Tausende Libyer auf Dauer gesetzeswidrig in Gefangenschaft gehalten
Libyen. Wie ein neuer
UN-Bericht aufzeigt, gehen unzählige Menschenrechtsverletzungen auch auf das
Konto von Milizen, die der ‚Einheitsregierung‘ in Tripolis angehören.
In einem am 10. April 2018 veröffentlichten Bericht der
Vereinten Nationen heißt es, dass bewaffnete Gruppen in Libyen, einschließlich
solcher, die mit dem Staat in Verbindung stehen, tausende Menschen auf Dauer
willkürlich und auf gesetzeswidrige Weise in Gefangenschaft halten, wo sie
Folter, Misshandlungen und anderen Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt sind.
„Männer, Frauen und Kinder in ganz Libyen sind aufgrund
Stammes- oder Familienzugehörigkeit und vermuteter politischen Zugehörigkeit
willkürlich eingesperrt oder gesetzeswidrig ihrer Freiheit beraubt“, heißt es
in dem Bericht des UN-Menschenrechtbüros. „Die Opfer haben wenig oder keinen Zugang
zu Rechtsmitteln oder Anspruch auf Wiedergutmachung, während die bewaffneten
Gruppen völlig straffrei bleiben.“
„Dieser Bericht legt nicht nur den entsetzlichen Missbrauch
und die Gewaltanwendungen an den Libyern offen, die ihrer Freiheit beraubt
sind, sondern auch den schieren Horror und die Willkür, die in diesen
Gefängnissen herrschen und denen sowohl die Opfer als auch ihre Familien
ausgesetzt sind“, sagte der Hohe UN-Menschenrechtskommissar Zeid Ra’ad
al-Hussein. „Diese Gewalt und dieser Missbrauch müssen gestoppt werden – und
diejenigen, die für diese Verbrechen verantwortlich sind, sollten in vollem
Umfange zur Rechenschaft gezogen werden.“
Weiter heißt es in dem Bericht, dass seit dem Ausbruch der
neuen Feindseligkeiten im Jahr 2014 bewaffnete Gruppen aller Seiten mutmaßliche
Gegner, Kritiker, Aktivisten, Ärzte, Journalisten und Politiker gefangen
genommen haben. Üblich seien auch Geiselnahmen zum Zwecke des
Gefangenenaustauschs oder zur Erpressung von Lösegeld. Zu den Personen, die
willkürlich oder rechtswidrig inhaftiert sind, gehören auch Personen, die im
Zusammenhang mit dem bewaffneten Konflikt 2011 gefangengenommen wurden - viele sind
seit mehr als sechs Jahren ohne Anklageerhebung, Gerichtsverfahren oder Urteil.
In dem Bericht, der in Zusammenarbeit mit der
UN-Sondermission für Libyen (UNSMIL) erstellt wurde, werden die wichtigsten
Menschenrechtsbelange, die Inhaftierungen in Libyen seit der Unterzeichnung des
Libyschen Politischen Abkommens (LPA) am 17. Dezember 2015 bis zum 1. Januar
2018 betreffend, zusammengefasst. Die Umsetzung der im LPA vorgesehenen
Maßnahmen bezüglich der willkürlich über einen längeren Zeitraum
gefangengehaltenen Personen ist ins Stocken geraten.
„Statt die bewaffneten Gruppen aufzulösen und ihre
Mitglieder in die staatlichen Führungs- und Kontrollstrukturen zu integrieren, wurden
sie von den aufeinander folgenden libyschen Regierungen zunehmend zur
Strafverfolgung eingesetzt, was Verhaftungen und Inhaftierungen miteinschloss.
Sie zahlten ihre Gehälter und versorgten sie mit Ausrüstung und Uniformen“, heißt
es in dem Bericht. Infolgedessen habe sich ihre Macht, unbehelligt von jeder
Regierungsaufsicht, unkontrolliert vergrößert.
Seit Oktober 2017 befinden sich schätzungsweise 6.500
Menschen in offiziellen Justizvollzugsanstalten, die von der Polizei des
Justizministeriums überwacht werden. Für Einrichtungen, die nominell dem
Innenministerium und dem Verteidigungsministerium unterstellt sind oder die
direkt von bewaffneten Gruppen unterhalten werden, stehen keine Statistiken zur
Verfügung.
„Diese Einrichtungen sind für dort angewandte Folter und
andere Menschenrechtsverletzungen oder Misshandlungen berüchtigt ", heißt
es in dem Bericht. Beispielsweise werden in der Haftanstalt auf dem
Luftwaffenstützpunkt Mitiga bei Tripolis schätzungsweise 2.600 Männer, Frauen
und Kinder, die meisten ohne Zugang zu den Justizbehörden, festgehalten. In der
Haftanstalt Kuweifigya, der größten Hafteinrichtung im Osten Libyens, befinden
sich vermutlich rund 1.800 Personen.
Bei der ersten Inhaftierung wird den Gefangenen von bewaffneten
Gruppen grundsätzlich jeder Kontakt mit der Außenwelt verweigert.
"Verstörte Familien suchen nach ihren inhaftierten Familienangehörigen,
reisen zu bekannte Haftanstalten, bitten Bekannte, die Verbindungen zu
bewaffneten Gruppen, Sicherheits- oder Geheimdienstorganisationen haben, um
Hilfe und tauschen Informationen mit anderen Familien von Inhaftierten oder
vermissten Personen aus", heißt es in dem Bericht.
Daneben gibt es übereinstimmende Aussagen über Todesfälle
von in Haft befindlichen Personen. Die Leichen hunderter Menschen, die von
bewaffneten Gruppen verhaftet und festgehalten worden waren, wurden in Straßen,
Krankenhäusern und auf Mülldeponien entdeckt, viele mit gefesselten Gliedmaßen.
Sie wiesen Spuren von Folterungen und Schusswunden auf.
Der Bericht weiter: „Die weitverbreitete willkürliche und
rechtswidrige Inhaftierung und die endemischen Menschenrechtsverletzungen von
in Haft befindlichen Personen in Libyen zeigen dringenden Handlungsbedarf der
libyschen Behörden, unterstützt von der internationalen Gemeinschaft ". Getroffene
Maßnahmen müssen die Entschädigung von Opfern und ihrer Familien sicherstellen
und dafür sorgen, dass sich solche Verbrechen nicht wiederholen.
„Als ersten Schritt müssen die staatlichen und
nichtstaatlichen Akteure, die tatsächlich die Gebiete kontrollieren und
regierungsähnliche Funktionen ausüben, alle willkürlich oder anderweitig
unrechtmäßig ihrer Freiheit beraubten Personen freilassen. Alle rechtmäßig
inhaftierten Personen müssen unter wirksamer und ausschließlich staatlicher
Kontrolle in offizielle Gefängnisse verlegt werden“, so der Bericht.
Es werden die Behörden dazu aufgefordert, Folter,
Misshandlungen und Massenerschießungen von Inhaftierten öffentlich und
eindeutig zu verurteilen. Es muss sichergestellt werden, dass die für solche
Verbrechen Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Der Bericht kommt zu der Schlussfolgerung: „Wird nicht
gehandelt, bedeutet dies, dass Tausenden von Häftlingen und ihren Familien
zusätzliches Leid zugefügt wird und es zu weiteren Todesfällen kommt. Dies steht
auch im Gegensatz zu allen Stabilisierungs-, Friedens- und
Versöhnungsbemühungen.“
Gesamtbericht in English
A. Gutsche
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