5.12.2017
Nachruf auf einen Schlangentänzer: Ali Abdullah Saleh
Der 1942 geborene Politiker konnte nur wenige Jahre zur
Schule gehen, herrschte aber am längsten in der Geschichte des unabhängigen
Jemen: insgesamt 34 Jahre! Frühezeitig strebte Saleh eine Militärkarriere an
und wird Oberbefehlshaber der Armee in der Nordrepublik des damals geteilten
Jemen. 1978 wurde er zum Staatspräsidenten des Nordjemen gewählt.
Er galt als gewiefter Machtpolitiker, dessen politische
Kehrtwendungen berühmt-berüchtigt waren und die darauf beruhten, den einen
gegen den anderen auszuspielen oder aber manchmal auch einen politischen
Ausgleich zu suchen.
Nach innen hin betrieb Saleh einen Ausbau des Kapitalismus,
in der Außenpolitik vertrat er einen antiimperialistischen Kurs und hielt noch
1990 im Irak-Krieg zu Saddam Hussein, wofür der Jemen mit Sanktionen des
Westens bezahlen mußte.
Saleh setzte sich sehr für die Wiedervereinigung zwischen
Nord- und dem sozialistischen Südjemen ein, seine Bemühungen hatten 1990
Erfolg. Saleh wurde Präsident des wiedervereinigten Jemen, der sozialistische
Parteichef Südjemens, Ali Salim al-Baid, wurde sein Vizepräsident.
Gegen die politische und wirtschaftliche Dominanz des
Nordens regte sich bald Widerstand im Süden und es kam zum Bruch in der
Regierung. Der Süden rief erneut seine Unabhängigkeit aus unter Führung von
al-Baid, doch Salehs Truppen gelang es, in einem zweimonatigen Feldzug das Land
zurückzuerobern.
Seinen Politikstil beschrieb Saleh einmal als „Tanz auf den
Köpfen von Schlangen“ – so muß man sich eine Politik in etwa auch vorstellen,
die versucht, allen möglichen Clans und bewaffneten Kräften gerecht zu werden.
Nach dem 11. September 2001 stellte sich Saleh an die Seite
der USA im „Anti-Terror-Kampf“, der letztendlich eine Farce war, da er den
Terror eher anheizte und die Ausbreitung Al-Qaidas im Jemen nicht verhindern
konnte.
Während seiner Amtszeit mußte sich Saleh, dessen
Schlagfertigkeit und Wortwitz übrigens berühmt waren, mit zahlreichen
Scharmützeln und kleineren Rebellionen auseinandersetzen.
Ein Dauerärgernis war der Stamm der Huthis, der die
nördlichste Provinz beherrschte und der der zaiditischen Glaubensrichtung
(einer Untergruppe der Schiiten) anhing. Insgesamt sechs Kriege führte Saleh
gegen die Huthis. Der frühere Parlamentsabgeordnete und Führer der Huthis,
Sayyed Hussain Badreddin al-Houthi wurde von Salehs Militär
gefangengenommen und in einer Höhle hingerichtet. Sein jüngerer Bruder Sayyed
Abdel Malik al-Huthi übernahm die Führung der Bewegung, die sich heute Ansarullah
nennt.
Doch Saleh wäre nicht Saleh gewesen, wenn er nicht auch mit
den verhaßten Huthis paktiert hätte. Der Auslöser war der „Arabische Frühling“
2011, der auch den Jemen nicht verschonte.
Doch anders als viele arabische Herrscher, die 2011 abtreten
mußten oder ermordet wurden, schaffte es Saleh, sich bis 2012 im Sattel zu
halten, handelte für sich und seine Familie Amnestie aus, blieb Parteichef
seines arabisch-nationalistischen Allgemeinen Volkskongresses (GPC) und
überlebte ein Raketenattentat auf seinen Palast mit schweren Verbrennungen.
Salehs Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi, der nicht zum
Saleh-Clan gehörte, wurde als Kompromißkandidat für zwei Jahre zum
Übergangspräsidenten gewählt. Hadi entwickelte sich schnell zum Statthalter
Saudi-Arabiens, denn er verfügte nicht über das politische Geschick Salehs, der
die Interessen des dominanten Nachbarn verstand im Zaum zu halten oder
auszubalancieren. Eine von Saudi-Arabien inspirierte Verwaltungsreform Hadis,
die nicht nur das zentrale Herrschaftsgebiet der Huthis benachteiligt hätte,
sondern auch ein Rückfall in den Feudalismus gewesen wäre, trieb Saleh, der um
die wenigen Errungenschaften der Republik aus den 60iger und 70iger Jahren
fürchtete, in ein Bündnis mit den Huthis, welche wiederum 2011 zu jenen
„Revolutionären“ gehörten, die ihn sein Amt gekostet hatten.
Große Teile der jemenitischen Armee waren Saleh immer noch
loyal. Gemeinsam mit den Huthis vertrieben sie die letzten Reste der
Hadi-Administration aus der Hauptstadt und aus ihrem Rückzugsort Aden. Hadi
mußte nach Saudi-Arabien ins Exil fliehen.
Die westlichen Massenmedien bezeichnen die Huthis gern als
„pro-iranisch“, weil sie auch Schiiten sind. Doch es existieren eigentlich
keine engen Verbindungen zwischen Iran und „Ansarullah“ wie man es zwischen
Teheran und der libanesischen Hisbollah kennt. Saudi-Arabien, daß mit dem Iran
um den Status als Regionalmacht Nummer Eins konkurriert, fürchtet die Huthis
als „trojanisches Pferd“ der Iraner dennoch und bekämpft sie daher.
Die Huthis sind fromme Muslime, aber keine Islamisten. Sie
wollten u.a. mit Sozialmaßnahmen die Unterschiede zwischen arm und reich
verringern, die US-Truppen aus dem Land werfen und den islamischen
Fundamentalismus in Form von Al-Qaida bekämpfen. Die USA verließen fluchtartig
ihren Stützpunkt, von dem aus sie zahlreiche Drohnenmorde im Jemen gegen
Zivilisten und vermeintliche „Terroristen“ durchgeführt hatten, als die Huthis
kamen und ihn übernahmen. Die Huthis finanzierten seit einigen Jahren
verschiedene Initiativen, um die Qualität der Gesundheitsversorgung, der
Schulen und der Infrastruktur in den von ihnen kontrollierten Regionen zu
verbessern und gingen auch gegen die Beschneidung der Frauen vor. Dafür
erhielten sie sehr viel Zuspruch aus breiten Teilen der Bevölkerung.
Der Jemen war nun in mehrere Teile zerbrochen. Im Nordjemen
dominierte eine „patriotische Zweckallianz“ aus Huthis und Saleh-Anhängern,
einige Teile des Landes wurden von Hadis Marionettenregierung gehalten, die
Wüsten kontrollierte Al-Qaida und im Südjemen erhob der Hirak, eine
Separatistenbewegung, welche den Landessüden wieder abspalten will, ihr freches
Haupt.
Seit 2015 bombardierte eine von Saudi-Arabien geführte
Allianz reaktionärer Diktaturen (VAE, Sudan, Ägypten, USA, etc.) die von den
Huthis und Saleh kontrollierten Gebiete, um eine Rückkehr des unpopulären Hadi
zu erzwingen. Der Jemen litt auch unter den verantwortungslosen
Wirtschaftssanktionen, die das Saudi-Bündnis mittels Seeblockade durchsetzte.
Zehntausend Jemeniten starben bei den Kämpfen, das Gesundheitssystem brach
zusammen, Hunger und Epidemien brachen aus. Die Huthi-Saleh-Allianz hielt den
saudischen Bomben stand, Hadis Truppe aus Söldnern und Clanmilizen war unfähig,
das Land zurückzuerobern.
Die Fronten bewegten sich nicht.
Saleh wurde klar, daß der Jemen nur noch weiter verlieren
konnte. In einem Anflug von staatspolitischer Weisheit bereitete er einen
seiner berühmten Frontwechsel vor. Er setzte seine Truppen in Bewegung, um
Schlüsselstellungen der Huthis in der Hauptstadt Sanaa zu übernehmen und
verkündete in einem ihm loyalen TV-Sender, er sei bereit, „ein neues Kapitel“
im Verhältnis zu Saudi-Arabien aufzuschlagen. Doch er hatte nicht mit der
Verbissenheit der Huthis gerechnet, für die es in einem Jemen von Riads Gnaden
keinen Platz gibt. Sechs Tage dauerten die Kämpfe zwischen den einstigen
Verbündeten, bei denen die Huthis die Oberhand gewannen.
Saleh verschanzte sich mit 1.000 Elitesoldaten seiner
Republikanischen Garde im Präsidentenpalast, den die Huthis unter schweres
Feuer nahmen, um den „Verräter“ Saleh dingfest zu machen oder auszulöschen.
Obwohl Saudi-Arabien Luftangriffe zur Unterstützung seines
neuen alten Verbündeten Saleh flog, eroberten die Huthis den Palast und
sprengten ihn in die Luft. Saleh versuchte mit einer Wagenkolonne aus der Stadt
zu fliehen, geriet aber in ein Feuergefecht und wurde mit einem Kopfschuß
getötet. Der „Schlangentänzer von Sanaa“ hatte seine Kräfte über- oder die der
Huthis unterschätzt.
Sein Tod macht die Lage im Jemen komplizierter. Sein Sohn
Ahmed Ali Saleh, ein hoher Offizier, rief aus dem Exil zum Widerstand gegen die
Huthis auf und will nicht eher ruhen „bis der letzte Huthi aus dem Jemen
vertrieben“ wurde. Und auch Hadis „Militär-Haufen“ setzen sich in Bewegung und
bereiten eine angebliche „Rückeroberung“ der Hauptstadt vor.
Kay Hanisch
Dezember 2017
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen