Sarkozy oder Wie Libyer zum Schweigen gebracht werden
Tripolis/Wien/Johannesburg. Was haben Saleh Baschir und Schukri Ghanem gemeinsam? Beide
beschuldigten Nicolas Sarkozy, zur Aufstockung seiner Wahlkampfkasse in den
Jahren 2006 und 2007 Millionen von Euro aus Libyen angenommen zu haben.
Schukri Ghanem kam
unter mysteriösen Umständen Ende April 2012 ums Leben, auf Saleh Baschir wurde
am 23. Februar 2018 ein Attentat verübt.
Baschir Saleh Baschir
Saleh Baschir, ehemals Stabschef und einer der engsten Vertrauten
Muammar al-Gadadfis, war zuständig für die Verwaltung libyscher Staatsfonds. Er
hatte seinerzeit die Rolle eines Mittelsmanns zwischen Libyen, Afrika und
Frankreich. Als er am 23. Februar 2018 in Johannesburg auf der Fahrt zum
Flughafen war, wurde sein Wagen gestoppt und er selbst aus dem Wagen gezerrt.
Gezielt wurden Schüsse auf ihn abgegeben. Wie durch ein Wunder hat Baschir den
Mordanschlag schwer verletzt überlebt und befindet sich nun im Krankenhaus. LibyaHerald[1]
schreibt: „Die französischen Medien haben ein besonderes Interesse an Saleh
Baschir, da er Teil der Ermittlungen bei der Finanzierung des
Präsidentschaftswahlkampfs von Nicolas Sarkozy 2007 ist.“ Doch voraussichtlich
wird Saleh Baschir nicht so bald in Frankreich aussagen können.
Während des Nato-Krieges 2011 zunächst in Tripolis gefangengenommen,
war Baschirs nächster Aufenthaltsort Frankreich. Wie es zu seiner Ausreise kam,
ist unklar. Vor mehr als fünf Jahren verließ er Frankreich, um anschließend mit
seiner Familie in Südafrika zu leben.
Saleh Baschir gehört heute zum Exekutivkomitee des Libyan
National Popular Movement LNPM, eine Bewegung des Grünen Widerstands. Zu
dem Mordanschlag hat das LNPM eine Presseerklärung veröffentlicht, indem die
südafrikanischen Behörden dazu aufgefordert werden, „schnellstmöglich
Untersuchungen aufzunehmen, um die Schuldigen und die Kräfte hinter [dem
terroristischen Anschlag] zu identifizieren und vor Gericht zu stellen.“
Schukri Ghanem
Unter Gaddafi war Schukri Ghanem von 2003 bis 2006
Premierminister, bis 2011 diente er seinem Land als Ölminister und Chef der National Oil Company NOC. Bereits im
Februar 2004 machte Ghanem von sich reden, als er im Hörfunkprogramm des BBC[2]
sagte, dass Libyen ebenso wenig mit dem Lockerbie-Anschlag des Jahres 1988 wie
mit dem Tod der Londoner Polizistin Yvonne Fletcher zu tun gehabt habe.
Als im Frühjahr 2011 die Verschwörung gegen Libyen immer
mehr Fahrt aufnahm, reiste Schukri Ghanem, auch ein guter Freund von Saif
al-Islam Gaddafi und Besitzer eines österreichischen Passes, mit seiner Familie
nach Wien. Es wird vermutet, dass Ghanem versuchte, libysche Staatsgelder vor
den neuen islamistischen Machthabern, die bereits per Lkws alles Bargeld aus
der Libyschen Nationalbank geplündert hatten, in Sicherheit zu bringen.
Kurz nachdem Ghanem den damaligen Präsidenten Sarkozy direkt
beschuldigt hatte, Millionen aus Tripolis erhalten zu haben, starb Ghanem am
29. April 2012 unter äußerst mysteriösen Umständen.
Vorher war laut libyschen und österreichischen Quellen von
den neuen radikal-islamistischen Machthabern in Tripolis ein
Auslieferungsgesuch an Interpol ergangen. Ghanem sollte in Tripolis als Zeuge
gegen Saif al-Islam aussagen, der vom Internationalen Strafgerichtshof gesucht
wurde. Heute kann sich im Wiener Justizministerium niemand mehr an ein solches
Schreiben erinnern.[3]
Von Ghanem wird berichtet, er sei wegen einer Auslieferung besorgt gewesen, da
in Tripolis Verhörte bei Vernehmungen auch schon mal aus dem Fenster flögen.
Sarkozy bemühte sich gerade um seine Wiederwahl als
französischer Präsident. Der erste Wahlgang hatte am 22. April 2012
stattgefunden. Am 6. Mai folgte die Stichwahl zwischen Sarkozy und François
Hollande, die Hollande relativ knapp mit 52 Prozent der Stimmen gewann.[4]
Sein Tod ereilte Shukri Ghanem am 29. April 2012. Ghanems
Familie hatte zunächst ausgesagt, er sei leblos in seiner Wohnung aufgefunden
worden. Im offiziellen Polizeiprotokoll hieß es dann aber, die Leiche Ghanems
sei in der Donau getrieben. Vermutlich habe er einen Herzanfall erlitten und sei
in den Fluss gestürzt. Merkwürdig an der Sache: Ghanem war zwar vollständig
bekleidet, trug aber keine persönlichen Gegenstände bei sich. Wie Freunde von
ihm erklärten, sei Ghanem niemals außer Haus gegangen, ohne wenigstens sein
Notizbuch – das in dem Fall noch eine bedeutende Rolle spielen wird – oder
seinen Terminkalender bei sich zu tragen. Wie also ist der Nichtschwimmer
Ghanem oder seine Leiche in die Donau gelangt?
Bereits Anfang Juni 2012 wurde Ghanems Leichnam nach
Tripolis ausgeflogen und beigesetzt. Die österreichischen Behörden schlossen
Fremdverschulden aus und erklärten, es habe sich um einen Unfall gehandelt. Die
Akte wurde im Februar 2013 geschlossen.
Auf die damaligen Vorgänge in Wien fiel ein neues Licht, als
2016 geleakte E-Mails von der damaligen US-Außenministerin Hillary Clinton den
Weg in die Öffentlichkeit fanden. Diese offenbarten, dass ihre Mitarbeiter und
US-amerikanische Diplomaten im April 2012 Ghanems Tod für höchst verdächtig
hielten. Am 7. Juni 2012 heißt es in einer Mail von Jacob Sullivan an Clinton,
dass sowohl Interpol als auch die österreichischen Behörden den Todesfall für
„äußerst verdächtig“ hielten und diskrete Ermittlungen fortsetzen wollten. Die
offizielle österreichische Version werde aber wohl lauten, Ghanem habe nach
langer, schwerer Krankheit Selbstmord begangen.[5]
Da diese Version nicht wirklich glaubhaft war, auch weil für
jeden gläubigen Moslem Selbstmord ein schweres Verbrechen ist, wurde vermutlich
auf ‚Unfalltod‘ umgetextet.
Sogar der kurz Zeit später in Bengasi ermordete
US-amerikanische Botschafter Christopher Stevens gab per E-Mail seine
Beurteilung des Falles Ghanem ab: „Nicht ein Libyer, mit dem ich gesprochen
habe, glaubt, dass er sich selbst in die Donau geworfen hat, oder dass er sich
plötzlich ans Herz fasste und in den Fluss purzelte. Die meisten glauben, er
ist von Angehörigen des Regimes oder von ausländischen Mafia-Typen zum
Schweigen gebracht worden.“
Doch plötzlich tauchte im September 2016 das Notizbuch von
Schuchri Ghanem wieder auf, aus dem das französische investigative
Online-Magazin Mediapart[6]
Einträge veröffentlichte. Darunter die Details von drei Zahlungen in Höhe von
insgesamt 6,5 Millionen Euros, die aus Libyen zur Finanzierung von Sarkozys Wahlkampagne
geflossen waren.
Mediapart[7]
hatte im September 2016 damalige Geschäftspartner von Ghanem kontaktiert und
sich deren Theorien über den Tod ihres Bekannten angehört. Darunter waren auch
solche, die Schmiergeldzahlungen nicht nur in Frankreich, sondern auch in Italien
und Großbritannien betrafen.
Gegen Nicolas Sarkozy wird jetzt ermittelt, wegen
Korruption, illegaler Wahlkampffinanzierung und Unterschlagung libyscher
Staatsgelder. Seine Vorladung erfolgte nach der Festnahme und Aussage seines
ehemaligen Mitarbeiters Alexandre Djouhri in London, der später gegen Kaution
freikam. Vor seiner Verhaftung im Januar hatte sich Djouhri geweigert, einer
Vorladung in Paris nachzukommen. Nun steht er im Mittelpunkt der Ermittlungen.
Sarkozy wird jetzt auch von anderen, zum Beispiel von Ziad
Takieddine, den Überbringer der libyschen Geldkoffer, schwer belastet: „Er war
da und ich traf ihn. Ich grüßte ihn sogar. Er nahm den Koffer. Er stellte ihn
zur Seite. Er wollte nicht einmal nachzählen.“[8]
Und auch Abdullah Senussi, ehemaliger libyscher
Geheimdienstchef, sagte, er wisse, dass Gaddafi an Sarkozy Geld bezahlt habe. Senussi
soll das erste Treffen zwischen Gaddafi und Sarkozy aufgezeichnet haben. Senussi
wird heute in Tripolis von islamistischen Milizen gefangen gehalten. Ein
Gericht verurteilte ihn 2015 zum Tode. Das Urteil wurde bisher nicht
vollstreckt. Eine vom libyschen Parlament erlassene, allgemeine Amnestie für die
seit 2011 inhaftierten politischen Gefangenen wurde bis heute in den Gebieten
Libyens nicht umgesetzt, die von islamistischen Milizen kontrolliert werden.
Als die Nato 2011 Libyen bombardierte, rief Saif al-Islam in
Bezug auf Sarkozy aus: „Wir haben seine Kampagne finanziert. Wir sind bereit,
alles aufzudecken. Das erste, was wir von diesem Clown verlangen, ist, dass er
das Geld dem libyschen Volk zurückgibt.“ Saif al-Islam hatte bereits 2011 in
Tripolis Euronews Beweise für die
Geldübergabe an Sarkozys Wahlkampfbüro vorgelegt.
Es besteht der Verdacht, Sarkozy sei 2011 auch deswegen so
begeistert gegen Gaddafi in den Krieg gezogen, damit ein lästiger Zeuge seiner
kriminellen Verfehlungen auf immer zum Schweigen gebracht wird. Inzwischen ist
das Wissen über die Fehltritte westlicher Politiker kein Alleinstellungsmerkmal
mehr von Muammar al-Gaddafi oder seines Sohnes Saif al-Islam. Dieses Wissen ist
breit gestreut und auch die Beweise scheinen vorhanden. Leichen in der Donau
oder Schüsse auf Zeugen, diese Einschüchterungsversuche gegenüber denjenigen, die
etwas über den Dreck am Stecken der Westmächte wissen und auch Beweise dafür
haben, scheinen nicht mehr zu funktionieren. Aus welchen politischen Gründen
auch immer.
Es gibt Mutmaßungen, dass Paris versuche, Saif al-Islam zu
besänftigen, indem die französische Justiz gegen Sarkozy vorgeht. Es stehen in
Libyen Präsidentschaftswahlen an, bei denen sich Saif al-Islam, dem zugetraut
wird, das Chaos in Libyen beenden zu können, gute Chancen ausrechnen kann.
Vielleicht sogar mit der Unterstützung Frankreichs?
A. Gutsche
[1] https://www.libyaherald.com/2018/02/26/bashir-saleh-qaddafi-former-chief-of-staff-survives-gun-attack-in-south-africa/
[2] http://www.bbc.co.uk/radio4/today/rams/libyan_pm.ram
[3] http://www.vienna.at/hillary-clinton-ueber-tod-von-gaddafis-oelchef-shukri-ghanem-in-wien-informiert/4757051
[4] http://www.spiegel.de/politik/ausland/fran-ois-hollande-gewinnt-praesidentenwahl-in-frankreich-a-831625.html
[5] http://www.vienna.at/hillary-clinton-ueber-tod-von-gaddafis-oelchef-shukri-ghanem-in-wien-informiert/4757051
[6] https://www.mediapart.fr/en/journal/france/270916/revealed-2007-notebook-detailed-sarkozys-libyan-election-funding
[7] https://www.mediapart.fr/en/journal/mot-cle/shukri-ghanem
[8] https://sputniknews.com/europe/201803241062866887-businessman-tranfered-money-sarkozy/
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