Skandalurteil: Libyer werden abgeschoben
Chemnitz/Libyen. Für
den Großraum Tripolis besteht angeblich derzeit keine ernsthafte und
individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit.
Vor der 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Chemnitz wurde am
11.05.2107 asylsuchenden Libyern beschieden, für sie bestehe kein subsidiärer
Schutz im Hinblick auf einen möglichen innerstaatlichen Konflikt. Auch für
Personen aus anderen Landesteilen Libyens bestehe im Großraum Tripolis eine
innerstaatliche Fluchtalternative.[1]
Das Urteil beruft sich auf Hochrechnungen von Opferzahlen,
die zum einen auf Zahlen basieren, die nur auf gesichert dokumentierten
Vorfällen beruhen, wobei bekannt ist, dass die tatsächlichen Opferzahlen weit
höher liegen, zum anderen stützen sie sich auf eine Bevölkerungszahl Libyens
von 6,2 Millionen Menschen. Allerdings war dies die Bevölkerungszahl von vor
dem Krieg 2011. Neben den geschätzten Kriegsopfern 2011 von 50.000 Menschen und
den vielen immer noch Gefangenen, ist mindestens ein Drittel der Einwohner aus
Libyen geflohen, die meisten davon nach Tunesien und Ägypten, aber auch in
andere arabische Länder und nach Europa, wo sie sich immer noch aufhalten. So
ist heute maximal von einer Einwohnerzahl von vielleicht vier Millionen
Menschen auszugehen.
Gerade in Tripolis haben sich die Kämpfe in den letzten Wochen
wieder verstärkt. Am 12.05.2017 meldete
LibyaHerald, dass aus verschiedenen
Bezirken der Hauptstadt Tripolis, unter anderem an der Zufahrtsstraße zum
Flughafen, Explosionen gemeldet werden[2].
Am 26.05.2017 schreibt LibyaHerald,
dass in Tripolis heftige Kämpfe stattfinden, im Süden der Stadt Artilleriefeuer
zu hören ist, Panzer aufgefahren sind, Wohnhäuser und Moscheen beschossen
werden. [3] Es kämpfen radikal-islamistische Milizen des
ehemaligen GNC (Khalifa Ghweil) gegen verschiedene andere Milizen, darunter
solche, die den Präsidialrat unterstützen. Das libysche Parlament hat einen
sofortigen Waffenstillstand und den Rückzug aller Milizen aus der Stadt
gefordert. Die Gesamtlage ist unübersichtlich.
Auch ein dem
Sicherheitsrat der UN gerade vorgestellter Libyen-Bericht befasst sich unter
anderen mit den Milizen, die immer noch Libyen beherrschen und destabilisieren.
Erwähnt werden Kämpfe zwischen mit Misrata-verbündeten und mit Tripolis–verbündeten
Milizen in der Hauptstadt Tripolis, der viele zivile Opfer fordern, der Kampf
um die Kontrolle über Institutionen, die Zusammenarbeit der Milizen mit
kriminellen Netzwerken, vor allem entlang der Küste zwischen Tripolis und der
tunesischen Grenze beim Menschen- und Treibstoffschmuggel, bei Kämpfen im Süden
und im Ölhalbmond.[4]
Und im einem Bericht
2017 von Human Right Watch wird
aufgezeigt, wie dutzende Milizen weiterhin Zivilisten missbrauchen und
entführen, foltern und töten. [5]
Wer sich über die
allgemeine Lage, wie sie sich für die Bewohner Tripolis darstellt, informieren
will, sei auf den Blog von Muaad
el-Sharif[6]
verwiesen, der anschaulich beschreibt, wie Milizen die Bewohner der Hauptstadt
Tripolis terrorisieren.
So gut wie alle
ausländischen Botschaften haben ihren Sitz aus Sicherheitsgründen nach Tunesien
oder Ägypten verlegt. Die "Einheitsregierung" sitzt aus
Sicherheitsgründen schwerbewacht auf einem Marinestützpunkt außerhalb von
Tripolis. Im Süden des Landes wird gekämpft und finden Bombardements statt, die
Versorgungslage in den Ortschaften dort ist katastrophal, in Bengasi im Osten
kommt es ständig zu Anschlägen durch Islamisten und viele Städte wie Bani Walid
oder Sirte sind ohne Grundversorgung und noch vom Krieg 2011 zerbombt. Fast
alle ausländischen Firmen haben ihr Personal aus Sicherheitsgründen abgezogen.
Insgesamt wird Libyen als "failed state" angesehen. Es gibt keinerlei
Sicherheitsstrukturen, vor allem im Westen des Landes, keine Polizei, bei der
Verbrechen angezeigt werden könnten, sondern nur Milizen und Warlords, die um
Macht und Einfluss kämpfen.
Die Sicherheitslage
in Tripolis dürfte beträchtlich schlechter sein als die in weiten Teilen
Syriens, beispielsweise in Damaskus. Alle aus Syrien kommenden Flüchtlinge
werden anerkannt. Es hat also mehr politische als sicherheitsrelevante Gründe,
in welche Länder Flüchtlinge wieder abgeschoben werden.
Angelika Gutsche
17.06.2017
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