Warum der aktuelle politische Dialog in Libyen scheitern muss
Libyen. Kairo versucht sich als Mittler zwischen General Hefter und
Sarradasch. Doch welche Rolle wird der Oberste Rat der Stämme und Städte
zukünftig spielen?
Bereits am 13. Februar waren General Hefter und Faiez
Sarradsch in Kairo eingetroffen, um einen von Ägypten initiierten Dialog
aufzunehmen. Allerdings wurde der für den nächsten Tag anberaumte Termin wegen
unüberbrückbarer Gegensätze zunächst verschoben, bevor er ganz abgesagt wurde.
Sarradsch verließ daraufhin Kairo, während der Vorsitzende des
Tobruk-Parlaments, Agilah Saleh, in Kairo eintraf.
General Hefter, der das Kommando über die Libysche
Nationalarmee führt, repräsentiert den überwiegend säkular ausgerichteten Teil
Libyens und ist vom Tobruk-Parlament als Oberbefehlshaber der LNA berufen,
während Sarradsch der Ministerpräsident der von der internationalen
Gemeinschaft eingesetzten ‚Einheitsregierung‘ ist, die ihren Sitz in Tripolis
hat, darüber hinaus aber über keine Machtbasis mit Ausnahme der Stützung durch
einige islamistische Milizen verfügt.
Die Basis für die Verhandlungen in Kairo bildet das Politische Abkommen von Skhirat vom
Dezember 2015, laut dem sowohl die ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch
(Tripolis) als auch das gewählte Parlament (Tobruk) international anerkannt
sind, allerdings mit der Einschränkung, dass die Einheitsregierung erst vom
Parlament anerkannt werden müsse. Dies ist bis jetzt unterblieben. Die
‚Einheitsregierung‘ agiert also ohne wirkliche Legitimation.
Hauptstreitpunkt zwischen Hefter bzw. dem Parlament von
Tobruk und Sarradsch bzw. der ‚Einheitsregierung‘ ist die Frage, wie sich eine
neue Armee zusammensetzen soll und wer die Befehlsgewalt über sie haben wird.
Wer die Macht über die Armee hat, hat die Macht in Libyen. Hefters LNA hat
beträchtliche militärische Erfolge aufzuweisen und kontrolliert einen Großteil
des Landes, während sich die Macht der islamistischen Milizen, die zum Teil
Sarradsch, zum Teil aber auch dessen Gegenspieler in Tripolis, Khalifa Ghweil
vom National Salvation Government,
unterstützen, rein auf Tripolis beschränkt. Eine wichtige Rolle kommt auch der
Stadt Misrata und ihren Milizen zu, die zum Teil Ghweil und zum Teil Sarradsch
unterstützen.
Sarradsch hatte für das Treffen in Kairo den Vorschlag
unterbreitet, die Rolle des Oberkommandierenden der libyschen Streitkräfte auf
drei Personen aufzuteilen, unter dem Vorsitzenden des Präsidialrats, dem
Parlamentsvorsitzenden und dem Vorsitzenden des Staatsrats. Doch wie soll es
praktisch funktionieren wenn drei politisch konträre Personen zusammen den
Oberbefehl über die Armee haben? Von Vornherein dürfte klar gewesen sein, dass
dieser Vorschlag für Hefter inakzeptabel ist, der seine inzwischen errungene
Position der militärischen Stärke nicht
aufgeben will.
Jetzt soll ein 15-köpfiges Komitee aus Parlaments- und
Staatratsmitgliedern gebildet werden, das sich um einen Kompromiss bemüht. Wie
das ausgehen wird, lässt sich leicht vorhersagen.
Zwischenzeitlich kommt es in Tripolis zu zum Teil schweren
Kämpfen zwischen Milizen, die die Sarradsch-‚Einheitsregierung‘ unterstützen
und Milizen, die für Ghweil und sein National
Salvation Government kämpfen und größtenteils aus Misrata stammen.
Völlig außer Acht gelassen werden dabei die Stämme und
Städte und deren Vertretungen, die die Dschamahirija unterstützen. Sie wollen
Muammar al-Gaddafis Sohn, Seif al-Islam, an der Macht sehen. In der
Bevölkerung, die sich nach Sicherheit und geordneten Lebensverhältnissen sehnt,
erfreut sich die Dschamahirija großer Beliebtheit. Ihre militärischen Kräfte
kontrollieren den Süden des Landes und sind mit der LNA verbündet. Allerdings
hieß es am 8. dieses Monats, dass ein auf Seif al-Islam geplanter Mordanschlag
verhindert werden konnte und dass General Hefter für diesen Mordanschlag
verantwortlich gemacht wird.
Wie undurchsichtig die politischen Lager aufgestellt sind,
zeigte sich dieser Tage auch, als ein
Aufschrei der Entrüstung durch die säkulare libysche Welt ging, als
ausgerechnet ein Generalmajor der LNA, Abdul Razzak al-Nashouri, für den im
Osten gelegenen Flughafen von Labrak eine Order erließ, die es Frauen unter 60
Jahren verbietet, ohne eine männliche Begleitperson zu reisen. So eine Order
hätte man eher von den Moslembrüdern in Tripolis erwartet. Sogar in Saudi-Arabien
dürfen sich Frauen alleine auf Reisen begeben. Libyen, das Land, in dem zu
Zeiten Gaddafis laut Gesetz den Frauen nicht nur gleiche Rechte, sondern auch
gleicher Lohn für gleiche Arbeit garantiert wurde, fällt damit sogar hinter
Saudi-Arabien zurück. Dort dürfen sich Frauen allein auf Reisen begeben.
Selbst wenn sich also Sarradsch und Hefter in Kairo einigen
sollten, wobei sie sich bisher nicht einmal zu einem Treffen durchringen
konnten, würde dies die Befriedung Libyens kaum weiterbringen. Beide sind in
der Bevölkerung unbeliebt, Sarradsch wird als reine Marionette des Westens
angesehen, die nicht einmal davor zurückschreckt, das seit der Kolonialzeit so
verhasste italienische Militär ins Land zu holen. Und Hefter gilt als
undurchsichtiger CIA-Mann, der lange in den USA gelebt hat und nach seiner
Rückkehr 2011 für den Sturz Gaddafis und das Abgleiten des Landes in die
Katastrophe mitverantwortlich war. Inwieweit die heute noch ihrem Befehl
unterstehenden militärischen Kräfte tatsächlich loyal zu Sarradsch bzw. Hefter
sind, wird die Zukunft zeigen. In Tripolis erfreut sich Muslimbruder Ghweil
inzwischen über eine anwachsende militärische Überlegenheit über die
Sarradsch-Milizen. Ghweil wurde sogar bezichtigt, ein Attentat auf Sarradsch
sowie auf den Vorsitzenden des Hohen Staatsrats von Tripolis und auf den
Befehlshaber der Präsidialgarde veranlasst zu haben: Am 20. Februar war die
Wagenkolonne, in der diese drei Politiker unterwegs waren, unter schweren
Beschuss geraten. Begleitende Sicherheitsleute wurden verletzt.
Die in der westlichen Öffentlichkeit tot geschwiegene, aber
umso stärker im Verborgenen aufblühende politische Kraft ist die Dschamahirija
mit Seif al-Islam Gaddafi an ihrer Spitze. So erklärte laut JamahiriyaNewsAgency vom 19. Februar 2017
der Oberste Rat der Stämme und Städte
der Dschamahirija, dass der neueste
politische Dialog, bei dem um Macht und Geld gerungen wird, nicht gelingen kann
und reine Zeitverschwendung sei. Er würde nur zu einer sich weiter
verschlechternden Sicherheitslage, größerer Instabilität und sich
verschlimmernden Lebensbedingungen führen.
In einer Stellungnahme wurde bekräftigt, dass es nur dem
Obersten Rat der Stämme und Städte möglich wäre, von den Milizen, die Tripolis
und andere Städte besetzt halten, mittels sozialem Druck auf deren Mitglieder
die Waffen einzusammeln. Daneben müsse das generelle Amnestiegesetz, das das
Parlament erlassen hatte, endlich für alle politischen Gefangenen zur Anwendung
kommen. Auch müsse die Aufhebung des ‚politische Isolationsgesetzes‘ zur
Anwendung kommen. Das ‚Isolationsgesetzt‘ besagte, dass Libyer, die einen
Posten in der Gaddafi-Ära hatten, keine Ämter mehr ausüben durften. Ebenfalls
sei zu gewährleisten, dass alle Personen, die 2011 oder später ins Ausland
flüchten mussten, in ihre Heimat zurückkehren können, ohne um ihr Leben zu
fürchten. Eine weitere Hauptforderung des Hohen Rates war die Aufstellung einer
Libysch-Arabischen Armee und eines Sicherheitsapparats. Sie sollen sowohl für
Sicherheit und Schutz innerhalb Libyens als auch für Libyens politische
Unabhängigkeit sorgen.
Ein übergreifender Dialog zwischen den politischen, sozialen
und militärischen Kräften könnte auf diese Weise beginnen und in eine
ernsthafte und transparente nationale Aussöhnung münden. Dieser Prozess sollte
von den Nachbarstaaten, der Afrikanischen Union und den Vereinten Nationen
überwacht werden. Dies würde eine Zivilregierung und eine Nationalregierung
gewährleisten, hervorgegangen durch Präsidial- und Parlamentswahlen.
Der Hohe Rat verurteilt die Milizen, die nur einzelnen
Städten oder Stämmen gegenüber loyal sind und immer noch von Sieg und Freiheit
schwadronieren, während einzig und allein Versagen und Zerstörung am Werk sind.
Tatsächlich kann nicht sein, dass die Mehrheit des libyschen
Volkes vom politischen Prozess im Land ausgeschlossen wird. Wird es der
Dschamahirija nicht ermöglicht, an Wahlen teilzunehmen, können die ins Ausland
geflüchteten nicht in ihre Heimat zurückkehren, werden die Kerker für politisch
Gefangene nicht geöffnet und geht es dem Westen und den mit ihm verbündeten
Staaten weiterhin nur darum, ihre wirtschaftlichen und geostrategischen
Interessen durchzusetzen, wird sich Libyen nicht befrieden lassen. Die Rechnung
dafür wird auch Europa bezahlen.
Angelika Gutsche, 22.02.2017
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