In Libyen eskaliert die Lage: Staatsstreich
Der Präsidialrat der libyschen ‚Einheitsregierung‘ hat am 9. Mai 2016 angekündigt,
eine ‚Präsidialgarde‘ aufstellen zu wollen. Dieser Plan, der zur offenen Konfrontation zwischen dem Präsidialrat
und der libyschen Nationalarmee (LNA) beziehungsweise der Tobruk-Regierung
führt, wurde heute bei einer 'Stabilisierungskonferenz für Libyen‘ in Wien
begrüßt.
Offensichtlich ist, dass die Strategie der
Moslembruderschaft darin besteht, mit Hilfe von der Türkei und Katar eine
Nationalgarde aufzustellen, die die legitime libysche Nationalarmee (LNA)
ersetzen soll.
Mit dieser Aufstellung einer ‚Präsidialgarde‘ soll die
Auflösung der LNA, die loyal hinter der Tobruk-Regierung (House of
Representatives HoR) steht, eingeleitet werden. Seit der Ankündigung, die Stadt
Sirte vom IS befreien zu wollen, eskaliert der Streit zwischen der
Tobruk-Regierung beziehungsweise der LNA und der ‚Einheitsregierung‘ immer
mehr.
Laut dem Präsidialrat soll diese Nationalgarde finanziell
und administrativ unabhängig sein und dem Oberkommandierenden der Armee
unterstehen. Zu ihren Aufgaben soll zählen, „das präsidiale Hauptquartier zu
schützen, die Mitglieder und Besucher des Präsidialrates zu bewachen, die Land-
und Seezugänge sowie Flughäfen zu sichern. Vorgesehen ist, dass diese neue
Präsidialgarde von einem Offizier nicht unter dem Rang eines Obersts befehligt
wird und aus ausgewählten Polizei- und Armeeangehörigen besteht.“
Diese Entscheidung zur Aufstellung einer Präsidialgarde ist
ein Bruch des Abkommens von Skhirat (Marokko), denn dieses hatte eine Auflösung
der Milizen und ihren Rückzug aus Tripolis vorgesehen. Stattdessen werden nun
die Interessen Katars und der Türkei durchgesetzt. Denn das Personal der neuen
Präsidialgarde wird sich aus den dschihadistischen Milizen von Tripolis
zusammensetzen, die nun die Grenzen, Marinestützpunkte und Flugplätze sichern
sollen. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich die libysche Nationalarmee LNA
ihre Entmachtung nicht gefallen lassen wird.
Erinnert sei noch einmal an das vom türkischen Geheimdienst
initiierte Treffen in Istanbul Ende März zwischen Martin Kobler und den
libyschen Milizenführern, zu denen auch Khaled Abdelhakim Belhadsch, der
ehemalige Anführer der LIFG (Libyan Islamic Fighting Group) gehörte. Bei diesem
Treffen soll bereits das Projekt ‚Nationalgarde‘ vorgestellt worden sein, das vorsah,
10.000 Angehörige islamistischer Milizen darin zu integrieren, um Tripolis und
seine Vororte zu sichern und somit Sarradsch und seiner ‚Einheitsregierung‘ die
Arbeit zu erleichtern.
Man muss sich das vorstellen: Damit werden die
islamistischen Milizen legitimiert und erhalten die Möglichkeit, weiterhin die
Macht über die Hauptstadt Tripolis – und somit auch über die Zentralbank und
das Ölministerium – auszuüben. Die offizielle libysche Nationalarmee, die ihre
Legitimation durch das Tobruk-Parlament bezieht, wäre damit praktisch entmachtet.
Die Tobruk-Regierung hat aber der ‚Einheitsregierung‘ noch immer nicht das
Vertrauen ausgesprochen, was unter diesen Umständen auch nicht verwunderlich
ist.
Gut dazu passt der bekanntgewordene Plan, den die
islamistischen Milizenführer ausgeheckt haben und der auf die Ermordung von
Offiziere der libyschen Nationalarmee in Tripolis abzielt.
Das Ganze scheint auf einen Staatsstreich hinauszulaufen,
der die Interessen von Katar und der Türkei in Libyen sichern soll, indem die
von ihnen unterstützten Milizen mit Hilfe des Präsidialrats die Kontrolle über
den libyschen Staatsrat übernehmen.[1]
Auch ein sogenannter Blog der 94, der sich aus ehemaligen
Mitgliedern des GNC zusammensetzt, die im Februar 2014 zurücktraten, und der von
Mahmoud Dschibril angeführt wird, kritisierte die Bildung einer Präsidialgarde
durch den Präsidentschaftsrat als illegale Aktion.
Die Tobruk-Regierung unterstützt Agila Saleh, den
Präsidenten des Tobruk-Parlaments, als den Oberkommandierenden der libyschen
Streitkräfte. Dschibril sagte in einem Interview mit Sputnik News über die ‚Einheitsregierung‘: „Diese Regierung wurde
mit Gewalt eingesetzt. Es handelt sich dabei um internationale Vereinbarungen,
aber um keine libyschen. Die Ergebnisse des bisherigen politischen Prozesses in
Libyen werden ignoriert, ebenso wie alle Ergebnisse von drei bisher
durchgeführten Wahlen, die immer zivile Politiker und nie Islamisten gewannen.“
Auch den selberernannten Staatsrat bezeichnete Dschibril als illegal.[2]
Und so zeigt sich immer mehr, dass die gewaltsame Einsetzung
einer sogenannten ‚Einheitsregierung‘ statt einer Deeskalation eine immer stärkere
Spaltung des Landes zur Folge hat und eine weitere Gewaltspirale in Gang gesetzt
wird.
Und es stellt sich die dringliche Frage, welche Rolle bei
diesem libyschen Trauerspiel Deutschland spielt. Was ist in diesem Zusammenhang
von Merkel und ihrer Nähe zum türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der die
Islamisten in Libyen bewaffnet und in jeder nur erdenklichen Hinsicht
unterstützt, zu halten? Und was vom deutschen Diplomaten Martin Kobler, den
Sonderbeauftragten der UN für Libyen, der mit den dschihadistischen Milizen von
Tripolis kungelt und sich mit deren Führern bei einem vom türkischen
Geheimdienst arrangierten Treffen abspricht? Und dessen von ihm mit Gewalt
installierte ‚Einheitsregierung‘ jetzt islamistischen Milizen einen offiziellen
Status verleiht? Erklärungen dringend erwünscht!
Angelika Gutsche, 16.05.2016
Nachtrag:
Heute fand in Wien
eine sogenannte ‚Stabilisierungskonferenz‘ für Libyen statt. Dabei ging es um
Wege, wie die ‚Einheitsregierung‘ gestützt werden kann.
Die Dschamhirija News Agency betrachtet die
angenommenen Vereinbarungen der Wiener Libyen-Konferenz als letzte Stufe des
Staatsstreichs gegen die gewählte libysche Regierung!
Um diesem Vorwurf nicht ausgesetzt zu sein, geben die westlichen Staaten das Statement aus, dass Libyen kein Staat mehr ist beziehungsweise noch nie einer war! So einfach geht das!
Um diesem Vorwurf nicht ausgesetzt zu sein, geben die westlichen Staaten das Statement aus, dass Libyen kein Staat mehr ist beziehungsweise noch nie einer war! So einfach geht das!
Die Jamahiriya news agency
veröffentlicht auf Ihrer Homepage die Hauptpunkte des Entwurfs der heutigen
Wiener-Libyen-Konferenz. [3]
Darin heißt es unter anderem:
-
Die Einheitsregierung ist die einzige legitime
Regierung in Libyen.
-
Dem Präsidialrat obliegt das Oberkommando der
bewaffneten Streitkräfte. Alle libyschen Streitkräfte müssen sich diesem
Oberkommando beugen.
-
Die anwesenden Staaten begrüßen die Einsetzung
einer Präsidialgarde, um Tripolis zu sichern und den Rahmen für Operationen
gegen den IS zu geben.
-
Die Aufhebung des Waffenembargos wird
unterstützt, soweit es der Präsidialgarde zum Kampf gegen den IS dient. Alle
weiteren Waffenlieferungen außerhalb der Einheitsregierungen werden
unterbunden.
-
Dem Sonderbevollmächtigen der Vereinten Nationen
für Libyen, Martin Kobler, wird uneingeschränkte Unterstützung zugesagt.
Anwesend waren Vertreter folgender Staaten und Institutionen:
Italien, USA, Algerien, Tschad, China, Ägypten, Frankreich, Deutschland, Jordanien,
Italien, Malta, Marokko, Niger, Katar, Russland, Saudi Arabien, Spanien, Sudan,
Tunesien, Türkei, Vereinigte Arabische Emirate, Großbritannien, Afrikanische
Union und Arabische Liga.
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