Kurznachrichten Libyen – 06.10.2020
Libyen. Zusammenstöße von Milizen in Tripolis / Viele Konferenzen – Umsetzung der Resultate fraglich / Forbes: Moslembrüder an Frieden nicht interessiert
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+ 02.10.: Bürgermeister von 19 libyschen Gemeinden rufen zu
Parlamentswahlen spätestens bis Februar 2021 auf. Die Wahlen sollen
auf der Grundlage der Verfassungserklärung des bisherigen Wahlgesetzes
stattfinden. Der Präsidialrat der ‚Einheitsregierung‘ wird aufgefordert, die
dafür notwendige Unterstützung zu leisten. Die UN-Sondermission für Libyen
solle die Wahlen überwachen und eine freie und faire Stimmabgabe gewährleisten.
Das neu gewählte Parlament soll maximal und ohne Option auf Verlängerung zwei
Jahre im Amt bleiben. Seine vorrangige Aufgabe sei die Einigung über die
künftige Verfassung des Landes. Es sollten keine Posten mehr nach Quoten oder
regionaler Zuweisung erteilt werden. Den politischen Gesprächen werde kein
Vertrauen mehr entgegengebracht, der politische Prozess habe sich von den
Vorstellungen und Wünschen des libyschen Volkes weit entfernt.
https://libyareview.com/6967/
+ 02.10.: Zusammenstöße zwischen Milizen der ‚Einheitsregierung‘ im
Südwesten von Tripolis: Bewohner ersuchen um Evakuierung aufgrund der
schweren Kämpfe zwischen dem Zinten-Bataillon von Emad Trabelsi und der Zawiya
Force. Bereits letzte Woche erschütterten Tripolis Kämpfe zwischen zwei
Milizen der ‚Einheitsregierung‘.
https://libyareview.com/6970/
+ 05.10.: Eine gewaltige Explosion in Tripolis erschütterte
das Hauptquartier der Fursan-Janzour-Miliz. Es scheint ein
Munitionslager explodiert zu sein, Rauschschwaden stiegen auf.
https://addresslibya.net/archives/59877
https://twitter.com/NadiaR_LY/status/1313042870333509632/photo/1
05.10.: Bewaffnete dringen in den Flughafen von Tripolis
ein und umstellen ihn.
https://libya.liveuamap.com/en/2020/5-october-libya--an-armed-group-enters-tripoli-airport-and
+ 02.10.: 2. Sirte-Konferenz. Die Vorbereitungen für die
zweiten Sirte-Konferenz, die am 10. Oktober stattfinden soll, sind laut dem
Außenminister der Übergangsregierung (Tobruk), Abdel-Hadi al-Hwaidsch in vollem
Gange. Al-Hwaidsch wies darauf hin, dass es sich um eine hochrangig besetzte,
nationale Konferenz handle, die innerhalb Libyens stattfinde. Es werde der
ernsthafte Versuch unternommen, einen Fahrplan zur Lösung der libyschen Krise
zu erstellen. Er sprach auch darüber, wie es um die Menschenrechte angesichts
von Konflikten und Krieg in Libyen bestellt ist.
https://libyareview.com/6947/
+ 03.10.: 2. Sirte-Konferenz: Al-Hwaidsch traf mit dem
Parlamentspräsidenten Agilah Saleh zusammen, um den Ablauf der zweiten Sirte
Konferenz festzulegen. Diese Konferenz soll historische Anknüpfungspunkte
schaffen, die zur Stärkung nationaler Prinzipien wie Einheit und Souveränität
des Landes beitragen sollen. Es wird eine unabhängige politische Lösung zur
Beendigung des Libyenkonflikts angestrebt. Zu Frieden, Auflösung der Milizen
und der Beendigung von Chaos und Terrorismus wird aufgerufen.
https://libyareview.com/7007/
+ 02.10.: Genf-Vorgespräche in Bouzinka: Im ägyptischen
Bouzinka begann die zweite Runde der Gespräche zwischen dem Hohen Staatsrat und
dem libyschen Parlament, die als Vorbereitung für den Genfer-Dialog unter UN-Schirmherrschaft
gelten. Es wird darüber diskutiert, welche Personen welche Positionen in der
dann fünften Übergangsphase seit 2011 einnehmen sollen. Es geht um die
Postenbesetzung bei Zentralbank, Generalstaatsanwaltschaft, Öl- und
Investitionsinstitutionen, Aufsichts- und Rechnungsführungsorgane sowie die
Kommission zur Bekämpfung der Korruption.
Kritisch zu den Genfer Gesprächen hat sich die Verfassungsrechtlerin Azza
Maghur geäußert.
https://libyareview.com/6989/
https://www.freitag.de/autoren/gela/der-genfer-un-plan-wird-konflikte-verschaerfen
Bereits der Vorsitzender des Hohen Rates Khaled al-Mishri hatte die
Bouznika-Gespräche als „unverbindlich und informell“ heruntergespielt; keine
Institution wäre bereit, ihren Sitz in Tripolis zu verlassen. Auch Agila Saleh
hatte sich kritisch gegenüber der Zuweisung von Posten an bestimmte Personen
geäußert. Dabei waren die Teilnehmer an den Gesprächen doch von Saleh und
Mishri handverlesen ausgesucht, was in den jeweiligen Institutionen wiederum zu
Ärger führte.
Grundsätzlich hat die libysche Bevölkerung jegliches Vertrauen in jeden
politischen Prozess verloren, egal, ob UN-gestützt oder nicht.
+ 06.10.: Bouzinka-Treffen: Der Oberste Justizrat
Libyens (SJC) gab seine Ablehnung der Ergebnisse der Bouznika Treffen
(Marokko) bekannt. Er bezeichnete sie als ausländische Einmischung und als
Verletzung der Souveränität und Unabhängigkeit der Justiz. Die Verteilung der
Posten nach einem geographischen Proporz entspreche nicht den Interessen der
Libyer. Die Zuständigkeiten müssten dem Volk gerecht werden und sähen keine
Unterscheidungen zwischen Ost, West und Süd vor.
Die Ernennung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs könne nur in Absprache
mit der Generalversammlung des Obersten Gerichts erfolgen, der
Generalstaatsanwalt könne nur nach Rücksprache mit dem Obersten Justizrat
ernannt werden. Nach Abschluss der Konsultationen mit dem Obersten Gerichtshof
und dem Obersten Justizrat besetze anschließend das gewählte Parlament diese
Ämter.
https://libyareview.com/7056/
Der Oberste Justizrat folgt damit auch der Argumentation der
Verfassungsanwältin Azza Maghur:
https://www.freitag.de/autoren/gela/der-genfer-un-plan-wird-konflikte-verschaerfen
+ 05.10.: Die Teilnehmer der Berliner Libyen-Konferenz vom
Januar diesen Jahres beraten erneut per Videokonferenz über das weitere
Vorgehen. Sprich – wie sich ihre 2011 gehegten Pläne für eine
Neokolonisierung Libyens doch noch durchsetzen lassen könnten. Dabei sind
USA, Russland, Türkei, Ägypten, Frankreich, Deutschland und weitererNationen
und internationale Organisationen. Die eigentlichen Konfliktparteien sind in
der nun tagenden Runde jedoch nicht vertreten. Sie lieber gleich gar nicht
einladen, als sie wieder vor der Türe warten lassen und ihnen dann die
Ergebnisse mitteilen- so wie bei den Berliner Libyen-Gesprächen im Januar.
https://www.zdf.de/nachrichten/heute-19-uhr/videos/beratungen-buergerkrieg-libyen-100.html
https://www.tagesschau.de/ausland/libyen-konferenz-123.html
Ein Versuch der EU und Deutschlands, doch noch einen Zipfelchen Einfluss zu
bekommen.
Nicht vergessen: Libyen wurde 2011 durch die Nato in einen failed state
gebombt und den verschiedenen ausländischen Interessen zum Fraß vorgeworfen.
+ 04.10.: EU-Sanktionen. Die EU hat den libyschen
Parlamentspräsidenten Agila Saleh und Nuri Abu Sahmain, den ehemaligen Chef des
Allgemeinen Nationalkongresses, von der Sanktionsliste gestrichen. Die beiden
Politiker unterlagen seit 2016 einem Reiseverbot und dem Einfrieren von
Vermögenswerten.
https://libyareview.com/7034/
+ 03.10.: Sanella (NOC) will Sanktionen gegen Kritiker. Der
Vorsitzende der National Oil Company (NOC), Mustafa Sanella, hat die
UN aufgerufen, 19 Personen, die er für die Ölblockade verantwortlich hält, auf
eine Sanktionsliste zu setzen. Dazu zählen Scheich as-Senussi al-Heliq az-Zawi,
der stellvertretende Vorsitzende des Obersten Rates der libyschen Scheichs und
Ältesten Belgasem Qreish, einer der Ältesten von Zintan und der Leiter der
Petroleum Facilities Guard (PFG), Naji al-Maghribi, der Sprecher der LNA
Generalmajor Ahmed Al-Mismari, die Blogger Issa Rashwan und Mahmoud Muhammad
al-Aram sowie der Radiomoderator Muhammad Amtalal sowie überraschenderweise
auch Major Masoud Dscheddi, Kommandeur der 116. Infanteriebrigade, der in Sebha
am 15. September die wichtigste Anti-IS-Operation durchführte. Außerdem auf der
Liste Scheich Muhammad Saad sch-Schatra aus Adschdabiya und Muhammed Khalifa
al-Megrahi aus Sebha.
Ein Rundumschlag nicht nur gegen alle kritischen und missliebigen Personen,
sondern auch gegen die Pressefreiheit. Sieht so ein Signal für Frieden und
Aussöhnung aus? Al-Aram, der immer wieder die Umweltverschmutzung durch die
Ölförderung anpangerte und sich an den jüngsten Protesten beteiligte, meldete
sich zu Wort: Er besitze in den USA weder Immobilien noch Millionen von Dollar,
er müsse sich also keine Sorgen machen.
https://libyareview.com/7005/
+ Öffnung der Ölanlagen: Laut Haftar bleibt das Abkommen zur Öffnung der Ölanlagen, das mit russischer Vermittlung in Sotschi beschlossen wurde, zunächst auf 30 Tage begrenzt, wobei die politischen Akteure bis zum 17. Oktober Zeit haben, es zu bestätigen und langfristige Mechanismen für die Einnahmenverteilung festzulegen. Das aus Ölvorkommen erzielte Einkommen wird bis zu einer endgültigen Einigung eingefroren.
+ 05.10.: Memoranda of Understanding bei UN
eingetragen. Das Außenministerium der ‚Einheitsregierung‘ gab bekannt,
dass die beiden libysch-türkischen Memoranda of Understanding (MOUs)
vom November 2019 offiziell in das Vertragsregister der Vereinten Nationen
aufgenommen wurden. Das eine Memorandum betraf die Seegrenzen zwischen beiden
Ländern, das andere die militärische Zusammenarbeit. Ersteres wurde durch das
Abkommen zwischen Ägypten und Griechenland über die gemeinsamen Seegrenzen
praktisch außer Kraft gesetzt, das zweite widerspricht den
UN-Sicherheitsratsbeschlüssen zum verhängten Waffenembargo. Das libysche
Parlament lehnte beide Abkommen ab.
Wie diese beiden Abkommen es wohl jetzt doch in das UN-Vertragsregister
geschafft haben? Der Eintrag soll allerdings nur ein formales Verfahren sein,
das weder Legitimität verleiht noch die Anerkennung durch die UNO impliziert.
http://en.alwasat.ly/news/libya/297332
+ 02.20.: Moslembruderschaft an Frieden in Libyen nicht
interessiert. In einem Artikel des Forbes Magazins, der sich
mit der Öffnung der libyschen Ölanlagen beschäftigt, heißt es, die
Moslembruderschaft habe kein Interesse an einem dauerhaften Frieden in Libyen.
„Der Erfolg des Abkommens könnte auch von der Rolle der Fraktion der
Moslembruderschaft innerhalb der ‚Einheitsregierung‘ abhängen. Der
Staatsratsvorsitzende und Khaled al-Mishri und der Innenminister der
‚Einheitsregierung‘ Fathi Bashagha sind hochrangige Politiker innerhalb des
‚Einheitsregierung‘, die enge Verbindungen zu der islamistischen
Extremistengruppe unterhalten und von der türkischen Regierung und Katar
unterstützt werden. Al-Mishri hat Friedensinitiativen des tunesischen
Präsidenten abgelehnt und wurde beschuldigt, auf der Gehaltsliste Katars zu
stehen. Bashagha wurde von as-Sarraj wegen des Vorwurfs zu enger Beziehungen
zur Türkei und des Machtmissbrauchs bei der Unterdrückung von Demonstrationen
in Tripolis suspendiert. Darüber hinaus hat die Muslimbruderschaft kein
Interesse an einem dauerhaften Frieden zwischen beiden Parteien und zieht es
stattdessen vor, die Gespräche zu untergraben und weiterhin zu taktieren, um
ihren Einfluss in Libyen auszubauen.
In der Hoffnung, bei den Neuverteilung von Verträgen ganz vorne dran zu sein,
versuchen viele geopolitische Akteure (darunter die Türkei, Katar, Italien,
Ägypten, Russland, Frankreich und die VAE), unterschiedliche libysche
Fraktionen bei diesen Verhandlungen zu stärken.“
Forbes beschuldigt auch die NOC und damit Mustafa Sanella, das laut Forbes
neben ‚Einheitsregierung‘ und LNA die drittstärkste Fraktion in Libyen
darstellt, nicht an der Wiedereröffnung der Ölanlagen interessiert zu sein, da
sie dadurch ihr Entscheidungsmonopol im Ölbereich gefährdet sieht. Deshalb
weigere sie sich, in bestimmten Ölanlagen den Ausnahmezustand aufzuheben unter
dem Vorwand, dort befänden sich bewaffnete Gruppen. Die NOC ist nach
Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats die einzige Stelle, die zum Export von Erdöl
berechtigt ist.
Bezüglich der Türkei schreibt Forbes: „Die Türkei, eine Bastion der
Muslimbruderschaft und zunehmend destabilisierende geopolitische Kraft in der
Region, hat sich dem Abkommen bisher nicht öffentlich widersetzt. Es könnte
sein, dass den Interessen Ankaras in Libyen - bei denen es um umstrittene
Seegrenzen und Tiefseebohrrechte im östlichen Mittelmeer geht - besser gedient
ist, wenn die ‚Einheitsregierung (die ihre Forderungen unterstützt) finanziell
gut ausgestattet ist. Doch wie ihre Positionierung in Libyen, Syrien, Katar und
jetzt Armenien zeigt, kann die Außenpolitik der Türkei als neoimperialistisch
oder neo-osmanisch bezeichnet werden. Noch nie zuvor war das Land diplomatisch
so isoliert. Viele sehen in der offensichtlichen Unterstützung der
extremistischen Muslimbruderschaft die treibende Kraft, warum sich die
arabischen Länder kollektiv diplomatisch Israel zuwenden. Die internationale
Gemeinschaft muss der Rolle der Türkei in Libyen Grenzen setzen, wenn
Stabilität und Versöhnung das letztendliche Ziel sein soll“.
https://www.forbes.com/sites/arielcohen/2020/10/02/libya-may-stage-a-strong-comeback-to-global-oil-markets/#2e5dc1f5362d
+ 03.10.: Der Finanzminister der ‚Einheitsregierung‘ Faraj Boumtari sagte,
der libysche Bankensektor sei vollständig gelähmt.
Dem Privatsektor würden keine Kredite mehr gewährt. Da ein Unterschied bis zum
vierzigfachen zwischen den Gehältern bestehe, müsse eine faire Gehaltsskala
eingeführt werden. Angestellte hätten seit Jahren keine Gehälter mehr erhalten,
vorgesehene Gelder für den Süden seien von der Libyschen Zentralbank nicht
ausbezahlt worden. Es sollen 30 (!) Studien in Auftrag gegeben werden, um dem
Privatsektor beim Start neuer Projekte zu helfen.
https://libyareview.com/6979/
Das bringt vor allen denen etwas, die die Studien durchführen.
+ 04.10.: Entführungen. Wiederum wurden ausländische
Arbeiter in Libyen entführt, um Lösegeld zu erpressen. Diesmal handelt es sich
um sieben Inder, die für eine indische Gesellschaft tätig waren.
Vor einer Woche war nach einer Entführung die Befreiung von ägyptischen
Arbeitern geglückt, die inzwischen nach Hause zurückkehren konnten.
https://libyareview.com/6992/
+ 06.10.: Die offizielle Arbeitslosenrate in Libyen beträgt derzeit etwa 14 Prozent.
06.10.2020
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