://twitter.com/LibyaReview/status/1491821991871098890
https://twitter.com/SaifFuture/status/1491503240340516868
https://twitter.com/SaifFuture/status/1491503277254619137

 

 

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