Montag, 27. Februar 2017



Warum der aktuelle politische Dialog in Libyen scheitern muss


Libyen. Kairo versucht sich als Mittler zwischen General Hefter und Sarradasch. Doch welche Rolle wird der Oberste Rat der Stämme und Städte zukünftig spielen?

Bereits am 13. Februar waren General Hefter und Faiez Sarradsch in Kairo eingetroffen, um einen von Ägypten initiierten Dialog aufzunehmen. Allerdings wurde der für den nächsten Tag anberaumte Termin wegen unüberbrückbarer Gegensätze zunächst verschoben, bevor er ganz abgesagt wurde. Sarradsch verließ daraufhin Kairo, während der Vorsitzende des Tobruk-Parlaments, Agilah Saleh, in Kairo eintraf.
General Hefter, der das Kommando über die Libysche Nationalarmee führt, repräsentiert den überwiegend säkular ausgerichteten Teil Libyens und ist vom Tobruk-Parlament als Oberbefehlshaber der LNA berufen, während Sarradsch der Ministerpräsident der von der internationalen Gemeinschaft eingesetzten ‚Einheitsregierung‘ ist, die ihren Sitz in Tripolis hat, darüber hinaus aber über keine Machtbasis mit Ausnahme der Stützung durch einige islamistische Milizen verfügt.
Die Basis für die Verhandlungen in Kairo bildet das Politische Abkommen von Skhirat vom Dezember 2015, laut dem sowohl die ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch (Tripolis) als auch das gewählte Parlament (Tobruk) international anerkannt sind, allerdings mit der Einschränkung, dass die Einheitsregierung erst vom Parlament anerkannt werden müsse. Dies ist bis jetzt unterblieben. Die ‚Einheitsregierung‘ agiert also ohne wirkliche Legitimation.
Hauptstreitpunkt zwischen Hefter bzw. dem Parlament von Tobruk und Sarradsch bzw. der ‚Einheitsregierung‘ ist die Frage, wie sich eine neue Armee zusammensetzen soll und wer die Befehlsgewalt über sie haben wird. Wer die Macht über die Armee hat, hat die Macht in Libyen. Hefters LNA hat beträchtliche militärische Erfolge aufzuweisen und kontrolliert einen Großteil des Landes, während sich die Macht der islamistischen Milizen, die zum Teil Sarradsch, zum Teil aber auch dessen Gegenspieler in Tripolis, Khalifa Ghweil vom National Salvation Government, unterstützen, rein auf Tripolis beschränkt. Eine wichtige Rolle kommt auch der Stadt Misrata und ihren Milizen zu, die zum Teil Ghweil und zum Teil Sarradsch unterstützen.
Sarradsch hatte für das Treffen in Kairo den Vorschlag unterbreitet, die Rolle des Oberkommandierenden der libyschen Streitkräfte auf drei Personen aufzuteilen, unter dem Vorsitzenden des Präsidialrats, dem Parlamentsvorsitzenden und dem Vorsitzenden des Staatsrats. Doch wie soll es praktisch funktionieren wenn drei politisch konträre Personen zusammen den Oberbefehl über die Armee haben? Von Vornherein dürfte klar gewesen sein, dass dieser Vorschlag für Hefter inakzeptabel ist, der seine inzwischen errungene Position der  militärischen Stärke nicht aufgeben will.
Jetzt soll ein 15-köpfiges Komitee aus Parlaments- und Staatratsmitgliedern gebildet werden, das sich um einen Kompromiss bemüht. Wie das ausgehen wird, lässt sich leicht vorhersagen.
Zwischenzeitlich kommt es in Tripolis zu zum Teil schweren Kämpfen zwischen Milizen, die die Sarradsch-‚Einheitsregierung‘ unterstützen und Milizen, die für Ghweil und sein National Salvation Government kämpfen und größtenteils aus Misrata stammen.
Völlig außer Acht gelassen werden dabei die Stämme und Städte und deren Vertretungen, die die Dschamahirija unterstützen. Sie wollen Muammar al-Gaddafis Sohn, Seif al-Islam, an der Macht sehen. In der Bevölkerung, die sich nach Sicherheit und geordneten Lebensverhältnissen sehnt, erfreut sich die Dschamahirija großer Beliebtheit. Ihre militärischen Kräfte kontrollieren den Süden des Landes und sind mit der LNA verbündet. Allerdings hieß es am 8. dieses Monats, dass ein auf Seif al-Islam geplanter Mordanschlag verhindert werden konnte und dass General Hefter für diesen Mordanschlag verantwortlich gemacht wird.
Wie undurchsichtig die politischen Lager aufgestellt sind, zeigte sich dieser Tage auch, als  ein Aufschrei der Entrüstung durch die säkulare libysche Welt ging, als ausgerechnet ein Generalmajor der LNA, Abdul Razzak al-Nashouri, für den im Osten gelegenen Flughafen von Labrak eine Order erließ, die es Frauen unter 60 Jahren verbietet, ohne eine männliche Begleitperson zu reisen. So eine Order hätte man eher von den Moslembrüdern in Tripolis erwartet. Sogar in Saudi-Arabien dürfen sich Frauen alleine auf Reisen begeben. Libyen, das Land, in dem zu Zeiten Gaddafis laut Gesetz den Frauen nicht nur gleiche Rechte, sondern auch gleicher Lohn für gleiche Arbeit garantiert wurde, fällt damit sogar hinter Saudi-Arabien zurück. Dort dürfen sich Frauen allein auf Reisen begeben.
Selbst wenn sich also Sarradsch und Hefter in Kairo einigen sollten, wobei sie sich bisher nicht einmal zu einem Treffen durchringen konnten, würde dies die Befriedung Libyens kaum weiterbringen. Beide sind in der Bevölkerung unbeliebt, Sarradsch wird als reine Marionette des Westens angesehen, die nicht einmal davor zurückschreckt, das seit der Kolonialzeit so verhasste italienische Militär ins Land zu holen. Und Hefter gilt als undurchsichtiger CIA-Mann, der lange in den USA gelebt hat und nach seiner Rückkehr 2011 für den Sturz Gaddafis und das Abgleiten des Landes in die Katastrophe mitverantwortlich war. Inwieweit die heute noch ihrem Befehl unterstehenden militärischen Kräfte tatsächlich loyal zu Sarradsch bzw. Hefter sind, wird die Zukunft zeigen. In Tripolis erfreut sich Muslimbruder Ghweil inzwischen über eine anwachsende militärische Überlegenheit über die Sarradsch-Milizen. Ghweil wurde sogar bezichtigt, ein Attentat auf Sarradsch sowie auf den Vorsitzenden des Hohen Staatsrats von Tripolis und auf den Befehlshaber der Präsidialgarde veranlasst zu haben: Am 20. Februar war die Wagenkolonne, in der diese drei Politiker unterwegs waren, unter schweren Beschuss geraten. Begleitende Sicherheitsleute wurden verletzt.
Die in der westlichen Öffentlichkeit tot geschwiegene, aber umso stärker im Verborgenen aufblühende politische Kraft ist die Dschamahirija mit Seif al-Islam Gaddafi an ihrer Spitze. So erklärte laut JamahiriyaNewsAgency vom 19. Februar 2017 der Oberste Rat der Stämme und Städte der Dschamahirija, dass der neueste politische Dialog, bei dem um Macht und Geld gerungen wird, nicht gelingen kann und reine Zeitverschwendung sei. Er würde nur zu einer sich weiter verschlechternden Sicherheitslage, größerer Instabilität und sich verschlimmernden Lebensbedingungen führen.
In einer Stellungnahme wurde bekräftigt, dass es nur dem Obersten Rat der Stämme und Städte möglich wäre, von den Milizen, die Tripolis und andere Städte besetzt halten, mittels sozialem Druck auf deren Mitglieder die Waffen einzusammeln. Daneben müsse das generelle Amnestiegesetz, das das Parlament erlassen hatte, endlich für alle politischen Gefangenen zur Anwendung kommen. Auch müsse die Aufhebung des ‚politische Isolationsgesetzes‘ zur Anwendung kommen. Das ‚Isolationsgesetzt‘ besagte, dass Libyer, die einen Posten in der Gaddafi-Ära hatten, keine Ämter mehr ausüben durften. Ebenfalls sei zu gewährleisten, dass alle Personen, die 2011 oder später ins Ausland flüchten mussten, in ihre Heimat zurückkehren können, ohne um ihr Leben zu fürchten. Eine weitere Hauptforderung des Hohen Rates war die Aufstellung einer Libysch-Arabischen Armee und eines Sicherheitsapparats. Sie sollen sowohl für Sicherheit und Schutz innerhalb Libyens als auch für Libyens politische Unabhängigkeit sorgen.
Ein übergreifender Dialog zwischen den politischen, sozialen und militärischen Kräften könnte auf diese Weise beginnen und in eine ernsthafte und transparente nationale Aussöhnung münden. Dieser Prozess sollte von den Nachbarstaaten, der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen überwacht werden. Dies würde eine Zivilregierung und eine Nationalregierung gewährleisten, hervorgegangen durch Präsidial- und Parlamentswahlen.
Der Hohe Rat verurteilt die Milizen, die nur einzelnen Städten oder Stämmen gegenüber loyal sind und immer noch von Sieg und Freiheit schwadronieren, während einzig und allein Versagen und Zerstörung am Werk sind.
Tatsächlich kann nicht sein, dass die Mehrheit des libyschen Volkes vom politischen Prozess im Land ausgeschlossen wird. Wird es der Dschamahirija nicht ermöglicht, an Wahlen teilzunehmen, können die ins Ausland geflüchteten nicht in ihre Heimat zurückkehren, werden die Kerker für politisch Gefangene nicht geöffnet und geht es dem Westen und den mit ihm verbündeten Staaten weiterhin nur darum, ihre wirtschaftlichen und geostrategischen Interessen durchzusetzen, wird sich Libyen nicht befrieden lassen. Die Rechnung dafür wird auch Europa bezahlen.

Angelika Gutsche, 22.02.2017

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