Warum Saudi Arabien und Katar einen Konkurrenten beseitigten
Libyen/S.Arabien/Katar: Die arabische Welt verstehen – der
Krieg in Libyen und die Vorherrschaft im Nahen Osten
SAUDI ARABIEN – dank
Petro-Dollar engster Verbündeter der USA
Saudi Arabien mit seinen rund 31 Millionen Einwohnern und
die Familie Saud sind eine Einheit. Es ist das einzige Land der Erde, das
genauso heißt wie seine Herrscherfamilie. Und in keinem anderen Land der Erde
haben religiöse Führer eine solche Macht und einen solchen Einfluss auf die
Regierung.
Die mittelalterlichen Vorstellungen der heutigen Religionsgelehrten
gehen auf Muhammed ibn Abd al-Wahhab (1702 – 1792) zurück, von dessen Namen
sich der Begriff Wahhabismus ableitet. Al-Wahhab forderte einen Glauben, der
allen Freuden des Lebens entsagte. Im Jahr 1744 fanden sich der religiöse
Eiferer al-Wahhab und die Dynastie der Sauds in einer Allianz zusammen, um
islamische Stämme auf der arabischen Halbinsel zu unterwerfen und die
Haschemiten aus Mekka und Medina zu vertreiben. Seit dieser Zeit besteht ein
enges Bündnis zwischen dem Hause Saud und dem jeweiligen Großmufti, dem eine
eigene Religionspolizei untersteht, die gegen „Laster“ aller Art vorgeht.
Genauso so, wie es auch der Islamische Staat IS praktiziert.
Der erste Herrscher von Saudi-Arabien hieß Abdel Aziz ibn
Saud, der sich siebzehn Frauen erfreute, mit denen er 36 Söhne zeugte. Der
fortpflanzungsfreudige Herrscher legte den Grundstein für die 8.000 Prinzen,
die heute in Saudi Arabien alimentiert werden wollen.
Seit Jahrzehnten finanziert Saudi Arabien mit seinen hohen
Öleinnahmen die Verbreitung eines ultraorthodoxen, extrem intoleranten und
sinnesfeindlichen Wahhabismus in alle Welt. Den Anfang nahm dies durch König
Feisal (Reg.zeit 1964 bis 1975), der eine Islamische
Weltliga gründete. Ab Ende der 70er Jahre war Saudi Arabien unter König
Chalid (Reg.zeit 1975 bis 1982) daran beteiligt, in Afghanistan zusammen mit
den USA al-Kaida mit Geld und Waffen bei deren Kampf gegen die Sowjets zu
unterstützen.
Unter König Fahd (Reg.zeit 1982 bis 2005) wurden mit
saudischem Geld weltweit 1.500 Moscheen ebenso wie islamische Universitäten und
Kulturzentren errichtet.[1] Missionare
werden noch heute in Form von Predigern entsandt, deren Netzwerk sich
inzwischen über den ganzen Erdball erstreckt. Der Wahhabismus bekämpft nicht
nur jede andere Religion, sondern auch gemäßigte Formen des Sunnismus wie den
mystischen Sufismus oder auch den moslemischen Glauben der Schiiten. Erlaubt
ist nur die reine Lehre. Dabei sind selbst fünfzehn Prozent der saudischen
Bevölkerung schiitischen Glaubens. Sie leben in der ölreichen Ostprovinz als
Bürger zweiter Klasse.
Wahhabismus ist die Glaubensrichtung, die sich
dschihadistische Kämpfer von al-Kaida bis zum Islamischen Staat auf die Fahnen
geschrieben haben.
Saudi Arabien ist eine Gerontokratie. Alle bisherigen
Herrscher Saudi Arabiens sind Söhne des Staatsgründers Abdel Aziz ibn-Saud. Der
Vorgänger des heutigen Königs Abdullah ibn Abd al-Aziz (Reg.zeit 2005 bis 2015)
kam erst mit 80 Jahren auf den Thron. Und der jetzige König Salman bin
Abdulaziz al-Saud wurde 1935 geboren und zählt somit 83 Jahre. Im Jahr 2015
ernannte König Salman seinen Neffen, den 1985 geborenen Mohammed bin-Salman,
zum Kronprinzen, der seither faktisch die Regierungsgeschäfte führt.
Mittelalter und Moderne sind in Saudi Arabien untrennbar
miteinander verwoben. Recht gesprochen wird nach der Scharia, d.h. Dieben wird
die Hand abgehackt, Ehebrecherinnen werden gesteinigt und Verbrecher
gekreuzigt. Das kann man als Video gucken oder die Hinrichtungsstätten mit der
modernen U-Bahn erreichen und die Bestrafungen live verfolgen. Dafür sind Kino
und Theater verboten, ebenso wie der Besitz einer Bibel. Nein, nicht mehr ganz,
denn der Kronprinz gibt sich als Reformer: In Saudi Arabien konnte dieser Tage
zum ersten Mal ein Film öffentlich gezeigt werden.
Mohammed bin-Salman plant nun, Anteile der staatlichen
Ölgesellschaft Aramco zu verkaufen
und mit dem Geld den größten Investmentfond der Welt aufzulegen. Saudi Arabien
will um jeden Preis die Führungsmacht der arabischen Welt sein. Er führt einen
erbarmungslosen Krieg gegen den armen Jemen, dem er unterstellt, mit dem Iran
im Bunde zu sein. Bei seinem Streben um die Vormachtstellung, unterstützt von
den USA und deren Abhängigkeit vom Petro-Dollar, war Libyen als Konkurrent im
Weg.
Mit Fug und Recht kann behauptet werden, dass es der
Wahhabismus Saudi Arabiens ist, der Krieg und Terror in die Welt trägt.
KATAR – Gefährder der
Vormachtstellung Saudi Arabiens
Das winzige Katar mit seinen 300.000 Einwohnern ist dank
seiner Erdöl- und vor allem Gasvorkommen das Land mit dem weltweit höchsten
Pro-Kopf-Einkommen. Daneben leben in dem Emirat 1,7 Millionen Ausländer, die
meist unter ausbeuterischen Bedingungen alle Arbeiten verrichten und von
Amnesty International als moderne Sklaven bezeichnet werden.
Auch in diesem Wüstenstaat verschränken sich Reichtum,
Mittelalter und Moderne.
Vater des heutigen Emirs von Katar war Scheich Hamad bin
Khalifa al Thani. Er kaufte sich Anteile u.a. an Siemens und VW, Louis Vuitton
und Barclays.
Tamim bin Hamad al-Thani wurde bereits 2002 Chef des
Internationalen Olympischen Komitees, seit 2013 ist er auch der Herrscher
Katars. Der sportbegeisterte Emir wird 2022 die Fußballweltmeisterschaft in
seiner Hauptstadt Doha ausrichten. Mit München pflegt Katar besondere Kontakte:
Der Edelfußballclub Bayern München schlägt hier dank der luxuriösen
Sportanlagen im Winter sein Trainingsquartier auf.
Katar zeigt sich nicht nur als Sportnation, sondern auch als
Kulturnation. Es gibt ein von einem französischen Stararchitekten erbautes
Museum für die weltweit größte Sammlung islamischer Kunst. Das ist für ein
Land, in dem der Wahhabismus Staatsreligion ist, beachtlich.
In Katar betreiben die USA ihren größten
Luftwaffenstützpunkt und haben die US-Streitkräfte im Nahen Osten ihren
Hauptsitz. Während Katar die Dschihadisten in Libyen und Syrien unterstützt,
fliegen von hier aus US-amerikanische Kampfjets ihre Einsätze gegen den IS in
Syrien. Mehr Schizophrenie ist kaum möglich.
Neben Saudi Arabien und den VAE hatte sich von den
arabischen Ländern vor allem Katar im sogenannten „arabischen Frühling“
engagiert, um Moslembrüder an die Macht zu bringen. Waffen wurden geliefert,
Kämpfer finanziert und ausgebildet. Und nicht erst seit dem Untergang der
Moslembrüder in Ägypten ist Katar ein sicherer Zufluchtsort für Dschihadisten
aller Couleur.
Im Widerspruch dazu stehen die guten Kontakte, die al-Thani
mit dem Iran pflegt, der z.B. im syrischen Bürgerkrieg ein Verbündeter von
Syriens Präsidenten Assad ist, den wiederum die von Katar gesponserten
Dschihadisten der al-Nusra-Front, einem Ableger von al-Kaida, stürzen wollten.
Eine wichtige politische Rolle beim sogenannten „arabischen
Frühling“ spielte der katarische Fernsehsender al-Dschasira mit seinen geschätzt
hundert Millionen Zuschauern. Zunächst für seine unzensierte und offene
Berichterstattung bekannt, wandelte sich dessen Rolle bei Beginn des
„arabischen Frühlings“. Es wurde dort gegen die Regierungen der betroffenen
Länder wie Tunesien, Ägypten und Libyen gehetzt und die Moslembrüder
unterstützt. Al-Dschasira war an der vordersten Medienfront bei der Verbreitung
von Falschnachrichten z.B. über die Vorgänge in Libyen. Einen regelmäßigen
Auftritt im Sender hat der radikale Moslembruder al-Karadauwi.
Die brutalen Kriegsspiele in Nordafrika gingen für Katar
nicht auf. In Ägypten hatte der Moslembruder Mursi nur eine kurze
Halbwertszeit. Er wurde mit Hilfe von Saudi Arabien, die in den Moslembrüdern
eine Terrororganisation sehen, gestürzt.
Nach der Machtübernahme von Donald Trump in den USA, der
sich wieder der Wichtigkeit Saudi Arabiens besann, kam es zum Bruch zwischen
Saudi Arabien und Katar. Ausgerechnet Saudi Arabien warf Katar die
Unterstützung von Terrorismus vor. 2017 beendeten Saudi Arabien, Ägypten,
Bahrain und die VAE die diplomatischen Beziehungen zu Katar und unterwarfen das
Land einem Handelsboykott. Ultimativ wurde gefordert, die Unterstützung von
Dschihadisten zu unterlassen. Gewünscht wurde auch, Katar möge seine guten
Kontakte zum Iran beenden. Die Kritik Saudi Arabiens und anderer arabischer
Länder wie Ägypten richtete sich auch gegen al-Dschasira, dessen Schließung
ebenfalls gefordert wurde. Saudi Arabien hatte in Konkurrenz zu dem katarischen
Sender bereits 2003 einen eigenen Satellitensender gegründet: al-Arabiya.
Als Freunde Katars verblieben nicht nur der Iran, sondern
auch die Türkei, die auf die wirtschaftliche Hilfe Katars angewiesen ist und
deren Parlament im Juni 2017 sogar ein Verteidigungsabkommen mit Katar
gebilligt hat und mehrere tausend Soldaten im Land stationierte.
Katar, das Moslembrüder und al-Kaida unterstützte, ebenso
wie dies Saudi Arabien bis zur Wahl Trumps getan hatte, war Saudi Arabien, das
seine Vormachtstellung behaupten wollte, eindeutig zu stark geworden.
LIBYEN – dritter
Player im Spiel um die arabische Vormachtstellung
Der gnadenlose Machtkampf um die Vorherrschaft der im Ölgeld
schwimmenden reichen arabischen Staaten bezog auch Libyen mit ein.
Muammar al-Gaddafi war im Begriff, die Vormachtstellung von
Saudi Arabien zu untergraben. Auch das kleine Katar, das sich gerade bemühte,
Saudi Arabien auszustechen, hätte gegen das am Mittelmeer gelegene Libyen
wenige Chancen gehabt.
Als ab 1997 das Handelsembargo gegen Libyen langsam beendet
wurde, nahm das Land einen großen Aufschwung. Nach dem kompletten Fall des
Embargos schöpfte Libyen alle Möglichkeiten aus und das Land erlebte einen
Wirtschaftsboom. Riesige Bauprojekte wurden durchgeführt oder waren in Planung,
unter anderem ein neuer internationaler Flughafen von Tripolis. Er sollte der
der größte Flughafen Afrikas werden. Riesige Summen wurden in die Infrastruktur
investiert, auch der Tourismus sollte angekurbelt werden. Ein zweites Abu
Dhabi, diesmal nicht im Wüstensand, sondern an der Mittelmeerküste und in nächster
Nähe zu Europa war im Entstehen.
Gegenüber Saudi Arabien und Katar hat Libyen viele Vorteile,
auch aufgrund seiner geografischen Lage. Libyen ist nicht nur reich an
hochwertigem Öl, es besitzt auch riesige Süßwasserreserven. Es hatte bis zum
Krieg 2011 einen immensen Staatschatz angesammelt und es hatte einen ganzen
afrikanischen Kontinent, reich an Rohstoffen, vor allem auch reich an Gold,
hinter sich. Libyen war dabei, die Verbindung nach Schwarzafrika
verkehrstechnisch zu erschließen.
Unter Gaddafi hatte sich Libyen bis zum Jahr 2011 zu einem
für arabische Verhältnisse modernen Sozialstaat gemausert, der im Vergleich zu
anderen arabischen Staaten die Menschen- und Frauenrechte hochhielt. Im Januar
2011 planten die Vereinten Nationen noch, der libyschen Dschamahirija den
Menschenrechtspreis zu verleihen.[2]
Anders als Saudi Arabien und Katar war Libyen, obwohl eine Stammesgesellschaft,
nicht im Mittelalter verhaftet, sondern vorwärtsgewandt. Es gab eine moderne
Rechtsprechung und der Wahhabismus wie der gesamte politische Islam wurde
bekämpft.
Italien ist von Tripolis aus in nur wenigen Stunden per
Schiff zu erreichen. Alte Verbindungen hatten sich zum Teil noch aus der
Kolonialzeit erhalten. Auch mit dem neutralen Österreich bestanden seit den
70-er Jahren beste wirtschaftliche Verbindungen. Als Gaddafi jedoch glaubte,
sich die Loyalität Sarkozys und damit Frankreichs erkaufen zu können, war er
einem Irrtum unterlegen, der ihm das Leben kostete.
Vielleicht kann man noch verstehen, dass Saudi Arabien und
Katar Gaddafi stürzen wollten, damit ihnen Libyen nicht ihren Führungsanspruch
streitig machte. Erklärlich, dass die USA und deren engster europäischer
Verbündeter Großbritannien mit von der Partie waren; jede sozialistische und
unabhängige Regierung sollte vom Erdkreis getilgt werden. Und der geplante
goldgedeckte Dinar, eine echte Konkurrenz zum US-saudischen Petrodollar, sollte
weg. Wie nun hinlänglich bekannt, hatte auch Sarkozy Interesse am Untergang
Gaddafis. Unverständlich bleibt jedoch, warum das restliche Europa und damit
viele Nato-Mitgliedstaaten bei der Zerstörung Libyens mitmachten.
Die Kriegsallianz hat ihr Ziel erreicht: Das zerstörte
Libyen stellt auf absehbare Zeit keine Konkurrenz mehr für die Golfmonarchien
Saudi Arabien und Katar dar, die inzwischen selbst erbitterte Feinde sind. Es
wird so schnell auch keine Konkurrenz für den Petro-Dollar durch einen
afrikanischen Gold-Dinar geben. Libyens Vermögen und der Goldschatz sind weg
und der Wiederaufbau des Landes wird Unsummen verschlingen. Doch der Preis, den
die Nato-Kriegsallianz dafür zu zahlen hat, ist hoch.
Der Sturz Gaddafis hat Hillary Clinton die Präsidentschaft
gekostet und wird Sarkozy vor Gericht bringen. Italien hat es für seine
Beteiligung wohl am schlimmsten getroffen in Form des Flüchtlingsstroms aus
Schwarzafrika. Es hat den etablierten Parteien den Wahlsieg gekostet und das Movimento Cinque Stelle M5S an die Macht
gespült hat. Mittlerweile steht die gesamte EU vor einer Zerreißprobe, Angela
Merkel kann ihren Führungsanspruch kaum mehr durchsetzen.
Wie drückte es die Libyerin Fauzia Tushani aus, eine nach
dem Sturz Gaddafis nach Deutschland geflohene Libyerin, die Gaddafi sehr
kritisch gegenüberstand: „Wenn Sie sich die Entwicklung im Irak und in anderen
Ländern anschauen: Überall wurden laizistische Systeme vom Westen abgeschafft,
stattdessen kamen religiöse Fundamentalisten an die Macht. Das kann doch kein
Zufall sein. Die besten Freunde des Westens sind die Religiösen: Saudi-Arabien
und Katar. Viele Menschen bei uns glauben, dass der Westen mit den Religiösen
unter einer Decke steckt. [...] In Städten wie Tripolis gab es durch die
Kolonialisierung westlich geprägtes Bürgertum. Es gab Universitäten, Frauen wie
ich konnten studieren. Unsere Gesellschaft war erheblich näher an Europa dran
als die Länder am Golf – und trotzdem kooperiert der Westen mit Saudi-Arabien
und den anderen Golfstaaten.“[3]
Fauzia Tushani zeigt sich übrigens überzeugt, dass bei
Wahlen Seif al-Islam Gaddafi die Macht in Libyen erringen werde.
Für Europa kann es tatsächlich eine Chance sein, wenn Seif
al-Islam Gaddafi libyscher Präsident wird. Er könnte das libysche Chaos wieder
in den Griff bekommen und damit vielleicht auch ein Stück weit die EU retten.
A. Gutsche
[1]
Ulrich Kienzle „Tödlicher Naher Osten“, Stuttgart 2017
[2] Das
23-Seiten Dokument: UNO-Dokument
bezüglich Gaddafi
[3]
in: Ulrich Kienzle „Tödlicher Naher Osten“, Stuttgart 2017
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