Freitag, 10. März 2017



Die Öl-Verladeterminals wieder unter Kontrolle der PFG

Tollhaus Libyen: Oder die mörderische Frage, wer wann mit wem den Verrat plante

Die libysche Nationalarmee (LNA) unter General Hefter hat die Kontrolle über wichtige Ölverladehäfen im Ölhalbmond verloren. Als am 4. März die dschihadistischen Bengasi-Defence-Brigades (BDB) die Ölverladestationen Ras Lanuf und Sidra angriffen, soll unter den Kommandanten der libyschen Nationalarmee (LNA) Verwirrung und Panik ausgebrochen sein. Die Milizen der BDB, die vor allem von der Türkei und Katar unterstützt werden, waren mit modernsten Waffen und Gerät ausgestattet.
Die Nationale Ölgesellschaft (NOC) bestätigte, dass die BDB-Milizen sowohl Ras Lanuf als auch Sidra vollständig unter ihre Kontrolle gebracht haben. Inzwischen wird in der Gegend von Ras Lanuf, Ben Dschawad und Nuflija sowie westlich von Sirte und Sidra gekämpft. Beide Seiten sollen bisher schwere Verluste erlitten haben.
Nach ihrer vor kurzem erfolgten Vertreibung aus Bengasi hatten sich die BDB etwa 300 Kilometer südlich in der Sahara neu formieren und von dort unbemerkt an die Küste vordringen können, um auf mehrere Ölterminals gleichzeitig Überraschungsangriffe zu starten.
Laut dem LNA-Sprecher Oberst Mismari hätten die BDB-Milizen Unterstützung von Kämpfern aus Misrata und Sabratha bekommen. Die dem Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘, Mahdi al-Bargathi, unterstehende 12. Infanteriebrigade hat ebenfalls auf Seiten der BDB gegen Hefters LNA gekämpft.
Von 2014 bis 2016 war der libysche Ölhalbmond unter Kontrolle der Petroleum Facilities Guard von Ibrahim Dschedhren[1]. Dann konnte er in einem unblutigen Coup von der LNA übernommen und zur Verwaltung an die libysche Ölgesellschaft NOC übergeben werden. Nun wurden die Ölterminals von den Bengasi-Verteidigungsbrigaden erobert, allerdings haben diese die Kontrolle inzwischen an die Petroleum Facilities Guard (PFG) abgegeben. Die PFG, die jetzt unter der Führung von Idris Bukhamada[2] steht, wurde vom Präsidialrat entsandt, um Sidra und Ras Lanuf im gegenseitigen Einverständnis von den Bengasi-Defence-Brigades zu übernehmen. Idris Bukhamada erklärte, die beiden Terminals unterstünden nun der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis. Dies macht wieder einmal deutlich, wie eng der Präsidialrat und die ‚Einheitsregierung‘ mit Hardcore-Islamisten verbündet sind.
Noch immer ist nicht geklärt, wie den Bengasi-Dschihadisten dieser Überraschungscoup gelingen konnte. Innerhalb der LNA ist es zu Festnahmen gekommen. Unter den Verhafteten befinden sich der Polizeichef von Adschdabija und der Bürgermeister von Brega. Sie sollen Teil einer Verschwörung gewesen sein, die die LNA über den bevorstehenden Angriff der BDB getäuscht hat.
Für einen Gegenangriff hat die LNA 5.000 Soldaten mit Panzern und Artillerie in der Umgebung von Brega zusammengezogen. Eine Tibu-Miliz und Milizen aus Zinten sollen zur Verstärkung im Anmarsch sein. General Hefter ist nach Kairo gereist. Bietet er dort Gesprächsbereitschaft mit der ‚Einheitsregierung‘ an oder bittet er um Unterstützung durch die ägyptische Luftwaffe? Seine eigene Luftwaffe fliegt heftige Angriffe in der Gegend von Ras Lanuf und Sidra auf Stellungen der Bengasi-Dschihadisten.
In Bengasi selbst hat die LNA den Kampf um die letzten Apartmentblocks im Ganfouda-Bezirk, in denen sich die Reste der noch in der Stadt verbliebenen Bengasi-Defence-Milizen verschanzt haben, verstärkt.
Unklar ist, inwieweit Ghweil und sein National Salvation Government (SGN) in die Vorgänge verstrickt sind. Ghweils Milizen halten in Tripolis immer noch ein Stockwerk der Hauptverwaltung der libyschen Ölgesellschaft besetzt. In den letzten Tagen hatte sich die Lage in Tripolis beruhigt. Auch dies zeigt deutlich, dass die ‚Einheitsregierung‘ und der Präsidialrat über das Vorgehen der Islamisten im Ölhalbmond informiert waren und deshalb die Kämpfe gegen Misrata-Milizen, die Ghweil unterstützen, einstellten beziehungsweise selbst Kämpfer zur Unterstützung der Bengasi-Defence-Brigades abstellten. Wahrscheinlich wurde der gesamte Coup am 8. Februar bei dem Aufenthalt Sarradschs und des al-Kaida-Manns und Führer der LIFG (Libya Islamic Fighting Group), Abdulhakim Belhadsch, in der Türkei bei Gesprächen mit Erdogan geplant. Beschlossen worden war dort auch, dass die Türkei am Aufbau der libyschen Armee beteiligt werden soll.
Das Parlament in Tobruk hat inzwischen aus Empörung über den Angriff auf die Ölverladeterminals mit Unterstützung der ‚Einheitsregierung‘ mit Mehrheit für die Unterbrechung seiner Teilnahme am Libyschen Dialog gestimmt. Dies bedeutet auch, dass ihre Vertreter nicht mehr dem Präsidialrat angehören. Die Bevölkerung im Osten sieht sich bedroht und ist bereit, ihre Region gegen die Islamisten aus dem Westen des Landes zu verteidigen.
Nicht nur die Ereignisse der letzten Tage um den libyschen Erdölhalbmond haben dem Ansehen von General Hefter schwer geschadet, bereits vorher war Kritik laut geworden, wieso das Vorgehen gegen den BDB und den mit ihnen verbündete al-Kaida- und Ansar-al-Scharia-Milizen in Bengasi nur so schleppend voran gehe und so viele Opfer auf LNA Seite fordere. Der 74-jährige Hefter scheint zu versuchen, verschiedene Eisen im Feuer zu halten. Zum einen werden ihm gute Kontakte zu Russland nachgesagt, daneben ist er wohl auch ein Mann der CIA, der bis 2011 in den USA lebte und erst 2011 nach Libyen kam, um beim Sturz Gaddafis mitzumischen. Einer seiner engsten Vertrauten, der Chef der libyschen Luftwaffe Generalmajor Sakr, war zur Ausbildung in Jordanien, von wo er erst Ende 2016 zurückkam. In Jordanien dürfte nichts passieren, was nicht im Detail mit der CIA, inzwischen auch als al-CIAda bekannt, abgesprochen ist. Übrigens hat Sakr am 6. März einen schweren Herzanfall erlitten.
Die Bengasi-Defence-Brigades (BDB) haben inzwischen angekündigt, ihr Ziel sei die Rückeroberung Bengasis, allerdings erst, wenn die Terminals gesichert seien. Nach deren Übernahme durch die Petroleum Facilities Guards könnten die BDB nun ihre Drohung wahrmachen. Dies dürfte bei den Bewohnern Bengasis blankes Entsetzen auslösen, die die komplette Vertreibung der BDB aus der Stadt erst vor Kurzen auf den Straßen feierte. Machen die BDB ihre Drohung wahr, wäre ein Eingreifen Kairos auf Seiten der Libyschen Nationalarmee wahrscheinlich, um die Machtergreifung von Islamisten im libysch-ägyptischen Grenzgebiet zu verhindern.
Der Staatsrat in Tripolis will den Ölhalbmond wieder unter der Kontrolle der Einheitsregierung in Tripolis sehen und wird von den Botschaftern Frankreichs, Großbritanniens und der USA dabei und bei der Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe unterstützt.
Es ist zu vermuten, dass die ‚Einheitsregierung‘ in Einklang mit den westlichen Ländern versucht, Hefters Position zu schwächen und ihn zu Verhandlungen zu zwingen. Wie es scheint, hat Hefter nach der Verweigerung des Dialogs mit der ‚Einheitsregierung‘ auch bei den Ägyptern nicht mehr den gewohnten Rückhalt.
Doch ob dieses Kalkül der ‚Einheitsregierung‘ und der mit ihr verbündeten ausländischen Regierungen aufgeht, bleibt abzuwarten. Es könnte auch das genaue Gegenteil in Form einer Eskalierung der Situation mit unvorhersehbaren Ausgang die Folge sein. Als lachender Dritter aus dem Kampf der ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch und dem Tobruk Parlament mit Hefter könnten Ghweil mit seiner Versöhnungsregierung (Salvation Government) und der Moslembruder-Großmufti Ghariani hervorgehen.
Die Leidtragende auch dieser Kämpfe ist die libysche Zivilbevölkerung. Kaum keimten leise Hoffnungen, dass mit einem Anstieg der Ölförderung sich auch die finanzielle Katastrophenlage des Landes verbessern könnte, sind diese Träume auch schon wieder zunichte gemacht. Wieder einmal hat sich die ‚Einheitsregierung‘ und der Präsidialrat mit Hardcore-Dschihadisten gemein gemacht, deren Verbündete al-Kaida und Alsar al-Scharia sind, die in Bengasi blutige Attentate in Krankenhäusern verüben, Sprengfallen in Wohngebieten aufstellen und Autobomben zünden, die Zivilisten in den Tod reißen.


Quellen: libyaherald.com / theguardian.com / derstandard.at / middleeasteye.net

A. Gutsche


[1] In dieser Zeit waren die Terminals meistens geschlossen, was dem libyschen Staat Verluste in Milliardenhöhe bescherte.
[2] Bukhamada steht dem Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘, Oberst Mahdi al-Bargathi, nahe. Er war schon einmal Kommandant der Petroleum Facilities Guards: 2013 hatte ihn Ministerpräsident Ali Zeidan dazu ernannt. Allerdings wurde er 2014 von Ibrahim Dschedhren von diesem Posten verdrängt.

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