Mittwoch, 6. Dezember 2017



5.12.2017


Nachruf auf einen Schlangentänzer: Ali Abdullah Saleh


Der 1942 geborene Politiker konnte nur wenige Jahre zur Schule gehen, herrschte aber am längsten in der Geschichte des unabhängigen Jemen: insgesamt 34 Jahre! Frühezeitig strebte Saleh eine Militärkarriere an und wird Oberbefehlshaber der Armee in der Nordrepublik des damals geteilten Jemen. 1978 wurde er zum Staatspräsidenten des Nordjemen gewählt.
Er galt als gewiefter Machtpolitiker, dessen politische Kehrtwendungen berühmt-berüchtigt waren und die darauf beruhten, den einen gegen den anderen auszuspielen oder aber manchmal auch einen politischen Ausgleich zu suchen.
Nach innen hin betrieb Saleh einen Ausbau des Kapitalismus, in der Außenpolitik vertrat er einen antiimperialistischen Kurs und hielt noch 1990 im Irak-Krieg zu Saddam Hussein, wofür der Jemen mit Sanktionen des Westens bezahlen mußte.
Saleh setzte sich sehr für die Wiedervereinigung zwischen Nord- und dem sozialistischen Südjemen ein, seine Bemühungen hatten 1990 Erfolg. Saleh wurde Präsident des wiedervereinigten Jemen, der sozialistische Parteichef Südjemens, Ali Salim al-Baid, wurde sein Vizepräsident.
Gegen die politische und wirtschaftliche Dominanz des Nordens regte sich bald Widerstand im Süden und es kam zum Bruch in der Regierung. Der Süden rief erneut seine Unabhängigkeit aus unter Führung von al-Baid, doch Salehs Truppen gelang es, in einem zweimonatigen Feldzug das Land zurückzuerobern.
Seinen Politikstil beschrieb Saleh einmal als „Tanz auf den Köpfen von Schlangen“ – so muß man sich eine Politik in etwa auch vorstellen, die versucht, allen möglichen Clans und bewaffneten Kräften gerecht zu werden.
Nach dem 11. September 2001 stellte sich Saleh an die Seite der USA im „Anti-Terror-Kampf“, der letztendlich eine Farce war, da er den Terror eher anheizte und die Ausbreitung Al-Qaidas im Jemen nicht verhindern konnte.
Während seiner Amtszeit mußte sich Saleh, dessen Schlagfertigkeit und Wortwitz übrigens berühmt waren, mit zahlreichen Scharmützeln und kleineren Rebellionen auseinandersetzen.
Ein Dauerärgernis war der Stamm der Huthis, der die nördlichste Provinz beherrschte und der der zaiditischen Glaubensrichtung (einer Untergruppe der Schiiten) anhing. Insgesamt sechs Kriege führte Saleh gegen die Huthis. Der frühere Parlamentsabgeordnete und Führer der Huthis, Sayyed Hussain Badreddin al-Houthi wurde von Salehs Militär gefangengenommen und in einer Höhle hingerichtet. Sein jüngerer Bruder Sayyed Abdel Malik al-Huthi übernahm die Führung der Bewegung, die sich heute Ansarullah nennt.
Doch Saleh wäre nicht Saleh gewesen, wenn er nicht auch mit den verhaßten Huthis paktiert hätte. Der Auslöser war der „Arabische Frühling“ 2011, der auch den Jemen nicht verschonte.
Doch anders als viele arabische Herrscher, die 2011 abtreten mußten oder ermordet wurden, schaffte es Saleh, sich bis 2012 im Sattel zu halten, handelte für sich und seine Familie Amnestie aus, blieb Parteichef seines arabisch-nationalistischen Allgemeinen Volkskongresses (GPC) und überlebte ein Raketenattentat auf seinen Palast mit schweren Verbrennungen.

Salehs Vizepräsident Abed Rabbo Mansur Hadi, der nicht zum Saleh-Clan gehörte, wurde als Kompromißkandidat für zwei Jahre zum Übergangspräsidenten gewählt. Hadi entwickelte sich schnell zum Statthalter Saudi-Arabiens, denn er verfügte nicht über das politische Geschick Salehs, der die Interessen des dominanten Nachbarn verstand im Zaum zu halten oder auszubalancieren. Eine von Saudi-Arabien inspirierte Verwaltungsreform Hadis, die nicht nur das zentrale Herrschaftsgebiet der Huthis benachteiligt hätte, sondern auch ein Rückfall in den Feudalismus gewesen wäre, trieb Saleh, der um die wenigen Errungenschaften der Republik aus den 60iger und 70iger Jahren fürchtete, in ein Bündnis mit den Huthis, welche wiederum 2011 zu jenen „Revolutionären“ gehörten, die ihn sein Amt gekostet hatten.

Große Teile der jemenitischen Armee waren Saleh immer noch loyal. Gemeinsam mit den Huthis vertrieben sie die letzten Reste der Hadi-Administration aus der Hauptstadt und aus ihrem Rückzugsort Aden. Hadi mußte nach Saudi-Arabien ins Exil fliehen.

Die westlichen Massenmedien bezeichnen die Huthis gern als „pro-iranisch“, weil sie auch Schiiten sind. Doch es existieren eigentlich keine engen Verbindungen zwischen Iran und „Ansarullah“ wie man es zwischen Teheran und der libanesischen Hisbollah kennt. Saudi-Arabien, daß mit dem Iran um den Status als Regionalmacht Nummer Eins konkurriert, fürchtet die Huthis als „trojanisches Pferd“ der Iraner dennoch und bekämpft sie daher.

Die Huthis sind fromme Muslime, aber keine Islamisten. Sie wollten u.a. mit Sozialmaßnahmen die Unterschiede zwischen arm und reich verringern, die US-Truppen aus dem Land werfen und den islamischen Fundamentalismus in Form von Al-Qaida bekämpfen. Die USA verließen fluchtartig ihren Stützpunkt, von dem aus sie zahlreiche Drohnenmorde im Jemen gegen Zivilisten und vermeintliche „Terroristen“ durchgeführt hatten, als die Huthis kamen und ihn übernahmen. Die Huthis finanzierten seit einigen Jahren verschiedene Initiativen, um die Qualität der Gesundheitsversorgung, der Schulen und der Infrastruktur in den von ihnen kontrollierten Regionen zu verbessern und gingen auch gegen die Beschneidung der Frauen vor. Dafür erhielten sie sehr viel Zuspruch aus breiten Teilen der Bevölkerung.

Der Jemen war nun in mehrere Teile zerbrochen. Im Nordjemen dominierte eine „patriotische Zweckallianz“ aus Huthis und Saleh-Anhängern, einige Teile des Landes wurden von Hadis Marionettenregierung gehalten, die Wüsten kontrollierte Al-Qaida und im Südjemen erhob der Hirak, eine Separatistenbewegung, welche den Landessüden wieder abspalten will, ihr freches Haupt.

Seit 2015 bombardierte eine von Saudi-Arabien geführte Allianz reaktionärer Diktaturen (VAE, Sudan, Ägypten, USA, etc.) die von den Huthis und Saleh kontrollierten Gebiete, um eine Rückkehr des unpopulären Hadi zu erzwingen. Der Jemen litt auch unter den verantwortungslosen Wirtschaftssanktionen, die das Saudi-Bündnis mittels Seeblockade durchsetzte. Zehntausend Jemeniten starben bei den Kämpfen, das Gesundheitssystem brach zusammen, Hunger und Epidemien brachen aus. Die Huthi-Saleh-Allianz hielt den saudischen Bomben stand, Hadis Truppe aus Söldnern und Clanmilizen war unfähig, das Land zurückzuerobern.
Die Fronten bewegten sich nicht.
Saleh wurde klar, daß der Jemen nur noch weiter verlieren konnte. In einem Anflug von staatspolitischer Weisheit bereitete er einen seiner berühmten Frontwechsel vor. Er setzte seine Truppen in Bewegung, um Schlüsselstellungen der Huthis in der Hauptstadt Sanaa zu übernehmen und verkündete in einem ihm loyalen TV-Sender, er sei bereit, „ein neues Kapitel“ im Verhältnis zu Saudi-Arabien aufzuschlagen. Doch er hatte nicht mit der Verbissenheit der Huthis gerechnet, für die es in einem Jemen von Riads Gnaden keinen Platz gibt. Sechs Tage dauerten die Kämpfe zwischen den einstigen Verbündeten, bei denen die Huthis die Oberhand gewannen.
Saleh verschanzte sich mit 1.000 Elitesoldaten seiner Republikanischen Garde im Präsidentenpalast, den die Huthis unter schweres Feuer nahmen, um den „Verräter“ Saleh dingfest zu machen oder auszulöschen.
Obwohl Saudi-Arabien Luftangriffe zur Unterstützung seines neuen alten Verbündeten Saleh flog, eroberten die Huthis den Palast und sprengten ihn in die Luft. Saleh versuchte mit einer Wagenkolonne aus der Stadt zu fliehen, geriet aber in ein Feuergefecht und wurde mit einem Kopfschuß getötet. Der „Schlangentänzer von Sanaa“ hatte seine Kräfte über- oder die der Huthis unterschätzt.

Sein Tod macht die Lage im Jemen komplizierter. Sein Sohn Ahmed Ali Saleh, ein hoher Offizier, rief aus dem Exil zum Widerstand gegen die Huthis auf und will nicht eher ruhen „bis der letzte Huthi aus dem Jemen vertrieben“ wurde. Und auch Hadis „Militär-Haufen“ setzen sich in Bewegung und bereiten eine angebliche „Rückeroberung“ der Hauptstadt vor.



Kay Hanisch
Dezember 2017

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