Die Öl-Verladeterminals wieder unter Kontrolle der PFG
Tollhaus Libyen: Oder die mörderische Frage, wer wann mit
wem den Verrat plante
Die libysche Nationalarmee (LNA) unter General Hefter hat
die Kontrolle über wichtige Ölverladehäfen im Ölhalbmond verloren. Als am 4.
März die dschihadistischen Bengasi-Defence-Brigades
(BDB) die Ölverladestationen Ras Lanuf und Sidra angriffen, soll unter den
Kommandanten der libyschen Nationalarmee (LNA) Verwirrung und Panik
ausgebrochen sein. Die Milizen der BDB, die vor allem von der Türkei und Katar
unterstützt werden, waren mit modernsten Waffen und Gerät ausgestattet.
Die Nationale Ölgesellschaft (NOC) bestätigte, dass die
BDB-Milizen sowohl Ras Lanuf als auch Sidra vollständig unter ihre Kontrolle
gebracht haben. Inzwischen wird in der Gegend von Ras Lanuf, Ben Dschawad und
Nuflija sowie westlich von Sirte und Sidra gekämpft. Beide Seiten sollen bisher
schwere Verluste erlitten haben.
Nach ihrer vor kurzem erfolgten Vertreibung aus Bengasi
hatten sich die BDB etwa 300 Kilometer südlich in der Sahara neu formieren und
von dort unbemerkt an die Küste vordringen können, um auf mehrere Ölterminals
gleichzeitig Überraschungsangriffe zu starten.
Laut dem LNA-Sprecher Oberst Mismari hätten die BDB-Milizen
Unterstützung von Kämpfern aus Misrata und Sabratha bekommen. Die dem
Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘, Mahdi al-Bargathi, unterstehende
12. Infanteriebrigade hat ebenfalls auf Seiten der BDB gegen Hefters LNA
gekämpft.
Von 2014 bis 2016 war der libysche Ölhalbmond unter
Kontrolle der Petroleum Facilities Guard
von Ibrahim Dschedhren[1].
Dann konnte er in einem unblutigen Coup von der LNA übernommen und zur
Verwaltung an die libysche Ölgesellschaft NOC übergeben werden. Nun wurden die
Ölterminals von den Bengasi-Verteidigungsbrigaden erobert, allerdings haben
diese die Kontrolle inzwischen an die Petroleum
Facilities Guard (PFG) abgegeben. Die PFG, die jetzt unter der Führung von
Idris Bukhamada[2]
steht, wurde vom Präsidialrat entsandt, um Sidra und Ras Lanuf im gegenseitigen
Einverständnis von den Bengasi-Defence-Brigades
zu übernehmen. Idris Bukhamada erklärte, die beiden Terminals unterstünden nun
der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis. Dies macht wieder einmal deutlich, wie eng
der Präsidialrat und die ‚Einheitsregierung‘ mit Hardcore-Islamisten verbündet
sind.
Noch immer ist nicht geklärt, wie den Bengasi-Dschihadisten
dieser Überraschungscoup gelingen konnte. Innerhalb der LNA ist es zu
Festnahmen gekommen. Unter den Verhafteten befinden sich der Polizeichef von Adschdabija
und der Bürgermeister von Brega. Sie sollen Teil einer Verschwörung gewesen
sein, die die LNA über den bevorstehenden Angriff der BDB getäuscht hat.
Für einen Gegenangriff hat die LNA 5.000 Soldaten mit
Panzern und Artillerie in der Umgebung von Brega zusammengezogen. Eine
Tibu-Miliz und Milizen aus Zinten sollen zur Verstärkung im Anmarsch sein.
General Hefter ist nach Kairo gereist. Bietet er dort Gesprächsbereitschaft mit
der ‚Einheitsregierung‘ an oder bittet er um Unterstützung durch die ägyptische
Luftwaffe? Seine eigene Luftwaffe fliegt heftige Angriffe in der Gegend von Ras
Lanuf und Sidra auf Stellungen der Bengasi-Dschihadisten.
In Bengasi selbst hat die LNA den Kampf um die letzten
Apartmentblocks im Ganfouda-Bezirk, in denen sich die Reste der noch in der
Stadt verbliebenen Bengasi-Defence-Milizen verschanzt haben, verstärkt.
Unklar ist, inwieweit Ghweil und sein National Salvation Government (SGN) in die Vorgänge verstrickt
sind. Ghweils Milizen halten in Tripolis immer noch ein Stockwerk der
Hauptverwaltung der libyschen Ölgesellschaft besetzt. In den letzten Tagen
hatte sich die Lage in Tripolis beruhigt. Auch dies zeigt deutlich, dass die
‚Einheitsregierung‘ und der Präsidialrat über das Vorgehen der Islamisten im
Ölhalbmond informiert waren und deshalb die Kämpfe gegen Misrata-Milizen, die
Ghweil unterstützen, einstellten beziehungsweise selbst Kämpfer zur
Unterstützung der Bengasi-Defence-Brigades
abstellten. Wahrscheinlich wurde der gesamte Coup am 8. Februar bei dem
Aufenthalt Sarradschs und des al-Kaida-Manns und Führer der LIFG (Libya Islamic Fighting Group),
Abdulhakim Belhadsch, in der Türkei bei Gesprächen mit Erdogan geplant.
Beschlossen worden war dort auch, dass die Türkei am Aufbau der libyschen Armee
beteiligt werden soll.
Das Parlament in Tobruk hat inzwischen aus Empörung über den
Angriff auf die Ölverladeterminals mit Unterstützung der ‚Einheitsregierung‘
mit Mehrheit für die Unterbrechung seiner Teilnahme am Libyschen Dialog
gestimmt. Dies bedeutet auch, dass ihre Vertreter nicht mehr dem Präsidialrat
angehören. Die Bevölkerung im Osten sieht sich bedroht und ist bereit, ihre
Region gegen die Islamisten aus dem Westen des Landes zu verteidigen.
Nicht nur die Ereignisse der letzten Tage um den libyschen
Erdölhalbmond haben dem Ansehen von General Hefter schwer geschadet, bereits
vorher war Kritik laut geworden, wieso das Vorgehen gegen den BDB und den mit
ihnen verbündete al-Kaida- und Ansar-al-Scharia-Milizen in Bengasi nur so
schleppend voran gehe und so viele Opfer auf LNA Seite fordere. Der 74-jährige
Hefter scheint zu versuchen, verschiedene Eisen im Feuer zu halten. Zum einen
werden ihm gute Kontakte zu Russland nachgesagt, daneben ist er wohl auch ein
Mann der CIA, der bis 2011 in den USA lebte und erst 2011 nach Libyen kam, um
beim Sturz Gaddafis mitzumischen. Einer seiner engsten Vertrauten, der Chef der
libyschen Luftwaffe Generalmajor Sakr, war zur Ausbildung in Jordanien, von wo
er erst Ende 2016 zurückkam. In Jordanien dürfte nichts passieren, was nicht im
Detail mit der CIA, inzwischen auch als al-CIAda
bekannt, abgesprochen ist. Übrigens hat Sakr am 6. März einen schweren
Herzanfall erlitten.
Die Bengasi-Defence-Brigades
(BDB) haben inzwischen angekündigt, ihr Ziel sei die Rückeroberung Bengasis,
allerdings erst, wenn die Terminals gesichert seien. Nach deren Übernahme durch
die Petroleum Facilities Guards
könnten die BDB nun ihre Drohung wahrmachen. Dies dürfte bei den Bewohnern
Bengasis blankes Entsetzen auslösen, die die komplette Vertreibung der BDB aus
der Stadt erst vor Kurzen auf den Straßen feierte. Machen die BDB ihre Drohung
wahr, wäre ein Eingreifen Kairos auf Seiten der Libyschen Nationalarmee
wahrscheinlich, um die Machtergreifung von Islamisten im libysch-ägyptischen
Grenzgebiet zu verhindern.
Der Staatsrat in Tripolis will den Ölhalbmond wieder unter
der Kontrolle der Einheitsregierung in Tripolis sehen und wird von den
Botschaftern Frankreichs, Großbritanniens und der USA dabei und bei der
Forderung nach einer sofortigen Waffenruhe unterstützt.
Es ist zu vermuten, dass die ‚Einheitsregierung‘ in Einklang
mit den westlichen Ländern versucht, Hefters Position zu schwächen und ihn zu
Verhandlungen zu zwingen. Wie es scheint, hat Hefter nach der Verweigerung des
Dialogs mit der ‚Einheitsregierung‘ auch bei den Ägyptern nicht mehr den
gewohnten Rückhalt.
Doch ob dieses Kalkül der ‚Einheitsregierung‘ und der mit
ihr verbündeten ausländischen Regierungen aufgeht, bleibt abzuwarten. Es könnte
auch das genaue Gegenteil in Form einer Eskalierung der Situation mit
unvorhersehbaren Ausgang die Folge sein. Als lachender Dritter aus dem Kampf
der ‚Einheitsregierung‘ unter Sarradsch und dem Tobruk Parlament mit Hefter
könnten Ghweil mit seiner Versöhnungsregierung (Salvation Government)
und der Moslembruder-Großmufti Ghariani hervorgehen.
Die Leidtragende auch dieser Kämpfe ist die libysche
Zivilbevölkerung. Kaum keimten leise Hoffnungen, dass mit einem Anstieg der
Ölförderung sich auch die finanzielle Katastrophenlage des Landes verbessern
könnte, sind diese Träume auch schon wieder zunichte gemacht. Wieder einmal hat
sich die ‚Einheitsregierung‘ und der Präsidialrat mit Hardcore-Dschihadisten
gemein gemacht, deren Verbündete al-Kaida und Alsar al-Scharia sind, die in
Bengasi blutige Attentate in Krankenhäusern verüben, Sprengfallen in
Wohngebieten aufstellen und Autobomben zünden, die Zivilisten in den Tod
reißen.
Quellen:
libyaherald.com / theguardian.com / derstandard.at / middleeasteye.net
A. Gutsche
[1] In
dieser Zeit waren die Terminals meistens geschlossen, was dem libyschen Staat
Verluste in Milliardenhöhe bescherte.
[2]
Bukhamada steht dem Verteidigungsminister der ‚Einheitsregierung‘, Oberst Mahdi
al-Bargathi, nahe. Er war schon einmal Kommandant der Petroleum Facilities
Guards: 2013 hatte ihn Ministerpräsident Ali Zeidan dazu ernannt. Allerdings
wurde er 2014 von Ibrahim Dschedhren von diesem Posten verdrängt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen