13.05.2015
|
Das Great-Man-Made-River-Projekt
Libyen. Libyen
ist ein zweifach gesegnetes Land, denn sein größter Reichtum ist nicht wie
viele denken das Erdöl, sondern es ist das Wasser.
Ein Blog-Beitrag von
Freitag-Community-Mitglied Angelika
Gutsche
Wasser ist ein lebensnotwenige Element, das auf unserem Trabanten
immer knapper wird und um das deshalb, wie Harald Welzer in seinem Buch über
Klimakriege befürchtet, die erbarmungslosesten Kriege des 21. Jahrhunderts
geführt werden könnten.
Als man vor nicht ganz fünfzig Jahren unter dem
Sand der Sahara unglaublich große Mengen von fossilem Grundwasser entdeckte,
stellte dies eine Sensation dar. Der Fund von bestem Süßwasser in der Wüste,
das kam einem Wunder gleich! Um dieses Wasser nutzbar zu machen, musste ein
Plan erdacht werden, wie das Nass zu fördern und zu transportieren sei. In der
Folge entstanden große Pumpanlagen und ein gigantisches Wasserleitungssystem,
mit dessen Hilfe das fossile Wasser aus dem Süden des Landes durch ein riesiges
Röhrensystem, dessen Röhren vier Meter im Durchmesser haben, an die Küste
gepumpt wird, um die dort in den Städten lebende Bevölkerung mit frischem
Wasser zu versorgen beziehungsweise es in der Landwirtschaft zur Bewässerung
nutzbar zu machen. Nicht nur Großstädte wie Tripolis und Bengasi sind von
dieser Wasserzufuhr komplett abhängig, sondern insgesamt deckt der
Great-Man-Made-River 70 Prozent des Wasserbedarfs von Libyen. Dieser große
künstliche Fluss stellt unzweifelhaft das bedeutendste Projekt der Ära Gaddafi
dar. Er ist das größte jemals vom Menschen erschaffene Röhrensystem der Welt
und fand als solches 2008 Eingang ins Guinnessbuch der Rekorde. Alle
internationalen Experten gaben sich begeistert und seine Bedeutung für die
Entwicklung Libyens ist nicht hoch genug einzuschätzen.
Umso schockierender waren die Nachrichten, dass
dieses wichtigste unter den Infrastrukturprojekten Libyens im Juli 2011 Ziel
eines Bomben-Angriffes durch die NATO-Staaten geworden ist. Nachdem bereits die
Wasserleitung von Brega durch Bomben getroffen wurde, bombardierte die NATO am
22. Juli die in der Nähe gelegene Fabrik, in der die Röhren für die
Wasserleitungen hergestellt wurden, und zerstörte große Teile der Anlage. Bei
dem Angriff kamen auch sechs Sicherheitskräfte des Werks ums Leben. Als Vorwand
für den Angriff gab die NATO bei einer Pressekonferenz am 26. Juli 2011 in
Neapel an, es hätte sich bei dem angegriffenen Ziel um militärische
Versorgungseinrichtungen gehandelt und in der benachbarten Betonfabrik seien
bewaffnete Gaddafi-Kräfte mit Raketenabschussvorrichtungen gesichtet worden.
Allerdings geht aus damaligen Google-Earth-Aufnahmen eindeutig hervor, dass es
sich bei den fraglichen Bauwerken um eine Röhrenfabrik und keinesfalls um
militärische Einrichtungen handelte. Dass die Angreifer wussten, was das Ziel
ihres Angriffs war, lässt auch die Äußerung des Rebellensprechers Shamsiddin
Abdulmolah in einem Interview vier Tage vor der Bombardierung des Röhrenwerks vermuten:
„Ihre [Gaddafis Kämpfer, die sich in Brega aufhielten] Lebensmittel- und
Wasserversorgung wird gekappt und sie werden nicht mehr schlafen können.“
Sollte also die Zerstörung des Röhrenwerks auch dazu dienen, die Reparatur der
Wasserpipeline nach Brega zu verhindern?
Die in der Fabrik produzierten Stahlbetonröhren
werden dringend benötigt, um Rohre von defekten Leitungen, deren Länge
insgesamt über 4.000 Kilometer misst, bei Reparaturen austauschen zu können.
Die Funktionsfähigkeit des Röhrenwerks ist somit für die Versorgung des ganzen
Landes mit Wasser von größter Wichtigkeit. Mit dem Flugzeugangriff auf das
Röhrenwerk hat sich die NATO unmissverständlich eines Verstoßes gegen das
internationale Recht schuldig gemacht, das den Angriff auf Ziele, die der
zivilen Infrastruktur und Versorgung der Bevölkerung dienen, als
Kriegsverbrechen einstuft. In Paragraph 54 heißt es: „Das Angreifen, Zerstören,
Entfernen oder Abschalten benötigter Objekte, die für das Überleben der
Zivilbevölkerung unverzichtbar sind, ist verboten.“ Einen Monat nach dem
Angriff auf das Great-Man-Made-River-Projekt war mehr als die Hälfte Libyens
ohne Fließendwasser.
Um die Bedeutung dieses Wasserleitungssystem,
das von den Libyern als das achte Weltwunder bezeichnet wird, deutlich zu
machen, muss man sich noch einmal vor Augen führen, dass Libyen ein Land ist,
das zu 95 Prozent aus Wüste besteht. Es gibt in Libyen keinen einzigen
natürlichen Fluss, der das ganze Jahr Wasser führt. Die meisten Wadis füllen
sich nur einmal im Jahr zur Regenzeit mit Wasser. Es gibt im Süden Libyens
Gegenden, in denen es gerade mal alle 25 Jahre regnet, wobei die Feuchtigkeit
oft nicht am Boden ankommt, sondern noch in der Luft verdunstet. Zwar regnet es
an der Küste in den Wintermonaten, doch hat sich hier der Grundwasserspiegel
gesenkt und durch Einsickern des Meereswassers hat das Grundwasser einen
relativ hohen Salzgehalt, was sich negativ auf die Trinkwasserqualität
auswirkt. Welche Kostbarkeit die Versorgung mit Süßwasser aus der Sahara für
ein so wasserknappes Land wie Libyen darstellt, kann gar nicht hoch genug
eingeschätzt werden.
Nähert man sich heute durch Hitze und Sand auf
einer unüberschaubar großen Wüstenplatte Kufra, bemerkt man die neben der
Straße verlaufenden Wälle, unter denen die großen Betonstahlrohre verlegt sind.
Nahe der Oasenstadt grünt die Sahara wieder, diesmal allerdings in
abgezirkelten Kreisen inmitten des gelben Wüstensandes. Es handelt sich um
landwirtschaftliche Pflanzungen, die von großen, sich im Kreis drehende
Sprinkleranlagen mit fossilem Wasser bewässert werden. Gaddafis Traum, sich das
fossile Wasser zunutze machen, wurde wahr.
Das mineralarme Gletscherwasser stammt aus der letzten Feuchtperiode, als es in der Sahara noch grünte und blühte, und ist zwischen 38.000 und 14.000 Jahre alt. Es wird heute aus 40 bis 100 Meter tiefen Becken empor gepumpt. 1983 vergab Gaddafi die ersten Aufträge an bundesdeutsche Röhrenhersteller und koreanische Baufirmen. Zwischenzeitlich ist das gesamte Know-how auf Libyen übergegangen und die Fabriken wurden in eigene Regie übernommen. 1991 weihte man den ersten Strang der Wasserpipeline ein. Mit dieser Leitung werden die Städte Agdabiya, Sirte und Bengasi versorgt. 1996 folgte die Fertigstellung der Phase 2, die nun Tripolis an die fossile Wasserversorgung anschloss, 2006 folgte die Stadt Gharian in den Nafusa-Bergen und in der Phase 3 wurde auch Tobruk an ein neues Brunnenfeld angeschlossen. Die UNESCO zeichnete 1999 Libyen für die Finanzierung des Great-Man-Made-River-Projekts mit dem Internationalen Wasser-Preis aus, der vergeben für bemerkenswerte wissenschaftliche Forschung im Bereich des Wasserverbrauchs in Trockengebieten wird. Von den insgesamt fünf Bauphasen des Projekts konnten die ersten drei bis zum Ausbruch des Kriegs realisiert werden.
Das mineralarme Gletscherwasser stammt aus der letzten Feuchtperiode, als es in der Sahara noch grünte und blühte, und ist zwischen 38.000 und 14.000 Jahre alt. Es wird heute aus 40 bis 100 Meter tiefen Becken empor gepumpt. 1983 vergab Gaddafi die ersten Aufträge an bundesdeutsche Röhrenhersteller und koreanische Baufirmen. Zwischenzeitlich ist das gesamte Know-how auf Libyen übergegangen und die Fabriken wurden in eigene Regie übernommen. 1991 weihte man den ersten Strang der Wasserpipeline ein. Mit dieser Leitung werden die Städte Agdabiya, Sirte und Bengasi versorgt. 1996 folgte die Fertigstellung der Phase 2, die nun Tripolis an die fossile Wasserversorgung anschloss, 2006 folgte die Stadt Gharian in den Nafusa-Bergen und in der Phase 3 wurde auch Tobruk an ein neues Brunnenfeld angeschlossen. Die UNESCO zeichnete 1999 Libyen für die Finanzierung des Great-Man-Made-River-Projekts mit dem Internationalen Wasser-Preis aus, der vergeben für bemerkenswerte wissenschaftliche Forschung im Bereich des Wasserverbrauchs in Trockengebieten wird. Von den insgesamt fünf Bauphasen des Projekts konnten die ersten drei bis zum Ausbruch des Kriegs realisiert werden.
Wichtige Lagerstätten des fossilen Nass‘ sind
die vier großen Becken von Kufra, Sirte, Mursuk, Hamada- und Al-Jufrah, wo das
Wasser in nubischem Sandstein gespeichert ist. Das Kufra-Becken beinhaltet etwa
20.000 km³ Wasser, dies entspricht einer Menge, wie sie in etwa 220 Jahren den
Nil hinab fließt; das Sirte-Becken dürfte über die Hälfte dieser Wassermenge
verfügen, das Mursuk-Becken etwa über 5.000 km³. Das Wasser wird an die
Oberfläche gepumpt und hauptsächlich mithilfe des natürlichen Gefälles, aber
auch unter dem Einsatz von Pumpen als großer künstlicher Fluss unterirdisch zur
Küste geführt. Ursprünglich war vorgesehen, die Wüste im Bereich der
Wasserförderanlagen im großen Stil als landwirtschaftliche Anbauflächen zu
nutzen. Jedoch haben sich die Projekte bei Kufra und Sarir aufgrund der starken
Wasserverdunstung, der weiten Transportwege und der hohen Kosten nicht als
sinnvoll erwiesen und so hat man sich entschieden, das Wasser an die Küste zu
transportieren. Auch in den Küstengegenden wird etwa 70 Prozent des Wassers für
die Landwirtschaft genutzt. Sogar Versuchsflächen für organischen Landbau
wurden angelegt. Es herrschte die Vorstellung, Libyen könne sich unabhängig von
Lebensmittelimporten machen, ja sogar Überschüsse für den Export produzieren.
Dieser Plan ist jedoch aus oben genannten Gründen nicht aufgegangen und es
fragt sich, ob er jemals sinnvoll war. Warum sollte Libyen seine kostbaren
Wasserressourcen für eine teure Lebensmittelproduktion verschwenden, anstatt
mit den Erlösen aus dem Erdölverkauf Nahrungsmittel zu importieren?
Unter Gaddafi wurden im Jahr 1983 die ersten
Aufträge an koreanische Baufirmen erteilt, dass unter dem Saharasand gefundene
fossile Wasser, zu fördern. In der Folge entstand ein gigantisches, in der Welt
absolut einmaliges Projekt. Das Wasserförderprojekt in Sarir, wo das Wasser aus
150 bis 400 Metern Tiefe geholt werden muss, verfügt beispielsweise über ein
eigenes Kraftwerk mit sechs Gasturbinen zur Erzeugung von Strom. Zwei
Leitungsstränge führen von hier an die Küste, wo das Wasser in einen riesigen,
ebenfalls menschengemachten See fließt. Die Wassermassen dieser künstlichen
Seen verbessern durch die Verdunstung das Mikroklima. Das neueste von vier
Wasserreservoiren verfügt über einen 35 Meter hohen Damm, die Grundfläche hat
die Größe von 93 Fußballfeldern. Bemerkenswert dabei, dass Libyen inzwischen
fast keine ausländische Unterstützung für diese Großprojekte mehr braucht,
sondern die gesamte Planung und den Bau alleine bewältigt. Libyen war bis zum
Krieg 2011 weltweit führend in Wasserbautechnologie.
Die Leitstelle für das gesamte Management des
Projekts Wüstenwasser befindet sich in Bengasi. Von einem Kontrollraum aus kann
alles überwacht und gesteuert werden. Der tägliche Mindestverbrauch liegt bei
einer halben Million Kubikmeter Wasser.
Die Befürchtungen, die Förderung des fossilen
Grundwassers könne zu einem Absinken des Wasserspiegels führen, haben sich
nicht bewahrheitet. So wird in Tazerbo ständig der Wasserspiegel geprüft.
Bisher konnte kein Abfall festgestellt werden, obwohl Bengasi bereits seit 1991
am Wüstenwasser angeschlossen ist und Tripolis 1996 folgte.
Schätzungen zufolge könnten die fossilen
Wasserreserven etwa hundert Jahre reichen. Das spricht jedenfalls nicht dafür,
das Wasser nicht zu nutzen. Denn was ist besser? In hundert Jahren kein Wasser
mehr zu haben, oder gleich kein Wasser zu haben? Im ersteren Fall hat man
zumindest Zeit gewonnen. Und vielleicht sollte man noch erwähnen, dass dieses
Leitungssystem grundsätzlich auch mit entsalztem Meerwasser genutzt werden
könnte.
„Wasser statt Waffen“, unter dieses Motto
stellte Gaddafi das größte Wasserbau-Ingenieurwerk der Welt, dass der libyschen
Bevölkerung die Versorgungssicherheit mit dem wichtigsten aller Lebensmittel
garantiert. Welch böse Ironie, dass dessen Funktionieren nun gerade durch
Waffen in Frage gestellt wird.
Das Sahara-Wasser weckt Begehrlichkeiten. Wer
hatte gehofft, nach dem Waffengang gegen Libyen vom fossilen Wasser profitieren
zu können? Bisher hat das Wüstenwasser die Lebensverhältnisse des libyschen
Volkes immens verbessert. Jetzt steht zu befürchten, dass gierige Großkonzerne
bereitstehen, um das libysche Wasser – den wichtigsten Rohstoff der Zukunft –
zu privatisieren. Gerade in dieser trockenen Weltgegend, in der Länder wie
Sudan und Ägypten verbittert bei zunehmender Wasserknappheit um das Wasser des
Nils oder Jordanien und Israel um das Wasser des Jordans streiten, stellt sich
die Frage: Wer kann sich Libyens Wasser ohne eigene Investitionskosten unter
den Nagel reißen? Es bleibt zu hoffen, dass sich auf dem Etikett der
Plastikflaschen zukünftig neben „Man-Made-River-Water“ nicht die Namen von
Lebensmittelkonzernen wie Nestle oder von privaten Wasserwerken wie Veolia
finden.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen