Donnerstag, 19. April 2018



Tausende Libyer auf Dauer gesetzeswidrig in Gefangenschaft gehalten


Libyen. Wie ein neuer UN-Bericht aufzeigt, gehen unzählige Menschenrechtsverletzungen auch auf das Konto von Milizen, die der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis angehören.

In einem am 10. April 2018 veröffentlichten Bericht der Vereinten Nationen heißt es, dass bewaffnete Gruppen in Libyen, einschließlich solcher, die mit dem Staat in Verbindung stehen, tausende Menschen auf Dauer willkürlich und auf gesetzeswidrige Weise in Gefangenschaft halten, wo sie Folter, Misshandlungen und anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
„Männer, Frauen und Kinder in ganz Libyen sind aufgrund Stammes- oder Familienzugehörigkeit und vermuteter politischen Zugehörigkeit willkürlich eingesperrt oder gesetzeswidrig ihrer Freiheit beraubt“, heißt es in dem Bericht des UN-Menschenrechtbüros. „Die Opfer haben wenig oder keinen Zugang zu Rechtsmitteln oder Anspruch auf Wiedergutmachung, während die bewaffneten Gruppen völlig straffrei bleiben.“
„Dieser Bericht legt nicht nur den entsetzlichen Missbrauch und die Gewaltanwendungen an den Libyern offen, die ihrer Freiheit beraubt sind, sondern auch den schieren Horror und die Willkür, die in diesen Gefängnissen herrschen und denen sowohl die Opfer als auch ihre Familien ausgesetzt sind“, sagte der Hohe UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad al-Hussein. „Diese Gewalt und dieser Missbrauch müssen gestoppt werden – und diejenigen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, sollten in vollem Umfange zur Rechenschaft gezogen werden.“
Weiter heißt es in dem Bericht, dass seit dem Ausbruch der neuen Feindseligkeiten im Jahr 2014 bewaffnete Gruppen aller Seiten mutmaßliche Gegner, Kritiker, Aktivisten, Ärzte, Journalisten und Politiker gefangen genommen haben. Üblich seien auch Geiselnahmen zum Zwecke des Gefangenenaustauschs oder zur Erpressung von Lösegeld. Zu den Personen, die willkürlich oder rechtswidrig inhaftiert sind, gehören auch Personen, die im Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt 2011 gefangengenommen wurden - viele sind seit mehr als sechs Jahren ohne Anklageerhebung, Gerichtsverfahren oder Urteil.

In dem Bericht, der in Zusammenarbeit mit der UN-Sondermission für Libyen (UNSMIL) erstellt wurde, werden die wichtigsten Menschenrechtsbelange, die Inhaftierungen in Libyen seit der Unterzeichnung des Libyschen Politischen Abkommens (LPA) am 17. Dezember 2015 bis zum 1. Januar 2018 betreffend, zusammengefasst. Die Umsetzung der im LPA vorgesehenen Maßnahmen bezüglich der willkürlich über einen längeren Zeitraum gefangengehaltenen Personen ist ins Stocken geraten.
„Statt die bewaffneten Gruppen aufzulösen und ihre Mitglieder in die staatlichen Führungs- und Kontrollstrukturen zu integrieren, wurden sie von den aufeinander folgenden libyschen Regierungen zunehmend zur Strafverfolgung eingesetzt, was Verhaftungen und Inhaftierungen miteinschloss. Sie zahlten ihre Gehälter und versorgten sie mit Ausrüstung und Uniformen“, heißt es in dem Bericht. Infolgedessen habe sich ihre Macht, unbehelligt von jeder Regierungsaufsicht, unkontrolliert vergrößert.

Seit Oktober 2017 befinden sich schätzungsweise 6.500 Menschen in offiziellen Justizvollzugsanstalten, die von der Polizei des Justizministeriums überwacht werden. Für Einrichtungen, die nominell dem Innenministerium und dem Verteidigungsministerium unterstellt sind oder die direkt von bewaffneten Gruppen unterhalten werden, stehen keine Statistiken zur Verfügung.
„Diese Einrichtungen sind für dort angewandte Folter und andere Menschenrechtsverletzungen oder Misshandlungen berüchtigt ", heißt es in dem Bericht. Beispielsweise werden in der Haftanstalt auf dem Luftwaffenstützpunkt Mitiga bei Tripolis schätzungsweise 2.600 Männer, Frauen und Kinder, die meisten ohne Zugang zu den Justizbehörden, festgehalten. In der Haftanstalt Kuweifigya, der größten Hafteinrichtung im Osten Libyens, befinden sich vermutlich rund 1.800 Personen.

Bei der ersten Inhaftierung wird den Gefangenen von bewaffneten Gruppen grundsätzlich jeder Kontakt mit der Außenwelt verweigert. "Verstörte Familien suchen nach ihren inhaftierten Familienangehörigen, reisen zu bekannte Haftanstalten, bitten Bekannte, die Verbindungen zu bewaffneten Gruppen, Sicherheits- oder Geheimdienstorganisationen haben, um Hilfe und tauschen Informationen mit anderen Familien von Inhaftierten oder vermissten Personen aus", heißt es in dem Bericht.
Daneben gibt es übereinstimmende Aussagen über Todesfälle von in Haft befindlichen Personen. Die Leichen hunderter Menschen, die von bewaffneten Gruppen verhaftet und festgehalten worden waren, wurden in Straßen, Krankenhäusern und auf Mülldeponien entdeckt, viele mit gefesselten Gliedmaßen. Sie wiesen Spuren von Folterungen und Schusswunden auf.

Der Bericht weiter: „Die weitverbreitete willkürliche und rechtswidrige Inhaftierung und die endemischen Menschenrechtsverletzungen von in Haft befindlichen Personen in Libyen zeigen dringenden Handlungsbedarf der libyschen Behörden, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft ". Getroffene Maßnahmen müssen die Entschädigung von Opfern und ihrer Familien sicherstellen und dafür sorgen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen.

„Als ersten Schritt müssen die staatlichen und nichtstaatlichen Akteure, die tatsächlich die Gebiete kontrollieren und regierungsähnliche Funktionen ausüben, alle willkürlich oder anderweitig unrechtmäßig ihrer Freiheit beraubten Personen freilassen. Alle rechtmäßig inhaftierten Personen müssen unter wirksamer und ausschließlich staatlicher Kontrolle in offizielle Gefängnisse verlegt werden“, so der Bericht.
Es werden die Behörden dazu aufgefordert, Folter, Misshandlungen und Massenerschießungen von Inhaftierten öffentlich und eindeutig zu verurteilen. Es muss sichergestellt werden, dass die für solche Verbrechen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Bericht kommt zu der Schlussfolgerung: „Wird nicht gehandelt, bedeutet dies, dass Tausenden von Häftlingen und ihren Familien zusätzliches Leid zugefügt wird und es zu weiteren Todesfällen kommt. Dies steht auch im Gegensatz zu allen Stabilisierungs-, Friedens- und Versöhnungsbemühungen.“
Gesamtbericht in English


A. Gutsche

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen