Dienstag, 15. Juli 2025

 

Libyen: Der Fall Abdel Moneim al-Mariami

9. Juli 2025 / gelanews


Abdel Moneim al-Mariami, Dabaiba-Gegner und Neffe des rechtswidrig in die USA ausgelieferten Abu Adschila al-Massud al-Mariami, starb nach einer Vernehmung und einem mysteriösen Sturz in einem Treppenhaus. Nicht nur seine Familie fordert Aufklärung.

Am 30. Juni 2025 war Abdel Moneim al-Mariami in Sorman, eine Küstenstadt westlich von Tripolis, in Begleitung seiner beiden Kinder mit dem Auto unterwegs. Als er für einen Einkauf den Wagen verließ, wurde er von Bewaffneten gewaltsam verschleppt. Die Kinder blieben alleine an einer vielbefahrenen Straße im Wagen zurück.

Abdel Moneim al-Mariam war bekannt für seine kritische Haltung gegenüber dem Premierminister der Tripolis-‚Regierung‘, Abdulhamid Dabaiba. Bilder zeigen ihn als Teilnehmer auf Freitagsdemonstrationen auf dem Märtyrerplatz der Hauptstadt Tripolis, wo auch er den Rücktritt der Dabaiba-‚Regierung‘ forderte. Wie seine Familie bestätigte, wurde er anschließend wiederholt von Funktionären der Dabaiba-‚Regierung‘ bedroht.

Al-Mariami setzte sich zudem öffentlichkeitswirksam für seinen über 70-jährigen Onkel Abu Adschila al-Massud al-Mariami ein, der von der Dabaiba-‚Regierung‘ gesetzeswidrig an die USA ausgeliefert wurde und dort wegen seines schlechten Gesundheitszustand in einer Klinik behandelt wird. Sein Prozess – er wird beschuldigt, am Lockerbie-Attentat des Jahres 1988 beteiligt gewesen zu sein, was er nachdrücklich bestreitet – wurde mehrmals verschoben und soll nun erst 2026 stattfinden.

Abdel Moneim al-Mariamis Bruder, Nur ad-Din al-Mariami, forderte unverzüglich nach der Verschleppung die Sicherheitsbehörden von Sorman auf, die Identität der Entführer seines Bruders preiszugeben. Das Gebiet, in dem die Entführung stattfand, werde von den Milizen der Dabaiba-‚Regierung‘ kontrolliert.

Als von verschiedenen Seiten die Proteste gegen die Festnahme von al-Mariam wegen der eklatanten Missachtung der Menschenrechte immer lauter wurden, nannte der libysche Inlandsgeheimdienst (Agentur für Innere Sicherheit) als Grund für die Festnahme, dass al-Mariami mit einem ausländischen arabischen Geheimdienst korrespondiert und damit die Sicherheit Libyens gefährdet habe.

Al-Mariamis mysteriöser Sturz und widersprüchliche Aussagen

Sicher ist, dass al-Mariami am 30. Juni in der Stadt Sorman vom Inlandsgeheimdienst der Dabaiba-‚Regierung‘ entführt und am 3. Juli an die Generalstaatsanwaltschaft in Tripolis überstellt wurde.

Am 3. Juli hieß es zunächst, dass die Generalstaatsanwaltschaft nach einem Verhör beschlossen habe, Abdel Moneim al-Mariami aus der Haft zu entlassen. Al-Mariami habe darauf gewartet, von seiner Familie abgeholt zu werden. Allerdings habe er dann einen Fluchtversuch unternommen. Er sei über eine Treppe ins Erdgeschoss gesprungen, wobei er sich so schwere Verletzungen zuzog, dass er in ein Krankenhaus gebracht werden musste.

Am 5. Juli wurde der Tod von Abdel Moneim al-Mariami bekanntgegeben. In Tripolis und mehreren westlibyschen Städten brachen daraufhin Unruhen aus. In az-Zawiya brannten Reifen und wurden Straßen blockiert. Die Demonstranten beschuldigten die Dabaiba-‚Regierung‘ für den Tod von al-Mariami verantwortlich zu sein.

Die UN-Mission forderte die Behörden auf, eine transparente und unabhängige Untersuchung der Todesumstände von al-Mariami einzuleiten. Die National Forces Initiative erklärte, dass die mysteriösen Umstände, unter denen al-Mariami starb, verdeutlichten, wie sehr die Würde und die Grundrechte der libyschen Bevölkerung missachtet werden.

Die Familie al-Mariami gab bekannt, die Beisetzung so lange aufschieben zu wollen, bis eine forensische Untersuchung des Leichnams durch eine neutrale Partei durchgeführt wurde.

Der Inlandsgeheimdienst bestritt, dass al-Marimi irgendeiner Form von Folter ausgesetzt war. Er sei der Staatsanwaltschaft am 3. Juli in bester psychischer und physischer Verfassung übergeben worden. Die Staatsanwaltschaft habe die Untersuchungshaft des Festgenommenen um sechs Tage verlängert.

Von der Generalstaatsanwaltschaft freigegebene Aufnahmen der Überwachungskameras sollen nun den Hergang des Vorfalls klären.

Al-Mariami habe vor der Staatsanwaltschaft die ihm zur Last gelegte Straftat bestritten. Anschließend sei er alleine auf die Toilette gegangen und unmittelbar danach über das Treppenhaus ins Erdgeschoss gesprungen, wobei er sich schwere Verletzungen zuzog. Er sei in ein Krankenhaus gebracht und operiert worden. Am darauffolgenden Tag, dem 4. Juli, sei er dort seinen Verletzungen erlegen. Im Totenschein wurde als Todesursache ein Sturz aus großer Höhe angegeben, der zu einer Hirnblutung und Knochenbrüchen geführt habe.

Diese Angaben werfen einige Fragen auf. Wieso wollte al-Mariami flüchten, wenn zuerst behauptet wurde, dass er freigelassen werden sollte? Und falls er tatsächlich aus eigenem Antrieb sprang: Vor wem oder was hatte al-Mariami solche Angst, dass er einen lebensgefährlichen Sprung wagte, um seinen Bewachern zu entkommen?

Dringend Aufklärung gefordert

Die Familie von Abdel Moneim al-Mariami forderte den Generalstaatsanwalt und die zuständigen Behörden auf, die Ermittlungen fortzusetzen. Die ganze Wahrheit müsse ans Licht, dafür würden die Angehörigen alle ihnen möglichen rechtlichen Schritte einleiten. In der Stellungnahme heißt es: „Mit großer Trauer und Betroffenheit haben wir die Nachricht von der Ermordung unseres Sohnes Abdel Moneim al-Mariami aufgenommen. Abdel Moneim hat seinen Standpunkt immer mit friedlichen Mitteln verteidigt und niemals zu Gewalt, Sabotage oder Gesetzesverstößen aufgerufen; er ging als friedlicher Aktivist auf die Straße.“

Die Bewohner der libyschen Westregion forderten die UN-Mission auf, sich für die Bildung eines unabhängigen internationalen Komitees zur Untersuchung der Umstände der Entführung und des Todes von Abdel Moneim al-Mariami einzusetzen. Es müsse geklärt werden, wer „für diese feige Tat“ verantwortlich ist, die sich gegen eine „ehrliche nationale Stimme“ richtete.

Die Libysche Nationale Institution für Menschenrechte forderte ebenfalls eine umfassende Untersuchung, einerseits der Rechtmäßigkeit der Inhaftierung von Abdel Moneim al-Mariami – die Anklage gegen ihn habe sich als haltlos erwiesen –, andererseits seiner Haftbedingungen. Den Foltervorwürfen müsse nachgegangen werden.
Der Premierminister der Tripolis-‚Regierung‘, Abdulhamid Dabaiba, sei rechtlich für die Geschehnisse verantwortlich. Ohne Respekt für die Menschen- und Bürgerrechte gebe es keine nationale Sicherheit.

Auch der Präsidentschaftskandidat Suleiman al-Bayoudi sieht in Abdel Moneim al-Mariami ein Opfer von Tyrannei, Willkür, Verfolgung und Unterdrückung. Er habe den Preis für seine Forderung nach Freiheit und Gerechtigkeit und dem Ende der Korruption und Plünderung Libyens bezahlt.

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Nachtrag: 09.07.2025: 
Am 8. Juli gab die Protestbewegung die Verschleppung ihrer Mitglieder, der Anwälte Ayman Zamit und Mohammed Aoun, durch bewaffnete Einheiten der Dabaiba-‚Regierung‘ in Tripolis bekannt. Zamit und Aoun waren am 7. Juli auf dem Rückweg von Tripolis nach az-Zawiya. Beide gehören der Protestbewegung an, die den Rücktritt der Dabaiba-‚Regierung‘ und die Bildung einer Einheitsregierung fordert.

A. Gutsche

 

 

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