Montag, 9. Oktober 2017



Libyen und der Internationale Strafgerichtshof

Den Haag/Libyen. Das Nachrichtenmagazin Spiegel wirft dem ehemaligen Chefankläger des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag, Luis Moreno Ocampo, schwere Verfehlungen vor

Der Spiegel beruft sich in seinem Artikel auf interne Papiere des Internationalen Strafgerichtshofs (ICC), die auf der Enthüllungsplattform Mediapart veröffentlicht wurden. Unter dem Titel „Auf der falschen Seite“[1] beschreibt das Magazin, wie Ocampo, der einst Präsident von Transparency International für Lateinamerika und die Karibik war, zwecks Verschleierung seiner Einkommen und seines Vermögens Briefkastenfirmen in mehreren Steueroasen unterhielt.
Laut dem Spiegel rechtfertigte 2011 Ocampos einseitige Stellungnahme gegen Gaddafi „das Eingreifen des Westens in Libyen“. Ocampo hatte die Aufgabe, in Libyen wegen Kriegsverbrechen zu ermitteln. Er erließ drei Haftbefehle: gegen Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und dem Geheimdienstchef Abdullah Sanussi.[2]
Erst heute wird ihm zum Vorwurf gemacht, dass er nicht vor Ort ermittelte, um forensische und dokumentarische Beweise zu sammeln, sondern stattdessen parteiisch für den Westen Stellung bezog. Belegt ist ein Telefongespräch mit dem französischen Außenministerium, in dessen Verlauf er Informationen weitergab, die nur für den Gerichtshof bestimmt waren. Der Spiegel: „In der Depesche schrieben die Franzosen einen für Ocampo fatalen Satz: >Der Chefankläger versteht sich nicht als unabhängiger Staatsanwalt, sondern als ein juristisches Organ, das den Anweisungen des Sicherheitsrats Folge leistet.< […] Aus Ocampos Schriftverkehr geht hervor, dass er mit den Franzosen und Briten Absprachen traf und sich als Teil der Anti-Gaddafi-Koalition gerierte.“ Es dürften sich all jene bestätigt fühlen, die schon immer sagten, der ICC erhalte seine Anweisungen von den USA.
Der Spiegel zitiert den deutschen Völkerrechtler Hans-Peter Kaul, der seinen Richterposten in Den Haag 2012 aufgab, mit den Worten: „Er hat uns problematische Zeugen präsentiert, die nichts beitragen konnten, die nichts wussten. Auch war die juristische Argumentation oft dürftig.“ Der Spiegel zieht das Fazit, dass Ocampo mit seiner einseitigen Parteinahme im Libyenkrieg „den Gerichtshof mit seinem Aktivismus zum Spielball politischer Interessen gemacht“ hat.
Auch seine Verbindungen zu dem libyschen Geschäftsmann und Milliardär Hassan Tatanaki[3], der während der Gaddafi-Zeit zusammen mit Saif al-Islam ein Tourismusprojekt in Libyen plante und dem nach 2011 Verbindungen zu General Heftar nachgesagt werden, kritisiert der Spiegel. Tatanaki gründete eine Organisation namens Justice First, die gegen Terroristen in Libyen ermitteln und die Ergebnisse Gerichten und dem Strafgerichtshof zur Verfügung stellen sollte. Ocampo ließ sich seine diesbezügliche Beratertätigkeit hoch bezahlen. Tatanaki selbst sollte vor Strafverfolgung geschützt werden.[4]
Der Spiegel-Artikel kann als Vorlage für die Aufhebung des immer noch bestehenden Haftbefehls gegen Saif al-Islam Gaddafi gelesen werden. Damit würde es dem Gaddafi-Sohn noch leichter, wieder offiziell in der libyschen Politik mitzumischen und an eventuell im kommenden Jahr anstehenden Wahlen teilzunehmen. Es scheint auch dem Westen klar geworden zu sein, dass nur Saif al-Islam in der Lage sein wird, die Stämme Libyens zu einigen und das Land zu stabilisieren, was für Europa angesichts des Migrantenproblems und der Angst vor Dschihadisten von eminenter Wichtigkeit ist.
Erstaunlicher Weise übt der Spiegel keinerlei Kritik an Fatou Bensouda, der jetzigen Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs, der von libyscher Seite vorgeworfen wird, weder gegen die Kriegsverbrechen, die während des NATO-Kriegs 2011 begangen wurden, noch gegen die von Dschihadisten begangenen Gräueltaten zu ermitteln. Sie ergreift jetzt genauso einseitig Stellung wie vormals Ocampo. Nun geht es gegen die Libysche Nationalarmee von General Heftar. Gegen einen der Kommandeure hat sie einen umstrittenen Haftbefehl erlassen, während sie sämtliche radikalen Islamisten, seien sie von den Moslembrüdern, al-Kaida oder auch dem IS, die in Libyen ihr Unwesen treiben, unbehelligt lässt. Letzten Monat warfen Protestierende in Bengasi dem Strafgerichtshof vor, keine Menschenrechtsorganisation, sondern eine neokoloniale politische Organisation zu sein, die ausschließlich imperialistische Interessen vertritt. Der Strafgerichtshof unterstütze militante Islamisten, die für Morde und andere Verbrechen verantwortlich sind: „Wo war der ICC die letzten sechs Jahre, als Richter und andere Personen ermordet wurden oder der IS in Sirte Menschen köpfte?“[5] Bereits im Januar hatte Human Rights Watch den ICC kritisiert, er führe keine Untersuchungen in Libyen durch.
Wie es aussieht, befindet sich auch die neue Chefanklägerin Fatou Bensouda „Auf der falschen Seite“.

 A. Gutsche



[1] Der Spiegel 40/2017, „Auf der falschen Seite“, von Sven Becker, Marian Blasberg, Dietmar Pieper
[2] Muammar al-Gaddafi wurde ermordet; gegen Abdullah Sanussi wurde am 28. Juli 2015 in Tripolis die Todesstrafe verhängt, er wird in Tripolis gefangen gehalten, sein Gesundheitszustand ist bedenklich; gegen Saif al-Islam wurde 2015 in Tripolis in Abwesenheit ebenfalls die Todesstrafe verhängt, er befindet sich in Libyen auf freiem Fuß und bereitet sein politisches Comeback vor.
[3] Die Familie Tatanaki ist eine alte libysche Familie, die ursprünglich von Kreta kam und zum Islam konvertierte. Hassan Tatanaki scheint seine Millionen im Baugeschäft und mit anderen dunklen Geschäften gemacht zu haben. Ob zu Zeiten der Monarchie, während der Gaddafi-Zeit oder nun mit den neuen „Regierungen“, Tatanaki verkehrte und verkehrt stets in den höchsten Kreisen.
[4] Tatanakis Söhne sollen von Interpol gesucht werden, könnten aber dank des Einsatzes von Ocampo frei reisen.
[5] http://libyaagainstsuperpowermedia.org/2017/09/11/benghazi-protestors-condemn-icc-over-warfali/

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