Ist Großbritannien Teil der terroristischen Infrastruktur?
Libyen/Großbritannien. Zum
ersten Mal gab die britische Regierung zu, dass sie im Jahr 2011 wahrscheinlich
dschihadistische Milizen unterstützt hat. Diese hatten enge Verbindungen zu den
Attentätern, die im Mai 2017 den Bombenanschlag in Manchester ausgeführt haben,
bei dem 22 Menschen ums Leben kamen.
Auslöser für die jetzige Diskussion ist eine
parlamentarische Anfrage an den in London für den Nahen Osten zuständigen
Minister Alistair Burt, die dieser am 3. April wie folgt beantwortete: „Während
des Libyen-Konflikts des Jahres 2011 war die britische Regierung im Gespräch
mit verschiedensten Libyern, die in den Konflikt, der sich gegen die
Streitkräfte des Gaddafi-Regime richtete, involviert waren. Wahrscheinlich
waren darunter auch ehemalige Mitglieder der Libyan Islamic Fighting Group und der Märtyrer-Brigade des 17. Februars, die zu dieser Zeit Teil unseres
umfassenden Kampfes waren.“[1]
Mark Courtis schreibt im MiddleEasstEye[2],
das Eingeständnis der britischen Regierung, dass während des Krieges gegen
Libyen Kontakte zu Mitgliedern der LIFG
und der Märtyrer-Brigade des 17. Februars
bestanden, werfe „grundsätzliche Fragen über die Verbindungen von
Großbritannien zum Terrorismus auf“. Es könne die verheerende Schlussfolgerung
gezogen werden, dass das Vereinigte Königreich selbst Teil der terroristischen
Infrastruktur ist, die eine Bedrohung für die britische Öffentlichkeit
darstellt.
Die LIFG war 1995 in
Libyen von Afghanistan-Rückkehrern gegründet worden, deren Ziel der Sturz
Gaddafis war. Aus der Zeit des Kampfes gegen die Sowjetunion in Afghanistan bestanden
enge Verbindungen zu al-Kaida. David Shayler und Annie Machon beschreiben in
ihrem Buch „Spione, Lügen und Whistleblower“[3], wie
im Jahre 1996 über den Agenten des britischen Inlandgeheimdienstes David
Shayler für die Tötung Gaddafis 100.000 £ an LIFG bezahlt wurden, obwohl diese
mit Osama bin-Ladens al-Kaida in Verbindung stand. Dies konnte später durch
andere investigative Journalisten auch der BBC bestätigt werden. Allerdings
wurde bei dem Anschlag der falsche Wagen in die Luft gesprengt und es kamen sieben
libysche Zivilisten ums Leben.
Nach der verpatzten Aktion flüchteten viele LIFG-Mitglieder
ins Ausland, so auch der Vater des späteren Manchester-Attentäters, Ramadan
Abedi, ein wichtiges LIFG-Mitglied. Er bekam in Großbritannien politisches Asyl
und nahm seinen Wohnsitz in Manchester.
Insgesamt soll die LIFG in den 1990er Jahren dreimal versucht
haben, Gaddafi zu ermorden, bevor die Gruppe 1998 von den Sicherheitskräften
des Landes zerschlagen werden konnte. Doch die LIFG löste sich nicht vollständig
auf, sondern führte weiterhin Operationen durch, unterhielt ein Büro in London
und gab einen Anti-Gaddafi-Newsletter heraus.
Eines ihrer Mitglieder war Anas al-Liby[4],
vermutlich Drahtzieher bei den Bombenanschlägen auf die US-Botschaften 1998 in
Daressalam und Nairobi. Anfang der neunziger Jahre war al-Liby in den Sudan
gezogen und hatte sich Osama bin-Laden angeschlossen. Er bekam 1995 in Großbritannien
politisches Asyl und lebte bis zu seiner Flucht im Jahr 2000 ebenfalls in
Manchester. Damals kam es zu einer Hausdurchsuchung, bei der umfangreiches
al-Kaida-Ausbildungsmaterial sichergestellt wurde. 2001 wurde er vom FBI auf
die Liste der meistgesuchten Terroristen gesetzt.
In Manchester lebten dutzende von LIFG-Mitgliedern, darunter
auch der Bombenbauspezialist Abd al-Baset Assous, der in Ostlibyen ein Netzwerk
aufbaute, das ebenfalls enge Beziehungen mit al-Kaida pflegte. SputnikNews[5]
stellt die Frage, ob der Bombenbauer Assous auch die Bomben für den Manchester-Anschlag
gebaut haben könnte.
Ab 2001 kam es nicht nur zu einer Annäherung zwischen dem
Westen und Libyen, sondern auch zu einer engen Zusammenarbeit insbesondere mit den
USA und Großbritannien bei der Bekämpfung des Dschihadismus‘. 2004 wurde
zwischen Tony Blair und Gaddafi der sogenannte „Wüstendeal“ (deal in the desert) geschlossen, womit
Gaddafi wieder in den Kreis der „Guten“ aufgenommen war. Im selben Jahr lieferten
die USA und Großbritannien zwei führende LIFG-Mitglieder, Abdelhakim Belhadsch
und Sami al-Saadi, nach Libyen aus. LIFG-Mitglieder in Großbritannien wurden
unter Beobachtung gestellt und 2005 die LIFG offiziell in Großbritannien als
terroristische Vereinigung gelistet. Sie galt als eine Vereinigung, die einen
„unnachgiebigen islamistischen Staat“ (hardline
Islamic state) in der Art aufbauen wolle, wie er auch al-Kaida vorschwebt. Auch
das US-Außenministerium war der Meinung, dass Teile der LIFG Osama bin-Laden
und al-Kaida loyal gegenüberstehen und hatte die LIFG bereits 2004 als
terroristische Vereinigung eingestuft.
Doch laut dem damaligen britischen Premierminister David
Cameron hatte sich 2011 dies alles geändert: „Die LIFG war ein Verbündeter von
al-Kaida. Sie ist es nicht mehr und hat sich von der Vereinigung losgesagt.“
Was die Gründe für diesen plötzlichen Gesinnungswandel gewesen sein sollen,
sagte Cameron allerdings nicht.
2011 war das Jahr des großen Verrats. Im Nachhinein wird
klar, dass die USA und Großbritannien immer nur auf eine günstige Gelegenheit
gewartet hatten, Gaddafi zu stürzen.
Im folgenden Nato-Krieg gegen Libyen hatte Großbritannien
zusammen mit Frankreich und den USA die Führungsrolle inne. Dabei sollten
Dschihadisten die Bodentruppen stellen. So wie in Afghanistan al-Kaida von den
USA und deren Verbündeten ausgerüstet und finanziert worden war, sollte es
jetzt die LIFG sein, die in Libyen die Drecksarbeit übernahm und gegen Gaddafi
in den Dschihad zog.
Laut MiddleEastEye
verfolgte die britische Regierung eine „Open-Door“-Politik, die es libyschen
Exilanten und Libyern mit britischem Pass auch dann erlaubte, zur Teilnahme am
Krieg gegen Gaddafi nach Libyen auszureisen, wenn sie in Großbritannien wegen
Terrorismusverdachts überwacht wurden. Darunter waren vor allem
LIFG-Mitglieder, die meisten von ihnen aus Manchester. Es hieß, der Einsatz und
die Unterstützung ehemaliger LIFG-Mitglieder 2011 in Libyen durch die britische
Regierung sei ein "recht offenes Geheimnis"[6]
gewesen. „Zweifellos durften die gleichen Personen, die in Großbritannien
aufgrund von Beweisen, die Gaddafi zur Verfügung gestellt hatte, eingesperrt
und überwacht wurden, später Großbritannien verlassen, um den Kampf gegen ihn
anzuführen.“ So Moazzam Begg, ehemaliger Guantanamo-Häftling und für die
Menschenrechtsgruppe CAGE 2011 in Libyen unterwegs.
Viele LIFG-Kämpfer nahmen 2011 Führungspositionen beim
Nationalen Übergangsrat (National
Transitional Council / NTC) ein, der bereits Ende Februar 2011 gegründet worden
war und im September 2011 von vielen Staaten als einzige offizielle Vertretung
Libyens anerkannt wurde. Die an den Kämpfen in Libyen beteiligten
Nato-Mitglieder kooperierten eng mit ihm.
Ein LIFG-Kämpfer, der zu seiner Zeit in Birmingham strengen
Überwachungsmaßnahmen ausgesetzt war, wurde später in Libyen zum
Sicherheitschef der Übergangsregierung ernannt, der für die
Sicherheitsvorkehrungen bei Besuchen ausländischer Staatsgäste verantwortlich
war. Ganz zu schweigen vom al-Kaida-Mann Abdelhakim Belhadsch, auch Emir der
LIFG genannt, der ab März 2011 dem Nationalen Sicherheitsrat angehörte. Er
wurde Kommandant der Militärregierung in Tripolis und Vorsitzender der
Watan-Partei. Nach dem Sturz Gaddafi wurde er in Libyen schnell zum Millionär, dem
inzwischen eine ganze Flugzeugflotte (Wings
Aviation Company) gehört.
Die meisten jungen Kämpfer, die aus Großbritannien nach
Libyen kamen, hatten ihren Wohnsitz in Manchester, wie die Familie Abedi. Der
Vater Ramadan Abedi, schon in den 1990er Jahren LIFG-Aktivist, reiste 2011 nach
Libyen, um gegen Gaddafi in den Dschihad zu ziehen. Sein Sohn, Salman Abedi, der
spätere Manchester-Attentäter, pendelte zwischen Manchester und Tripolis und
kämpfte während der Ferien an der Seite seines Vaters.
Ramadan Abadi hatte sich der dschihadistischen Märtyrer-Brigaden des 17. Februar angeschlossen, ein Ableger der LIFG, in deren Reihen
sich viele Gegner Gaddafis, die aus Großbritannien kamen, fanden und die
maßgeblich für den Sturz der libyschen Regierung verantwortlich war.
Die Märtyrer-Brigaden
des 17. Februar wurden von Katar finanziert, das 400 Mio. US-$ für die
libyschen Milizen bereitstellte und deren Hauptwaffenlieferant war. Dies wurde
von Großbritannien, das eng mit Katar zusammenarbeitete, gutgeheißen. „Die Times berichtete im Juni 2011, dass
Großbritannien und Frankreich Katar als Finanzier der libyschen Rebellen
benutzen.“[7]
Als am 22. Mai 2017 der Libyer Salman Abedi sein
Selbstmordattentat in Manchester verübt hatte, bekannte sich kurze Zeit später
der Islamische Staat zu der Tat. Der IS hatte zu dieser Zeit noch die Kontrolle
über die libysche Stadt Sirte. Salman Abedi soll auch Kontakte zu dem
inhaftierten Abdelraouf Abdallah gehabt haben, ein weiteres britisch-libysches
Mitglied der Brigade des 17. Februar
mit Wohnsitz in Manchester, der Kämpfer für den IS anwarb und bei deren Ausreise
aus Großbritannien half. Der jüngere Bruder von Salman Abedi, Haschem Abedi,
soll seinem Bruder beim Bombenbau geholfen haben. Er gab an, dass er und sein
Bruder in Großbritannien und nicht in Libyen radikalisiert worden seien.[8]
Ein anderer Ableger von LIFG war die Liwa-al-Umma-Einheit. In ihr kämpfte 2011 Rachid Redouane, der mit
zwei weiteren Terroristen am 3. Juni 2017 in London acht Menschen tötete und 48
verletzte. Liwa-al-Umma-Mitglieder
wurden von katarischen Spezialeinsatzkräften unter Einbeziehung von britischen
und US-amerikanischen Verbindungsoffizieren in Libyen trainiert.
Hat Großbritannien seine terroristischen Attentäter wie
Redouane und Abedi selbst finanziert, ausgebildet und bewaffnet? Theresa May
war 2011 Innenministerin. So stellen sich heute in Großbritannien viele die
Frage, was May über die Ausreisen libyscher Exilanten nach Libyen wusste.
Und wieso nach Beendigung der Kämpfe in Libyen LIFG-Mitglieder
wie die Abedis unbehelligt wieder in Großbritannien einreisen konnten.
A. Gutsche
[1] http://www.middleeasteye.net/news/revealed-uk-government-communications-groups-linked-manchester-bomber-53000913
[2] http://www.middleeasteye.net/columns/what-will-be-blowback-uk-government-after-libya-revelations-1624802462
[3]
Annie Machon: Spies, Lies and Whistleblowers: MI5, MI6 and the Shayler Affair,
Book Guild 2005, Nach: Daniele Ganser „Illegale Kriege“, orell füssli 2016
[4] 2013
wurde al-Liby in Tripolis von einer US-amerikanischen Spezialeinheit
festgenommen und in den USA wegen Terrorismus angeklagt. Kurz vor Prozessbeginn
starb al-Liby im Alter von 50 Jahren am 2. Januar 2015, angeblich an
Leberkrebs.
[5] https://sputniknews.com/europe/201804051063240375-uk-bombing-gang-gaddafi/
[6] http://www.middleeasteye.net/news/revealed-uk-government-communications-groups-linked-manchester-bomber-53000913
[7] http://www.middleeasteye.net/columns/what-will-be-blowback-uk-government-after-libya-revelations-1624802462
[8] http://www.middleeasteye.net/news/manchester-bombers-brother-will-stand-trial-connection-attack-1942620438
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen