Kein Friede bei globalen Konflikten möglich?
Libyen. Der britische Guardian versucht
darauf eine Antwort, die weite Teile der Realität großzügig ausblendet, wie das
Beispiel Libyen zeigt.
So unterstellt der Guardian in der Überschrift („War began: May 2014“), der Krieg in Libyen habe 2014 begonnen, als „unzählige politische Fraktionen, Stämme, Milizen und Dschihadisten“ aufeinander losgingen, was zu einem „offenen Bruch im Jahr 2014 zwischen der von der UNO unterstützten Regierung in Tripolis und abweichenden Parlamentariern“ führte, die sich „in Tobruk im Osten einrichteten“. Dieser Satz besteht aus einer Aneinanderreihung nicht richtiger Behauptungen. Denn der Krieg in Libyen begann nicht 2014, sondern 2011 mit der Nato-Bombardierung und der Unterstützung von al-Kaida-Kämpfern und anderen Dschihadisten als Proxy-Bodentruppen gegen die damalige libysche Regierung und ihre Streitkräfte, die in Libyen Fuß fassten, um Gaddafi zu stürzen sowie alle Sicherheits-, Verwaltungs- und politischen Strukturen Libyens zu zerstören.
Tatsächlich wurde die Situation 2014, insbesondere in Tripolis, dann noch einmal richtig schlimm. Es handelte sich aber nicht um „abweichende Parlamentarier“, die sich „im Osten einrichteten“, sondern das Parlament war 2014 neu gewählt worden und die demokratische Wahl hatte eine Marginalisierung der Moslembrüder zum Ergebnis, worauf diese nicht bereit waren, ihre Macht ab- und ihre Regierung aufzugeben. Die frisch gewählten Parlamentarier und Politiker wurden in Tripolis bedroht, schikaniert, entführt und mussten aus Tripolis in den Osten des Landes fliehen. Der militärische Arm der Moslembrüder bestand aus dem Zusammenschluss dschihadistischer Gruppen namens Libya Dawn. Es kam zum Bürgerkrieg, da Haftar mit dem von ihm aufgestellten Kampfgruppen der Operation Würde gegen den Libya Dawn vorzugehen versuchte. Allerdings musste sich auch Haftar mit seiner Truppe aus Tripolis in den Osten zurückziehen, wo er vom Parlament ermächtigt wurde, eine reguläre Armee aufzustellen, mit der er seither versucht, den Westen von Osten her aufzurollen, um dem gewählten Parlament wieder seinen Platz einzuräumen. Das Ziel sollte sein, inzwischen längst überfällige Neuwahlen durchzuführen.
Hätte es der Westen mit Demokratie jemals ernstgemeint, hätte 2014 die „von der UNO unterstützte Regierung“ die vom Parlament dazu berufene und heute in Tobruk sitzende Übergangsregierung sein müssen und nicht die Regierung der Moslembrüder in Tripolis. Sarradsch war damals gar nicht im Land, sondern wurde erst 2015 in einer Nacht und Nebel Aktion von der italienischen Marine nach Tripolis gebracht, wo er sich seitdem nur mit Unterstützung krimineller und korrupter Milizen an der Macht halten kann.
Der Guardian schreibt: „Ausländische Mächte, die an Libyens Öl und strategischer Ausrichtung interessiert sind, haben sich seither [2014] eingemischt.“ Und was war 2011? Haben sich 2011 die USA, Großbritannien, Frankreich nicht mit Unterstützung der Türkei und einiger arabischer Staaten in Libyen eingemischt? Haben sie nicht gegen Libyen einen Krieg geführt, indem sie ein Nato-Mandat, das explizit den Schutz der Zivilbevölkerung vorsah, zu einem Regime Change missbrauchten? Einer Zivilbevölkerung, die, wie man heute auch laut eines Berichts der britischen Parlaments weiß, niemals vom „Regime“ bedroht war, aber dank der Nato seit 2011 durch die Hölle geht.
Und der Satz „zur Bestürzung Italiens und der EU ist das Land zu einem mediterranen Ausgangspunkt für die Migration nach Norden geworden“, ist der reinste Hohn. Als hätte man nicht schon vorher gewusst, was für Folgen der Sturz der Dschamahirija-Regierung für die Migration haben würde. Hatte doch schon vor seiner Ermordung Gaddafi 2011 gewarnt, dass sich beim Zusammenbruch Libyens die Migranten auf den Weg über das Mittelmeer machen würden, da sie niemand mehr aufhielte.
Der Krieg in Libyen geht nicht zu Ende, weil dies der Westen beziehungsweise die EU nicht zulassen. Die Moslembrüder sollen diesen Krieg nicht verlieren, denn nur mit Hilfe dieser Kräfte können der Westen und die mit ihm verbündeten Staaten ihre Machtinteressen in Libyen durchsetzen und festschreiben. Es soll Libyen ein Frieden aufgezwungen werden, der den eigenen Interessen dient und die Souveränität des Landes aushebelt. An die Macht muss ein dem Westen willfähriger Präsident gelangen, der zum einen die lohnende Ausbeutung der Bodenschätze zu günstigsten Konditionen gewährleistet (Libyen war nach Russland wichtigster außereuropäischer Erdöllieferant für Europa), zum zweiten lukrative Wiederaufbauverträge vergibt, zum dritten die Migranten zurückhält und es zum vierten Russland und China erschwert, sich wirtschaftlich in afrikanischen Ländern zu engagieren.
Solange der Westen es nicht schafft, einen Präsidenten zu installieren, der all dies nach westlichen Wünschen bewerkstelligt, soll der Krieg nicht enden. Denn wenn der Westen und seine Verbündeten es auch nicht schaffen zu siegen, so haben sie zumindest die Mittel, den Konflikt nicht enden zu lassen, auch um den Preis, ihn immer weiter zu eskalieren. Dass dabei die libysche Bevölkerung keine Rolle spielt, dass keinerlei Rücksicht genommen wird auf das Leiden der Menschen im Land, dass ignoriert wird, dass Libyen eine Stammesgesellschaft ist, dass das Land inzwischen komplett heruntergewirtschaftet und zerstört ist, so what? Umso größer werden die Renditen sein, die beim Wiederaufbau erzielt werden können. Die westliche Wirtschaft hat lukrative Auslandsaufträge nach der sie gerade schwer treffenden Rezession in Nachcoronazeiten nötiger denn je.
Es scheint dem Westen, sprich in diesem Fall der EU (der die USA, clever wie sie sind, in Libyen ja den Vortritt lassen) nicht klar zu sein, dass ihm die Sache Libyen schon lange entglitten ist. Denn während die europäischen Regierungen in ihrer Eurozentriertheit die libysche Verfasstheit nie verstanden haben und sie auch jetzt nicht verstehen, wissen die Libyer genau, wie der Westen tickt und was sie von ihm zu erwarten haben. Nichts Gutes, wie es sich zuletzt darin zeigt, als das Nato-Mitglied und ehemalige Kolonialmacht Türkei das Land mit syrischen Söldner und Kampfdrohnen überzieht.
Der Guardian arbeitet sich immer noch an den Oberkommandierenden der LNA Haftar ab, dabei sind sowohl Haftar im Osten als Sarradsch im Westen tote politische Gäule, von denen man schon längst hätte absteigen sollen. Wie lautet doch gleich der buddhistische Ratschlag: Am besten, sich an das Ufer des Flusses setzen und warten bis die Leichen der Feinde vorbeitreiben.
https://www.theguardian.com/world/2020/may/31/wars-without-end-why-is-there-no-peaceful-solution-to-so-much-global-conflict
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